Statt Blumen: Riefenstahl droht neuer Prozess
Berliner Zeitung Vermischtes 16.8.2002 22:9
BerlinOnline: Das Naive als rettende Pose
Eine Provokation wird hundert. Es ist keine einfache Sache, Leni Riefenstahl zu ehren / vonRainer Rother
Am nächsten Donnerstag wird sie hundert Jahre alt, die wahrscheinlich noch immer berühmteste deutsche Regisseurin: Leni Riefenstahl. Fraglos ein Ereignis, für die Öffentlichkeit jedoch ein schwieriges Datum: die Berühmte, Bewunderte ist zugleich die Berüchtigte, Geschmähte. In einem Alter, in dem andere Künstler einfach deswegen hoch geehrt sind, weil sie mit ihren Werken Teil der Geschichte geworden sind, wartet Leni Riefenstahl noch immer auf die Hommage, die sie verdient zu haben glaubt. Stattdessen erfährt sie einerseits kritiklose Bewunderung, andererseits kompromisslose Ablehnung.
Dass ihre Filme und Fotos Teil unserer Geschichte geworden seien, davon jedenfalls kann keine Rede sein. Sie sind problematisch, nicht kanonisch.
So wirkt ihr hundertster Geburtstag irgendwie störend. Es käme darauf an, angesichts dieses Jubiläums eine akzeptable Haltung zum Geburtstagskind zu finden. Es scheint nicht zu gelingen:
Unverhohlenes Staunen registriert ihre Vitalität, doch dem Respekt vor der Leistung widersprechen Bedenken und Misstrauen. Tatsächlich, es ist keine einfache Sache, Leni Riefenstahl zu ehren.
Daran ändert auch die Verleihung der "Spio-Ehrenmedaille" nichts, mit der die Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft außerordentliche Verdienste um den deutschen Film würdigt. Dass Riefenstahl "jenseits aller politischen Problematik" Filmgeschichte geschrieben habe, ist ja kaum mehr als eine Kompromissformel. Gerade wegen solcher "Problematik" ist sie wahrhaftig noch immer auf sehr intensive Weise mit uns, stellt weiterhin eine Provokation dar.
Die Zeit, in der darauf ausschließlich mit bedingten Reflexen reagiert wurde, ist jedoch vorbei. Ein Zeichen dafür ist, dass in den letzten paar Jahren in Deutschland mehr fundierte Veröffentlichungen über Riefenstahl und ihr Werk erschienen sind als in allen Jahrzehnten zuvor zusammen. Sie ist sogar in gewisser Hinsicht populär, Kunstfigur geworden in Tanztheater, Hörspiel, Prosa.
Ausstellungen wurden ihr gewidmet, seitenlange Interviews, Fernsehbeiträge. Präsenter als heute war Riefenstahl kaum je nach 1945.
Zudem meldet sie sich - wieder einmal, möchte man sagen - mit einem neuen Werk zurück. Seit sie 75 wurde, entwickelte es sich fast zur gewohnten Übung, die Würdigung eines runden Geburtstags mit der ihres jeweils jüngsten Werks zu verknüpfen. Dem zweiten Nuba-Buch, dem Afrika-Buch, ihren Memoiren folgt nun also der lang angekündigte, doch kaum noch erwartete Unterwasserfilm.
Der neueste Film der Regisseurin: ihr erster seit 48 Jahren. Ein in jeder einzelnen Aufnahme schöner Film, vollkommen frei von Bedeutung. So gewiss die Ausstrahlung ihren Bewunderern ungebrochene Aktivität und künstlerische Produktivität bestätigt, so absehbar wird sie den Argwohn gegen das Lebenswerk nicht zu dämpfen vermögen. Das Stichwort nationalsozialistische Ästhetik aber wird vermutlich nicht mehr fallen. Den Nuba-Büchern haftete es noch an, Susan Sontags Essay machte an ihnen wie an "Triumph des Willens" einen faszinierenden Faschismus aus.
Etwas hat sich geändert, und da Leni Riefenstahl in bestimmter Hinsicht unwandelbar ist, handelt es sich um eine Änderung unserer Wahrnehmung.
Am Anfang stand eine einzigartige Mischung von Unschuld und Ambition. Riefenstahls Abkapselung in der eigenen Welt und der Ehrgeiz, dort draußen großartig zu reüssieren, gehörten zusammen. Schon die atemlose Tanztournee nach dem ersten Auftritt im Oktober 1923 hatte diese Elemente: Sie trat als ihre eigene Schöpfung auf, mit eigener Choreografie in selbst entworfenen Kostümen, auf Reisen begleitet von der Mutter. Sie wollte überallhin, wie im Fluge brachte sie es in gut einem halben Jahr auf 70 Auftritte. Als Leni Riefenstahl ihre Filmkarriere begann, mit der Hauptrolle in Arnold Fancks "Der heilige Berg", da veränderte sie das ganze Genre. In ihr besaß der Bergfilm eine neue Attraktion; der Auftritt der schönen und selbstbewussten jungen Frau entfachte die Neugier. Die Branchenzeitschrift "Filmkurier" bat die Schauspielerin im Juli 1926 zum Interview. Voller Enthusiasmus berichtete sie über ihre Arbeit und erzählte, welche Filme sie gesehen hatte. Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" habe unbeschreiblichen Eindruck auf sie gemacht. Der Bericht schließt mit den Worten: "Beim Abschied fragt sie, in welchem Kino der ,Potemkin‘ jetzt läuft und ist erstaunt zu hören, dass dieser Film verboten ist. Es wäre schade, wenn sie dieses Abseitsstehen verlieren würde."
Später hat sie es verloren, noch später das Naive als rettende Pose entdeckt. Das war, als ihre Filmkarriere fast am Ende war. Zuvor aber profitierte sie zwölf Jahre lang von fast unerschöpflichen Möglichkeiten, wurde das Genie des NS-Films, bescherte ihm mit "Triumph des Willens" und "Olympia" auch international registrierte Werke. Dank ihrer Begabung gab es einen nationalsozialistischen Film, der formal vollendet und ideologisch vorbildlich war. Goebbels hatte schon 1933, in seiner ersten Rede vor den Vertretern der Filmindustrie, eine deutsche Entsprechung zu Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" gefordert. Im Spielfilm wollte es damit nicht recht klappen, im Dokumentarfilm aber fand Riefenstahl eine avancierte und zugleich wirksame Form, die nationalsozialistische Diskussion definierte ihre Parteitagsfilme als neue Art des "absoluten Films". Heroische Reportage war die Formel dafür, staatliche Unterstützung seine Voraussetzung, die größte Begabung des NS-Films seine Quelle.
Die Auslandspremieren von "Olympia", für das "neue Deutschland" eine willkommene Plattform der Selbstdarstellung, erwiesen sich 1938/39 als gesellschaftliche Höhepunkte in Riefenstahls Karriere.
Die Vollendung der Form, der weitgehende Verzicht auf explizite Indoktrination hoben ihr Werk von üblicher Propaganda ab. Da die Regisseurin ihre Verehrung für den "Führer" nicht verheimlichte, die Verhältnisse in Deutschland verteidigte und zudem von gewinnendem Wesen war, gab sie eine denkbar gute Botschafterin für den Nationalsozialismus ab. Das zahlte sich aus; Hitlers Gunst blieb ihr erhalten, er garantierte die Finanzierung eines mit allem Notwendigen ausgestatteten eigenen Filmstudios, dessen Baubeginn nur der Kriegsbeginn verhinderte. Später verschaffte ihr Bormanns direkte Intervention mitten im Krieg Devisen für "Tiefland", Kriegswichtigkeit zählte hier einmal nicht. Riefenstahl stand nicht mehr abseits, die in Unbedarftheit wurzelnde Unschuld hatte sie lange schon verloren.
Riefenstahls Bedeutung besteht nicht zuletzt darin, die innovativste Filmerin des Nationalsozialismus gewesen zu sein. In ihrer Version schnurrt das auf ein paar Monate Arbeit für Hitler zusammen, und sie hat es mit ihrer Gabe zum Wehklagen als Ungerechtigkeit genommen, dass immer wieder die Parteitagsfilme und "Olympia" das Urteil bestimmen. Zwölf Jahre scheinen in einem so langen Leben nur eine Episode, und die Phase, in der Riefenstahl die besten Propagandafilme des Nationalsozialismus realisierte, ist noch deutlich kürzer. Fünf Jahre, vier Filme prägen weitgehend die Einschätzung eines Lebenswerks. Das ist die Konsequenz historischer Erinnerung, die den Nationalsozialismus nicht als kurze Zeitspanne in einem langen Leben begreift, sondern als Zeit einzigartiger Verbrechen. Die nüchterne Einschätzung dessen, was diese vier Filme auszeichnete, schärft nicht nur den Vorbehalt gegen Riefenstahl, sondern auch die Kontur der Künstlerin.
