NZ Netz-Zeitung 22.5.2001
Zwangsarbeiter können entschädigt werden
Die deutsche Wirtschaft hat keine Einwände mehr, die Zwangsarbeiter bekommen die vereinbarte Entschädigung. Jetzt muss nur noch der Bundestag offiziell Rechtssicherheit feststellen.
FRANKFURT (MAIN). Nach der Abweisung der letzten Sammelklage gegen deutsche Banken in den USA sieht die deutsche Wirtschaft die Voraussetzungen für ausreichende Rechtssicherheit erfüllt.
Damit kann die immer wieder aufgeschobene Entschädigung an die noch lebenden 1,5 Millionen Nazi-Opfer endlich gezahlt werden. Insgesamt umfasst die Stiftung zehn Milliarden Mark. Die Summe wurde jeweils zur Hälfte von öffentlicher Hand und Wirtschaft finanziert.
100 Millionen Mark Zinsen
Nach Feststellung der Rechtssicherheit durch den Bundestag werde die Stiftungsinitiative ihren Anteil von fünf Milliarden Mark «plus die aufgelaufenen Zinsen von 100 Millionen Mark zügig überweisen», sagte der Verhandlungsführer der Wirtschaft, Daimler-Chrysler-Finanzvorstand Manfred Gentz.
«Wir mussten feststellen, dass immer noch in den USA Verfahren anhängig sind, aber wir erwarten, dass alle diese Fälle jetzt zügig erledigt werden», sagte Gentz.
Kritik an US-Gericht
Die deutsche Wirtschaft hatte sich bisher geweigert, Rechtssicherheit für deutsche Firmen gegen weitere Klagen von NS-Opfern in den USA anzuerkennen.
Das Verhalten der New Yorker Bundesrichterin Shirley Kram habe die Auszahlung an die Opfer um drei bis vier Monate verzögert, kritisierte Gentz. Die Stiftungsinitiative sei dankbar für die «konsequente Unterstützung» seitens der Bundesregierung und des Bundeskanzlers. Bis zur endgültigen Abweisung aller Klagen und um «administrative und legislative Eingriffe in den Vereinigten Staaten» zu beenden, forderte Gentz auch weiterhin politische Unterstützung.
Kanzler erleichtert
Bundeskanzler Gerhard Schröder reagierte «mit Erleichterung und Genugtuung». Er dankte in einer ersten Stellungnahme «allen Beteiligten, die dazu beitragen, dass diese schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte abgeschlossen werden kann».
Der Bundestag muss nun Rechtssicherheit feststellen. Dann können die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter beginnen.
Bundestag muss entscheiden
Das Parlament soll nach dem Willen der SPD-Fraktion nächste Woche die Rechtssicherheit feststellen. Dies sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck am Dienstag. Die Fraktionen haben für Mittwoch eine Debatte zu diesem Thema vereinbart. Innerhalb von sechs Wochen nach der Entscheidung könnte mit der Auszahlung begonnen werden. (AFP/dpa)
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Berliner Zeitung Politik 22.5.2001 22:28
BerlinOnline: Wirtschaft macht Weg für Zwangsarbeiter-Entschädigung frei
Deutsche Industrie sieht ausreichende Rechtssicherheit erreicht / Auszahlung beginnt voraussichtlich noch vor dem Sommer – von Andreas Förster
FRANKFURT A.M./BERLIN, 22. Mai. Dem Beginn von Entschädigungszahlungen an frühere Zwangsarbeiter steht kaum mehr etwas im Wege. Nach der Abweisung der letzten Sammelklage gegen deutsche Banken in den USA sieht nun auch die Wirtschaft die Voraussetzungen für ausreichende Rechtssicherheit erfüllt. Eine entsprechende Erklärung gab DaimlerChrysler-Vorstand Manfred Gentz am Dienstag ab. Damit wird ein förmlicher Beschluss des Bundestages über die Rechtssicherheit schon in der kommenden Woche wahrscheinlich. Ein solcher Beschluss ist die letzte Voraussetzung für den Beginn der Entschädigungszahlungen.
Die Unternehmen "tun das in der Erwartung und im Vertrauen darauf, dass die bisher noch nicht zurückgenommenen Berufungsfälle ebenfalls kurzfristig erledigt werden", erklärte Gentz im Namen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Offen blieb zunächst die Frage, wann die Wirtschaft die zugesagten fünf Milliarden Mark in den gemeinsamen Fonds der Entschädigungsstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" überweisen wird. Laut Stiftungsgesetz ist das Geld spätestens nach dem Beschluss des Bundestages fällig. Die Auszahlung an die Zwangsarbeiter könnte dann noch vor dem Sommer beginnen.
In einer ersten Reaktion zeigte sich der Münchner Opferanwalt Michael Witti "sehr erleichtert". "Jetzt gibt es endlich Gerechtigkeit", sagte er der "Berliner Zeitung". Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sagte, er sei "sehr froh, dass damit eine einvernehmliche Auffassung zwischen der Politik und der Wirtschaft hergestellt worden ist". SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, der Bundestag werde in der kommenden Woche die Rechtssicherheit feststellen.
Das Einlenken der Industrie hatte sich bereits im Verlauf des Dienstags abgezeichnet. Nach der Abweisung der Sammelklage in den USA hatte der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, gesagt, man messe nun nur noch der Berufungsklage eines früheren Zwangsarbeiters im US-Bundesstaat Kalifornien besondere Bedeutung bei. Vergangenen Freitag noch hatte Gibowski von elf Klagen gesprochen, deren Ausgang abzuwarten sei. Der Ausgang des kalifornischen Verfahrens ist für die Wirtschaft deshalb wichtig, da man sich davon eine Präzedenzwirkung für eventuelle spätere Klagen an der Westküste der USA verspricht. Alle anderen Zwangsarbeiter-Klagen sind bislang nur in Städten entschieden worden, die an der Ostküste liegen.
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Berliner Zeitung, Mittwoch, 23. Mai 2001
Wirtschaft macht Weg für Zwangsarbeiter-Entschädigung frei
56 Jahre später
Eine von Hunderttausenden: Die Geschichte der Zwangsarbeiterin Aloise Schmüser
Von Bo Adam
BERLIN, 22. Mai. Aloise Schmüser lebt. Sie muss zwar meist das Bett hüten, auch kann sie nicht mehr alleine laufen. Aber sie lebt. Und seit diesem Dienstag kann sie endlich hoffen, entschädigt zu werden. Vor einigen Wochen hat die 86 Jahre alte Frau ihren Antrag fertiggemacht. Den Antrag als ehemalige Zwangsarbeiterin. Das komplizierte, kleingedruckte Formular mit den 121 Fragen und Rubriken nebst einer geforderten "persönlichen Erklärung" besorgte ihr die Tochter. "Zum Glück hat meine Mutter alle Dokumente von früher aufgehoben", sagt die, "so kann sie alles nachweisen". Sonst würde man Aloise Schmüser ihre Geschichte womöglich nicht glauben.
Gejagt von der Gestapo
Die Bauerntochter Aloise Schmüser ist 25 Jahre alt und lernt an einer Handelsschule, als die deutsche Wehrmacht Polen besetzt. In der Nacht zum 7. September 1939 wird sie abgeholt und mit vielen anderen Menschen in einen Zug gezwungen. Am Abend darauf steigen sie alle in Sachsenhausen bei Berlin aus. Von dort werden sie über das Land verteilt. Aloise Schmüser verschlägt es zunächst auf einen Bauernhof bei Anklam in Vorpommern. Sie versucht zu fliehen, wird abgefangen und in die Zuckerfabrik von Anklam strafversetzt. Dort muss sie schwere Zuckersäcke schleppen. Nebenbei putzt sie die Wohnung des Chefs der Zuckerfabrik.
Das ist ihr Glück. Die Frau des Betriebsleiters erzählt ihr, dass die Gestapo ihr nachsetzt, seit sie verbotenerweise Briefe von Zwangsarbeitern zur Post gebracht hatte. Nach diesem Hinweis beschließt Aloise Schmüser, erneut zu fliehen. Dieses Mal gelingt ihr die Flucht, Aloise Schmüser kommt in Polen bei Bekannten unter. Doch bald steht die Besatzungsmacht wieder vor der Tür. Zum zweiten Mal wird die junge Polin nach Deutschland verschleppt, jetzt nach Berlin.
Wieder muss sie Zuckersäcke tragen. Sie arbeitet in der Schokoladenfabrik "Venetia" im Berliner Bezirk Lichtenberg. Zwangsarbeiterinnen stellen in den Kriegsjahren etwa die Hälfte der Belegschaft. Sie wohnen in Baracken auf dem Betriebsgelände an der damaligen Rittergutstraße, zu essen gibt es nur das Nötigste. "Wir haben täglich zwölf Stunden gearbeitet", sagt Aloise Schmüser. Als Polin muss sie ein "P" auf ihrer Kleidung tragen.
Eine Schokoladenfabrik - welch eine Versuchung für eine hungrige junge Frau. Als ein Aufseher sie mit einem Stück Schokolade erwischt, wird sie zur Strafe in das "Arbeitserziehungslager" Wuhlheide eingeliefert. Dort sterben im Laufe der Jahre mehr als 3 000 Menschen an Krankheiten und Unterernährung. Aloise Schmüser hat Glück, nach sechs Wochen darf sie zurück in die Schokoladenfabrik. Sie erlebt dort, wie zwei andere Zwangsarbeiter, bei denen antifaschistische Flugblätter gefunden werden, vor versammelter Belegschaft auf dem Betriebshof gehängt werden.
Die "Venetia" ist seit 1938 ein "arisierter" Betrieb. Die Fabrik wird von Willy Johannes geleitet, einem Hauptsturmführer der SS. Der hält sich gegenüber den Zwangsarbeiterinnen zurück, den täglichen Umgang mit ihnen überlässt er seinem Stellvertreter. "Da spritzte manchmal das Blut", sagt Aloise Schmüser.
Unter den brutalen Eindrücken wächst die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Aloise Schmüser ist 28, als sie während des Ausgangs einen Deutschen kennenlernt. Solch ein Kontakt ist strikt verboten, aber es kommt noch schlimmer: Die junge Frau wird schwanger. Als im siebten Monat die Wehen einsetzen, lehnt das nahe Krankenhaus Herzberge es ab, sie aufzunehmen. Erst als sich ein Menschenauflauf um die schreiende Gebärende bildet, wird sie herein gelassen und darf ihr Kind zur Welt bringen.
Wenig später glaubt Aloise Schmüser, wieder einmal Glück im Unglück zu haben: SS-Hauptsturmführer Willy Johannes nimmt sie mitsamt ihrer Tochter Rosemarie wieder in seinem Betrieb auf. Doch er tut dies nur aus Eigennutz: "Immer wieder sagte er mir: ,Gib mir Deine Tochter!’" Das kleine Mädchen hat blaue Augen und blonde Haare. Und der SS-Mann ist kinderlos. Er will das Baby adoptieren. Die Mutter lehnt ab.
Trümmerfrau in Deutschland
Johannes lässt sie gewähren. Aloise Schmüser darf als einzige in den Baracken von "Venetia" ein Kind bei sich haben. Die Verkäuferin eines Ladens in der Rittergutstraße erbarmt sich ihrer und schenkt ihr mal ein Brot, mal etwas Milch. So kommt sie über die Runden. Ihr Freund aber wird von der Gestapo abgeholt, er verschwindet spurlos. Ein Jahr später trifft eine Bombe die Villa von Willy Johannes. Sie löscht den SS-Mann und dessen Familie aus. Nun hat auch die Tochter von Aloise Schmüser unendliches Glück gehabt: Hätte Johannes sie adoptiert, wäre wahrscheinlich auch sie tot gewesen.
