Entnazifizierung

Über das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus

Eine Kurz-Dokumentation von Chaim Frank, © 1995, 1997, 2001

 

Der Sinn der Entnazifizierung sollte eigentlich darin bestanden haben, bewusst und willentlich eine Säuberung des politischen, wirtschaftlichen, aber auch geistigen und kulturellen Lebens vorzunehmen, bei dem die involvierten Bürger – das waren sowieso fast alle, die frei im Nazi-Reich leben konnten, vom Nazitum und faschistischem Gedankengut (innerlich wie äußerlich) gereinigt werden sollten.

 

Die Denazifizierung (denazification) wurde vor allem dort angewendet, wo der NS-Ungeist festen Fuß gefasst hatte - also in Deutschland und in Österreich. Hier mussten sämtliche ehemalige NSDAP-Mitglieder – so das Militär-Gesetz der alliierten Befreier – aus allen öffentlichen Ämtern und Behörden entfernt werden. Das heißt also, dass es summa summarum mit insgesamt 8,5 Mill. NSDAP-Mitgliedern abzurechnen galt, was – wie es sich bald zeigen sollte – wegen der tiefen Verschlossenheit des Volkes einerseits und der diffusesten Verbandelungen verschiedener Gruppen und >Klüngeln< anderseits zu einem schier unlösbaren Unterfangen wurde.

 

Die Bestimmung der Säuberung ist nicht plötzlich, nach der Zerschlagung des Naziimperiums geschaffen worden. Noch während des Krieges kündigten bereits die Alliierten auf verschiedenen Konferenzen, unter anderem auch in Jalta, harte Strafen und Sühnemaßnahmen und zwar für alle Kriegsverbrecher und Mitbeteiligten an.

 

Folglich begann die erste Entnazifizierungswelle schon gleich nach dem frühest möglichen Zeitpunkt, nach Kriegsendes, was außerdem durch das Potsdamer Abkommen ratifiziert und festgelegt, sowie seit 12.10.1946 auf alle befreite Zonen übertragen und ausgedehnt wurde. 

Demzufolge waren Ende 1949 in Westdeutschland über 6,08 Millionen Menschen von der Entnazifizierungs-Maßnahme betroffen.

 

In Zahlen ausgedrückt bedeutete dies, es betraf im einzelnen:

 

3.62o.ooo

2.o4o.ooo

42o.ooo

   Personen in der amerikanischen,

   Personen in der britischen, und

   Personen in der französischen Zone.

 

 

Von diesen 6,08 Millionen Menschen wurden durch die Spruchkammern eingestuft:

 

1.700

23.000

150.400

1.006.000

   Personen als 'Hauptschuldige';

   Personen als 'Belastete';

   Personen als 'Minderbelastete'; und

   Personen als 'Mitläufer'

 

Dies war – gesamt gesehen – der einzige Aktion in punkto Entnazifizierung! Denn spätestens Ende 1947 ist bei 3,939 Millionen Deutschen das laufende Verfahren überhaupt eingestellt, bzw. erst gar nicht mehr eröffnet worden. Der Grund hierfür war aber nicht, dass es lediglich diese knapp 1,2 Millionen von den Spruchkammern 'bearbeiteten' Nazis gab. Der Beweggrund für die Einstellung der Verfahren berief sich vielmehr auf die Tatsache, dass man schlicht und ergreifend die einstigen >Streiter und Fahnenträger für Hitlers Sache<, nun plötzlich als sogenanntes >erfahrenes Werkzeug< gegen den bösen Bolschewismus benötigte. 

An dieser sonderbaren Hysterie – nämlich immer heftiger werdend mit einer überstiegenen Angst vor der 'Roten Gefahr' zu warnen –, waren übriges die schlauen Nazis selbst beteiligt. Schließlich haben sie erfolgreich versucht, das labile Verhältnis der Ost- und West-Alliierten zu spalten. 

Das ist jedoch keine Vermutung, sondern lässt sich sehr gut an mehreren Beispielen nachweisen. 

In diesem Zusammenhang muss auch ein anderer Fakt gesehen werden, dass nämlich bereits vor 1950 viele 'wichtige' Nazis – und zwar nicht gezwungenermaßen, wie es einige fälschlicher weise später vorgaben –, in die Dienste der britischen, französischen und amerikanischen Geheimdienste traten. Das waren meist Tätigkeiten für entsprechende Geheimdienste, sowie Rüstungs- und Forschungsbetriebe. 

Im Zuge dieser, auf Grund durch die neuen politischen (vielleicht auch absichtlichen) Gegebenheiten unterlassenen Entnazifizierung, kamen beispielsweise – im Rahmen der sogenannten >Operation Bloodstone< –, der Geheimdienstchef Reinhard GEHLEN, sein Gehilfe und UdSSR- Spezialist Nikolaj POPPE, der Nazi-Ingenieur von BRAUN und zahlreiche andere Nazigrößen, sowie Nazi- Kollaborateure aus Ost- und Westeuropa in die Vereinigten Staaten. Bald darauf kam über diese 'geheimdienstliche' Schiene, auch ein ein gewisser Josef MENGELE, mit einem Köfferchen, in die Vereinigten Staaten. Mengele's Köfferchen war vollgepackt mit Dokumenten und Ergebnissen über die diversen medizinischen Versuche, die in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern vorgenommen wurde. Dieses Material wird neben unzähligen anderen Nazi-Unterlagen bis heute strengstens im Washingtoner Geheimarchiv gehütet.

 

Betrachten wir in diesem Zusammenhang einen für diese Zeit vielleicht typischen Fall, wo es diesen Täter-Nazis leicht gemacht wurde, ihren Kopf, auf Grund der neuen politischen Gegebenheit, der Schlinge des gerechten Henkers zu ziehen. 

 

Unser Beispiel trägt den Namen Gustav Hilger.

 

Gustav Hilger wechselte von seinem Dienst an der Botschaft in Moskau direkt in die Kanzlei des Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und wurde hier politischer Chefberater für Ostfragen. Zu Hilgers Aufgaben gehörten u.a. die Verbindung zur ss bei der Besetzung der UdSSR und hier ging es natürlich auch um die Auswertung der Berichte der ss-Einsatzgruppen über Mordaktionen die in den besetzten Ländern Osteuropas, z.B. im Rigaer Ghetto, oder über Großaktionen gegen Juden in Minsk, in Wikeika, in Rakow, in Artemowsk und in Baranowitschi, und so weiter durchgeführt wurden. Alle Orte waren hernach sogenannt 'judenfrei'

Hilger spielte übrigens auch eine direkte Rolle in bei Mordprogrammen in Ungarn, wo er später einigen ungarischen Offizieren, die 1942 für die Ermordung von 6.000 Serben und 4.000 Juden verantwortlich waren, in Deutschland Asyl verschaffte; Und Hilger spielte gleichfalls eine wesentliche Rolle, als die ss die italienischen Juden deportierte, und außerdem war er eine zentrale Figur der deutschen Fraktion für politische Kriegführung. 