Es hat in Deutschland lange gedauert, bis ein einfacher Sachverhalt akzeptiert wurde: Leni Riefenstahl ist eine große Regisseurin. Eine Wertung, die sich auf die ästhetischen Qualitäten ihrer Filme einlässt, wird das nicht bestreiten können. "Das blaue Licht", ihr charmanter, wenn auch romantisierter Erstling, stand seinerzeit wie ein Solitär in der Filmlandschaft, verblüffend durch neue Aufnahmeverfahren, konsequente Stilisierungen. Ihre Parteitagsfilme betraten für die Reportage Neuland. Sie nutzten alle Möglichkeiten der Bildkomposition und Kameraperspektive, inspiriert dabei vom Bergfilm ebenso wie von der Avantgarde-Fotografie. Sie überführten das Ereignis, in seinem Kern eine Abfolge nationalsozialistischer Massenrituale, in ein Zuschauererlebnis. Intensität gewann es aus der "unsichtbaren" Montage, die nach Art der Spielfilme Hollywoods funktionierte.
"Olympia", Riefenstahls größter Erfolg, knüpfte in allem an die Parteitagsfilme an, bestach aber dank der Wettkämpfe durch eine Spannung, die jenen ganz fehlte. Es war die leichtere, die "KdF"-Version eines Parteitagsfilms und behauptet sich heute als einer der besten Dokumentarfilme. Selbst "Tiefland", vor lauter Stilisierung fast leblos, bleibt ein fotografisches Meisterwerk.
Das Offenkundige anzuerkennen fiel schwer, ja war lange unmöglich, und die oft generösere Reaktion im Ausland sorgte für zusätzliche Irritation. Denn die Kunstfertigkeit dieser Filme war nicht alles, nicht einmal das Wesentliche. Riefenstahls Verteidigung war ja immer, es sei ihr einzig um Kunst und Schönheit gegangen. Kein Wort von ihr zu den großzügigen Bedingungen, unter denen ihre Dokumentationen entstanden, von der Hilfe der Partei, des Staates, der Wehrmacht.
Jedes Zugeständnis an die ästhetische Qualität des Werkes schien daher zugleich die Selbstlegitimation der Regisseurin zu bestätigen. So firmierten die Filme allenfalls als gut gemacht, fielen aber sonst der Verachtung anheim. Das Paradox dieses Werkes, brillant nicht trotz, sondern wegen seiner Entstehungsbedingungen, ist auch heute schwer auszuhalten. Es war bedeutend einfacher, es ganz unter Propaganda abzubuchen, als sich seinem Rang zu stellen. Die filmische Überhöhung nationalsozialistischer Rituale, der ungebrochene Führerkult dieser Filme seit "Sieg des Glaubens" realisierten sich in der Erfahrung, überwältigt zu werden. Das machte Riefenstahls Werke damals so wirksam und legte später eine umso entschiedenere Abwehrhaltung nahe.
Ein Großteil der Beschäftigung mit Leni Riefenstahl widmete sich schon von daher dem Nachweis, dass es sich hier um Propaganda handelte. Was Riefenstahl wie filmte, wo sie etwas ausließ oder verstärkte: lauter Beweise, dass die Filme nichts weniger als zeithistorische Dokumente oder gar zweckfreie Kunst waren. Eine notwendige Prozedur, mindestens ebenso wichtig war der detaillierte Nachweis über die Finanzierung der Filme durch die NSDAP oder das Propagandaministerium. So war die Filmgeschichtsschreibung immer im Streit mit Riefenstahl, die schon aus finanziellen Interessen auf ihrer Version beharrte.
Damit folgte sie einem Weg, den sie schon im ersten Verhör durch die 7. US-Armee, von der sie im Frühjahr 1945 in Österreich festgenommen worden war, eingeschlagen hatte. Sie konstruierte ein neues Image. Künstlerin, nichts weiter, wollte sie sein. Ihre Verteidigung gegenüber allen Vorhaltungen blieb unerschütterlich. Der Verhöroffizier notierte in seinem Bericht: "Es ist möglich, dass sie tatsächlich nicht wusste, was vorging. Wenn ihre Aussagen aufrichtig sind, dann hat sie nie erfasst - und erfasst es bis heute nicht -, dass sie, ihr Leben der Kunst widmend, einem grausigen Regime zum Ausdruck verhalf und zu seiner Glorifizierung beitrug."
Weder Riefenstahl noch die deutsche Öffentlichkeit hätten dem verständnisvollen Offizier zustimmen mögen. Die Regisseurin wies Mitschuld von sich, verweigerte jede Selbstreflexion. "Nichts gewusst zu haben" aber war andererseits die Formel so vieler Deutscher, dass man sie der berühmten Riefenstahl kaum zubilligen konnte, ohne den kollektiven Selbstbetrug offensichtlich zu machen. So sah sie sich unvermutet harschen Angriffen gegenüber - und verteidigte sich durch Behauptungen, die jeden noch so leichten Selbstzweifel vermissen ließen. Riefenstahl bezog eine Maximalposition, ihre Weigerung, sich zu erinnern, wurde zunehmend als Problem empfunden. Zäh aber beharrte sie auf ihrem Selbstbild, da gab es keine Zweifel, keine Fragwürdigkeiten. Manchmal nahm die ungetrübte Selbstgerechtigkeit erschreckende Züge an. In ihren Memoiren weist sie vehement alle Vorwürfe zurück, für den Film "Tiefland" selbst Komparsen aus dem Internierungslager Maxglan ausgesucht zu haben. Das Lager, eingerichtet für "Zigeuner", will sie nie betreten haben. Aber die Wachmannschaften für die an ihre Filmproduktion überstellten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die wird sie doch gesehen haben? Dazu gibt es kein Wort von ihr, dafür aber diesen Satz: "Die Zigeuner, Erwachsene wie Kinder, waren unsere Lieblinge. Wir haben sie nach dem Krieg fast alle wiedergesehen." Das ist im besten Fall eine unverantwortliche Übertreibung. Riefenstahl rang sich nie ein Wort ab über das Schicksal der meisten ihrer Komparsen, von denen viele in Auschwitz ermordet wurden. Zu viele hat sie nicht wiedergesehen.
Der Ärger über groteske Verzeichnungen, die Wut über geschönte Darstellungen begleiten jede Beschäftigung mit ihr. Sie fördern nicht in jedem Fall die Einsicht. So oft sind Riefenstahls Legenden korrigiert, sind ihre Auslassungen faktenreich aufgefüllt worden, dass jeder, der will, ein recht vollständiges Bild ihrer Karriere gewinnen kann. Die neue Popularität der Künstlerin beruht aber auch darauf, dass man es lieber nicht so genau wissen will. Ginge es in den vielen Interviews mit ihr darum, Auskunft über lange verschwiegene Dinge zu bekommen, die zu stellenden Fragen wäre bekannt. Es liegt nicht nur an der vorhersagbar unwilligen Reaktion Riefenstahls, wenn sie unterbleiben.
Wir wissen ja, dass sie Streicher nicht bloß einmal gesehen hat und ihn dann gleich wegen seines fanatischen Antisemitismus angegangen ist. Wir wissen auch, dass sie mit Goebbels gerade zu Beginn der Nazidiktatur einige offenbar fruchtbare Gespräche hatte, in denen es auch um einen "Hitler-Film" ging. Ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der neuen Machthaber ist belegt, der außergewöhnliche Plan, ihr ein von der Partei finanziertes Filmstudio zu errichten, bekannt. In den Interviews aber werden die alten Fragen gestellt, die ihr Verhältnis zu Hitler, die Verantwortung der Kunst, die für sie schwierige Nachkriegszeit betreffen. Ihre Antworten sind notorisch, hier ist Überraschung von ihrer Seite zuletzt zu erwarten. Aber selbst dann, wenn sie unvermutet ihrer eigenen Legende widerspricht, scheint das eigentlich nicht mehr sonderlich interessant. So stellte sie in dem langen "Welt"-Interview mit Hilmar Hofmann fest, Goebbels selbst habe sie als Regisseurin des "Olympia"-Films auserkoren. Da hat sie fünfzig Jahre lang das Gegenteil behauptet, Carl Diem und das IOC als Auftraggeber genannt, unermüdlich betont, der Propagandaminister habe damit nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun gehabt - und nun das. Die unvermutete Revision im Gestus des Understatement ging unbemerkt vorbei.
Warum auch nicht, neu war die Information schließlich nicht, nur aus Riefenstahls Munde hatte man sie noch nicht gehört. Die vielen Gespräche treibt letztlich eine Hoffnung um, die nichts mit Revisionen oder neuen Informationen zu tun hat. Es ist schon so, wie Ray Müller sagte. Am Ende seines Films "Die Macht der Bilder" fragt er seine Hauptfigur, ob sie nicht ein Wort des Bedauerns fände, die Öffentlichkeit warte darauf. Riefenstahl wusste nicht, was sie bedauern sollte. In unüberbietbarer Egozentrik antwortete sie, "Was soll ich bedauern? Dass ich gelebt habe?"
Im Grunde wird seit Hansjürgen Rosenbauers turbulenter Talkshow "Je später der Abend ." im Oktober 1976 immer nur ein Satz von Riefenstahl erwartet. Ein Satz, der aus ihrer erstarrten Verteidigungshaltung ausbräche, sich der Erinnerung stellte, ohne sofort in Rechtfertigung sich zu retten. Sie ist wohl frei von juristisch belangbarer Schuld, auch wenn ihr jetzt eine neue Klage wegen der Verpflichtung von Sinti und Roma als Komparsen ins Haus steht. Das tiefe Unbehagen ihr gegenüber hat einen anderen Grund: Auch Verantwortung fühlt sie nicht, keinerlei Notwendigkeit zur Selbstprüfung, fast nach dem Motto Scarlet O’Haras - darüber kann ich morgen noch nachdenken. Manchmal ist morgen definitiv zu spät.