Dann ist der Krieg vorbei. Aloise Schmüser bleibt in Deutschland. Sie arbeitet als Trümmerfrau, später in der DDR als Verkäuferin und schließlich bei der Wettenannahme auf der Trabrennbahn Berlin-Karlshorst. Der Vater ihres Kindes wird verschollen bleiben.
1947 heiratet sie. Aloise Schmüser hätte in der DDR die Möglichkeit, als Opfer des Faschismus anerkannt zu werden, was ihr eine bessere Rente und andere Vorteile sichern würde. Aber ihr Ehemann will das nicht. Erst nach seinem Tod 1991 wagt sie es wieder, sich bei den Behörden zu melden. Doch da haben die gerade andere Probleme. Im neuen Deutschland fühlt sich zunächst niemand für sie zuständig. Nur das Heimat-Museum Lichtenberg interessiert sich für ihr Schicksal. Die Historikerin Christine Steer zeichnet das Leben der Polin wie das anderer Zwangsarbeiter auf und montiert die Schicksale zur Ausstellung "Versklavt und fast vergessen".
Seit dem vergangenen Winter lebt Aloise Schmüser bei ihrer Enkelin in einer kleinen Wohnung in Marzahn. Das Geschachere um ihre Entschädigung hat sie nicht mehr verfolgt. Für die sechs Jahre ihrer Jugend, die sie als Zwangsarbeiterin in Deutschland verleben musste, stehen ihr ganze 15 000 Mark zu, höchstens. Als sie die Nachricht hört, dass das Geld jetzt, nach 56 Jahren, bereitgestellt wird, kann sie es nicht fassen. "Wirklich?" sagt sie nur.
"Sollen wir jetzt Hurra schreien?" fragt die Tochter bitter, "jetzt, da meine Mutter mit dem Geld fast gar nichts mehr anfangen kann?"
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Potsdamer Neueste Nachrichten 23.5.2001 0:49
NS-Zwangsarbeiterentschädigung - Auszahlung an die Opfer kann beginnen
Wirtschaft sieht ausreichende Rechtssicherheit gegeben / Bundestagsbeschluss in der nächsten Woche
von Claudia von Salzen
Die letzte große Hürde auf dem Weg zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist genommen. Die Wirtschaft erklärte am Dienstag "ausreichende Rechtssicherheit" für erreicht und gab damit ihren Widerstand gegen den Beginn der Auszahlungen auf. Zuvor hatte der Kanzler-Beauftragte für die Entschädigung, Otto Graf Lambsdorff, gesagt, nach der Abweisung der letzten US-Sammelklage gegen deutsche Firmen sei nun Rechtssicherheit gegeben. Der Bundestag will einen entsprechenden Beschluss in der kommenden Woche fassen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich erleichtert über die Entscheidung der Wirtschaft.
Der Verhandlungsführer der Wirtschaft, Daimler-Chrysler-Finanzvorstand Manfred Gentz, kündigte an, die Stiftungsinitiative werde nach der Entscheidung des Bundestages die zugesagten fünf Milliarden Mark sowie 100 Millionen Mark Zinsen an die Bundesstiftung überweisen. "Das Wichtigste ist jetzt, dass es zu einer zügigen Auszahlung der Entschädigungsgelder kommt", sagte Gentz am Dienstag in Frankfurt (Main).
Die Wirtschaft begründete ihre geänderte Haltung mit den in den USA zurückgewiesenen Sammelklagen. Dadurch seien die Voraussetzungen dafür gegeben, dass der Bundestag ausreichende Rechtsicherheit feststellen kann. Die Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative verbanden mit ihrer Erklärung aber die Erwartung, dass noch anhängige Berufungsfälle in Philadelphia sowie ein streitiger Berufungsfall in Kalifornien ebenfalls kurzfristig erledigt würden.
Vor der Bekanntgabe der Entscheidung der Wirtschaft hatte Lambsdorff betont, mit dem jüngsten Urteil sei die letzte Sammelklage gegen deutsche Firmen abgewiesen worden. "Wir sind jetzt am Ziel des ausreichenden Rechtsfriedens", sagte der Kanzlerbeauftragte am Dienstag und nahm damit die Entscheidung der Wirtschaft vorweg. Die US-Richterin Shirley Kram hatte am Montag in New York eine Sammelklage gegen deutsche Banken abgewiesen.
Schröder sagte, er gehe davon aus, dass die Auszahlung nun schnell beginnen werde. Vertreter der Opfer nannten die Entscheidung der Wirtschaft lange überfällig. Um den Weg für die Entschädigungszahlungen freizumachen, muss der Bundestag laut Stiftungsgesetz ausreichende Rechtssicherheit feststellen. Der SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte der dpa, der Bundestag werde diesen Beschluss in der kommenden Woche fassen. "Ich sehe keinen Grund, warum wir das nicht schon am Donnerstag beschließen können", sagte der stellvertretende Unions-Fraktionschef Wolfgang Bosbach dem Tagesspiegel. Dann könnte innerhalb weniger Wochen das erste Geld bei den NS-Opfern ankommen.
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Rechtssicherheit bei Zwangsarbeitern
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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 23.5.2001 0:49
Nachrichten : Meinung
NS-Zwangsarbeiterentschädigung
Rechtssicherheit bei Zwangsarbeitern
Unausgesprochenes Machtwort
vs
Wieder einmal war es eine Entscheidung in letzter Minute. Und wieder einmal ging es nicht ohne Druck. Die Stiftungsinitiative hat endlich ihren Widerstand aufgegeben und den Weg für die Entschädigung der früheren Zwangsarbeiter freigemacht. Doch was einmal als große Geste zugunsten der Opfer gedacht war, ist im monatelangen Gezerre um Geld und juristische Fragen beinahe untergegangen. Schon das Erreichen der zugesagten fünf Milliarden Mark gab die Wirtschaft im März erst bekannt, als es kaum noch anders ging. Denn für den nächsten Tag hatte sich der Kanzler zum Gespräch angekündigt, und die Firmen wollten den Eindruck vermeiden, es habe eigens eines Machtwortes des Kanzlers bedurft, damit sie ihre Zusage einhalten. Auch der gestrigen Entscheidung der Wirtschaft ging erheblicher Druck voraus. Eigentlich hätten die Firmen noch gern ein paar Fälle in den USA abgewartet. Doch dann kam Lambsdorff. Der Beauftragte des Kanzlers für die Entschädigung, der bisher viel Verständnis für die Firmen gezeigt hat, erklärte nach dem jüngsten US-Urteil kurzerhand ausreichende Rechtssicherheit für gegeben. Deutliche Worte, die die Wirtschaft in Zugzwang brachten.
Schröder hat so erneut ein Machtwort vermeiden können - weil sein Beauftragter es gesprochen hat. Aber für die Wirtschaft ist auch das letzte Kapitel ihrer Rolle bei der Entschädigung nicht gerade rühmlich.
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Presse (Wien) Vermischtes 23.5.2001 0:46
Stiftungsinitiative stimmt Auszahlung an Zwangsarbeiter zu
Berlin (APA) - Nach zwei Jahren bitteren Streits hat die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft der Auszahlung der Zwangsarbeiter-Entschädigungen zugestimmt. Die nötige Rechtssicherheit sei jetzt gegeben, erklärten die Gründungsmitglieder am Dienstagabend nach einem weiteren US-Urteil zu Gunsten der deutschen Wirtschaft. Damit könnte der Bundestag kommenden Mittwoch offiziell das Startsignal für die Auszahlung der zehn Milliarden Mark an rund 1,2 Millionen betagten ehemaligen NS-Zwangsarbeiter geben. Erleichtert über die Entscheidung der Stiftung zeigte sich Bundeskanzler Schröder.
22.05.2001 | 20.14 Uhr
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Peiner Allgemeine Zeitung Vermischtes 23.5.2001 0:48
Interview: „Die Zeit, Zeugen der Gräueltaten befragen zu können, läuft ab"
Interview mit Henning Müller aus Rosenthal.
Der32-Jährige unterrichtet an dem Braunschweiger Gymnasium Gaußschule Englisch und Politik. Vor kurzem übersetzte er bei einem Besuch zweier ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter an der Gaußschule die Fragen der Schüler. Die beiden gebürtigen Polen, die Auschwitz und danach das Arbeitslager Schillstraße in Braunschweig überlebt haben, waren nach dem Krieg in die USA beziehungsweise nach England ausgewandert.
Wie wird das Thema Verfolgung der Juden im Dritten Reich im Unterricht behandelt?
Das Thema Nationalsozialismus ist in den Lehrplänen verbindlich vorgesehen, und zwar sowohl in der 10. Klasse als auch - entsprechend detaillierter - in der Sekundarstufe II. Wichtig ist, dass gerade die Thematik „Judenverfolgung im Dritten Reich" fächerübergreifend unterrichtet wird, also nicht nur im Fach Geschichte, da die Berührungspunkte mit Fächern wie Politik, Deutsch, Religion offensichtlich sind.
Warum fahren Sie mit den Schülern immer wieder zu Konzentrationslagern, ermöglichen ihnen Zusammentreffen mit Zeitzeugen?
Sich mit dem Thema zu beschäftigen, ist absolut notwendig. Das steht für mich völlig außer Frage. Die Bezüge zur Tagespolitik sind doch mehr als offensichtlich. Zurzeit ist es nicht nur das verstärkte Auftreten rechtsradikaler Gesinnung und der damit verbundenen Gewalt, sondern beispielsweise auch die leidige Diskussion um die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter. Wie sollen wir für die Zukunft vorbauen, wenn die Auseinandersetzung mit dem Thema gemieden wird?
Und die Besichtigungen und Treffen?
Die persönliche Begegnung stellt die bestmögliche Erfahrung dar. So gut ein Text auch sein mag, er bleibt im Vergleich immer fern und vom Erfahrungshorizont der Schüler entrückt. Es stellt einen großen Unterschied dar, ob ich im Fernsehen oder in der Zeitung etwas über Entschädigungszahlen mitbekomme, oder ob ich die Möglichkeit habe, einem Betroffenen zuzuhören. Dies ist um so mehr der Fall, wenn dieser Betroffene aus einem Brief zitiert, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er keine Entschädigung erwarten könne, da „er damals ja auch nichts in die Rentenkassen eingezahlt hat".
Gab es Berührungsängste?
Nein. Als die Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten mussten, waren sie gerade mal 16 Jahre alt, also in dem Alter, in dem sich ihre Zuhörer befinden. Neben dem Altersbezug gewann diese Begegnung an Lebendigkeit, da das damalige Arbeitslager gerade mal einen Steinwurf von der Schule entfernt lag. Die Gebäude sind zum Teil noch erhalten.
Wie haben die Schüler reagiert?
Dazu fallen mir spontan drei Worte ein: freundlich, interessiert und offen. Die Qualität des Treffens lag wohl vor allem daran, dass es für die Schüler keine Tabu-Fragen gab und die ehemaligen Häftlinge nichts aussparten. So kam es zu einer bewegenden Begegnung, die bei den Schülern mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Solange die Möglichkeit besteht, Zeitzeugen erzählen zu lassen, sollten wir sie nutzen - doch die Zeit dafür läuft langsam ab. Damit stirbt im wahrsten Sinne des Wortes eine hervorragende Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit einem düsteren Kapitel der deutschen Geschichte.
mb, Kreis Peine, 22.05.2001 21:10 Uhr
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Bonner Rundschau Politik 23.5.2001 0:27
Kommentar
Zahlung an Zwangsarbeiter
Von Suska Döpp
Nun ist es also endlich durchgestanden. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat grünes Licht für die Auszahlung des Zehn-Milliarden-Fonds an NS-Zwangsarbeiter gegeben. Und sie hat gut daran getan.