Nach Kriegsende wurde Hilger 'offiziell' von den US Ermittlern wegen >Folter< gesucht; – das war eine damals übliche Beschuldigungsform, bei Tätern, die man zwar im Zusammenhang mit Planung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, jedoch nicht wegen der Morde selbst, suchte. 

Der schlaue Hilger hatte sich bereits noch im Mai 1945 den US-Streit ergeben und, nach kurzem Aufenthalt im Kriegsgefangenenlager in Mannheim, schafften ihn die Amerikaner (wie den Gehlen ebenso) unauffällig nach Washington. Hier wurden er und andere Nazis mit der Auswertung von erbeuteten deutschen Unterlagen über die UdSSR beauftragt. Im Frühjahr 1946 tauchte Hilger mehrmals kurz als Zeuge im Nürnberger Militärgerichtshof auf und pendelte regelrecht, unter dem Schutz des US-Außenministeriums, zwischen USA und Deutschland hin und her. Aus verschiedenen belegbaren Unterlagen geht eindeutig hervor, dass die US-Regierung sämtliche Reisekosten für Hilger trug. 

Und es war übrigens der gleiche Nazi-Mann Hilger, der Adenauer und seiner ersten Regierungsperiode amerikanischen Beistand verschaffte. Gustav Hilger war nun also wieder hochoffiziell diplomatisch-politisch tätig, und wurde, quasi so etwas wie ein Vertreter Adenauers CDU in den Vereinigten Staaten. 

Erst durch einen glücklichen Zufall entdeckte der berühmte Historiker und Forscher des Holocausts, Dr. Raul Hilberg, endlich wesentliche Dokumente im Bundes-Dokumentationszentrum von Virigina über die früheren Aktivitäten dieses deutschen NS-Diplomaten. Die entsprechenden Washingtoner Behörden waren emsig bemüht diesen Zwischenfall, als auch Hilberg's Protest wegen Gustav Hilgers Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Die gleichen Behörden machten es möglich, dass Hilger bis 1953 mehr oder weniger unbeschadet in den USA verbleiben und auch später noch, bis kurz vor seinem Tode (er starb 1965 in München), oft nach Amerika reisen konnte.

Es steht jedenfalls eindeutig fest, dass Hilger – aber auch von Braun, Gehlen, der ukrainische Judenschlächter Schakaschwilli (sein Sohn war hoher US-Offizier während des Golfkriegs) und viele andere Nazi-Täter, die im Dienste der neuen Ideologie, dem sogenannten >Kalten Krieg< und seiner 'Kriegsführung' standen – nie wegen ihrer Kriegsverbrechen oder wegen ihren faschistischen Aktivitäten zur Verantwortung gezogen wurden. Im Gegenteil! Hilger besaß soviel Einfluss im US-Außenministerium, dass für ihm sogar bis zum Schluss ein Telefonanschluß (Durchwahl 11) reserviert blieb. Der Journalist und Nazi-Hunter Charles Allen dokumentierte in seiner Notiz, >dass das Außenministerium konsequent zu Unwahrheiten Zuflucht genommen hatte, um die jahrelange Verbindung mit Hilger< – aber auch die engen Verbindungen zu jene anderen Nazigrößen, rigoros zu verschleiern. Doch das war nur eine von vielen Charakteristiken des von Nazis geschürten und unter westlicher Flagge geführten Kalten Kriegs.

 

 

Doch kommen wieder zum eigentlichen Thema, der sogenannten Entnazifizierung, zurück:

 

Ehe wir sogleich auf die Handhabung und Durchführung der – entschuldigen Sie bitte die Wortwahl: 'normalen' Entnazifizierung eingehen, sollten wir uns zunächst das sogenannte Befreiungsgesetz vom 5. März 1946, nebst dessen Grundsätze noch in Erinnerung rufen. Den ganzen Wortlaut konnte spätestens am 8. März 1946 jeder Deutsche und Österreicher aus der ersten Seite seiner Tages-Zeitung entnehmen:

 

Nationalsozialismus und Militarismus haben in Deutschland zwölf Jahre die Gewaltherrschaft ausgeübt, schwerste Verbrechen gegen das deutsche Volk und die Welt begangen, Deutschland in Not und Elend gestürzt und das Deutsche Reich zerstört. Die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus ist eine unerlässliche Vorbedingung für den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau.

 

Während der vergangenen Monate, die der Kapitulation folgten, hat die Amerikanische Militärregierung die Entfernung und den Ausschluss von Nationalsozialisten und Militaristen aus der Verwaltung und anderen Stellen durchgeführt.

 

Der Kontrollrat hat am 12. Januar 1946 für ganz Deutschland Richtlinien für diese Entfernung und den Ausschluss in der Anweisung Nr.24 aufgestellt, die für die deutschen Regierungen und für das deutsche Volk verbindlich sind.

 

Das Gesetz Nr.8 der Militärregierung einschließlich seiner ersten Ausführungsverordnung hat die Befreiung auf das Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ausgedehnt und das Vorstellungsverfahren durch deutsche Prüfungsausschüsse eingeführt.

 

Die Amerikanische Militärregierung hat nunmehr entschieden, dass das deutsche Volk die Verantwortung für die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus auf allen Gebieten mit übernehmen kann. Der Erfüllung der damit dem deutschen Volk übertragenen Aufgabe dient dieses Gesetz, das sich im Rahmen der Anweisung Nr.24 des Kontrollrates hält.

 

Zur einheitlichen und gerechten Durchführung dieser Aufgabe wird gleichzeitig für Bayern, Großhessen und Württemberg-Baden das folgende Gesetz beschlossen und verkündet:

 


Abschnitt (Grundsätze)

 

ARTIKEL 1.

 

Zur Befreiung unseres Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus und zur Sicherheit dauernder Grundlagen eines deutschen demokratischen Staatslebens im Frieden mit der Welt werden alle, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv unterstützt oder sich durch Verstöße gegen die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit oder durch eigensüchtige Ausnutzung der dadurch geschaffenen Zustände verantwortlich gemacht haben, von der Einflußnahme auf das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben ausgeschlossen und zur Wiedergutmachung verpflichtet.

Wer verantwortlich ist, wird zur Rechenschaft gezogen. Zugleich wird jedem Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben.

 

ARTIKEL 2.

 

Die Beurteilung des Einzelnen erfolgt in gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsächlichen Gesamthaltung; danach wird in wohlerwogener Abstufung das Maß der Sühneleistung und der Ausschaltung aus der Teilnahme am öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Volkes bestimmt mit dem Ziel, den Einfluß nationalsozialistischer und militaristischer Haltung und Ideen auf die Dauer zu beseitigen.

Äußere Merkmale wie die Zugehörigkeit zur NSDAP, einer ihrer Gliederungen oder einer sonstigen Organisation sind nach diesem Gesetz für sich allein nicht entscheidend für den Grad der Verantwortlichkeit. Sie können zwar wichtige Beweise für die Gesamthaltung sein, können aber durch Gegenbeweise ganz oder teilweise entkräftet werden. Umgekehrt ist die Nichtzugehörigkeit für sich alleine nicht entscheidend für den Ausschluß der Verantwortlichkeit.