Gelegentlich hat sie auf ihre Weise etwas eingestanden. 1976 sprach sie von dem Entsetzen, als sie nach dem Krieg von den Vernichtungslagern gehört habe. Eine Welt sei zusammengebrochen, "dass wir, und ich glaube andere Menschen auch, niemals mehr gesund davon werden können".
Viel später, als sie im Mai 2000 zur Eröffnung einer Ausstellung mit "ihren" Olympia-Fotos nach Berlin kam - tatsächlich handelte es sich weitgehend um Standvergrößerungen aus dem Film, also um Aufnahmen von Kameramännern wie Walter Frentz, Hans Ertl oder Willi Zielke - sagte sie: "Ich habe im Dritten Reich gelebt mit all den grauenhaften Verbrechen. Wir haben ein fürchterliches Erbe hinterlassen. Ich habe etwas abzutragen. Da bleibt Schuld, so kann man das nennen." Weiter ist sie nie gegangen, das erwartete kathartische Element blieb immer aus. Man kann es auch zynisch sagen: wenn Riefenstahl das taktische Geschick eines Albert Speer besessen hätte, sie wäre nicht mehr umstritten. Man muss es aber auch anders sagen: weil Riefenstahls Versagen, sich den eindeutig feststehenden Tatsachen zu stellen, so ungebrochen, ja ihr vermutlich zur zweiten Natur geworden ist, bleibt ihr Verhalten skandalös.
Leni Riefenstahls Bedeutung kann nur gegen ihre Legende erkannt werden. Ihr Werk besitzt ohne Zweifel immense Wirkung - die Filme wie die Fotografien gehören zur Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, selbst wenn wir sie nicht zu unserem Erbe rechnen wollen. Rechtfertigung wie Kritik haben zu lange schon Person und Werk identifiziert. Etwas Lächerliches ist um die Bewunderer, die wie Alice Schwarzer noch die bloß sieben Monate Arbeit für Hitler nachbeten, wenn sie die Künstlerin loben. Es hat aber auch etwas Kleinliches, wenn der detaillierte Nachweis ihrer vielfältigen Privilegien und ihrer einzigartigen Funktion während des Nationalsozialismus zur Ignoranz gegenüber der Ästhetik verführt. Nach 1945 hat Leni Riefenstahl immer ihr "ganzes Leben" verteidigt, alles widerspruchsfrei, alles als letztlich privat dargestellt. Umgekehrt war und ist die Kritik an ihr gleichfalls an einer Übereinstimmung von Leben, Werk, Person interessiert, nur trägt sie negative Züge.
Man muss Riefenstahl nicht schätzen, um ihre Größe als Künstlerin anzuerkennen, sie nicht verdammen, um ihre zweideutige Haltung zu begreifen. Ein wenig Distanz ist hilfreich. Ihr Werk ist nicht durchgängig faschistisch und wohl auch nicht durchgängig großartig, in seinen besten wie seinen schlechtesten Seiten allerdings wirkt es fort wie wenig andere. Nicht weil es reine Kunst oder bloße historische Dokumentation ist, ist es in besonderem Maße zitierfähig. Dokumentationen, die ausgiebig Einstellungen aus "Triumph des Willens" nutzen, handeln sich damit das Problem Hitler-Stilisierung ein, aber Filmzitate wie in "Star Wars" nutzen gerade den stilistischen Überschuss.
Riefenstahl hat Formeln der Überhöhung definiert, deren Wirksamkeit noch heute lockt, in ihren Filmen wie den Fotografien. Ihre Aufnahmen von den Nuba sind nicht einfach besser als die von George Rodger oder Oswald Iten, dass sie berühmter geworden sind, hängt einerseits am Ruf der Nazi-Regisseurin, das zog besondere Aufmerksamkeit auf sich. Dann aber ist Riefenstahls Auswahl und Zusammenstellung der Fotos tatsächlich einheitlich, wie in den Parteitagsfilmen ist nicht das Abgebildete vorrangig, sondern die Produktion eines "Erlebnisses". "Menschen wie von einem anderen Stern", so lautet der Untertitel ihres ersten Fotobuches. Nur auf den ersten Blick überraschend ist daher die Bewunderung, die sie bei vielen Künstlern genießt. Andy Warhol, Francis Ford Coppola, George Lukas und Mick Jagger zählten zu ihren Bewunderern, denn Riefenstahl ist zweifellos Expertin in Effekten. Deswegen ist ihre Ästhetik oft als reine Oberfläche beschrieben worden. Das macht sie so anziehend für die Werbung, für Popkünstler. Ihre Werke sind Meisterstücke der Verführung.
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Berliner Zeitung Kultur 16.8.2002 22:8
BerlinOnline: Leni Riefenstahl muss Rückzieher machen
dpa
Eine Überlebende des Holocaust hat von der Filmemacherin Leni Riefenstahl eine Unterlassungserklärung erwirkt. Demnach darf die Regisseurin nicht mehr behaupten, sie habe "alle Zigeuner, die in ,Tiefland‘ mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert." (dpa)
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Freie Presse Politik 17.8.2002 1:0
Riefenstahl legt Unterlassungserklärung zu Roma vor Roma-Interessensverein fordert finanzielle Entschädigung
Die umstrittene Regisseurin Leni Riefenstahl ist von ihren heftig kritisierten Äußerungen über das Schicksal von Roma-Statisten in ihrem zur Nazi-Zeit gedrehten Film "Tiefland" abgerückt. Wie Vertreter des Roma-Interessensvereins "Rom e.V." mitteilten, legte die fast 100-jährige Filmemacherin eine Unterlassungserklärung vor. Darin verpflichte sie sich, nicht mehr zu behaupten: "Wir haben alle Zigeuner, die in 'Tiefland' mitgewirkt haben, nach Kriegsende wieder gesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert." Riefenstahl folgte damit der Aufforderung einer heute 80-jährigen Ex-Komparsin.
Riefenstahls umstrittene Äußerung war am 27. April im Magazin der "Frankfurter Rundschau" veröffentlicht worden.
Der Kölner Roma-Verein stellte daraufhin wegen Holocaust-Leugnung Strafantrag gegen Riefenstahl bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main: Es sei nachweisbar und seit langem bekannt, dass fast alle Insassen der NS-Lager Max Glahn und Berlin-Marzahn, aus denen die bei den Dreharbeiten eingesetzten Statisten rekrutiert wurden, von den Nazis in Konzentrationslager deportiert beziehungsweise ermordet wurden oder aufgrund der Haftbedingungen starben.
Die überlebende Zwangsarbeiterin Zäzila Reinhardt hatte die Regisseurin mit Unterstützung des Vereins auf zivilrechtlichem Weg zum Widerruf ihrer Behauptung aufgerufen. Dem sei Riefenstahl am Donnerstag kurz vor Fristablauf nachgekommen, sagte das Vorstandsmitglied des Vereins, Kurt Holl.
Holl zufolge will "Rom e.V." nun darauf drängen, dass künftig im Vor- oder Nachspann des "Tiefland"-Streifens die Namen und das Schicksal aller mitwirkenden Sinti und Roma aufgeführt werden. Darüber hinaus habe Riefenstahl die moralische Verpflichtung, die heute in ärmlichen Verhältnissen lebenden Ex-Statisten finanziell zu entschädigen. Allerdings sei diese Forderung "juristisch nicht durchzusetzen", räumte Holl ein.
Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird, dokumentierte während der Nazi-Zeit unter anderem den Reichsparteitag der NSDAP 1934 in "Triumph des Willens" und die Olympischen Spiele 1936. Nach dem Krieg widmete sich die 1902 in Berlin geborene ehemalige Tänzerin hauptsächlich der Fotografie.
© Copyright von AFP.
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Neuß-Grevenbroicher Zeitung Kultur 17.8.2002 0:20
NGZ-ONLINE - Leni Riefenstahl gesteht Irrtum
Köln (rpo). Leni Riefenstahl hat eine Unterlassungserklärung gegenüber einer Überlebenden des Holocaust unterschrieben. Sie versichert, nicht mehr zu behaupten, sie habe alle in dem Film "Tiefland" mitwirkenden "Zigeuner" nach dem Krieg wiedergesehen. Eine solche Aussage Riefenstahls war vom Magazin der "Frankfurter Rundschau" zitiert worden.
"Tiefland-Komparsen" klagen an
Leni Riefenstahl gesteht Irrtum
Köln (rpo). Leni Riefenstahl hat eine Unterlassungserklärung gegenüber einer Überlebenden des Holocaust unterschrieben. Sie versichert, nicht mehr zu behaupten, sie habe alle in dem Film "Tiefland" mitwirkenden "Zigeuner" nach dem Krieg wiedergesehen. Eine solche Aussage Riefenstahls war vom Magazin der "Frankfurter Rundschau" zitiert worden.
Für Riefenstahls Film "Tiefland" waren nach Angaben des Vereins Rom e.V. zwischen 1940 und 1942 etwa 120 Sinti und zwei Roma aus NS-Lagern in Salzburg und Berlin zwangsverpflichtet worden. Viele von ihnen seien später in Konzentrationslagern umgekommen, erklärte Rom e.V. weiter.
Der Streit um den Riefenstahl-Film dürfte aber weitergehen.