Lange genug hat es schließlich gedauert, bis sich die Unternehmen vom Regierungsbeauftragten Graf Lambsdorff davon haben überzeugen lassen, dass die Erklärung, mit der die US-Regierung die amerikanischen Gerichte anhält, Entschädigungsverfahren abzuweisen, trägt, und aller Wahrscheinlichkeit nach die noch anhängigen Klagen kurzfristig erledigt werden.
Endlich hat auch die Wirtschaft verstanden, dass es in einer Demokratie keine hundertprozentige Rechtssicherheit geben kann. Ohne einen Vertrauensvorschuss ist der Schlussstrich unter die deutsche Geschichte nicht zu haben.
Diese Einsicht - zu der sicherlich auch der massive öffentliche Druck beigetragen hat - kam in allerletzter Sekunde: Der Imageschaden für Deutschland ist mit jedem Tag, an dem das Gezerre um die Entschädigung ihren Lauf nahm, gewachsen.
Vor allem Osteuropa häufig in bitterer Armut leben, brauchen ihr Geld schnell. Täglich sterben rund 200 Anspruchsberechtigte.
Nun ist es an den Fraktionen, die vom Stiftungsgesetz geforderte "ausreichende Rechtssicherheit" schnell und mit überzeugender Mehrheit feststellen. Alles andere würde einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.
Und noch etwas sollte an diesem Tag nicht unter den Tisch fallen: Für seinen unermüdlichen Einsatz in den schwierigen Verhandlungen gebührt Graf Lambsdorff Respekt und Dank. Ohne ihn wäre es zu dem heutigen Beschluss der Stiftungsinitiative wohl kaum gekommen.
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Nordwest Zeitung Politik 23.5.2001 0:20
Ohne „Rechtssicherheit" kein Geld für NS-Zwangsarbeiter
dpa Berlin. Die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen gegen weitere Klagen von Nazi-Opfern ist zentrale Voraussetzung für den Beginn der Entschädigungs-Zahlungen aus Deutschland an ehemalige NS-Zwangsarbeiter im Rahmen des zehn Milliarden Mark umfassenden Fonds.
Eine besondere Bedeutung hatten dabei Sammelklagen in den USA, die wegen ihres ungewissen Ausgangs gefürchtet waren. Eine Sammelklage gegen deutsche Banken wurde zunächst nicht abgewiesen, weil die deutsche Wirtschaft ihren zugesagten Beitrag noch nicht beisammen hatte. Die Gründungsfirmen der Stiftungsinitiative übernahmen daraufhin eine Garantie für die komplette Zahlung der von der Wirtschaft versprochenen fünf Milliarden Mark.
Umstritten war lange, wann genau Rechtssicherheit im Sinne des deutschen Stiftungsgesetzes besteht. Die Wirtschaft vertrat zunächst die Auffassung, dass außer den Sammelklagen auch sämtliche Einzelklagen erledigt sein müssen. Erst dann könne gezahlt werden.
In Paragraf 17 des deutschen Stiftungsgesetzes heißt es: „Die erstmalige Bereitstellung der Stiftungsmittel setzt das in Kraft treten des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens betreffend die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sowie die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen voraus. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen stellt der Deutsche Bundestag fest."
Punkt eins war seit vergangenem Sommer erfüllt. Washington betonte außerdem in einem gerichtsverwertbaren „Statement of Interest", dass Klagen nicht im „außenpolitischen Interesse" der US-Regierung liegen. Die Stiftungs-Initiative der Wirtschaft machte von Anfang an die Forderung nach „dauerhafter Rechtssicherheit" zur „unabdingbaren Voraussetzung für die Bereitstellung der Mittel". In einem Gründungsdokument heißt es, die Unternehmen müssten „vor gerichtlicher Inanspruchnahme geschützt" sein.
Das zähe Ringen um eine Entschädigung
Die Stiftungsinitiative - späte Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter
© nwz-online.de 2001
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Kölner Stadt-Anzeiger Politik 22.5.2001 23:40
NS-Zwangsarbeiter
Die Wirtschaft gibt Widerstand gegen Entschädigung auf
Berlin - Nach zwei Jahren bitteren Streits hat die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft der Auszahlung der Zwangsarbeiter-Entschädigungen zugestimmt. Die nötige Rechtssicherheit sei jetzt gegeben, erklärten die Gründungsmitglieder am Dienstagabend nach einem weiteren US-Urteil zu Gunsten der deutschen Wirtschaft.
Damit könnte der Bundestag kommenden Mittwoch offiziell das Startsignal für die Auszahlung der zehn Milliarden Mark an rund 1,2 Millionen hochbetagten ehemaligen NS-Zwangsarbeiter geben.
Die New Yorker Richterin Shirley Kram hatte am Montagabend die Klage Gutman gegen die Deutsche Bank abgewiesen, in der es auch um beschlagnahmte Guthaben bei österreichischen Banken während des Holocaust ging.
Dieser Fall, der nicht unter den letzte Woche bedingungslos abgewiesenen Sammelklagen war, galt für die deutsche Wirtschaft als ein wichtiges Hindernis vor der Rechtssicherheit.
Bis zuletzt war unklar, ob die Stiftungsinitiative noch ein weiteres Berufungsverfahren in Kalifornien abwarten will.
Doch erklärte am Dienstagabend der Vorsitzende der Stiftungsinitiative, Daimler-Chrysler-Vorstand Manfred Gentz, mit dem New Yorker Urteil seien die Voraussetzungen für "ausreichende Rechtssicherheit" gegeben.
Diese muss der Bundestag offiziell feststellen. Die Stiftungsinitiative habe stets betont, dass sie die Gewährung der Mittel als humanitäre, aussöhnende Maßnahme sehe.
Die Initiative stellt fünf Milliarden Mark für die Entschädigungsstiftung zur Verfügung; weitere fünf Milliarden Mark zahlt der Bund. Das Geld soll drei bis fünf Wochen nach Feststellung der Rechtssicherheit bei den ersten Opfern sein.
Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßte die Entscheidung der Stiftungsinitiative mit "Erleichterung und Genugtuung". Er dankte allen Beteiligten, "die dazu beitragen, dass dieses schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte abgeschlossen werden kann".
Lothar Evers, Sprecher des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte sprach von einer "lange überfälligen" Entscheidung. Seit dem Beschluss des Bundestags zur Einrichtung der Stiftung seien fast 50 000 anspruchsberechtigte NS-Zwangsarbeiter gestorben. (afp, dpa, ap, rtr)
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Kieler Nachrichten Politik 22.5.2001 23:35
Weg für Auszahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter frei
Opfervertreter und Politiker erleichtert über Durchbruch
Fortsetzung:
Mit ihrer Ankündigung beendete die Wirtschaft ein jahrelanges Tauziehen um die Rechtssicherheit. Dabei ging es um eine ausreichende Sicherheit deutscher Firmen vor weiteren Klagen von NS-Opfern in den USA. Zur Begründung für ihre neue Sichtweise verwies die Stiftungsinitiative nun auf die in der Zwischenzeit in den USA zurückgewiesenen Sammelklagen. Nach der Entscheidung des Berufungsgerichts in New York in der vergangenen Woche, der Abweisung einer weiteren Sammelklage gegen deutsche Banken am Montagabend sowie der Überweisung eines weiteren Falles an einen anderen Richter seien für die Firmen die Voraussetzungen gegeben, "dass der Deutsche Bundestag ausreichende Rechtsicherheit feststellen kann". Die Unternehmen "tun das in der Erwartung und im Vertrauen darauf, dass die bisher noch nicht zurückgenommenen Berufungsfälle in Philadelphia und der streitige Berufungsfall in Kalifornien ebenfalls kurzfristig erledigt werden", hob die Wirtschaft aber hervor.
Schröder reagierte mit "Erleichterung und Genugtuung" auf die Nachricht. Für den Erfolg sei es wichtig gewesen, dass Bundesreigerung und Stiftungsinitiative "jede Phase der oft schwierigen Verhandlungen gemeinsam durchgestanden hätten". Jetzt könne der Bundestag rasch Rechtssicherheit feststellen, damit die Zahlungen "an die betagten Opfer" beginnen könnten. Auch SPD-Fraktionschef Peter Struck begrüßte das Ende "langer und mühsamer Verhandlungen", wie sein Sprecher sagte. Laut SPD-Fraktion steht das Thema am Mittwoch oder Donnerstag nächster Woche auf der Tagesordnung des Bundestages.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, äußerte sich erfreut, dass "das endlose Gewürge vom Tisch ist". Politik und Wirtschaft übernähmen gemeinsam die Verantwortung für das Unrecht der Zwangsarbeiter. Die FDP-Fraktion erwartete ebenfalls einen rasche Bundestagsbeschluss. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach betonte als Mitglied im Stiftungskuratorium, es gebe "keine Einwände" gegen eine entsprechende Entscheidung in der nächsten Woche. Die formale Erklärung des Bundestags zur Rechtssicherheit ist notwendig, um mit der Auszahlung beginnen zu können. In den Entschädigungsfonds zahlen Bundesregierung und die Unternehmen jeweils fünf Milliarden Mark ein. Für die einzelnen Opfer sind Summen von bis zu 15.000 Mark vorgesehen.
Der Vorsitzende des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte, Lothar Evers, nannte die Ankündigung der Stiftungsinitiative eine "überfällige Reaktion". Nun müsse das Geld sofort an die Stiftung überwiesen werden, sagte er AFP. Der Münchner Opferanwalt Michael Witti betonte: "Da fällt uns allen ein Riesenstein vom Herzen". Es liege aber noch ein "ganzes Stück Arbeit vor uns", weil bei den Anträgen der Opfer einzelne Schlüsselkriterien noch nicht festgelegt seien.
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Die Welt, Politik 22.5.2001 23:28
Zwangsarbeiter bekommen bis zu 15.000 Mark Entschädigung
Entschädigungssumme:
Bundesregierung und Wirtschaft zahlen insgesamt zehn Milliarden Mark in den Entschädigungsfonds ein und kommen für diese Summe je zur Hälfte auf. Die Unternehmen können ihren Beitrag steuermindernd geltend machen..
Verwendung der Stiftungsmittel:
Von den zehn Milliarden Mark im Entschädigungsfonds stehen für die Entschädigung der Zwangsarbeiter 8,1 Milliarden Mark zur Verfügung. Eine weitere Milliarde Mark ist für die Entschädigung von Vermögensschäden vorgesehen. 700 Millionen Mark sind für den Fonds „Erinnerung und Zukunft" vorgesehen, mit dem etwa internationale Jugendbegegnungen finanziert werden sollen. Mit 200 Millionen Mark sollen Verwaltungskosten bezahlt werden.
Zahlungen:
Die Opfer erhalten einmalig Beträge zwischen 5.000 und 15.000 Mark. Über die Zahlungen sollen die Partnerorganisationen der Stiftung entscheiden. Das sind Opferverbände sowie Stiftungen zur Aussöhnung in Russland, Weißrussland, Polen, Tschechien und der Ukraine. Die Anspruchsberechtigten werden in drei Kategorien eingeteilt:
Kategorie A: Ehemalige Zwangsarbeiter, die unter den besonders schweren Bedingungen eines Konzentrationslagers, anderer Haftstätten oder einem Ghetto zu leiden hatten, erhalten einmalig bis zu 15.000 Mark.
Kategorie B: Wer aus seinem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 deportiert, dort zur Arbeit gezwungen und unter anderen Bedingungen als Kategorie A inhaftiert wurde, erhält einmalig bis zu 5.000 Mark.
Kategorie C: Opfer, die im Zuge rassischer Verfolgung unter Beteiligung deutscher Unternehmen Vermögensschäden erlitten haben und dafür bislang noch keine Leistungen erhalten haben, können ebenfalls bis zu 15.000 Mark erhalten. Die Regelung gilt unter anderem für die „Arisierung" jüdischer Betriebe.