 

ARTIKEL 3. (Meldeverfahren)

 

Zur Aussonderung aller Verantwortlichkeiten und zur Durchführung des Gesetzes wird ein Meldeverfahren eingerichtet.

Jeder Deutsche über 18 Jahre hat einen Meldebogen auszufüllen und einzureichen.

Die näheren Bestimmungen trifft der Minister für politische Befreiung.

 

 

ARTIKEL 4. (Gruppe der Verantwortlichen)

 

Zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit und zur Heranziehung zu Sühnemaßnahmen werden folgende Gruppen gebildet:

 

1. HAUPTSCHULDIGE

2. BELASTETE (Aktivisten, Militaristen,  Nutznießer)

3. MINDERBELASTETE (Bewährungsgruppe)

4. MITLÄUFER

5. ENTLASTETE

 

 

Das anfänglich ehrlich gemeinte Ziel der alliierten Befreiungspolitik also war, neben der Entmilitarisierung und dem Versuch einer >Wieder-Demokratisierung< Deutschlands und Österreichs, die Entnazifizierung und folglich entsprechender Bestrafung der (geplant war aller) Kriegsverbrecher herbeizuführen.

 

Doch schon früh  musste man der Wahrheit ins Auge blicken, daß nämlich die Entnazifizierung in Deutschland und auch im faschistischen Österreich, von den westlichen Alliierten rasch äußerst lax und oberflächlich vollzogen wurde. Wenn es schließlich überhaupt zu einer Bestrafung kam, dann war es jedoch nur für eine kurze, gewisse Periode und die vorgesehene Sühnezeit erreichte nur noch selten die dafür vorgesehene Strafe von 2 bis 10 Jahre Arbeitslager.

Durch die sogenannte >Minderbelasteten-Amnestie< kamen die meisten der NS-Täter (in der Sowjetzone war es nicht so schnell), spätestens seit 1947 bzw. 1948 wieder frei, und fanden sehr rasch wieder in ihre alten Berufe und Stellungen zurück. Das waren u.a. Polizisten, Lehrer, Hochschulprofessoren, Ärzte, wissenschaftliche Forscher und andere Personen, die unter dem Vorwand eines angeblichen >Personalmangels< wieder eingesetzt wurden. Dass es sich hierbei fast ausschließlich um Nazi->Klüngel< handelte, die sich außerdem auch noch gegenseitig deckten, erkannten alsbald die Alliierten schon selber.

 

Obwohl die Entnazifizierung schon einige Monate vor der Kontrollrats-Direktive in Gang gekommen war (und von den Alliierten sogar einheitlich unterzeichnet wurde), sind letztendlich die diesbezüglichen Regelungen in jeden der vier Zonen doch wiederum unterschiedlich gehandhabt worden.

 

Am laxesten wurde die Denazifizierung vor allem durch die Briten vollzogen; und in der französischen Zone gab es außerdem noch mehrere regionale Unterschiede. Summa summarum gesehen betrieben die beiden Zonen, also die Britische und Französische, die Entnazifizierung eher pragmatisch. Dies ging dann soweit, dass nicht nur das ursprünglich gesteckte Ziel der Entnazifizierung verfehlt, sondern gleichzeitig - da man unentwegt 'ehemalige' Nazis und NS-Funktionäre durch andere, weniger belastete Personen auszuwechseln hatte -, zu einer grotesken Farce auszuwachsen drohte.

 

Als Beweis für das eben Genannte soll eine Stellungnahme der SPD-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen vom 29.4. 1948 stehen, aus der deutlich der Unmut über die Handhabung der >Entnazifizierung< zum Ausdruck kommt:

 

    "Die Sozialdemokratische Landtagsfraktion hat die seit 1945 von der britischen Militärregierung durchgeführten Entnazifizierungsverfahren mit steigender Besorgnis verfolgt. Sie stellt fest, dass die Entnazifizierung als politische und demokratische Maßnahme ihr Ziel nicht erreicht, jedoch eine tiefgehende Beunruhigung in der Bevölkerung hinterlassen hat. Während eine große Zahl von Mitläufern mit dem Verlust von Amt und Stellung bestraft wurde, sind wirklich Schuldige nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen worden. Ebenso wenig hat man den Nutznießern des Nationalsozialismus ihre erworbenen Vorteile entzogen. 

    Die politische Säuberung muss darum als gescheitert betrachtet werden.

    Die Sozialdemokratische Landtagsfraktion stellt fest, dass die bisherige Entnazifizierung nicht nach einem deutschen Gesetz und ohne verantwortliche Mitwirkung deutscher Stellen, sowohl des Parlaments als auch der Verwaltung erfolgt ist, so dass für den gegenwärtigen bedauerlichen Zustand die Militär-Regierung ausschließlich und allein die volle Verantwortung trägt."

 

 

Mit größtem moralischen Rigorismus und darum auch mit überaus bürokratischem Aufwand – so hieß es zumindest offiziell –, wurde anfänglich, allerdings nur für einen kurzen Zeitraum, die Entnazifizierung in der US-Zone betrieben.

 

Schon im frühen Herbst 1945 musste von allen der spezielle Meldebogen ausgefüllt werden, dem ein Fragebogen beigefügt war, auf dem nicht weniger als 131 Detailfragen zur beruflichen und politischen Vergangenheit standen. , die eigentlich genauestes und gewissenhaft beantwortet werden sollten. Denn die Bewertung dieses Fragebogens bedeutete quasi das 'A & O' für das weitere geregelte Leben der ehemaligen Nazi des frühen Nachkriegs-Deutschlands, weil das Ergebnis vielerlei wichtiges bestimmte; nämlich:

 

wie der Nazi einzustufen sei (Mitläufer oder Täter)

ob und wie hoch demzufolge seine Sühne ausfiel;

wieviel Lebensmittelzuteilung dem Nazi zugeteilt wurde,

und ob und was der entnazifizierte Nazi hernach arbeiten durfte.

 

Bis zum Frühjahr 1946 lag die Prüfung der Fragebögen (Entlassung bzw. Einleitung eines Spruchkammer-Verfahrens) im Bereich der Besatzungsbehörde, danach wurde es – auf Grund der unbewältigbaren Papyrokratie – den deutschen Stellen (gen.: Länder-Befreiungs-Ministerien), überantwortet.

Schließlich drang auch sehr bald hier – beflügelt durch den allgemeinen Zeitgeist des sogenannten Kalten Krieges, das Rehabilitierungs-Bestreben stärker durch, als die Moral, d.h. die sachgerechte Durchführung der Nazi-Überprüfung. Folglich war die Entnazifizierung in fast allen US-Zone nur noch eine Art Kompromiss zwischen Rehabilitierung von unzähligen Personen und Diskeditierung vereinzelter, jedoch kleinerer Nazi-Personen.