Denn Rom e.V. hatte nach eigenen Angaben parallel bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt Strafantrag gegen Riefenstahl wegen Holocaustleugnung gestellt. Diese strafrechtliche Seite sei nun von der Staatsanwaltschaft zu beantworten, sagte der Anwalt von Rom e.V., Helge Sasse. "Ich wage die Prognose, dass nicht viel passieren wird", fügte der Anwalt allerdings hinzu.
Die Riefenstahl Produktion GmbH hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, die Filmemacherin bedaure die Verfolgung und das Leid der Sinti und Roma während des NS-Regimes. Sie habe sich jedoch immer gegen Behauptungen gewandt, sie hätte während der Dreharbeiten Kenntnis von den in Konzentrationslagern stattfindenden Gräueltaten gehabt. Die Behandlung der bei "Tiefland" mitwirkenden Sinti und Roma sei sehr zuvorkommend gewesen.
Nach wie vor fordern die Vereinsvertreter von Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird, eine Entschädigung für die noch lebenden Kleindarsteller. Sie habe zumindest eine "moralische Verpflichtung", hieß es in Köln.
© rp-online, ap, dpa, sid
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Hannoversche Allgemeine Kultur 16.8.2002 23:10
KULTUR - NACHRICHTEN
Strafantrag gegen Leni Riefenstahl
Die Filmregisseurin Leni Riefenstahl darf nicht länger behaupten, dass sie alle „Zigeuner", die ab 1940 an ihrem Spielfilm „Tiefland" mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen hat und dass keinem einzigen etwas passiert sei.
Eine entsprechende Unterlassungserklärung unterschrieb die fast Hundertjährige am Donnerstag, wie der Verein Rom e.V. am Freitag in Köln mitteilte.
Die Erklärung war von der 76-jährigen Zäzilia Reinhardt erwirkt worden, die selbst als Jugendliche zur Mitwirkung an dem Film gezwungen worden war. Reinhardt verlor acht Familienangehörige in den Vernichtungslagern des NS-Staates. Zuvor war die Familie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti in Konzentrationslager eingeliefert worden.
Ihre früheren Aussagen bezeichnete Riefenstahl in einer Presseerklärung jetzt als „Missverständnis". Sie sei „bestürzt und entsetzt", dass Mitwirkende des Films im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurden. Nach Recherchen des Vereins Rom e.V. wurden zwischen 1940 und 1944 rund 120 Sinti und Roma aus den Lagern Max Glahn bei Salzburg und Marzahn (Berlin) zur Mitwirkung an dem Filmprojekt gezwungen. Nach Angaben des Vereins wurden nachweislich zahlreiche Beteiligte später in den Vernichtungslagern getötet. Der Verein hat bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft außerdem Strafantrag gegen Riefenstahl wegen Leugnung des Holocaust gestellt.
Ddp
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Frankfurter Neue Presse Kultur 16.8.2002 22:59
Ex-«Zigeuner-Komparsin» erwirkt Widerruf von Leni Riefenstahl
Köln (dpa) Eine ehemalige «Zigeuner-Komparsin» und Überlebende des Holocaust hat von der Filmemacherin Leni Riefenstahl (99) eine Unterlassungserklärung erwirkt.
Demnach darf die wegen ihrer NS- Propagandafilme umstrittene Regisseurin nicht mehr behaupten, sie habe «alle Zigeuner, die in (ihrem Film) "Tiefland" mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen und keinem einzigen sei etwas passiert.
Der Streifen entstand Anfang der 40er Jahre. Vertreter des gemeinnützigen Vereins Rom forderten am Freitag vor Journalisten in Köln zudem eine Geste der Wiedergutmachung von Riefenstahl. An der Veranstaltung, die nach Drohanrufen von der Polizei gesichert wurde, nahmen die Autoren Ralph Giordano und Günther Wallraff sowie die ehemalige «Zigeuner-Komparsin» Riefenstahls, Zäzilia Reinhardt (76), teil.
Riefenstahl wird am kommenden Donnerstag (22. August) 100 Jahre alt. Sie lebt am Starnberger See. Der Verein Rom veröffentlichte eine Liste mit den Namen von 48 von Riefenstahl angeforderten «Zigeunern». Ein Abgleich habe ergeben, dass mehr als 20 der 48 Sinti und Roma in Konzentrationslagern endeten. «Für eine ganze Reihe ist vermerkt, dass sie dort umgekommen sind», sagte Vorstandsmitglied Kurt Holl.
Mit Unterstützung des Vereins, der sich für die Verständigung von Sinti und Roma und Nicht-Rom einsetzt, hatte die überlebende Zwangsarbeiterin die Regisseurin aufgefordert, ihre kürzlich veröffentlichte Behauptung zu widerrufen. Reinhardt war nach eigenen Angaben mit 15 Jahren in das NS-Lager Max Glahn bei Salzburg gekommen.
Die Riefenstahl GmbH habe sich damals an die Kriminalpolizei Salzburg gewandt und Häftlinge für «Tiefland» angefordert, sagte sie. Nach den Dreharbeiten mussten die Darsteller laut Reinhardt wieder ins Lager zurück. Die 76-Jährige nannte die Behauptung Riefenstahls, niemand sei etwas passiert, «eine infame Lüge».
Rom e. V. stellte nach eigenen Angaben außerdem Strafantrag gegen Riefenstahl wegen «Holocaust-Leugnung» bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Sie habe sich direkt des NS-Lagersystems bedient. «Um dies zu vertuschen, scheute sich Frau Riefenstahl nicht, die Zwangsarbeit und die spätere Ermordung ihrer "Zigeuner-Statisten" bis heute zu verharmlosen, ja zu leugnen», sagte Holl. Dies habe bei den Überlebenden zu einer «unglaublichen Traumatisierung» geführt. «All diese Wunden sind wieder aufgebrochen.» Mit Nachdruck forderten die Teilnehmer, Riefenstahl solle die Überlebenden entschädigen. Zudem sollten im Vorspann von «Tiefland» künftig die Namen aller Sinti und Roma aufgeführt werden, die Riefenstahl als Kleindarsteller zwangsverpflichtet habe.
Riefenstahl hatte nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe vergangene Woche in einer Stellungnahme die Verfolgung und das Leid bedauert, «das Sinti und Roma während des Nationalsozialismus haben erleiden müssen». Ihr sei «heute bewusst, dass viele von ihnen in Konzentrationslagern umgekommen sind».
Der Zeitzeuge Giordano («Die Bertinis») warf Riefenstahl dagegen am Freitag vor, sie halte an einer «Lebenslüge» fest. «Ich verlange, dass sie ehrlich ist und sich vielleicht auch aufrafft zu einer Geste und so bezeugt, dass sie etwas gelernt hat und dass sie ihre Lebenslüge durchbricht», sagte Giordano der dpa in Köln. «Ich denke, der 100. Geburtstag (von Riefenstahl) wäre ein guter Anlass für eine Geste», sagte Giordano. Wallraff («Ganz unten») nannte Riefenstahl eine «furchtbare Propagandistin und Begünstigte erster Klasse» von Adolf Hitler. Dennoch gelte sie inzwischen fast als eine Kultfigur.
© 2002 Rhein-Main.Net
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Frankfurter Rundschau Kultur 16.8.2002 22:57
Spätes Entsetzen
Strafantrag wegen Holocaust-Leugnung: Leni Riefenstahl nimmt jetzt Aussage über "Tiefland"-Statisten zurück
"Bei der erwähnten Äußerung von Frau Riefenstahl in der Frankfurter Rundschau", heißt es in einer Erklärung der Riefenstahl-Filmproduktion, "handelt es sich um ein Missverständnis". Der Kölner Interessensverband der Sinti- und Roma, Rom e.V., präsentierte gestern in Köln eine von der Filmemacherin abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung. Darin verpflichtet sich Riefenstahl gegenüber der vom Verein vertretenen ehemaligen Tiefland-Statistin Zäzilia Reinhardt, künftig die Behauptung zu unterlassen, sie habe "alle Zigeuner, die in dem Film Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen und keinem einzigen sei etwas passiert".
Der Verein hatte gegen Riefenstahl auf Grund einer in einem Interview mit dem Magazin der FR vom 27. April getroffenen Aussage Strafantrag wegen Holocaust-Leugnung gestellt. Dabei stützt man sich auf einen Abgleich von Statistenaufstellungen der Riefenstahl-Filmproduktion mit den Opferlisten von Auschwitz-Birkenau. Im Begleitschreiben ihrer Unterlassungserklärung lässt Riefenstahl des weiteren erklären, abgesehen von der "unglücklichen Formulierung" habe sie erst durch das Anwaltsschreiben "mit Bestürzung und Entsetzen zum ersten Mal davon Kenntnis erhalten, dass Angehörige der Familie Winter im Konzentrationslager Auschwitz von den Nationalsozialsten ermordet wurden". Die ehemalige Statistin Rosa Winter, die das Konzentrationslager als einzige überlebte, hatte Riefenstahl in der Vergangenheit in der Presse beschuldigt, persönlich ihre Deportation veranlasst zu haben. Leni Riefenstahl bestreitet, während der Dreharbeiten Kenntnis von davon gehabt zu haben, dass Sinti und Roma aus ihrem Film in Konzentrationslager deportiert werden sollten. DaK
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
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Süddeutsche Zeitung Kultur 16.8.2002 22:32
Widerlegt
Riefenstahls Unterlassungserklärung
Der Ort, erklärten Ralph Giordano und Günter Wallraff, sei bewusst gewählt worden: In Köln feiere der Verleger Benedikt Taschen die bald 100-Jährige mit opulenten Bildbänden und biete ihre Fotografien für 20 000 Euro je Abzug an, in Köln bemühe sich die Journalistin Alice Schwarzer, die greise Kollegin zu einer Ikone der Frauenbewegung zu stilisieren. Ebenfalls in Köln gelang jetzt „Rom e.V.", was zuvor kaum jemand geschafft hat:
Er bewegte Leni Riefenstahl zu einer Unterlassungserklärung. In einem Interview hatte die Regisseurin behauptet, alle aus einem Konzentrationslager stammenden Komparsen ihres Films „Tiefland" hätten den Krieg überlebt. Den Widerruf dieser Behauptung erreichte die 76-jährige Zäzilia Reinhardt, die als Jugendliche zur Mitwirkung an dem Film gezwungen worden war.