Mit ddp
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Die Welt, Politik 22.5.2001 23:28
Zwangsarbeiter werden voraussichtlich ab Juni entschädigt
Frankfurt/Berlin - Der Weg zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist frei. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hält nach den jüngsten Entscheidungen von US- Gerichten die notwendige Rechtssicherheit für gegeben. Nach Angaben von SPD-Fraktionschef Peter Struck wird der Bundestag aller Voraussicht nach am Mittwoch nächster Woche die Rechtssicherheit feststellen. Damit würde endgültig grünes Licht für die Entschädigungszahlungen an 1,5 Millionen Nazi-Opfer gegeben.
„Wir sind am Ziel!", kommentierte der Regierungsbeauftragte für Zwangsarbeiter-Entschädigung, Otto Graf Lambsdorff, den freigewordenen Weg für die Zahlungen. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) reagierte mit Erleichterung und dankte „allen Beteiligten, die dazu beitragen, dass dieses schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte abgeschlossen werden kann".
Die US-Bundesrichterin Shirley Kram hatte eine weitere Sammelklage gegen die deutsche Wirtschaft abgewiesen. Die Vertreter der deutschen Wirtschaft sahen daraufhin ungeachtet weiterer vor US-Gerichten anhängigen Klagen die von ihnen geforderte Rechtssicherheit gewährleistet. Ihr Verhandlungsführer, Manfred Gentz, geht davon aus, dass die bisher noch nicht zurückgenommenen Berufungsfälle in Philadelphia und Kalifornien kurzzeitig erledigt werden. Aus seiner Sicht kann mit Zahlungen noch im Juni begonnen werden.
Der Sprecher des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte forderte die Wirtschaft auf, alle Firmenarchive zu öffnen, damit die Überlebenden die nötigen Nachweisdokumente bekommen.
Mit dpa/ddp
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Volksstimme Magdeburg Politik 22.5.2001 23:25
Breite Erleichterung über Einigung
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Hannoversche Allgemeine Vermischtes 22.5.2001 23:16
Frühere Zwangsarbeiter erhalten Geld
Damit könnte der Bundestag kommenden Mittwoch offiziell das Startsignal für die Auszahlung der zehn Milliarden Mark an rund 1,2 Millionen Menschen geben, die in Nazi-Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten.
"Froh und erleichtert" zeigte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder ob dieser Nachricht am Dienstagabend in Hannover. "Jetzt sind wir endlich in der Lage, Rechtssicherheit festzustellen", sagte der Kanzler auf einer eilig vor dem Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung anberaumten Pressekonferenz. Es müsse "ganz schnell" mit der Auszahlung begonnen werden, denn "Verzögerungen gehen immer zu Lasten der Opfer". Schröder betonte, es sei im Nachhinein richtig gewesen, den Staat und die Wirtschaft beisammen zu halten und die Initiative nicht in einen staatlichen und einen privaten Teil zu spalten. Diese Einigkeit habe auch zu den gerichtlichen Entscheidungen in den USA beigetragen. "Wenn wir zwischen den Beteiligten einen Streit über die Frage der Rechtssicherheit bekommen hätten, wäre dies innenpolitisch fatal gewesen", sagte der Bundeskanzler. "Jetzt ist die Sache klar."
Die New Yorker Richterin Shirley Kram hatte am Montagabend die Klage Gutman gegen die Deutsche Bank abgewiesen, in der es auch um beschlagnahmte Guthaben bei österreichischen Banken während des Holocaust ging. Dieser Fall galt für die deutsche Wirtschaft als ein wichtiges Hindernis vor der Rechtssicherheit.
Bis zuletzt war unklar, ob die Stiftungsinitiative noch ein weiteres Berufungsverfahren in Kalifornien abwarten wollte. Doch am Dienstagabend erklärte der Vorsitzende der Stiftungsinitiative, DaimlerChrysler-Vorstand Manfred Gentz, mit dem New Yorker Urteil seien die Voraussetzungen für "ausreichende Rechtssicherheit" gegeben. Diese muss der Bundestag nun noch offiziell feststellen. Die Initiative stellt fünf Milliarden Mark für die deutsche Entschädigungsstiftung zur Verfügung; weitere fünf Milliarden Mark zahlt der Bund. Das Geld soll drei bis fünf Wochen nach Feststellung der Rechtssicherheit bei den ersten Opfern sein, die zumeist in Polen, der Ukraine und Weißrussland leben.
Zuvor hatten bereits alle Bundestagsparteien und der Kanzlerbeauftragte Otto Graf Lambsdorff erklärt, dass weiteres Warten nun unnötig sei. Lambsdorff, der sich zurzeit in Israel aufhält, erklärte in Tel Aviv, man sei am Ziel. Israels Außenminister Schimon Peres würdigte Lambsdorffs Engagement: "Sie haben das Menschenmögliche getan, um dieses Abkommen zu verwirklichen." Die Fachleute im Bundestag wollen sich am Montag verständigen, ob die offizielle Feststellung nächste Woche stattfinden kann.
ap/mbb, Berlin/Hannover , 22.05.2001 19:20 Uhr
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Frankfurter Neue Presse Vermischtes 22.5.2001 23:7
Entschädigung der NS-Opfer: Neuer Streit um Zinsen
Betrug mit Plastik-Geld hat drastisch zugenommen
(Originaler Text der FNP !!)
Berlin. Die Kriminalität in Deutschland geht weiter zurück. Die Zahl der erfassten Straftaten sank im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 Prozent, auf den niedrigsten Stand seit 1993. Die Polizei registrierte 500 000 Straftaten weniger als damals bei der Einführung der gesamtdeutschen Statistik. Entgegen dem Trend nahmen im vergangenen Jahr die Fälle von Kreditkarten-Betrug jedoch drastisch um mehr als die Hälfte zu.
Die Ermittler konnten im Jahr 2000 erneut mehr Delikte aufklären als in den Vorjahren: Die Aufklärungsquote stieg von 52,8 auf 53,2 Prozent. "Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den sichersten Ländern in der Welt", sagte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bei der Vorlage der Polizeilichen Kriminalstatistik. Einen weiteren Durchbruch bei der Täterfeststellung verspricht sich der Minister durch eine neue Methode der Haaranalyse, weil der Verlust von Haaren am Tatort fast unvermeidlich sei.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) widersprach. "Brutalität und Rücksichtslosigkeit nehmen quer durch die Gesellschaft zu", sagte GdP-Chef Konrad Freiberg. Seiner Ansicht nach liegt die tatsächliche Verbrechensquote zehn Mal höher. Schily verwies dies in den Bereich der unseriösen Spekulation. Der Bund der Kriminalbeamten stützte dagegen die These über eine zehn Mal höhere Dunkelziffer.
Trotz der generell positiven Entwicklung warnte Schily: "Das Kriminalitätsniveau ist insgesamt immer noch zu hoch." Es gebe weiterhin eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft. Effiziente Kriminalitätsbekämpfung und Prävention müssten verstärkt werden.
Insgesamt erfasste die Polizei 6,26 Millionen Straftaten. Der leichte Rückgang im Vergleich zu 1999 geht ausschließlich auf das Konto der neuen Ländern. Auf diese entfielen knapp 1,2 Millionen Taten, 3,5 Prozent weniger als 1999. In den alten Ländern und Berlin stieg die Kriminalität geringfügig um 0,1 Prozent auf fast 5,1 Millionen Taten.
Fast jede zweite Straftat war ein Diebstahl. Die Computer-Kriminalität nahm um 25 Prozent zu. Wieder leicht erhöht hat sich die Gewaltkriminalität. Die Fälle von Mord und Totschlag verminderten sich erneut (minus 2,8 Prozent). In diesem Bereich ist die Aufklärung mit 95,3 Prozent am höchsten.
Als erfreulich bezeichnete Schily, dass die Kinder- und Jugendkriminalität im zweiten Jahr zurückging. Doch auch hier bedürfe es noch großer Anstrengungen und "eines klugen und intelligenten Einsatzes" von Sanktionen. Eine erhebliche Rolle spiele zudem die Erziehung.
Delikte von Kindern unter 14 Jahren gingen um 3,2 Prozent auf 146 000 zurück. Bei den Jugendlichen bis 18 Jahren gab es einen Rückgang von 0,8 Prozent auf 294 000 Delikte.
Sorgen macht dem SPD-Politiker der anhaltende Zuwachs bei der Rauschgift- und Wirtschaftskriminalität. Während die Rauschgiftkriminalität um fast acht Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen habe, sei der Betrug bei Kreditkartenumsätzen und im EC-Lastschriftverkehr sogar um 54 Prozent gestiegen. Der Betrug an Geldautomaten habe um 21 Prozent zugenommen.
Täter nutzten Schwachstellen der neuen Technik aus, sagte Schily. Er strebt an, den "kriminalitätsanfälligen Magnetstreifen" durch moderne Chip-Technologie zu ersetzen.
Nach Ansicht von Europol sind Polizei und Strafverfolgungsbehörden in Europa nicht gegen elektronische Kriminalität gewappnet. Auf diese revolutionäre Herausforderung müsse sich die Polizei länderübergreifend einstellen, bevor es zu spät sei, mahnte der Leiter von Europol, der Niederländer Jürgen Storbeck. "Den virtuellen Tatort findet man nicht in der herkömmlichen Strafprozessordnung", sagte Storbeck. Polizisten, Richter und Staatsanwälte müssten neu ausgebildet werden.
© Frankfurter Neue Presse, 2000
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Frankfurter Rundschau Politik 22.5.2001 23:3
Endlich
Der Kanzler will die zähen Verhandlungen um Zwangsarbeiter-Entschädigung endlich zu Ende bringen
Von Matthias Arning
Der Widerstand bricht zusammen. Die Voraussetzungen für die Feststellung von Rechtssicherheit und damit für die Auszahlung der Zwangsarbeiter-Entschädigung sieht jetzt selbst die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft als gegeben an.
Anlass ist die jüngste Entscheidung von Shirley Kram - jener New Yorker Richterin, die der Zusammenschluss deutscher Unternehmen, gebildet zur Verteidigung gegen Holocaust-Opfer, zu einem Hassobjekt stilisiert hatte. Jetzt sind bei ihr keine Forderungen gegen deutsche Firmen mehr anhängig, kann es nicht länger Schuldzuweisungen an die auch in den USA unabhängige Justiz geben.
Nun klingen die Nachrichten positiv, anders als die zum Ritual verkommenen Kommentierungen zu früheren Entscheidungen amerikanischer Gerichte, nach denen es immer wieder hieß: "Das reicht nicht."
Offensichtlich erreichten die Berliner Signale die nicht gerade für Sensibilität bekannten Führungsetagen der Konzerne, die in der Stiftungsinitiative seit deren Gründung das Sagen haben: Der Kanzler will die zähen Verhandlungen endlich zu Ende bringen, sein Beauftragter Lambsdorff dringt auf eine rasche Entscheidung, der Bundestag lässt an seiner Entschlossenheit keinen Zweifel mehr aufkommen.
Botschaften, die den Widerstand der Wirtschaft gegen den Beginn der Auszahlungen brachen. Fast zwei Jahre nach dem Termin, den die Regierung ursprünglich für den Start der Zahlungen angepeilt hatte, steht früheren Zwangsarbeitern erstmals Konkretes in Aussicht. Das erfreuliche Ende einer traurigen Geschichte.
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Erscheinungsdatum 23.05.2001
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EXPRESS (Köln) Politik 22.5.2001 22:57
Weiter Streit um den Rechtsfrieden
NS-Opfer: Wann gibts Geld?