Dies bedeutete letztlich aber auch, dass viele Aktivisten und Nutznießer des NS-Staates ohne entsprechender Sühnemaßnahme davon gekommen sind; oder – wie ich es ja schon vorhin erwähnt wurde –, sehr rasch wieder als brauchbares, ideologisches Werkzeug im Dienste, gegen den angeblich 'Europa erobernden' Bolschewismus, eingesetzt wurden. Und es ist in der Tat interessant, anhand von Schriften und Aussagen zu verfolgen, wie intensiv die ehemaligen, nun wieder nützlich gemachten Nazis an der Aufbauschung und Förderung der Blschewismus-Angst  mitgewirkt haben. 

In diesem Zusammenhang durften sogar manche Schriften, die bereits während der Nazizeit erfolgreich erschienen waren, wieder aufgelegt werden und erlebten u.a. Oswald Spengler und andere keine neue, sondern eine zu erwartende Renaissance beim deutschsprachigen Leser. Während man sich einerseits noch um eine Entnazifizierung bemühte durften andererseits sich sogar schon wieder Jugendverbände bilden, darunter auch etliche Verbände, aus denen wenig später die rechtsextremistischen Gruppierungen, wie z.B. NPD oder die Wikking-Jugend hervortraten.

 

13 Millionen ehemalige Nazis füllten brav 13 Millionen Fragebögen aus. Unter ihnen befand sich etwa ein Drittel Betroffener zur Entnazifizierung. Von diesen sind ungefähr – wenn überhaupt – bloß 10% von der Spruchkammer verurteilt worden. Wobei hieraus wiederum lediglich maximal 1% der zu Entnazifizierenden, tatsächlich der Bestrafung zugeführt worden sind. Kein Wunder also, das sich die übrigen Betroffenen bis heute nicht mehr betroffen zu fühlen brauchten. Sie alle mussten auch keine Verantwortung mehr übernehmen, da sich ja alle auf irgendwelche >Befehle< berufen konnten (und durften), die sie einfach – wie man immer wieder vorgab –, auszuführen hatten.

 

Abgesehen davon, dass die Spruchkammern und Laiengerichte nicht nur mit öffentlichen Klägern überfordert waren, so verbreiteten die ziemlich schleppenden Verhandlungen und ihre lasche Taktik gleichfalls ein enormes Ärgernis. Zusätzlich sprühte und blühte überall in Deutschland wieder – wie schon während der Nazi-Zeit – das Denunziantentum. Viele Nazis, die sich inzwischen in etlichen politischen Gruppierungen (u.a. CDU, CSU, FDP usw.) formatiert hatten, den sogenannten >Nachfolgeorganisationen< der NSDAP, riefen offen gegen die Entnazifizierung auf. Die charakterlose Schluss-Strich-Haltung jenes ungebremsten Zeitgeists jener Tage beweist auf exzellenter Art und Weise ein Plakat der FDP (früher LDP) aus dem Jahre 1949.

Ferner – und das war die eigentliche Frechheit in diesem kompletten Entnazifizierungs-Sumpf – kam erschwerend hinzu, dass zahlreiche NS-Täter, Belastete und Mitläufer sich gegenseitig Bestätigungen ausstellten  – genannt >Persil-Scheine< – die dann ungeniert den Behörden vorlegten wurden. Aus diesen >Persil-Scheinen<, welche von bezahlten oder gelegentlich auch erpressten Nachbarn, Kollegen und gewissen gleichgesinnten Freunden, ausgefüllt wurden, wurde der betreffenden Person eine tadellose Haltung während der NS-Zeit bescheinigt. Damit konnte dieser dann ungeniert mit dem Aufbau seiner >Nachkriegs-Karriere< beginnen, d.h. eine Arbeit finden, seinen Wohnraum behalten, Lebensmittelkarten und Versorgungen und anderes mehr uneingeschränkt bekommen - und wenn er noch etwas Glück hatte blieb ihm sogar auch noch das seinerzeit zusammengeraubte Vermögen erhalten. Vieles der geraubten Wertgegenstände, Möbel, Bilder, Teppiche, Schmuck usw. ist bis heute noch nicht an die Opfer, bzw. deren Nachkommen zurückerstattet worden! 

 

In Bayern haben etwa 55% der Betroffenen der Spruchkammer solche >Zeugnisse< vorgelegt, durchschnittlich 10 Stück. Hochgerechnet heißt das: In Bayern wurden ca. 2,5 Millionen eidesstattliche Versicherungen zugunsten der Betroffenen abgegeben: durchschnittlich schrieb jeder zweite Erwachsene einen >Persilschein< aus.

(L. Niethammer: Entnazifizierung in Bayern, S. Fischer 1972)

 

Viele >Persilscheine< besaß eine stereotype Sprache: 'den kenne ich seit vielen Jahren...', 'politisch einwandfrei...', '...völlig unbelastet' ... usw. 

Nicht selten kam es vor, dass die betroffenen Personen ihre >Unbedenklichkeits-Bescheinigung< auch selber, und zwar oft mit entstellter Handschrift geschrieben und hernach ihren Artgenossen zur Unterschrift vorlegt haben. Kaufleute wiederum stellten 'Reinheitsfloskeln' sogar als Kopf einer Petetaten-Liste voran und legen sie in ihrem Laden für ihre Kunden aus, die dann nachdem sie unterschrieben hatten mit Naturalien oder anderen Begünstigungen 'belohnt' wurden. 

Auch Kleriker waren an solchen >Aktionen< beteiligt (obwohl es ihre Religion verbietet, zu lügen oder falsches Zeugnis auszustellen), denn beide Kirchen - die katholische wie die protestantische - gehörten zu den schärfsten öffentlichen Kritikern der Prinzipien der amerikanischen Entnazifizierungs-Arbeit!

Andere Nazis wiederum glaubten schlau zu sein, wenn sie versuchten in ihrer neuen Umgebung eine 'geschönte' Vergangenheit vorzutäuschen oder gingen von vornherein zu einer Behörde in einer anderen Zone oder wechselten bloß in einem anderen Stadtteil (z.B. in Berlin, München, Hamburg usw.), wo bei den Behörden von dem Betreffenden (noch) keine Unterlagen vorlagen. In einer Dokumentation: >Geschichte und Geschichten - Entnazifizierung in Berlin<, von Gerhard Keiderling (resp. dem Kapitel: >Von Säuberungen, »Persilscheinen« und Mitläufern<) kann man folgendes nachlesen:

 

Es wurden »Unbedenklichkeitsbescheinigungen«, im Volksmund »Persilscheine« genannt, vorgelegt, die sich Nazis untereinander ausstellten. Hier ein Muster: »Bürgermeisterei Berlin-Karlshorst, den 28. 5. 45: Unbedenklichkeitserklärung! Nach den mir vorliegenden Aussagen und eidesstattlichen Erklärungen beantrage ich die Streichung des ..., geb. ... in ..., wohnhaft Karlshorst ..., von der Liste der NSDAP mit der Begründung, er war nur gezwungen Parteigenossen und nie Gesinnungs-Parteigenosse.«  

Möglichkeiten, sich der Entnazifizierung zu entziehen, gab es viele. Als im Sommer 1945 die Flüchtlinge aus dem Osten in die Stadt drängten, wurde es noch schwieriger, die »Spreu vom Weizen« zu trennen. 