Reinhardt, Mitglied der Volksgruppe der Sinti, verlor acht Familienangehörige in den Vernichtungslagern des NS-Staates.
Bei einer Pressekonferenz widerlegte sie weitere Aussagen Riefenstahls über die Dreharbeiten. Keineswegs freundlich sei die Regisseurin zu ihren Darstellern gewesen. Eine andere Komparsin habe schließlich von der Weigerung Riefenstahls berichtet, die Freilassung ihrer beiden Brüder aus einem Konzentrationslager zu bewirken. „Rom e.V." will nun erreichen, dass im Vorspann des Films auf die Beteiligung von KZ-Insassen hingewiesen wird.
sko
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Mitteldeutsche Zeitung Kultur 16.8.2002 21:23
Riefenstahl: «Ich wollte immer Kunstwerke machen»
Von Hilmar Bahr
München/dpa. Etwas abseits vom Starnberger See mit seinen noblen Villen, Landhäusern und Golfplätzen liegt über einem Hügel Pöcking - ein beschaulicher Ort mit einem Maibaum und einem Gasthof in der Mitte und vereinzelten Bauernhöfen. Am Ortsrand in einer Sackgasse lebt seit 1979 Leni Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird. Ihr in einer Senke gelegenes «Haus an der Eiche» mit großen Fenstern und hellen Räumen ist von dem schmalen Weg kaum zu sehen.
Gerne hätte sie auch noch die Nachbarwiese von einem Bauern gekauft, doch sie sei zu teuer. «Dann könnte ich endlich meine viele Fotos in einer Galerie zeigen, die ich vor allem in Afrika bei den Nubas gemacht habe», sagte die Künstlerin in einem dpa-Gespräch, die vor allem durch ihre NS-Filme «Triumph des Willens» und «Olympia» berühmt wurde. «Ich wurde geliebt und gehasst zugleich - dies ist bis heute mein Schicksal», meint die Regisseurin, die in den vergangenen Jahren vor allem mit der Videokamera Unterwasserfilme gedreht hat.
Sie habe keine Erklärung dafür, dass sie allein für ihre zeitweilige Nähe zu Adolf Hitler und ihre vier Dokumentarfilme ein Leben lang büßen müsse. «Andere haben das auch gemacht», meint Leni Riefenstahl. Aber vielleicht habe es daran gelegen, «weil ich als Frau solche Erfolge gehabt habe». Doch diese Erklärung überzeuge sie nicht. Der vielfach ausgezeichnete NS-Parteitagsfilm «Triumph des Willens» sei ein reines Kunstwerk. Doch nach dem Krieg habe man das mit der politischen Brille gesehen.
Heute interessiert Leni Riefenstahl vielmehr, wie sie ihren Videofilm «Impressionen unter Wasser», der am 15. August erstmals bei Arte im Fernsehen zu sehen ist, auch in die Kinos bringen kann. «Dafür muss der Film 'aufgeblasen' werden.
Aber ich befürchte, dass darunter die Farben leiden», sagt die leidenschaftliche Taucherin. Außerdem sei das Verfahren sehr teuer. In ihrem Atelier gibt sie eine erste Kostprobe von dem 45 Minuten langen Werk zur Musik von Giorgio Moroder.
Exotische Fische, bunte Atolle und blühende Korallenbänke bilden eine einmalige Farbenpracht, die an Werke der Impressionisten erinnern.
Das ganze untere Stockwerk des Fertighauses ist angefüllt mit feinster Technik und einem Film- und Pressearchiv. An den Wänden immer wieder große Aufnahmen von ihren Afrika-Exkursionen in den Sudan - bei der bisher letzten überlebte sie vor zwei Jahren einen Hubschrauberabsturz. Den afrikanischen Stamm der Nuba hat sie in vielen Bildern festgehalten.
«Wenn ich keine Schmerzen mehr hätte, würde ich gerne noch einen Film machen, wie ich mit den Nuba in Afrika gelebt habe», sagt Leni Riefenstahl, die wegen verschlissener Bandscheiben nur mit Schmerzmitteln leben kann.
Ihr Haus ist hell und freundlich, viele Erinnerungsstücke und Bildbände verteilen sich auf Anrichten und in Schränke. Auf der Erde liegen Stofftiger - Geschenke von Siegfried und Roy. Die berühmten Illusionisten aus Las Vegas seien enge Freunde. «Wir verehren uns gegenseitig», lacht Leni Riefenstahl, deren Haut kaum Falten hat. «Ich habe Töpfe von Fett verbraucht», ist ihre Erklärung, aber auch ihre disziplinierte Lebensweise. «Ich habe immer gearbeitet», da bleibe für anderes nicht viel Zeit, meint die Regisseurin, Schauspielerin und Fotografin, die am liebsten Tänzerin geblieben wäre.
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Welt, Die Kultur 16.8.2002 21:19
Die Kunstfigur
Versuche, das Phänomen Leni Riefenstahl zu begreifen: Ein Lektürestreifzug anlässlich ihres 100. Geburtstags / Von Rainer Rother
Erst viel bewundert, dann viel gescholten. Jetzt, im Angesicht ihres 100. Geburtstages, erscheint die umstrittene Filmemacherin und Fotografin fast schon wie ein höheres Wesen, jenseits von Gut und Böse. Die Zeitgenossen haben ihren Frieden mit der Jubilarin gemacht, das Wort von der "Riefenstahl-Renaissance" ist Allgemeingut geworden. Zweifel, ob Riefenstahl in der Geschichte der Bildmedien einen bedeutenden Einfluss ausübte, haben spätestens die neunziger Jahre zerstreut.
Etliche ihrer Filme sind auf Video, später auf DVD erschienen, die Fotobücher über die Nuba erlebten ebenso wie die "Memoiren" Neuauflagen. Für Oktober ist bei Taschen, wo mit "Fünf Leben" schon ein opulenter Bildband erschien, Riefenstahls Afrika-Buch angekündigt. Passend zu ihrem 100. Geburtstag am 22. August wird es ein Großformat von höchster Druckqualität sein, ein coffee table book zum stattlichen Subskriptionspreis von 1250 Euro.
Während ihre Fotos auf dem Kunstmarkt deutlich an Wert gewinnen, Künstler ihr Leben als Thema entdecken, während Werbung, Fotografie und Film die "Riefenstahl-Ästhetik" zitieren, nähert sich das gesicherte Wissen um Person, Karriere und Werk seiner endgültigen Gestalt. In der letzten Dekade erschienen in Deutschland mehr interessante Veröffentlichungen über Riefenstahl als in allen Jahrzehnten zuvor.
Fiktionen
Auffallend ist zunächst das Auftreten Leni Riefenstahls als Kunstfigur - sie wird Protagonistin diverser Texte, was immer ein untrügliches Zeichen von Popularität ist. Bei Thea Dorn, in ihrem später auch als Theaterstück aufgeführten Hörspiel "Marleni - Preußische Diven blond wie Stahl", darf sie ihren Anfangsmonolog sprechen, während sie die Fassade eines Pariser Hauses hinaufklettert. Der verbale Schlagabtausch zwischen "Marlene" und "Leni" fällt witzig, ordinär, oft trivial aus, ein Patchwork aus Klischees über zwei Diven. Die von Männern geführte, zum Idealimage der verführerischen Frau gestylte Ikone Marlene - konfrontiert mit der Männer führenden, ihr Ideal wesentlich in der Ikone des "Führers" stilisierenden Leni. Letztere ist hier die dankbarere Rolle.
Irrlichternder noch wirkt das Zitat in Detlev Meyers schmalem Band "Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?" von 1997. Meyer lässt in erlesener Prosa die Assoziationen spielen. "Von filigraner Anmut sind wir, und waren eben noch monströs und bombastisch. Ein Hochamt hatten wir zelebriert in einem Dom aus Licht, eine rauschhafte Messe für die von Fanatismus und Anbetungssucht ausgemergelte Jugend." Was war und was ist, das ist scheinbar so weit auseinander wie Grazie als gespielte Lebensform und ein "atavistisch behaarter Reichssportwart".
Die bei Meyer titelgebende Frage verwandelt die Welt, aus Blasiertheit wird Gewissheit. Auch eine Replik auf Susan Sontags Bemerkung, die faschistische Ästhetik erfreue sich in der schwulen Subkultur besonderer Wertschätzung.