Berlin – Die Entschädigungen für frühere NS-Zwangsarbeiter bleiben auch nach der jüngsten Klageabweisung in den USA ein Zankapfel.
Der Sonderbeauftragte des Bundeskanzlers für die Zwangsarbeiterentschädigung, Otto Graf Lambsdorff, sieht jetzt die geforderte Rechtssicherheit für die Wirtschaft als gegeben an.
Lambsdorff: „Wir sind jetzt am Ziel des ausreichenden Rechtsfriedens." Noch vor der Sommerpause könne die Auszahlung beschlossen werden. Dazu werde er unverzüglich weitere Gespräche mit den Vertretern der Wirtschaft führen.
Auch alle Parteien des Bundestages wollen die Entschädigungszahlungen nächste oder übernächste Woche freigeben.
Der Sprecher der Stiftungsinitiative der Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, sagte, ein Beginn der Auszahlung an die etwa 1,2 Millionen früheren Zwangsarbeiter aus der mit 10 Milliarden Mark bestückten Entschädigungsstiftung sei vor der Sommerpause „sehr gut möglich".
Anders sieht es dagegen Kanzler Gerhard Schröder. Er behielt sich eine Bewertung der Rechtssicherheit noch vor und will vor einer Entscheidung Anfang Juni darüber mit Vertretern der Wirtschaft sprechen.
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Freie Presse Vermischtes 22.5.2001 20:49
Der mühsame Weg zur Entschädigung
Drei Jahre nach ersten Klagen soll Auszahlung im Juni starten
Mit dem Einlenken der deutschen Wirtschaft im Streit um die Rechtssicherheit geht ein jahrelanger juristischer Streit zu Ende. Mehr als drei Jahre ist es her, dass ehemalige Zwangsarbeiter in den USA die ersten Sammelklagen gegen deutsche Firmen eingereicht haben. Seitdem wurde mancher Durchbruch in den zähen Verhandlungen um Rechtssicherheit gefeiert, bald gefolgt von neuen Hindernissen. Nach der Entscheidung der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft soll nun mit der Auszahlung im Juni begonnen werden.
AFP gibt einen Überblick über den mühsamen Weg zur Entschädigung:
* März/April 1998: Bei US-Gerichten in New York und New Jersey werden im Namen von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern die ersten Sammelklagen eingereicht.
* Oktober 1998: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) spricht sich für die Einrichtung eines Fonds zur Zwangsarbeiterentschädigung aus.
* Februar 1999: Die Bundesregierung und 16 deutsche Unternehmen, darunter DaimlerChrysler, die Deutsche Bank, Siemens, Volkswagen und BMW, sagen die Einrichtung eines Fonds für bisher nicht entschädigte NS-Opfer zu.
* Mai 1999: Unter der Leitung von US-Außenstaatssekretär Stuart Eizenstat und Kanzleramtsminister Bodo Hombach findet die erste von zwölf Verhandlungsrunden mit der deutschen Wirtschaft, jüdischen Interessenverbänden, Opferanwälten und den Regierungen von fünf mittel- und osteuropäischen Staaten sowie Israels statt.
* Juli 1999: Die Eckdaten für einen Rechtsfrieden, der die deutschen Firmen vor weiteren Klagen in den USA schützen soll, werden festgelegt.
* Dezember 1999: Die Verhandlungsparteien einigen sich auf eine Stiftungssumme von insgesamt zehn Milliarden Mark. Wirtschaft und Bund wollen davon jeweils die Hälfte tragen. Der Fonds soll auch Vermögensansprüche abdecken. In einem Briefwechsel mit Schröder sichert US-Präsident Bill Clinton den deutschen Firmen Rechtssicherheit zu.
* März 2000: Die Verhandlungsparteien einigen sich über die Aufteilung der Entschädigungssumme auf einzelne Opfergruppen.
* Juni 2000: Eizenstat, der deutsche Regierungsbeauftragte Otto Graf Lambsdorff und Wirtschaftsvertreter Manfred Gentz vereinbaren die Details der geplanten Rechtssicherheit für die deutschen Unternehmen.
Die Opferanwälte erklären sich zur Rücknahme ihrer Sammelklagen bereit.
* Juli 2000: Bundestag und Bundesrat verabschieden das Gesetz zur Einrichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Drei Tage später wird das internationale Abkommen über die NS-Zwangsarbeiterentschädigung in Berlin unterzeichnet.
* September 2000: Die Stiftung nimmt ihre Arbeit auf.
* März 2001: Die New Yorker Richterin Kram verweigert die Abweisung der Sammelklagen gegen die deutschen Banken. Ihre Begründung: Die Stiftungssumme sei noch nicht vollständig aufgebracht. Der Wirtschaft fehlen nach eigenen Angaben bis dahin noch 1,4 Milliarden Mark. Wenige Tage später erklärt die Wirtschaft, die fünf Milliarden seien durch eine Ausfallgarantie gesichert.
* 10. Mai 2001: Kram weist die Sammelklagen ab, knüpft daran jedoch Bedingungen, für die nach Ansicht Lambsdorffs das Stiftungsgesetz geändert werden müsste.
* 17. Mai 2001: Ein Berufungsgericht in New York verfügt, dass Kram die Sammelklagen ohne Auflagen abweisen muss.
* 21. Mai 2001: Kram weist eine weitere und damit die letzte Sammelklage gegen deutsche Banken ab.
* 22. Mai: Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft erklärt, die Voraussetzungen für eine ausreichende Rechtssicherheit seien nunmehr erfüllt.
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Financial Times Politik 22.5.2001 20:36
ftd.de, Di, 22.5.2001, 8:50, aktualisiert: Di, 22.5.2001, 20:13
Zwangsarbeiter können entschädigt werden
Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat keine Einwände mehr gegen die Freigabe der zehn Mrd. DM zur Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter. Über das weitere Vorgehen entscheidet der Bundestag.
Die geforderte Rechtssicherheit sei erreicht, erklärten die Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative am Dienstag in Frankfurt. Nach den jüngsten Entscheidungen von US-Gerichten gegen Sammelklagen seien die Voraussetzungen gegeben, dass der Deutsche Bundestag ausreichende Rechtssicherheit feststellen kann, hieß es. Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte eine kurzfristig angesetzte Bundestagssitzung in dieser Frage an, um rasch mit den Auszahlungen an die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter zu beginnen. Der Kanzler dankte allen Beteiligten, die zum Abschluss dieses "schmerzhaften Kapitels der deutschen Geschichte" beigetragen hätten.
Die deutsche Wirtschaft hatte sich bisher geweigert, Rechtssicherheit für deutsche Firmen gegen weitere Klagen von NS-Opfern in den USA anzuerkennen. Im Bundestag soll dies nächste oder übernächste Woche erfolgen, wie die Fraktionen am Dienstag ankündigten. Auch der Sonderbeauftragte Otto Graf Lambsdorff hat erklärt, dass Rechtssicherheit besteht. Damit dürfte die rund zwei Jahre dauernde Auseinandersetzung um die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter beendet sein.
© 2001 Financial Times Deutschland
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Fränkischer Tag Politik 22.5.2001 20:55
Zwangsarbeiter
200 000 Anträge von NS-Zwangsarbeitern
Genf (dpa) - Die UN-Organisation für Migration rechnet mit mehr als 200 000 Anträgen auf Entschädigung von ehemaligen NS- Zwangsarbeitern. Von den mehr als 190 000 bereits ermittelten Namen und Adressen, die möglicherweise im Rahmen des deutschen Entschädigungsprogrammes Ansprüche geltend machen könnten, habe es bereits 72 000 Rückmeldungen gegeben, sagte der Direktor der Organisation heute in Genf.
22.05.2001 18:01 MEZ
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Mannheimer Morgen Politik 22.5.2001 21:11
Für Deutsche Wirtschaft ist ausreichende Rechtssicherheit erreicht
Weg für Auszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter geebnet
Die Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft haben erklärt, dass für sie, nach den jüngsten Entwicklungen in den USA, eine nach ihrer Auffassung ausreichende Rechtssicherheit erreicht ist. Dies gab der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, soeben in einer Pressemitteilung bekannt.
Nach der Anordnung des Berufungsgerichts am 17. Mai, der gestrigen Abweisung des Gutmann-Falles, der letzten Sammelklage gegen deutsche Banken, sowie der Überweisung des Gartska-Falles an Richter Bassler sind für die deutschen Unternehmen die Voraussetzungen gegeben, dass der Deutsche Bundestag ausreichende Rechtssicherheit feststellen kann.
In der Erziehung der Rechtssicherheit sind in den vergangenen Wochen und Monaten bedeutende Fortschritte erreicht worden. Von den ursprünglich gegen deutsche Unternehmen in den USA anhängigen 68 Klagen sind inzwischen die wichtigsten Klagen abgewiesen worden. Hierunter fallen auch die konsolidierten Sammelklagen gegen Industrieunternehmen, gegen Versicherungsunternehmen und gegen Banken.
© Xmedias / Morgenweb-Redaktion – 22.05.2001
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Junge Welt Politik 22.5.2001 22:12
22.05.2001
Zwangsarbeit: Das würdelose Gezerre auf Kosten der Opfer
... und die nahezu vollständige Abwesenheit antifaschistischen Bewußtseins in der deutschen Bevölkerung. Von Thomas Kuczynski (*)
Das Thema Zwangsarbeit reflektiert ein durch und durch gesamtdeutsches Problem, und dies aus drei Gründen. Erstens sind die 14 bis 15 Millionen Zwangsarbeitskräfte, die während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland verschleppt wurden, in allen Regionen des Landes und in allen Lebensbereichen eingesetzt worden, nicht nur in der Rüstungsindustrie, sondern auch in der Landwirtschaft, in den kommunalen Betrieben der Städte und Gemeinden, in den privaten Haushalten - bis hin zur »Zwangsarbeit im Kinderzimmer«. (1) Zweitens wurden bis 1990 in keinem der beiden deutschen Staaten - weder in der Alt-BRD noch in der DDR - ernsthafte Anstrengungen unternommen, für eine Entschädigung jener Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu sorgen, die nach dem Kriege (wieder) im Ausland lebten bzw. dorthin auswanderten. Drittens ist der ganz überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern kaum daran interessiert, wenigstens jetzt, 56 Jahre nach Kriegsende, sich aktiv für anständige und schnelle Entscheidungen auf diesem Gebiet einzusetzen.
1953: Vertagt bis zum Tag eines Friedensvertrags
Der erste Punkt der Auflistung bedarf an dieser Stelle und an diesem Orte wohl kaum einer näheren Erläuterung; die beiden anderen Punkte jedoch bedürfen einer solchen, und dies um so mehr, als sich hinter dem, oberflächlich betrachtet, gleichartigen Verhalten der beiden deutschen Staaten gravierend unterschiedliche Bestimmungsgründe verbergen, wohingegen das gleichartige Verhalten der beiden Bevölkerungen nach 1990 wohl aus einander ziemlich ähnlichen Motiven gespeist ist.
Die herrschenden Kreise in der Alt-BRD (die Vorsilbe alt dient hier zur Unterscheidung der alten von der durch den Anschluß der DDR entstandenen BRD) haben von allem Anfang an die fälligen Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeitskräfte hintertrieben. Zwar nicht endgültig, aber doch auf lange Zeit gebannt wurde die Gefahr, Entschädigungen zahlen zu müssen, durch das 1953 verabschiedete Londoner Schuldenabkommen, in dem die Regierung der Alt-BRD mit den Regierungen von 33 sich 1945 im Kriegszustand mit Deutschland befindlichen Staaten vereinbarte, daß die Alt-BRD zunächst einmal die auf sie entfallenden Vorkriegsschulden sowie die Nachkriegsverbindlichkeiten zu begleichen habe, wogegen die Prüfung der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen bis zur im Rahmen eines Friedensvertrages erfolgenden »endgültigen Regelung der Reparationsfrage« zurückgestellt wurde; gleiches galt für Forderungen von Privatpersonen aus diesen Ländern »gegen das Reich und im Auftrage des Reichs handelnde Stellen und Personen«.