Damals machte ein Vierzeiler die Runde:   

»Ich komme aus dem Osten und suche einen Posten. Meine Papiere sind verbrannt, Adolf Hitler habe ich nie gekannt.«

 

 

All diese Tatsachen, als auch die oberflächliche Arbeitsmoral, führten dazu, dass die Spruchkammern schließlich zu sogenannte >Mitläufer-Fabriken< verkamen. Sie verloren bald die ihnen auferlegte 'jungfräuliche Unschuld' und auch ihren eigentlichen, moralischen Sinn-Charakter. In den meisten Fällen, vor allem bei den besonderen 'Aktivisten', versagten die Spruchkammern gänzlich, da sie nicht nur allzu oft milde urteilten, sondern gleichzeitig alle mittleren bis größeren NS-Verbrecher nur noch in die allgemeine 'Mitläufer-Ecke' schoben. Dies ist eben auch wiederum mit der zusammenhängenden Erkenntnis zu verstehen, dass in den Kammern und Gerichten teilweise Richter saßen, die während der NS-Zeit im Sinne Freislers geschult oder damals tätig waren. Unbelastete Juristen fielen ja nicht vom Himmel - und andere fand man eben nicht!

 

Ab Frühjahr 1948, nachdem der bewusst durch Ängste provozierte 'Kalte Krieg' längst im Gange war, unter dem - auch durch wirtschaftliches Interesse der westlichen Alliierten - der Wiederaufbau Deutschlands nun rascher vorangetrieben wurde, fand die Entnazifizierung durch diese 'neuen' politischen Gegebenheiten ihr hastiges Ende. 

Somit kam es, dass unzählige Säuberungsverfahren entweder eingestellt wurden, bzw. nie vor die Spruchkammer kamen. Unzählige Mittäter – darunter Ärzte, Lehrer, Hochschulprofessoren, Wissenschaftler als auch Soldaten und weitere Wehrmachtsangehörige, also der ganze Sumpf von Verbrechern und NS-Kriminellen - kamen weitgehend davon. Sie waren für den neuen Zeitgeist wiederum die geeignetsten 'Fachleute', und galten obendrein als unentbehrliche Werkzeuge für den >Kalten Krieg<.

So gesehen – und das ist wirklich keine Polemik meinerseits –, stülpte die Ideologie des >Kalten Krieges< den ewiggestrigen und unbelehrbaren Nazis ein wärmendes Persil-Westchen über, mit dem diese Faschisten nun nicht mehr vor ihrer Vergangenheit ängstlich zu frieren oder sich zu schämen brauchten. Und viele Menschen schämten sich erst gar nicht. Wieso auch? Sie waren sich keiner Schuld bewusst: Befehl war eben damals Befehl!

Aber man bedenke nur: Aus diesem Haufen von >Unschuldigen< rekrutierte sich in Deutschland und Österreich die frühe Nachkriegspolitik. Aus diesem kaum entnazifizierten Vakuum entstammen die Vertreter der neuen Nachkriegsparteien und ihre Wählerschaft. Diese frühen Parteien, waren zunächst nichts anderes als politische 'Gesinnungsgemeinschaften', die sich erst viel später zu (etablierte) Bürgerparteien formierten. So gesehen war es eigentlich für manchen Bürger unverständlich, wieso die CDU, CSU, FDP und SPD nach der Wiedervereinigung der BRD mit der DDR unentwegt die rechtmäßig gewählte PDS als Nachfolgeorganisation der SED diffamierten?! Es scheint vielmehr, dass diese bürgerlichen Parteien heute vermutlich nur verdrängt und vergessen haben, dass sie – jede (auch die SED!) – ja selbst alles >Nachfolgeorganisationen< sind, nämlich Nachfolger, der bis 1945 als alleinig existierenden NSDA-Partei.

 

 

Im letzten Abschnitt soll etwas näher auf die bisher noch nicht erwähnte >Sowjet-< respektive >Ost-Zone< eingegangen werden.

Von allen Besatzungs-Zonen wurde am konsequentesten und drakonisch (und da mag vielleicht auch die eigentliche Angst der Deutschen vor den Roten Armee herrühren) in der Sowjet-Zone entnazifiziert. In dem Organ »Tägliche Rundschau« wurde unter anderem am 17. Mai 1945 verlautbart:  »Der Nazismus wird ausgerottet werden, ganz gleich ob sich die deutsche Bevölkerung daran aktiv beteiligt oder nicht.« 

 

So wurden von Anbeginn die sogenannten Naziaktivisten, Kriegsverbrecher und Personen, die sich in Staat, Wirtschaft und Kultur an den NS-Verbrechen mitschuldig gemacht hatten, nach den entsprechenden Durchführungsverordnungen der alliierten Militär-Regierung verhaftet und interniert. Unter dieser 'Bedrohung' waren viele Hauptbelastete gleich nach Kriegsende untergetaucht oder in die Westzonen geflüchtet, wo sie sich eine mildere Behandlung versprachen. Die sowjetischen Behörden suchten vor allem nach »Werwölfen« und weiterem >Ungetier<, das nach wie vor versuchte in kleineren Rudeln ihr Unwesen zu treiben.

 

Nach weitgehender Säuberung von NS-Ungeist konnte bereits seit dem 26. Februar 1948 die Denazifizierung vom SMAD (Sowjetische Militäradministration) im größeren Umfang eingestellt werden. Dies bedeutet jedoch nicht – obwohl die offizielle Einstellung der Entnazifizierenden wirklich früh erfolgte – dass nicht weiterhin entnazifiziert beziehungsweise 'gesäubert' wurde. Diese Säuberung stand natürlich auch in einem gewissen engen Zusammenhang mit der Umstrukturierung des Gesellschaftssystems. Das war in der Ostzone aber nicht anders, als – natürlich im umgekehrten Sinn – in den West-Zonen. Neue Menschen sollten geschaffen werden: hier die kommunistischen und 'drüben, im Westen' die kapitalistischen. Und mittels dieser politisch instrumentalisierten Umgestaltung der Menschen wurde bei jedem Individuum der beiden Lager ferner noch das Gefühl losgetreten, daß er zur >besseren Seite< gehöre. Dieses Ideologie-Gefasel, mit dem die Menschen hüben wie drüben innerlich wie äußerlich geschult wurden, war natürlich das beste Mittel für den Verdrängungsmechanismus und der Schlussstrich-Mentalität dieser Zeit und führte schließlich dazu, dass sich endlich keiner mehr schuldig zu fühlen brauchte. 