Peggy Phillips dagegen macht Riefenstahl zu ihrer Erinnerungsfigur. "Two Women Under Water" beschreibt die Faszination, die von der über 80 Jahre alten, mit Charme und Fitness für sich einnehmenden Teilnehmerin einer Tauchexpedition im Roten Meer ausgeht. Eine bewundernswert agile Person - oder Hitlers "best press agent", wie einer der anderen Taucher bitter anmerkt? Phillips Buch, eine Mischung aus Urlaubsreportage und Reminiszenzen einer in Hollywood geschulten Autorin, ist tatsächlich, wie der Untertitel anzeigt, eine Beichte, wenn auch besonderer Art. Die Schlüsselszene beschreibt, Erinnerung oder Fantasie, wer will das entscheiden, den Blick auf die an Sauerstoffmangel leidende Tauchpartnerin.
Für Hilfe wäre Zeit, auch Luftvorrat ist genug, doch die Erzählerin beginnt ihren Aufstieg allein. Sie muss, sie wird aber eine Entscheidung treffen.
Film
Literatur spielt Möglichkeiten durch, Filmgeschichte möchte nach Möglichkeit wissen, wie es wirklich war. Mit manchem Werk wird sie schneller fertig als mit anderen. So stand in den siebziger und achtziger Jahren "Triumph des Willens" im Mittelpunkt des Interesses, verleiteten Hollywood zum Zitat.
Seither dient "Olympia", Riefenstahls perfektester Film, am häufigsten als Vorbild.
Sein immenser Erfolg schon nach der Uraufführung, aber auch sein Nachruhm verdanken sich dem Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik - und nicht zuletzt der Tatsache, dass politischer Gehalt Form geworden war. Angelsächsische Autoren tun sich dabei leichter, Bewunderung zu bekunden, ohne die kritische Würdigung der propagandistischen Funktion des Films zu vernachlässigen. Cooper C. Graham, dessen jetzt wieder aufgelegter, detaillierter Studie "Leni Riefenstahl and Olympia" alle, die sich intensiv mit diesem Film beschäftigten, viel verdanken, hat das kürzlich in einer Studie zur Marathonsequenz noch einmal bewiesen. Eine Hommage an die künstlerische Zusammenarbeit von Riefenstahl und dem Komponisten Herbert Windt ist das, die auf Einbettung in den zeitgenössischen Kontext nicht verzichtet.
Auch Taylor Downing, der 1992 für die "Film Classics" des British Filminstitute den "Olympia"-Band beisteuerte, hält schon aus professioneller Erfahrung nichts von Relativierung ästhetischer Qualität. Selbst Autor dokumentarischer Sportfilme, bleibt ihm Riefenstahls Film das wohl beste Beispiel des Genres, zugleich aber in Propagandazwecke eingebunden wie kein zweites. Weder Downing noch Graham weichen der Frage aus, ob es sich um faschistische Ästhetik handele, tendieren aber zu skeptischen Antworten. Was ist dem Wettkampf geschuldet, was einer Auffassung der damaligen Zeit - und was dem Nationalsozialismus? Sie argumentieren ganz ähnlich, identifizieren die Propagandaabsichten, bürden dem Film aber nicht auf, was schon im Ereignis lag.
Hilmar Hoffmanns "Mythos Olympia", 1993 mit Blick auf die später kläglich gescheiterte Olympiabewerbung Berlins veröffentlicht, widmet Riefenstahls Film einen Gutteil seiner Argumentation. Sorgfältig legt er die nationalsozialistische Strategie, die Spiele und ihre Rituale teils umzugestalten, teils neu zu besetzen, bloß. Das "grandiose Täuschungsmanöver", an dem der Film zweifelsohne teilhatte, und das "Konzept einer faschistischen Ästhetik" verschmelzen ihm zu einem Generalvorwurf. Eine Reihe von Irrtümern, zusammen mit einer "starken" Wortwahl ("formalistische Überblendung", "usurpierender Schwenk"), lassen den Eindruck entstehen, Faszination solle hier quasi exorziert werden. Hoffmann hat mit seiner Kritik durchaus nicht Unrecht, beschädigt sie aber, wo er vom Film spricht und eine Erfahrung unterdrückt.
Daniel Wildmann dagegen fragt in "Begehrte Körper" "nach dem Ort der jüdischen Körper" in "Olympia", verstanden als ein Konstrukt, das von der Ideologie dem "arischen Körper" strikt entgegengesetzt wurde. Seiner Überzeugung nach verschlägt die Darstellung der Erfolge schwarzer Athleten in diesem Film wenig, da der "schwarze Körper" für die Ideologie nicht als der Hauptfeind gegolten habe. Auch bei seiner Untersuchung ist die Sequenz vom Marathonlauf zentral, doch nimmt sie das, was Graham als ästhetische Innovation beschreibt, als ideologische Deformation. "Jeder jüdische Teilnehmer und jede jüdische Teilnehmerin der Olympischen Spiele wird als jüdischer Körper im Film unsichtbar gemacht", resümiert Wildmann, Riefenstahl nehme die ",Endlösung' als Fluchtpunkt im Imaginären vorweg".
Die binäre Opposition der NS-Ideologie, von der Analyse aufgenommen, unterscheidet nicht zwischen Ereignis und filmischer Repräsentation, hat allerdings am Beispiel des Hochsprungs der Frauen ein eindrückliches Beispiel. Die deutsche Teilnehmerin Elfriede Kaun, schließlich Gewinnerin der Bronzemedaille, ist im Film privilegiertes Objekt der Kamera.
Wildmann zufolge deshalb, weil sie mit 1,60 jene Höhe überspringt, die deutscher Rekord ist - ein Rekord, gehalten auch von der deutschen Jüdin Gretel Bergmann, die unmittelbar vor Beginn der Spiele aus der deutschen Mannschaft ausgeschlossen wurde.
Wo Wildmann in "Olympia" Bejahung, sogar Forcierung der NS-Ideologie sieht, interpretieren zwei Autoren einen anderen Riefenstahl-Film als symbolischen Widerstand. Helma Sanders-Brahms (in ihrem Aufsatz "Tyrannenmord") und Robert von Dassanowsky (in seinem Essay "Whereever you may run, you can not escape him") entdeckten diese Qualität durchaus überraschend an "Tiefland". Das Schicksal der Hauptfigur mit jenem der Darstellerin parallelisierend, wird in ihrer Perspektive aus einem Kampf um eine Frau ein Tyrannenmord, aus dem Konflikt einer Frau zwischen zwei Männern ein Selbstbekenntnis der Regisseurin zur Verstrickung in das NS-System. Die beabsichtigte Rettung Riefenstahls sieht außerordentlich großzügig über Bekanntes hinweg: Riefenstahls oft bekundete, weit in die Kriegsjahre hineinreichende Verehrung Hitlers, die vom "Führer" garantierte Finanzierung des Films - unerwähnt und nicht bedacht. Der Einsatz internierter Sinti und Roma als Komparsen - relativiert. Die Kontinuität des Projektes, bereits 1934 begonnen, wegen Krankheit abgebrochen - verschwiegen.
Die Konstruktion einer reuigen Künstlerin ignoriert alle Umstände der Produktion. Ein zu hoher Preis, gemessen an der Möglichkeit besseren Wissens.
Karriere
Jüngere Biografien klären hinlänglich, was über Riefenstahls Karriere zu sagen ist, wobei Audrey Salkelds "Portrait of Leni Riefenstahl" die beste englischsprachige Darstellung ist. Obwohl sie nur Sekundärquellen heranzieht und deswegen oft auf die unzuverlässigen "Memoiren" ausweicht, meidet sie meist unkritische Würdigungen. Den ästhetischen Rang des Werkes jedoch nimmt sie selten in den Blick. Darin jedenfalls ähneln ihr zwei jüngst fast gleichzeitig erschienene deutsche Biografien, die explizit versuchen, der Legende zu widersprechen. Beiden gelingt dies materialreich und gut belegt. Die sozusagen klassischen Themen, die jeder Korrektur der Legende aufgegeben sind, stehen im Zentrum beider Bücher: Die Finanzierung von Riefenstahls Filmen durch Partei und Staat, ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Diktatur, die Beziehungen zu Nazi-Größen wie Goebbels und Streicher. Alles, was Riefenstahl später schöngefärbt oder vollkommen verzeichnet dargestellt hat, findet sich hier richtig gestellt. Auch jene beiden Ereignisse, die nach 1945 durch Presseberichte bekannt wurden und die mit dem Tenor der Rechtfertigung - nichts gewusst und nichts Böses getan zu haben - am wenigsten zu vereinbaren waren, finden detaillierte Darstellung. Es handelt sich um das Massaker im polnischen Konskie, eines der ersten Kriegsverbrechen der Wehrmacht Anfang 1939, dessen Augenzeugin Riefenstahl wurde, und die Zwangsverpflichtung vieler später in Konzentrationslagern ermordeter Sinti und Roma als Komparsen für "Tiefland".
Lutz Kinkel konzentriert sich in seinem Buch "Die Scheinwerferin" auf die Jahre 1933 bis '45. Man merkt dem Buch gelegentlich den Unmut über Riefenstahls so beharrlich vorgetragene, von Fakten offensichtlich nicht zu erschütternde Version an. Jürgen Trimborns Biografie ist breiter angelegt, legt jedoch ebenfalls unverkennbar den Schwerpunkt auf die Karriere im Nationalsozialismus. Vor allem die Episode um den "Sondertrupp Riefenstahl", mit dem wohl ein Filmprojekt über den Krieg gegen Polen verbunden war, ist bei ihm breiter und auf neue Aktenfunde gestützt dargestellt.