Da der Bundesgerichtshof 1963 entschied, daß die von einem ehemaligen polnischen KZ-Häftling auf Entschädigungszahlung verklagten IG Farben »eine im Auftrag des Reichs handelnde Stelle oder Person« gewesen sei, war der Kreis geschlossen und jede ausländische Zwangsarbeitskraft von einer Entschädigungszahlung ausgeschlossen, jedenfalls bis zum Tag eines Friedensvertrages. Der schien damals in weiter Ferne, und »natürlich« war keine Firma und keine Behörde daran interessiert, durch Eigeninitiative diese vorteilhafte Regelung zu unterlaufen und von sich aus Entschädigungen zu zahlen. (2)
Für die DDR waren Entschädigungszahlungen an ausländische Zwangsarbeitskräfte ebenfalls kein Thema, allerdings aus anderen Gründen. Da in der Sowjetunion all jene, die Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit im faschistischen Deutschland überlebt hatten, nach ihrer Repatriierung als der Kollaboration verdächtig im GULag verschwanden (3), hätte sich die DDR-Führung, selbst wenn sie das gewollt hätte (4), nicht für Zahlungen an sowjetische Opfer einsetzen können; dementsprechend unterblieben auch Zahlungen an Opfer aus anderen osteuropäischen Staaten.
Neue Strategie nach 2+4-Vertrag
Die Situation änderte sich grundlegend mit dem Abschluß des 2+4-Vertrages, der, obgleich nicht so genannt, allgemein als Äquivalent für einen Friedensvertrag gewertet worden ist. Damit standen all die Fragen, die von der Alt-BRD im Londoner Schuldenabkommen ausgeklammert worden waren, erneut auf der Tagesordnung, und da die von der ganz überwiegenden Mehrheit der DDR-Bevölkerung gewählten Volksvertreter den Beitritt der DDR zur BRD beschlossen hatten, war dies die Tagesordnung der Neu-BRD und ihrer Regierung.
Allerdings wurde der veränderten Lage von den allermeisten der Verantwortlichen in Regierung und Justiz, in den Kommunen und ihren Behörden, in den Firmen und den Unternehmerverbänden in der Weise Rechnung getragen, daß sie weiter alle Verpflichtungen von sich wiesen und, wo das nicht möglich war, möglichst geringfügige Zahlungen leisteten; Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Erst die ökonomischen Folgen, die im Ausland angestrengte Gerichtsverfahren möglicherweise nach sich ziehen könnten, bewogen die herrschenden Kreise in der Neu-BRD, eine neue Strategie für die Durchsetzung der alten Ziele zu entwickeln. In der Tat war es allein die Gefahr, daß BRD-Konzerne auf dem Wege sogenannter Sammelklagen in den USA zu Entschädigungszahlungen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar verurteilt werden würden, die die BRD-Regierung in Zugzwang und an den Verhandlungstisch brachte. Deshalb war ja auch das erste Wort, das der jetzige Bundeskanzler Gerhard Schröder in diesem Zusammenhang aussprach, Rechtssicherheit - Rechtssicherheit nicht etwa für die Entschädigung beanspruchenden Opfer, sondern für die deutsche Wirtschaft und ihre Konzerne.
Für diese Rechtssicherheit, und nur für sie, sind Staat und Wirtschaft bereit zu zahlen, notfalls auch an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Daß es allein die Angst der Konzerne vor Sammelklagen ist, die sie zu Zahlungsversprechen veranlaßt, zeigt die Reaktion der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft auf die Entscheidung der US-Bundesrichterin Shirley Kram vom 7. März, eine anstehende Sammelklage nicht abzuweisen, da dies die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche gefährden würde - eine Woche später war das fehlende Geld wenigstens eingesammelt.
Und keine Mehrheit erklärt: Schluß jetzt
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die deutschen Konzerne und ihre Regierung könnten niemals mit einer solchen Unverfrorenheit vorgehen, wenn es in diesem Lande eine Bevölkerungsmehrheit geben würde, die erklärt: Schluß jetzt mit diesem würdelosen Gezerre auf Kosten der Opfer, diese verdammte Industrie soll endlich zahlen. Aber es ist eine verschwindende Minderheit, die so denkt und es dann auch noch sagt.
Die ganz überwiegende Mehrheit will endlich einen »Schlußstrich unter die Vergangenheit«, sie sagt: Was kann ich für das, was meine Eltern oder Großeltern getan haben ... So gern sie das vom Großvater gebaute Haus erben - sofern es schuldenfrei ist -, so ungern treten sie das historische Erbe an, das ihnen ihre Eltern und Großeltern in Gestalt unbezahlter Rechnungen, darunter nicht gezahlter Entschädigungen, hinterlassen haben.
Ursachenkomplexe für das Desinteresse
Diese nahezu vollständige Abwesenheit antifaschistischen Bewußtseins in der deutschen Bevölkerung ist es, die den deutschen Konzernen und ihrer Regierung ein derartiges Vorgehen ermöglicht. Dabei scheint das Interesse an dem Thema in den neuen Bundesländern (NBL) noch geringer zu sein. (5) Diese furchtbare Tatsache bedarf der nüchternen Analyse, gerade von seiten der PDS, deren Basis nach wie vor in den NBL verankert ist, die ich deshalb in den Vordergrund meiner Betrachtung rücken werde. Meines Erachtens sind es vor allem vier Ursachenkomplexe, die dem Desinteresse zugrunde liegen:
Erstens hat sich der Antifaschismus in der Alt-BRD, gerade weil er in der Bevölkerung so wenig verbreitet gewesen ist, stets aktiv und konkret gegenüber der herrschenden Ideologie der Beschönigung, der Vertuschung und der Gleichgültigkeit behaupten müssen. Dagegen war er in der DDR zwar Staatsideologie, aber eben deshalb wurde der Bevölkerung zumeist kein aktives und konkretes Engagement abverlangt, und dementsprechend fehlt es auch heute. Die wenigsten - im parlamentarischen wie im außerparlamentarischen Bereich - fühlen sich aufgerufen, konkrete Aktionen zu organisieren und an ihnen teilzunehmen. Für zu viele ist Zivilcourage nach wie vor ein Fremdwort.
Damit im Zusammenhang steht ein zweites Moment: Der Kampf um ein antifaschistisches Bewußtsein wurde in der DDR zwar gepredigt, aber er wurde nicht gelernt. Jene, die sich dort allein aus Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit der Staatsideologie des Antifaschismus angepaßt hatten, haben das nach der »Wende« genauso getan - nur ist die Staatsideologie der alten wie der neuen BRD nicht die des Antifaschismus. Im Gegenteil, die Staatsideologen der Neu- BRD haben sogar die antifaschistische Forderung »Nie wieder Auschwitz« als Propagandalüge für den Krieg im Kosovo mißbrauchen dürfen.
Als drittes Moment wirkt immer noch der einst staatsoffiziell geförderte Irrglaube nach, daß »die« Nazis ja alle »in den Westen gegangen« seien und dort in hohen Positionen säßen, während »bei uns« nur noch die »Sieger der Geschichte« säßen und überhaupt keine Nazis mehr vorhanden seien. So richtig und wichtig es war und weiterhin ist, die Tatsache zu betonen, daß alte Nazis in der DDR keinen Einfluß auf die Staatspolitik erlangen konnten, ganz im Gegensatz zu den Globke, Kiesinger, Maunz usw. in der Alt- BRD, so wenig darf übersehen werden: Gerade weil es den Verantwortlichen in der SBZ/DDR beim Aufbau der antifaschistisch-demokratischen (später »realsozialistischen«) Ordnung darum ging, »die Masse der Mitläufer des Naziregimes zu integrieren und nicht durch die wache Erinnerung an ihre Verbrechen zu verunsichern« (6), konnten an die Stelle des Kampfes das Lippenbekenntnis und das Gedenktheater treten. Symptomatisch hierfür war, daß der Dokumentarfilm »Der gewöhnliche Faschismus« des sowjetischen Regisseurs Michail Romm nach nur wenigen Aufführungen aus den Filmtheatern der DDR verschwand; ganz offenbar störte er das Wunschbild der Herrschenden von »ihren« Mitläufern.
»Bloß Russen und Polacken«
Ein integraler Bestandteil dieses dritten Moments ist die immer noch weit verbreitete Ideologie, daß »wir« ja schließlich die Reparationen an die Sowjetunion geleistet hätten und nun (endlich) »die Wessis« dran wären. Abgesehen davon, daß bei einer solchen Argumentation staatliche Verbindlichkeiten (Reparationen für materielle Kriegszerstörungen) und privatrechtliche Schuldverhältnisse (Entschädigungen für geleistete Zwangsarbeit) in einen Topf geworfen und überdies von der Alt-BRD erbrachte Leistungen völlig in Abrede gestellt werden, ignorieren die so Argumentierenden beharrlich die Tatsache, daß dieses »Wir« sich vor elf Jahren mit großer Mehrheit dafür entschieden hatte, ohne Wenn und Aber der Alt-BRD beizutreten, also auch deren Schulden mit übernommen hat. Ihren Gipfelpunkt erreicht diese Ignoranz in der Argumentation, die »West-Firmen« müßten zahlen, aber doch nicht »unsere im Osten«.
Ein viertes Moment ist die sogenannte Ausländerfeindlichkeit, bei der es sich in Wahrheit stets um Fremdenfeindlichkeit handelt, denn ein Blick auf die Opfer zeigt, daß »deutsch« bzw. »arisch« aussehende Ausländerinnen und Ausländer, z.B. aus Nordeuropa, kaum angegriffen werden, um so häufiger aber »fremd« aussehende Deutsche, von denen viele, entweder selber oder deren Elternteil/e, aus der sogenannten Dritten Welt in die DDR, die Alt-BRD oder die Neu-BRD gekommen und dort ansässig geworden sind. Fremdenfeindlichkeit ist eine Erscheinungsform des gewöhnlichen Faschismus, und in seinem Geiste wird entweder festgestellt, daß die meisten der ehemaligen Zwangsarbeitskräfte aus Osteuropa stammen, also »sowieso bloß Russen und Polacken« sind, oder aber es wird einfach behauptet, daß das »alles Juden« sind (wobei insbesondere auf die »jüdischen« Anwälte der Opferorganisationen verwiesen wird, zumeist ohne sich darüber im klaren zu sein, daß alle diese Zuordnungen auf den rassistischen »Nürnberger Gesetzen« basieren, mithin ein Indiz für deren Fortwirken im Alltag auch der Neu-BRD darstellen).
Erlebter Gegensatz von Reden und Tun
Die Rolle der Fremdenfeindlichkeit - belegt auch durch eine Umfrage, wonach fast 60 Prozent aller die PDS Wählenden der Meinung sind, es gäbe in Deutschland zu viele »Ausländer« - kann nicht erstaunen, schon gar nicht bei der Bevölkerung der NBL, die in der DDR zwar Reden über Völkerfreundschaft zu hören, aber selten »Ausländer« zu sehen bekamen, noch seltener welche, mit denen sie im Alltag außerhalb der Arbeit zusammentreffen konnten. Der erlebte Gegensatz von Reden und Tun hat mit dazu beigetragen, daß einfachste menschliche Regungen unterbleiben und wegen fehlender Zivilcourage unterdrückt werden, denn »eigentlich« muß man keinen Grundkurs in Anthropologie und Geschichte absolvieren, ja nicht einmal eine Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus besuchen, um zu wissen, daß das Totschlagen von Menschen ein Verbrechen ist, dem Einhalt zu gebieten ist.