Das Ergebnis kennen wir: West-Deutschland schoss sich, quasi als neuer, geläuterter Partner, den westlichen Mächten an und Ostdeutschland wurde ein Verbündeter der Sowjetunion. Bereits mit der frühen DDR-Ideologie trat noch ein zusätzliches kollektives >Hochgefühl< hinzu, dass man nun nicht nur ein Arbeiter- und Bauerstaat geschaffen hat, sondern gleichzeitig auch eine antifaschistische Gesellschaft, die seit 1961 mit dem Bau einer Mauer geschützt werden musste.  

 

Aber noch sind wir nicht so weit: 

Bis etwa Ende 1946 ging man zunächst noch zoneneinheitlich vor. Auch die SMAD bemühte sich emsig – vielleicht sogar noch etwas intensiver –, aktive NSDAP-Mitglieder, also die 'Belasteten', aus allen wichtigen und öffentlichen Stellen zu entlassen. Darüber hinaus mussten alle verurteilten Nazis, jeweils nach der bestimmten Kategorie, Arbeits-, Geld- und Sach-Leistungen, als Sühne auf sich nehmen. Unter diese Sühneleistung fielen übrigens auch die sogenannten Enteignungen. Heute – lange nach der Einverleibung der DDR –, kommen so manche 'enteignete' NS-Firmen (IG-FARBEN; Oberschlesische Kohle-AG usw.), als auch etliche größere und kleinere Nazis (u.a. Marikka Röck) und andere Involvierte auf die Idee, die Enteignung als 'Unrechtmäßig' zu betrachtenen, um alte 'Besitzansprüche' anzumelden. Manche Nazis (auch die Röck) waren so frech, sogar ihren 'arisierten' Besitz (von dem sie 1945 ja enteignet wurden!) zurückzufordern, obwohl noch einige ursprüngliche Besitzer bzw. deren Nachkommen (in Israel, USA usw.) leben! Sollte diesen Nazis es aber in heutiger Zeit tatsächlich gelingen, den von ihnen geraubten Besitz zurückzugewinnen, so müsste dann verächtlich vom 'späten Sieg Nazi-Deutschlands' gesprochen werden.

 

In der frühen Nachkriegszeit jedenfalls hatten die überführten 'ehemaligen' Nazis aufgrund ihres Einstufungsergebnisses erhebliche Kürzungen und Einschränkungen bei der Versorgung und bei Versorgungsbezügen hinzunehmen. In der ersten Anfangszeit waren zusätzlich noch weitaus  tiefgreifendere Einschränkungen vorgegeben, unter anderem sogar die Entziehung der politischen Bürgerrechte des Betroffenen.

Dieses rigorose Verfahren bei der Entnazifizierung traf selbstverständlich – und darüber hinaus auch um vieles härter –, besonders die Hauptschuldigen der NS-Zeit. Ihnen wurde, den Umständen entsprechend, wortwörtlich 'der Prozess gemacht'. Wenn ihnen gewissermaßen auch noch eine schwerwiegende Täter- und Mittäterschaft nachgewiesen werden konnte, kam es dann - nicht selten - zur härtesten Strafe, der Hinrichtung. Niemals aber, wie es später von verschiedenen revisionistischen Historikern oder in rechts-konservativen Zeitungen (u.a. selbst in der >WELT<, der >Frankfurter Allgemeinen Zeitung<) dargestellt wurde und wird, kam es in der Sowjet-Zone zu wahllosen oder kollektiven 'Massenerschießungen'. In den Kriegsgefangenen-Lagern der westlichen Zonen gab es ebenfalls nach entsprechendem Prozess mehrere Hinrichtungen von NS-Tätern, sowie jenen Kriminellen, die ihren Mitgefangenen Brot und anderes stahlen. Aber auch hier gab es - im Gegensatz zu den o.e. revisionistischen Darstellungen - niemals 'Massenerschießungen', weder bei den Amerikanern, noch bei den Briten oder Franzosen - in keiner Zone! 

 

Die harten, drakonischen Strafen trafen jedoch nur jene, die sie eben verdient hatten. Doch mit auch den 'Mitläufern', den sogenannten nominellen Nazis, ging man in der Sowjet-Zone nicht allzu zimperlich um. Sie galten berechtigterweise als Helfershelfer (ohne solcher Mithelfer hätte das 1000jährige Reich vielleicht gar nicht so lange existieren können) und durften nach damaligen Recht lediglich nachrangig (d.h. wenn es tatsächlich keinen anderen Ersatz gab) beschäftigt werden.

 

Die Entnazifizierung in der Sowjetzone wurde also, im Gegensatz zu den westlichen Alliierten-Zonen, wesentlich strikter und wahrlich auch intensiver durchgeführt. Darin mag vermutlich auch der Grund liegen, wieso so viele Nazitäter und die sogenannten 'Belasteten' – aus Furcht vor harter Bestrafung –, in den Westen entflohen, und dort bis heute noch ungesühnt ihrem Lebensabend verbringen durften. Viele von diesen sogenannten 'Flüchtlingen' betätigten sich – es wurde bereits erwähnt –, um zunächst ihre Vergangenheit zu vertuschen, als hilfswilliges 'anti-bolschewistisches' Werkzeug. Andere traten wiederum – meist keineswegs ihre alte Gesinnung verbergend –, in den ideologischen Dienst verschiedener neonazistischer Gruppierungen, wie sie spätestens seit den 50er Jahre in Deutschland gegründet wurden. Dazu gehört übrigens auch der von der NATO geförderte rechtsgerichtete Geheimbund >GLADIO<, der bis vor wenigen Jahren ganz legal unter dem Schutzmäntelchen in der BRD existierte.

 

Die Endphase der Entnazifizierung in der Ostzone begann, wie schon erwähnt, Ende 1947 und galt seit dem 26. Februar 1948 als abgeschlossen. Insgesamt wurden zwischen den Jahren 1945 bis 1948 ca. 520.000 Nazis aus der Verwaltung und Wirtschaft, 20.000 Lehrer und über 80% aller Justizbeamte (Richter, Anwälte) entlassen. Die Entlassenen durften aber auch später nicht wieder eingestellt werden.  Das Ziel – die Entflechtung, Entfernung und Entlassung der Nazis wenigstens aus allen wichtigen Positionen des öffentlichen Dienstes, der Wirtschaft und Industrie – war mehr oder weniger erfolgreich erreicht. Und die hierdurch entstandenen Engpässe nahm man dabei bewusst in Kauf, denn man konnte die freien Posten bald wieder mit jüngeren, in der UdSSR geschulte Menschen besetzten. Im Gegensatz zu den Westzonen wurden tatsächlich alle wichtigen Stellen der allgemeinen Verwaltung, als auch des gesamten Schul- und Hochschulwesen, und natürlich auch der Justiz rigoros von Nazis gesäubert. Der Grund für diese gezielte Säuberung - um ehrlich zu sein - war aber nicht bloß in der "antifaschistischen" Idee (die es sicherlich gegeben hat), sondern lag viel mehr in der Schaffung einer DDR spezifischen, kommunistischen Ideologie, die über viele Jahre hinweg sehr stalinistisch geprägt war.