Der Anspruch, eine vollständige Biografie zu schreiben, verweist allerdings auch ihn vor allem im ersten Teil sehr oft auf die "Memoiren" Riefenstahls, was gelegentlich zu seltsamen Ergebnissen führt. So scheint Trimborn davon auszugehen, Riefenstahl habe bei den Olympischen Spielen 1932 den siebten Platz im Abfahrtslauf belegt. Dazu hätte sie im Februar allerdings in Lake Placid sein müssen. Der biografische Ansatz beleuchtet nur gelegentlich, welche Funktion die Filme zu erfüllen vermochten. Hier greift Trimborn hilfsweise zu Paraphrasen anderer Autoren. Doch enthalten sein Buch und das von Lutz Kinkel fast alles, was wir je über Riefenstahl als Person in Erfahrung bringen wollten.
Versuche
Nicht die Person allein allerdings fesselt so nachhaltig das Interesse der Öffentlichkeit. Das Werk, und zwar sowohl die Filme wie die Fotos, ist interessanter und herausfordernder als ihre Urheberin. Die Provokation, die von Riefenstahls hartnäckiger Wiederholung ihrer Legende ausgeht, ist, gemessen an jener, die ihre Werke bereithalten, dann doch nur ein Ärgernis. Insofern nimmt der Band "Leni Riefenstahl" zur Ausstellung des Potsdamer Filmmuseums eine umfassendere Perspektive ein. Gesucht wird eine Haltung zu Riefenstahl, die von Distanz ausgeht. Das kann, wie in Georg Seeßlens "Tanz den Adolf Hitler", durchaus in eine kompromisslose Abrechnung führen, gespeist nicht zuletzt vom beliebigen Zitieren in der Populärkultur. Es kann auch, wie bei Karin Wieland in ihrem Aufsatz "Die Letzte" ("Merkur" Nr. 620), in die Formel führen, Riefenstahl sei das "Medium der Deutschen", in dem sie eine liebende und traurige Erinnerung an den "Führer" besäßen. Es sind Versuche, das Phänomen Riefenstahl zu begreifen, ohne sich auf das Niveau der Legende zu begeben, lohnend im Wagnis, sich dem Nachruhm zu stellen.
Rainer Rother ist Autor einer vielbeachteten
Leni-Riefenstahl-Biografie. Sie erschien im Henschel-Verlag, Berlin. (286 S., 15 E.)
* Thea Dorn: Marleni. Verlag der Autoren, Frankfurt a. M., 98 S., 11 E.
* Taylor Downing: Olympia. BFI, London. 96 S., $ 12,95.
* Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Europa, Hamburg. 380 S., 26,90 E.
* Peggy Phillips: Two Women under Water. Fithian Press, Santa Monica. 208 S., $12,95.
* Georg Seeßlen: Tanz den Adolf Hitler. Edition Tiamat, Berlin. 189 S., 14 E.
* Angelika Taschen (Hg.): Fünf Leben. Taschen, Köln. 336 S., 30 E.
"Leni Riefenstahl". Taschen, Köln. 580 S., Subspr. 1250 E.
* Jürgen Trimborn: Leni Riefenstahl. Aufbau, Berlin. 500 S., 25 E.
* Daniel Wildmann: Begehrte Körper. Königshausen & Neumann, Zürich. 160 S., 15,50 E.
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Kurier Kultur 16.8.2002 20:56
"Memoiren wahrheitsgetreu verfilmen"
Hamburg - Leni Riefenstahl will über die Verfilmung ihres bald hundertjährigen Lebens die Kontrolle behalten. Sie sei sehr erfreut über das von der amerikanischen Schauspielerin Jodie Foster geplante Projekt, doch sei kein Vertrag zu Stande gekommen, "weil ich eine Sicherheit wollte, dass meine Memoiren wahrheitsgetreu verfilmt werden", sagte Riefenstahl der "Bild am Sonntag".
50 Prozesse geführt und alle gewonnen
"Ich will nicht, dass aus Sensationsgründen Mythen hineinkommen, wie so oft bei Hollywood-Filmen. Jetzt machen die Amerikaner es auf eigene Faust - mit dem Risiko, dass ich klage, wenn es zu schlimm wird", sagte die Filmemacherin. Sie habe bereits 50 Prozesse geführt und alle gewonnen, gab die wegen ihrer NS-Propagandafilme umstrittene Regisseurin an. Foster will ihr seit langem geplantes Projekt 2003 im Studio Babelsberg verwirklichen. Neben der Hauptrolle obliegen ihr nach Angaben des Studios auch Produktion und Regie.
Geburtstag "in hübschem kleinen Hotel"
Riefenstahl wird am 22. August 100 Jahre alt und will ihren Geburtstag im bayerischen Feldafing feiern. "In einem hübschen kleinen Hotel, wo schon Kaiserin Sissi verkehrte. Es werden 170 interessante Gäste wie Siegfried und Roy dabei sein", sagte die 99-Jährige der "Bild am Sonntag". Am Montag, den 12. 8. 2002, wird in der ORF-Sendung "Treffpunkt Kultur" (22.30 Uhr, ORF2) ein Interview mit der Regisseurin ausgestrahlt.
APA/dpa/ron
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Kölner Stadt-Anzeiger Kultur 16.8.2002 20:53
Leni Riefenstahl bedauert Tod von „Zigeuner-Statisten"
Köln - In der juristischen Auseinandersetzung zwischen dem Rom e.V. und der Regisseurin Leni Riefenstahl über die Zwangsverpflichtung von Sinti und Roma für den Film "Tiefland" hat der Verein einen ersten Erfolg erzielt. Riefenstahl habe eine Unterlassungserklärung unterzeichnet, sagte der Vereinsvorsitzende Kurt Holl am Freitag in Köln. Darin verpflichte sie sich, künftig nicht mehr zu behaupten, die als Nebendarsteller in ihrem Film eingesetzten Sinti und Roma habe sie "nach dem Krieg alle wiedergesehen" und keinem von ihnen sei etwas passiert.
Die Rücknahme dieser in einem Zeitungsinterview gemachten Behauptungen sei eine "kleine Genugtuung" für die damaligen Statisten, sagte Holl. Man wolle aber auch erreichen, dass künftig im Vor- oder Abspann des Films die Namen aller beteiligten Sinti und Roma aufgeführt
werden. Außerdem solle ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der größte Teil von ihnen in Konzentrationslagern ermordet wurde. Die Überlebenden, die nie einen Statistenlohn erhalten hätten, fordern zudem eine Entschädigung.
In einer Presseerklärung ließ Riefenstahl mitteilen, sie bedaure das Leid und die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit sehr. Ihr sei jedoch nicht bekannt gewesen, ob auch einige der von ihr für den Film "Tiefland" beschäftigten Darsteller ermordet worden seien. Die Regisseurin und Fotografin feiert am 22. August ihren 100. Geburtstag.
Neue Quellen und Zeitzeugen-Interviews belegten eindeutig, dass Riefenstahl für die Dreharbeiten zu "Tiefland" zwischen 1940 und 1942 rund 120 Sinti und Roma aus den KZ-ähnlichen Lagern Max Glahn bei Salzburg und Berlin-Marzahn zwangsverpflichtet habe, sagte Holl.
Riefenstahl sei eine "furchtbare Propagandistin und Begünstigte erster Klasse des Dritten Reichs" gewesen, erklärte der Schriftsteller Günther Wallraff, Vorstandsmitglied von Rom e.V..
Der Publizist und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano sagte, Riefenstahl habe einen ungeheuren Einfluss vor allem auf die Jugend gehabt. In einem Prozess um den Einsatz der Sinti und Roma bei der "Tiefland"-Produktion war Riefenstahl 1948 freigesprochen worden.
(epd)
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Rheinpfalz Online Politik 16.8.2002 19:51
Riefenstahl legt Unterlassungserklärung zu Roma vor
Die umstrittene Regisseurin Leni Riefenstahl ist von ihren heftig kritisierten Äußerungen über das Schicksal von Roma-Statisten in ihrem zur Nazi-Zeit gedrehten Film "Tiefland" abgerückt.
Wie Vertreter des Roma-Interessensvereins "Rom e.V." mitteilten, legte die fast 100-jährige Filmemacherin eine Unterlassungserklärung ab. Darin verpflichte sie sich, nicht mehr zu behaupten: "Wir haben alle Zigeuner, die in 'Tiefland' mitgewirkt haben, nach Kriegsende wieder gesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert." Riefenstahl folgte damit der Aufforderung einer heute 80-jährigen Ex-Komparsin.
Riefenstahls umstrittene Äußerung war am 27. April im Magazin der "Frankfurter Rundschau" veröffentlicht worden. Der Kölner Roma-Verein stellte daraufhin wegen Holocaust-Leugnung Strafantrag gegen Riefenstahl bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main: Es sei nachweisbar und seit langem bekannt, dass fast alle Insassen der NS-Lager Max Glahn und Berlin-Marzahn, aus denen die bei den Dreharbeiten eingesetzten Statisten rekrutiert wurden, von den Nazis in Konzentrationslager deportiert beziehungsweise ermordet wurden oder aufgrund der Haftbedingungen starben.