Diese vier Momente zusammengenommen betrachtet, ist es kein Wunder, daß Zwangsarbeit für das Gros der Bevölkerung auch in den NBL kein Thema ist oder allenfalls eines, über das in uralthergebrachter, dem gewöhnlichen Faschismus verhafteter Weise am Stammtisch schwadroniert wird. Das letztere zu bemerken ist wichtig, widerlegt es doch die ideologische Wunschvorstellung, »unsere« Menschen seien wegen ihrer schwierigen sozialen Lage und den daraus resultierenden Problemen an einer Auseinandersetzung mit diesem Thema »nicht so interessiert«. Teilweise sind sie es durchaus, nur eben in anderer, nicht gerade antifaschistisch zu nennender Weise ...
Gregor Gysi: »Staatlich angeordnet«
Dem wird von seiten der PDS in so ungenügender Weise entgegengearbeitet, daß sich gar nicht wenige in ihrem eben skizzierten Verhalten bestätigt fühlen können. Selbst der damalige Fraktionsvorsitzende der PDS - ein studierter Jurist, der es besser wissen sollte - behauptete in seiner Rede zum Entschädigungsgesetz im Bundestag am 6. April 2000, es habe sich um »staatlich angeordnete Zwangsarbeit« gehandelt, und bedankte sich »ganz ausdrücklich« bei Herrn Lambsdorff und »den Verantwortlichen in der Wirtschaft« für das Zustandekommen des vorgelegten Gesetzentwurfes. Wie mir ein westdeutscher Genosse dazu schrieb, sei er »doch immer wieder aufs neue erschüttert, wie schnell das alles geht, wenn man im Westen, d.h. im Schoß der deutschen Kriegsverbrecher, ankommen will«. Was ist da von den sogenannten einfachen Mitgliedern und dem »Wahlvolk« zu erwarten?
Einzelne, übrigens nicht nur in der PDS, versuchen immer wieder und werden auch weiterhin versuchen, die antifaschistische Aktion gegen die Stammtischparolen des gewöhnlichen Faschismus auch auf diesem Feld zu organisieren (sie sitzen übrigens nicht nur im Parlament, sondern auch in Redaktionsstuben und Betriebsräten, in örtlichen Initiativen und Antifa-Gruppen). Es bleibt zu wünschen, daß aufgrund ihrer Aktivitäten auch zu diesem Thema ein »Münsteraner Parteitag« stattfindet, der dem Gros der Verantwortlichen den Marsch bläst. Antifaschismus als Programm - ja, aber bitte nicht (nur) auf dem Papier, sondern (auch) als Aufruf zu konkreter Aktion.
Anmerkungen:
(1) Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. PapyRossa Verlag, Köln 2000; Annekatrein Mendel: Zwangsarbeit im Kinderzimmer. »Ostarbeiterinnen« in deutschen Familien von 1939 bis 1945. Frankfurt am Main 1994
(2) Zu den historischen Sachverhalten siehe in dem gleichen Sammelband die instruktiven Beiträge von Rolf Surmann (Trugbild. Die deutsche Entschädigungsverweigerung gegenüber den NS-Opfern) und Wolf Klimpe-Auerbach (Deutsche Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit und NS-Zwangsarbeit)
(3) Pavel Poljan: Zertvy dvuch diktatur. Ostarbejtery i voennoplennye v tret'em reiche i ich repatriacii (Opfer zweier Diktaturen. Ostarbeiter und Kriegsgefangene im Dritten Reich und ihre Repatriierung). Moskau 1996; Ulrike Goeken: Kontinuität des Terrors? Die Repatriierung sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter nach dem zweiten Weltkrieg. In: Lothar Maier (Hg.) Ein Staat gegen sein Volk? Diktatur und Terror in der Sowjetunion. Anmerkungen zum »Schwarzbuch des Kommunismus«. Münster 1999
(4) Ob es überhaupt derartige Versuche gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
(5) Eine persönliche Erfahrung mag als Beleg dienen: Wegen des von mir zur Frage der Entschädigung für Zwangsarbeit im November 1999 erstatteten Gutachtens bin ich seither zu knapp zwanzig Diskussionsveranstaltungen eingeladen worden; davon fand die eine Hälfte in Berlin statt, Ost und West etwa gleich verteilt, die andere Hälfte in den alten Bundesländern und keine einzige in den neuen.
(6) Werner Röhr: Faschismusforschung in der DDR. Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, Edition Organon Berlin 2001, Heft 16, S. 55
(*) Den Artikel hat der Berliner Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski der Kommunistischen Plattform der PDS ins Stammbuch geschrieben. jW dankt den Mitteilungen der KPF für das Recht zum Nachdruck.
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Junge Welt Vermischtes 22.5.2001 22:12
22.05.2001
Im Kartell der Verweigerer
Zwangsarbeit: Stadt Frankfurt/Main verschleppt eigene Beschlüsse. Von Thomas Klein
Begleitet von einer Protestveranstaltung vor dem Rathaus findet am heutigen Dienstag eine Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main statt. Der Arbeitskreis »Ausgegrenzte Opfer«, in dem u. a. der Landesverband deutscher Sinti und Roma, die »Initiative 9. November«, die Lagergemeinschaft Auschwitz, die »Initiative gegen das Vergessen« und der Studienkreis deutscher Widerstand aktiv sind, fordert die Stadtverordneten und Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) mit Nachdruck dazu auf, endlich eine lange angekündigte Soforthilfe zu gewähren und ein Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter in die Tat umzusetzen.
Am 8. Juni vergangenen Jahres bereits beschloß die Stadtverordnetenversammlung in einem Appell an den Frankfurter Magistrat, »schnellstmöglich ein Besuchsprogramm für überlebende Fremd-, Ost-, Zwangs- und Sklavenarbeiter, die bei den städtischen Ämtern und bei anderen Arbeitgebern auf dem Gebiet der Stadt Frankfurt beschäftigt waren, durchzuführen«. Das Besuchsprogramm, so die Stadtverordneten vor knapp einem Jahr, solle in Abstimmung mit der Jugendbegegnungsstätte »Anne Frank« und unter Mitwirkung der für den Einsatz von Zwangsarbeitern zuständigen Unternehmen, des Hessischen Arbeitgeberverbandes, der Industrie- und Handelskammer und der Gewerkschaften gestaltet werden.
Vier Monate später, im Oktober 2000, einigten sich die CDU-, SPD-, Grünen- und FDP-Fraktion darüber hinaus, daß sich die Stadt mit einer Soforthilfe von 2 000 Mark für jede Person beteiligt, deren Beschäftigung als Zwangsarbeiter durch Recherchen des Instituts für Stadtgeschichte bestätigt werde.
Um so unverständlicher, so die Gruppen, die zu der Protestaktion aufrufen, sei die anschließende Tatenlosigkeit. »Die Beschlußlage ist an sich völlig eindeutig«, so Ulla Diekmann von der »Initiative gegen das Vergessen« gegenüber jW. Es gebe nicht nur den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung. Auch habe die Arbeitsgruppe »Ausgegrenzte Opfer« den zuständigen Kulturdezernenten Dr. Nordhoff längst darüber informiert, daß es ehemalige polnische und tschechische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gibt, die bereit wären, eine Einladung der Stadt Frankfurt zu einem Besuch und zu Gesprächen über ihre Erfahrungen anzunehmen. Darüber hinaus bestehe auch von seiten der Arbeitsgruppe die Bereitschaft, an einem solchen Programm mitzuwirken.
»Trotzdem ist bis heute nichts geschehen. Auch die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Soforthilfe von DM 2 000 für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter haben diese Menschen bis heute nicht erhalten«, so Diekmann weiter. Klar sei, daß jede weitere Verzögerung angesichts des hohen Alters der betroffenen Menschen bedeute: die getroffenen Beschlüsse enden als Makulatur.
Damit das Kartell der Verweigerer endlich aufgebrochen wird, wollen am 19. Juni die im Frankfurter Römer vertretenen Parteien PDS, Ökolinx/Antirassistische Liste und Europaliste mit einem neuen Antrag auf parlamentarischer Ebene nochmals für Druck sorgen, denn das Wort »Soforthilfe« dürfe nicht länger ad absurdum geführt werden.
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Handelsblatt Wirtschaft 22.5.2001 21:43
Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers optimistisch
Lambsdorff sieht Ziel bei Zwangsarbeiterentschädigung erreicht
Der Sonderbeauftragte des Bundeskanzlers für die Zwangsarbeiterentschädigung, Otto Graf Lambsdorff, sieht nach der jüngsten Abweisung einer Klage vor einem US-Gericht die notwendige Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft.
dpa BERLIN. "Wir sind jetzt am Ziel des ausreichenden Rechtsfriedens", sagte Lambsdorff am Dienstag in Berlin zu der Gerichtsentscheidung. Noch vor der Sommerpause könne die Auszahlung an die Zwangsarbeiter beschlossen werden.
Die amerikanische Bundesrichterin Shirley Wohl Kram hatte am Montagabend (Ortszeit) in New York eine weitere Klage gegen die deutsche Wirtschaft abgewiesen.
"Mit dieser Entscheidung ist die letzte der anhängenden Sammelklagen abgewiesen worden", sagte Lambsdorff. Es gebe jetzt nur noch einen kritischen Fall vor dem Bundesgericht in Kalifornien. "Der wird sich klären lassen." Für die Auszahlung werde er unverzüglich weitere Gespräche mit den Vertretern der Wirtschaft führen.
Auch der Grünen-Rechtsexperte Volker Beck sieht durch die Abweisung Prognosen für die notwendige Rechtssicherheit bestätigt. "Die Zeit ist reif für die Auszahlung", sagte Beck. Der Bundestag solle die Rechtssicherheit in der nächsten oder übernächsten Woche feststellen. "Wer jetzt noch zaudert, will die Entschädigung der Zwangsarbeiter verschleppen."
Die Abweisung des "Guttmann-Falls" sollte nach Worten des New Yorker Rechtsexperten Lawrence Byrne das Signal für den Bundestag sein, noch vor Beginn der Sommerpause die Rechtssicherheit erklären zu können. Von einem "Meilenstein" für die Zwangsarbeiterentschädigung sprach auch der Anwalt der deutschen Banken, Andrew Frank.
Die von der Sammelklage unabhängige Guttmann-Klage war erst im Januar erhoben und von Richterin Kram bisher zurückgestellt worden. Außer diesen Fällen sind noch etliche Klagen gegen deutsche Unternehmen in Philadelphia anhängig, die aber laut Sturman alle noch im Verlauf dieser Woche abgewiesen werden sollen.
HANDELSBLATT, Dienstag, 22. Mai 2001
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Süddeutsche Zeitung Politik 22.5.2001 22:14
Nach neuer Klageabweisung in den USA
Weg für Entschädigung der NS-Opfer frei
Deutsche Wirtschaft sieht Voraussetzungen für Rechtssicherheit erfüllt / Lambsdorff: Wir sind am Ziel
Berlin (AP/dpa/AFP) – Nach der Abweisung der letzten Sammelklage gegen deutsche Banken in den USA sieht die deutsche Wirtschaft die Voraussetzungen für ausreichende Rechtssicherheit erfüllt. Die Unternehmen „tun das in der Erwartung und im Vertrauen darauf, dass die bisher noch nicht zurückgenommenen Berufungsfälle ebenfalls kurzfristig erledigt werden", erklärte die Stiftungsinitiative. Der Bundestag will nächste oder übernächste Woche die zehn Milliarden Mark aus der Entschädigungsstiftung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter freigeben. Dies kündigten die Fachleute aller Fraktionen an.