 

Gesamt gesehen hat sich die Entnazifizierung in allen vier Zonen eher als Fehlschlag erwiesen. Weder die westliche noch die Sowjet-Zone, konnten >eindeutige< behaupten ihre gesteckten tatsächlich Ziele erreicht zu haben. Denn den westlichen Alliierten gelang es nicht - wie wir oben bereits gesehen haben - sämtliche Nazi-Aktivisten und viele Belastete weitgehend aus dem öffentlichen Bereich zu entfernen und einer entsprechenden Sühnemaßnahme zuzuführen –, und auch in der Ostzone kamen nicht wenige Belastete ungeschoren davon. 

Der Nürnberger Prozess zeigte zwar eine gewisse Wirkung, zumal er erstmals und in einem intensiv-mühevoll vorbereiteten Verfahren den ganzen Aspekt des mörderischen Systems des Nationalsozialismus aufzeigte, doch ermöglichte er gleichzeitig vielen anderen Nazis, die eben keiner moralischen Verurteilung zugeführt wurden, ihre eigene Verantwortung und ihre eigene Mitschuld auf die >großen< Täter von Nürnberg abzuwälzen. Bewusste oder unbewusste Hilfeleistung boten überdies die stets schleppenden Spruchkammerverfahren und führten letztlich, wie schon erwähnt, zu Heuchelei, Schuldverdrängung und nicht selten zu der verlogenen Praxis des gegenseitigen 'Reinwaschen', womit die Verfahren oft eher zu einer Farce wurden.

In diesem Zusammenhang sind übrigens auch alle späteren NS-Verbrecher- Prozesse – sofern sie überhaupt noch eröffnet wurden – zu sehen, wie beispielsweise der über Jahre dahingeschleppte >Maidanek-Prozeß<, dem ich selber, Ende der 70er Jahre als junger Beobachter, miterlebt hatte. Und auch die wenigen anderen Prozesse, die wie der Auschwitz-Prozess davor, oder die noch danach geführt wurden, siehe: Priebke-, Malloth-, Viel-Prozess usw., wo kaum der heute betagten Täter jemals empfindlich bestraft wurde. Niemals war sich irgendeiner einer Schuld bewusst - sie alle hatten nur Befehlen gehorcht ... sonst nichts - ja, und das war ja neben vielem mehr das Schreckliche an den Nazis!

 

Kurt SONTHEIMER hat den Erfolg der Entnazifizierung, in seinem Buch: >Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland<, folgend beschrieben:

 

"Subjektiv hat das Entnazifizierungsverfahren viele Deutsche daran gehindert, zu erkennen, dass sie objektiv ein mehr oder weniger wichtiger Teil der Maschinerie des totalitären Nazi-Staates waren, ohne den das Dritte Reich niemals hätte entstehen können."

 

Die Summe der Erfahrung ergab dann schließlich folgendes: Die kleineren Mitläufer hatten letztendlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass die meisten der 'NS-Nutznießer' besser weggekommen waren als sie selbst.

 

Vor allem mit dem Artikel 131 des Grundgesetzes zog die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1950 – und der Staat Österreich sowieso schon seit 1945 –, ihren unwiderruflichen Schluss-Strich unter die Entnazifizierung, und folglich auch unter ihrer Nazivergangenheit.

 

Dadurch konnten viele dieser pro forma 'Entnazifizierten', unter anderem unzählige 'ehemalige' Beamte, Professoren, selbst alle Polizisten und Wehrmachtsangehörige wieder in gehobene und höchste Stellungen aufrücken, sowie hohe politische Ämter besetzen. Sie beriefen sich alle, wenn je ihre Vergangenheit zur Aussprache kam, stets darauf, dass sie ja seinerzeit ordnungsgemäß entnazifiziert worden seien.

 

"Für mich", sagte 1948 der amerikanische Militärgouverneur in Bayern, General PATTON, "gibt es zwischen Nazis und Anti-Nazis nicht mehr Differenzen als zwischen Demokraten und Republikanern in den USA."

 

Dies ist ein sonderbarer Vergleich, wie ich meine, ...oder?

 

Leider tragen wir noch heute die tragischen Folgen dieses lapidaren Armutszeugnisses des General Pattons. Aber all die Geschehnisse von heute, sei es die rechts-konservative Haltung im Beamtentum, bei etlichen Politikern und ihren Parteien, bei der Polizei und beim Bundesheer sowie in der allgemeinen Bevölkerung, haben nicht zuletzt (oder besser gesagt: vor allem) ihre Kontinuität durch die nicht bewältigten Vergangenheit und ihre Ursprünge in der seinerzeit so lasch behandelten Entnazifizierung.

 

 

 

Anhang:

 

Rep. 250 Entnazifizierungsakten

Zeit: 1946–1952

Umfang: 166 lfd. m

 

Personenindex für den verzeichneten Teil

 

In der britischen Besatzungszone begann die Entnazifizierung am 24. April 1946 mit dem bekannten Fragebogen der Militärregierung. 

Am 15. Oktober 1947 wurden die Verfahren den deutschen Behörden ganz übertragen, während sie vorher nur mitgewirkt hatten. 

Seit dem 30. März 1948 gab es Entnazifizierungshauptausschüsse in jedem Stadt- und Landkreis, gegen deren Entscheidungen an Bezirksausschüsse und den Landesausschuss appelliert werden konnte. 

Alle diese Einrichtungen wurden per Gesetz zum 31. Mai 1952 aufgelöst

Die noch laufenden Verfahren endeten ohne Abschluss.

Die gesamten Akten wurden ohne Kassationen den jeweiligen Staatsarchiven zugewiesen und waren fortan nur der dienstlichen Benutzung zugänglich.

Erst in den 80er Jahren begann man, sie mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung zu erschließen. Diese Arbeiten sind im Staatsarchiv in Aurich noch unvollendet.

Im Rahmen der von dem niedersächsischen Archivgesetz vom 25. Mai 1993 gestellten Bedingungen sind die Akten jetzt allgemein zugänglich.

 

Quelle:

http://www.staatsarchive.niedersachsen.de/Bestaende/Aurich/Entnazifizierung.htm

 

 

Schriftgut moderner Behörden, Gerichte, öffentlich-rechtlicher Anstalten und Körperschaften - Ressortbereich Zentrale Angelegenheiten und Inneres 

 

4,66 Senator für politische Befreiung

 

Bereits 1945 wirkten in Bremen deutsche Stellen an der von der Militärregierung eingeleiteten Entfernung von Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Leben und deren Bestrafung (Entnazifizierung) mit. 

Nach vollständiger Eingliederung des Landes Bremen in die US-Besatzungszone ging 1947 die Entnazifizierung ganz in deutsche Hände über

Ein eigenes Ressort Politische Befreiung mit einer senatorischen Behörde sowie Spruch- und Berufungskammern wurden gebildet und die gesamte Bevölkerung systematisch durch Meldebogen erfasst. 

Nach Beendigung der Masse der Entnazifizierungsverfahren wurde der senatorische Bereich 1949 wieder aufgelöst

1950 kam es zur endgültigen Einstellung der Entnazifizierung

In vorliegenden Bestand ist das Schriftgut sämtlicher bremischen Entnazifizierungsbehörden, der senatorischen Behörde und der Spruch- und Berufungskammern sowie von deren Vorgängern und Nachfolgern, zusammengefasst.

 

Lit.: Drechsel, Wiltrud Ulrike und Röpcke, Andreas (Hg.): 'Denacification'. Zur Entnazifizierung in Bremen. (= Beiträge zur Sozialgeschichte Bremens, Bd. 13), Bremen 1992

 

Zeitraum: 1945-1953  [240 m] - 

Enthält Einheiten in der personenbezogenen Schutzfrist

 

Beziehungen zu anderen Behörden und Institutionen, insbesondere zur Militärregierung, zum Länderrat und zu anderen Entnazifizierungsbebörden - Allgemeine Verwaltung - Internierungs- und Arbeitslager - Gesetzgebung - Durchführung der Entnazifizierung im allgemeinen - Statistik - Verfahrensakten - Ermittlungsakten des Öffentlichen Klägers - Gruppenregister - Betroffenenkarteien - Frage- und Meldebogen

 

Quelle

http://www.bremen.de/info/staatsarchiv/bestand/ubersich/modernes/t466.htm

 

 

Begegnung in der Hansestadt Bremen  

>Die Entnazifizierung der Justiz ist gescheitert<

 

Doktorarbeit von Gabriele Rohloff:  

Richter am Bremer Sondergericht und ihre Karrieren nach 1945

 

Vorgestellt von Reinhold Schoeler, Bremen,  E-Mail: rsbn@bigfoot.de 

 

Mit ihren schmalen Fingern zeigt Gabriele Rohloff auf das Titelbild ihres Buches. Es zeigt einen Gerichtssaal. Zwei Fahnen mit Hakenkreuzen hängen an den Wänden, darüber ein Hitler-Porträt. Wer schon mal da war, erkennt den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bremen mit seinem schweren Holzgestühl. So sah es hier also im Krieg aus. 

Gabriele Rohloff, die sechs Jahre in Bremen Jura studiert hat, interessierte sich aber vielmehr dafür, wie es in den Köpfen der Bremer Juristen aussah. In ihrem Buch stellt sie dar, dass "die Entnazifizierung der Bremer Justiz gescheitert ist". Insbesondere ist sie entsetzt über die Karrieren der Richter und Staatsanwälte am Sondergericht Bremen, das mit seinen menschenverachtenden Urteilen eines der gefürchtetsten Instrumente des Nazi-Terrors war. Fast alle der zwölf dort tätigen Juristen wurden nach 1945 kurzzeitig in der Bremer Justiz entlassen, dann "wiederverwendet" und machten dort teils bemerkenswerte Karrieren. 

In diesen 175 Seiten stecken vier Jahre Arbeit. Die 31-Jährige hat bei einer Seminararbeit über Sondergerichte so sehr "Feuer gefangen", dass sie sich auch in ihrer Dissertation mit dem Thema beschäftigen wollte. Parallel zu ihrem Rechtsreferendariat hat sie fast alle der rund 600 Gerichtsurteile und Entnazifizierungsakten im Staatsarchiv eingesehen und ausgewertet. In wahrer Puzzlearbeit untersuchte sie anhand der Personalakten die Lebensläufe von zwölf Richtern näher. 

Ich hatte Glück, denn Bremen ist wohl die einzige Stadt, in der die Akten aufbewahrt wurden", sagt sie. Zur weiteren Recherche verbrachte sie auch viele Stunden in den Archiven von Potsdam, Berlin und Hamburg und in den Bundesarchiven von Koblenz und Aachen. 

Gabriele Rohloff ist laut ihres Verlags bundesweit die Erste, "die das Engagement der Justizjuristen am Sondergericht rechtshistorisch erforschte". Und vor allem fragte sie sich, warum deren Rolle von den Spruchkammern, die die Männer nach dem Krieg auf ihre politische Zuverlässigkeit geprüft haben, so unterbewertet wurde. Ihre Überzeugung: Als "Belastete" wurden sie nur kurzzeitig aus dem Staatsdienst entfernt und machten anschließend juristische Karrieren. "Ich war entsetzt, wie verlogen die alle waren", sagt Gabriele Rohloff mit Bitterkeit in der Stimme. "Je mehr jemand belastet war, desto mehr Leumundszeugnisse hat er eingereicht." Mit so genannten Persilscheinen soll beispielsweise auch Bernhard Hinrichs, der spätere Präsident des Oberverwaltungsgerichts, versucht haben, sich reinzuwaschen. Und, wie Rohloff berichtet, hat kein Geringerer als Karl Carstens, der als angehender Rechtsanwalt von Hinrichs in nationalsozialistischem Recht geschult worden sein soll, eines der entlastenden "Gefälligkeitsatteste" geschrieben. Heute, so sagt die Juristin, würde man seine Tat als "uneidliche Falschaussage" bezeichnen. 

Die Entnazifizierungsakte des ehemaligen Bundespräsidenten Carstens blieb für Rohloff allerdings "gesperrt". Für solche "Seilschaften", die den Juristen einen Neuanfang ermöglichten, führt Rohloff in ihrem Buch noch mehrere Beispiele an. Ebenso versucht sie zu belegen, dass Bürgermeister Theodor Spitta und Diedrich Lahusen, oberster Richter in Bremen, nach dem Krieg entscheidend an der Wiedereinstellung der belasteten Juristen beteiligt waren. Was die Doktorandin immer wieder entsetzte: Die Richter des Sondergerichts fühlten sich offenbar lediglich als "Mitläufer" im NS-Regime und meinten, unschuldig zu sein. "Es geht nicht darum, jemanden zu beschmutzen", betont sie, aber die Tatsachen dürften nicht verheimlicht werden. "Ich bin froh, im Dritten Reich nicht dabeigewesen zu sein. Hätte ich zu der Zeit gelebt, würde ich mir auch wünschen, eine Sophie Scholl gewesen zu sein". 

 

• Gabriele Rohloffs Doktorarbeit ist unter dem Titel: >Ich weiß mich frei von irgendeiner Schuld ...< für 29,80 Mark in Buchhandlungen erhältlich. 

Andrea Nölting-Bruns.  

Berndt-Adolf Crome, heutiger Präsident des Landgerichts Bremen zur Nazi-Justiz: 

es sei auch heute noch möglich, dass Juristen ihr "Handwerkszeug einer Unrechtsprechung" zur Verfügung stellen könnten.

 

 

© Chaim Frank, Dokumentations-Archiv 1995, 1997, 2001