Die New Yorker Richterin Shirley Kram hatte am Montagabend die Klage Gutman gegen die Deutsche Bank abgewiesen, in der es auch um beschlagnahmte Guthaben bei österreichischen Banken während des Holocausts ging. Dieser Fall, der nicht unter den vergangene Woche bedingungslos abgewiesenen Sammelklagen war, galt für die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft als ein wichtiges Hindernis vor der Rechtssicherheit. Der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, nannte Krams neue Entscheidung „sehr wichtig". Ein Beginn der Auszahlungen an die 1,2 Million ehemaligen Zwangsarbeiter aus der mit zehn Milliarden Mark bestückten Entschädigungsstiftung sei nun noch vor der Sommerpause „sehr gut möglich".
Letzte Klage in Kalifornien
Vor der Erklärung, die Rechtssicherheit sei nun erreicht, hatte die Wirtschaft unter Hinweis auf eine Berufungsklage gegen die Firma Hochtief in Kalifornien noch gezögert. „Unsere Juristen prüfen im Augenblick, ob man auf die Abweisung dieser Klage warten muss", sagte Gibowski. Der Fall sei „einer der wichtigsten Präzedenzfälle überhaupt". Dabei geht es um eine Klage des Holocaust-Überlebenden Josef Tibor Deutsch. Er verlangt Entschädigung für den Tod von Familienmitgliedern, die beim Bau einer Raffinerie in Auschwitz von Hochtief-Mitarbeitern getötet worden seien. In erster Instanz wurde seine Klage abgewiesen.
Deutsch legte Berufung ein.
Alle Bundestagsparteien und Lambsdorff waren sich hingegen einig, dass weiteres Warten nicht nötig sei. Lambsdorff sagte in Tel Aviv, man sei „am Ziel des ausreichenden Rechtsfriedens". Israels Außenminister Schimon Peres würdigte in Tel Aviv Lambsdorffs Engagement: „Sie haben das Menschen-mögliche getan, um dieses Abkommen zu verwirklichen." SPD, Grüne, CDU, FDP und PDS erklärten ebenfalls, der Zeitpunkt der Rechtssicherheit sei gekommen. Die Fachleute im Bundestag wollen sich kommenden Montag verständigen, ob die offizielle Feststellung, die als Beginn der Auszahlungen gilt, nächste oder übernächste Woche stattfinden soll. FDP und PDS sind dafür, schon nächsten Mittwoch abzustimmen, wie ihre Obleute Max Stadler und Ulla Jelpke berichteten. Grüne, SPD und Union wollen die Feststellung ebenfalls so schnell wie möglich, würden aber eine Verschiebung auf Anfang Juni akzeptieren, wie ihre Fachleute Volker Beck, Dieter Wiefelspütz und Wolfgang Bosbach sagten. Der Grünen- Rechtspolitiker Volker Beck sagte, wegen eines Falles „kann man nicht Millionen von Menschen auf ihre Entschädigung warten lassen". Zumal es sich dabei um einen Berufungsfall handele, bei dem in erster Instanz die Entscheidung in deutschem Sinne ergangen sei. SPD und Union legen Wert darauf, dass die Wirtschaft die Feststellung der Rechtssicherheit mitträgt.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte einen unverzüglichen Beginn der Entschädigungszahlungen. Nach der jüngsten Abweisung einer Sammelklage „gibt es nun wirklich keinen Grund mehr, das Verfahren noch weiter in die Länge zu ziehen", sagte Zentralratspräsident Paul Spiegel. Der Bundestag müsse „möglichst in den nächsten Tagen" zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um die Rechtssicherheit für die deutschen Unternehmen festzustellen. Der Münchner Opferanwalt Michael Witti sagte, er gehe davon aus, dass der Weg für die Entschädigungszahlungen nun frei ist. Mit Blick auf das Berufungsverfahren in Kalifornien sagte er, es gebe „Hardliner" in der Wirtschaft, die „jede formelle Klage nehmen, um alles zu verzögern." Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Michael Jansen, sagte in Moskau nach Gesprächen mit den russischen Partnerorganisationen: „Wir bereiten uns darauf vor, ab Juli mit den Auszahlungen zu beginnen."
Außerdem in dieser Ausgabe: Kommentar : Jeder Tag zählt
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TAZ Vermischtes 22.5.2001 22:41
Rechtssicherheit kommt
Zwangsarbeiter-Entschädigung: Beschluss über Rechtssicherheit steht bevor.
Auch Stiftungsiniative sieht Voraussetzungen für Parlamentsbeschluss erfüllt
BERLIN taz Während der Kanzlerbeauftragte Otto Graf Lambsdorff erklärte, der Zeitpunkt für die Rechtssicherheit sei erreicht, dämpfte Gerhard Schröder gestern noch die Erwartungen. Er wolle zunächst das Treffen mit der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft abwarten, ließ der Kanzler ausrichten. Dann erklärte auch die Stiftung, dass sie die Voraussetzungen für eine Rechtssicherheit erfüllt sehe.
Lambsdorff hat nur das ausgesprochen, was Schröder aus Rücksicht auf die Wirtschaft noch nicht laut verkündet: Der Beschluss des Bundestages über die Rechtssicherheit steht unmittelbar bevor. Die Fraktionen hatten sich in der vergangenen Woche darauf verständigt, das Thema bereits in der kommenden Sitzungswoche zu beraten. Zwar läge noch kein offizieller Antrag vor, so der grüne Rechtsexperte Volker Beck zur taz. Am kommenden Montag sei aber ein Gespräch mit Lambsdorff und der Rechtsgruppe der Stiftungsinitiative angesetzt. Möglicherweise werde es dort bereits zu einer Einigung kommen. "Auch der Kanzler weiß genau, was er will", glaubt der grüne Rechtsexperte Beck. Es gehe aber um eine gemeinsame Geste der Versöhnung.
Und so wollen es die Abgeordneten nicht auf einen Konflikt mit dem Kanzler ankommen lassen. Laut Stiftungsgesetz ist es zwar Aufgabe des Bundestages, Rechtssicherheit festzustellen. Aber während dieser auf den Beginn der Auszahlungen drängt, setzt Schröder weiter auf "Kooperation mit der Wirtschaft". "Das", so Beck, "sei eine Frage der Höflichkeit." Doch nach der Kritik aus dem Ausland dürfte auch Schröder wissen, dass es inzwischen vor allem um eine Frage der Zeit geht. NICOLE MASCHLER
taz Nr. 6453 vom 23.5.2001, Seite 2, 57 Zeilen TAZ-Bericht NICOLE MASCHLER , veränderter Artikel in taz-Berlin, -Bremen, -Hamburg
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TAZ Vermischtes 22.5.2001 22:41
kommentar
Endlich: Wirtschaft rückt Entschädigung für Zwangsarbeiter raus
Es bleibt eine Schande
Deutsche Gründlichkeit hat sich durchgesetzt. Lediglich 56 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhalten die Zwangsarbeiter der Nazis ein wenig Lohn nachbezahlt. Jedenfalls die, die heute noch am Leben sind. Und das sind nur sehr, sehr wenige - im Gegensatz zu deutschen Konzernen, die quicklebendig geblieben sind. Mit der Forderung nach Rechtssicherheit hat es die Wirtschaft geschafft, die Auszahlung der Entschädigung noch einmal um zwei Jahre zu verzögern. Nun hat es der deutschen Industrie gestern gefallen, dem Deutschen Bundestag zu erlauben, die Zahlungen endgültig auf den Weg zu bringen. Sollen wir jubeln ob dieser Gnade der späten Überweisung?
Die Geschichte der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist und bleibt eine Schande. Erinnert sei hier daran, dass der Beginn der Diskussion über eine mögliche Zahlung auf die Drohung amerikanischer Gerichte zurückgeht, andernfalls einzelnen Firmen hohe Entschädigungssummen aufzuerlegen. Im Gedächtnis bleibt der lange Streit, wie hoch die Summen ausfallen sollten, die Staat und Wirtschaft zur Verfügung stellen. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass die deutsche Industrie es trotz Bettelbriefen und Anklagen nur mit einer Bürgschaft geschafft hat, ihre fünf Milliarden Mark zusammenzukratzen. Worüber kaum jemand mehr spricht, ist der Fakt, dass die ehemaligen Nazi-Sklaven nun mit lediglich maximal 15.000 Mark abgespeist werden, obwohl manche von ihnen über Jahre unter grausamen Bedingungen schuften mussten.
Doch eine Entschädigung, die diesen Namen wirklich verdient hätte, hätte nur zustande kommen können, wenn man sich über Jahre mit der Industrie gestritten hätte. Dann aber hätten noch weniger Zwangsarbeiter die Auszahlung erleben können. Weil das aber nicht im Sinne der Opferverbände sein konnte, hat man sich auf den Kompromiss eingelassen, der nun endlich realisiert werden kann. Es ist und bleibt ein fauler Kompromiss.
Bedanken kann man sich nicht bei denen, die zum Zahlen getragen werden mussten, sondern ganz woanders: bei den US-Gerichten, die die deutsche Wirtschaft unter Druck setzten.
Bei den Opferverbänden, die die Einigung mit ausgehandelt haben. Entschuldigen muss man sich bei den Opfern. Weil sie sich mit einer Summe zufrieden geben, die in keinem Verhältnis zu ihrem Leiden und ihrer Arbeit steht. KLAUS HILLENBRAND
taz Nr. 6453 vom 23.5.2001, Seite 1, 83 Zeilen Kommentar KLAUS
HILLENBRAND , Leitartikel * nicht in taz-Teilauflage
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TAZ Vermischtes 22.5.2001 22:41
NS-Entschädigungsgelder können fließen
Die deutsche Wirtschaft gibt die Blockade auf. Kommenden Mittwoch kann der Bundestag Rechtssicherheit feststellen
BERLIN ap Nach zwei Jahren erbitterten Streits hat die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft der Auszahlung der Zwangsarbeiterentschädigungen zugestimmt. Die nötige Rechtssicherheit sei jetzt gegeben, erklärten die Gründungsmitglieder am Dienstagabend nach einem weiteren US-Urteil zu Gunsten der deutschen Wirtschaft. Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete gleich im Anschluss, der Bundestag könne nun kurzfristig die Rechtssicherheit auch formal feststellen: "Das ist jetzt nur noch Technik", meinte Schröder.
Damit könnte der Bundestag kommenden Mittwoch das Startsignal für die Auszahlung der 10 Milliarden Mark an rund 1,2 Millionen ehemalige NS-Zwangsarbeiter geben. Die New Yorker Richterin Shirley Kram hatte am Montagabend die Klage Gutman gegen Deutsche Bank abgewiesen, in der es auch um beschlagnahmte Guthaben bei österreichischen Banken während des Holocaust ging. Dieser Fall, der nicht unter den letzte Woche abgewiesenen Sammelklagen war, galt für die deutsche Wirtschaft als ein Hindernis vor der Rechtssicherheit.
Teils mit großer Erleichterung, teils mit verhaltener Skepsis reagierten gestern Abend nun die Opfervertreter und die Bundestagsfraktionen auf die Bekanntmachung der Wirtschaft.
Der Vertreter der Jewish Claims Conference in Deutschland, Karl Brozik, kritisierte den späten Zeitpunkt der Erklärung. Während der mehr als einjährigen Verzögerung seien bis zu 150.000 Menschen gestorben, die einen Anspruch auf Geld gehabt hätten. Der Vorsitzende des Zentralsrats der Juden, Paul Spiegel, sagte: "Ich glaube erst daran, wenn die ersten Gelder gezahlt worden sind."
nachrichten SEITE 2
taz Nr. 6453 vom 23.5.2001, Seite 1, 58 Zeilen Agentur , veränderter
Artikel in taz-Teilauflage
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