Die überlebende Zwangsarbeiterin Zäzila Reinhardt hatte die Regisseurin mit Unterstützung des Vereins auf zivilrechtlichem Weg zum Widerruf ihrer Behauptung aufgerufen. Dem sei Riefenstahl am Donnerstag kurz vor Fristablauf nachgekommen, sagte das Vorstandsmitglied des Vereins, Kurt Holl.
Holl zufolge will "Rom e.V." nun darauf drängen, dass künftig im Vor- oder Nachspann des "Tiefland"-Streifens die Namen und das Schicksal aller mitwirkenden Sinti und Roma aufgeführt werden. Darüber hinaus habe Riefenstahl die moralische Verpflichtung, die heute in ärmlichen Verhältnissen lebenden Ex-Statisten finanziell zu entschädigen. Allerdings sei diese Forderung "juristisch nicht durchzusetzen", räumte Holl ein.
Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird, dokumentierte während der Nazi-Zeit unter anderem den Reichsparteitag der NSDAP 1934 in "Triumph des Willens" und die Olympischen Spiele 1936. Nach dem Krieg widmete sich die 1902 in Berlin geborene ehemalige Tänzerin hauptsächlich der Fotografie.
afp, Freitag, 16. Aug
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Bocholter Borkener Volksblatt Kultur 16.8.2002 19:11
"Tiefland-Komparsen" klagen an
Leni Riefenstahl gesteht Irrtum
Köln (rpo). Leni Riefenstahl hat eine Unterlassungserklärung gegenüber einer Überlebenden des Holocaust unterschrieben. Sie versichert, nicht mehr zu behaupten, sie habe alle in dem Film "Tiefland" mitwirkenden "Zigeuner" nach dem Krieg wiedergesehen. Eine solche Aussage Riefenstahls war vom Magazin der "Frankfurter Rundschau" zitiert worden.
Für Riefenstahls Film "Tiefland" waren nach Angaben des Vereins Rom e.V. zwischen 1940 und 1942 etwa 120 Sinti und zwei Roma aus NS-Lagern in Salzburg und Berlin zwangsverpflichtet worden. Viele von ihnen seien später in Konzentrationslagern umgekommen, erklärte Rom e.V. weiter.
Der Streit um den Riefenstahl-Film dürfte aber weitergehen. Denn Rom e.V. hatte nach eigenen Angaben parallel bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt Strafantrag gegen Riefenstahl wegen Holocaustleugnung gestellt. Diese strafrechtliche Seite sei nun von der Staatsanwaltschaft zu beantworten, sagte der Anwalt von Rom e.V., Helge Sasse. "Ich wage die Prognose, dass nicht viel passieren wird", fügte der Anwalt allerdings hinzu.
Die Riefenstahl Produktion GmbH hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, die Filmemacherin bedaure die Verfolgung und das Leid der Sinti und Roma während des NS-Regimes. Sie habe sich jedoch immer gegen Behauptungen gewandt, sie hätte während der Dreharbeiten Kenntnis von den in Konzentrationslagern stattfindenden Gräueltaten gehabt. Die Behandlung der bei "Tiefland" mitwirkenden Sinti und Roma sei sehr zuvorkommend gewesen.
Nach wie vor fordern die Vereinsvertreter von Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird, eine Entschädigung für die noch lebenden Kleindarsteller. Sie habe zumindest eine "moralische Verpflichtung", hieß es in Köln.
© rp-online, ap, dpa, sid
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Zeit Kultur 16.8.2002 16:20
Kulturbrief 16. bis 25. August 2002
Leni Riefenstahl - Schönheit vor Wahrheit?
von Carolin Niederhofer
Leni Riefenstahl feiert am 22. August ihren 100. Geburtstag. Normalerweise ist jeder runde Geburtstag eine Meldung in den Medien wert - erst recht wenn es der 100ste ist. Bei Leni Riefenstahl halten sich die Medien eher zurück. Zu häufig standen die Dame und ihre Tätigkeit als Regisseurin während der Nazi-Zeit in Diskussion, zu häufig brachte Leni Riefenstahl sich selbst ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Viel ist also schon gesagt worden, zu ihrer Person, zu ihren Werken. Immer wieder hat man Leni Riefenstahl für ihr Schaffen unter Hitler zur Rechenschaft ziehen wollen - in Gesprächen, in Prozessen. Immer wieder hat sie sich entschieden dagegen zur Wehr gesetzt. Doch den Schatten der braunen Vergangenheit ist Leni Riefenstahl nie losgeworden. Es fing an mit Sieg des Glaubens (1933), einem Film über den Reichsparteitag von 1933 in Nürnberg. Wie die Regisseurin selbst in einem Interview sagte, nahm sie Sieg des Glaubens nur unter der Bedingung an, keine weiteren Filme im politischen Auftrag drehen zu müssen. Denn die Künstlerin lehnte es ab, Auftragsarbeiten zu übernehmen. Sie könne nur das machen, was in ihrem Inneren wachse, wonach sie Sehnsucht habe, will sie Hitler geantwortet haben auf sein Ansinnen, für ihn Filme zu drehen.
Trotzdem konnte Riefenstahl sich dem Bann und den Fängen Hitlers nicht entziehen. Dem Sieg des Glaubens folgten 1935 Triumph des Willens, ein Dokumentarfilm über den 6. Reichsparteitag der NSDAP, mit Preisen ausgezeichnet im In- wie im Ausland, und Tag der Freiheit - unsere Wehrmacht, anlässlich der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Olympia (1936), ein Werk in zwei Teilen, ist eine von Riefenstahls filmischen Hochleistungen und wurde 1938 auf den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Olympia I - Fest der Völker und Olympia II - Fest der Schönheit geben eindrucksvoll wieder, was Leni Riefenstahl antreibt und ausmacht: Die Schönheit in der Welt und im Menschen zu finden und abzubilden. Ästhetik ist das A und O der Arbeit der Leni Riefenstahl, die das Schöne, das Vergängliche, festhalten will und Hässliches dabei ausblendet.
Glaubt man Leni Riefenstahls Worten, ging es ihr damals wie heute allein darum, die Kunst voll auszuleben. In Tiefland (1940) geschah dies auf Kosten anderer Menschen: Riefenstahl rekrutierte für diesen Film 60 Sinti und Roma aus Konzentrationslagern. 1948 wurde sie angeklagt, die Arbeiter nicht entlohnt und ihnen fälschlicherweise die Rettung vor der Deportation versprochen zu haben. Der Prozess endete mit Freispruch für Leni Riefenstahl. Die Vorwürfe der Propagandatätigkeit hängen ihr aber noch heute nach. Leni Riefenstahl gibt zu, fasziniert gewesen zu sein von Hitlers Fähigkeit, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Ihr imponierten auch Hitlers Versprechen, sich der Sorgen der kleinen Leute anzunehmen. Ihren Aussagen nach beabsichtigte sie aber nie die Werbetrommel für Hitler zu rühren. Nur um ihrer Kunst weiterhin uneingeschränkt nachgehen zu können, will Leni Riefenstahl für Hitler gedreht haben. Als Hitler 1937 moderne Kunst zur "entarteten Kunst" verdammte und Werke von großen Künstlern öffentlich verbrennen ließ, begann auch Leni Riefenstahl an Hitler zu zweifeln.
Trotzdem: Die Kunst ist Leni Riefenstahls Lebenselixier - dafür gab und gibt sie immer noch alles. Für ihre Filme lernte Leni Riefenstahl in den 30er Jahren Klettern und Skifahren, in den 70er Jahren noch Tauchen. Erst kürzlich wurde ihr neuer Film Impressionen unter Wasser auf Arte ausgestrahlt. Für Leni Riefenstahl ist auch mit 100 noch lange nicht Schluss.
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Tagesspiegel Kultur 16.8.2002 22:34
Leni Riefenstahl muss Behauptung widerrufen
Am Ende sei sie immer Siegerin gewesen. Das hatte Leni Riefenstahl vor wenigen Tagen noch mit triumphierendem Ausdruck gesagt, als sie von Sandra Maischberger auf ihre zahlreichen Prozesse um ihre Person angesprochen wurde.
Jetzt hat Hitlers Lieblingsregisseurin, die am 22. August 100 Jahre alt wird, in einer Sache doch einmal verloren. Am Mittwoch unterschrieb sie eine Erklärung, sie werde nie wieder gegenüber Zäzilia Reinhardt behaupten, sie habe alle Zigeuner, die in dem Film „Tiefland" mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen und keinem einzigen sei etwas passiert. Riefenstahl hatte dies in einem Zeitungsinterview behauptet.
Reinhardt, die als 15-Jährige in dem 1940 bis 1942 gedrehten Film als Komparsin mitwirkte, nahm die Erklärung Riefenstahls gestern auf einer Pressekonferenz im Kölner NS-Dokumentationszentrum mit Genugtuung zur Kenntnis. Die heute 76-Jährige berichtete en detail über die Zwangsrekrutierung aus dem NS-Lager Max Glahn und die Dreharbeiten und bezeichnete Riefenstahl als „gemeine und infame Lügnerin". Sie war bei den juristischen Schritten gegen Riefenstahl unterstützt worden vom Kölner Verein Rom e.V., der sich für die Verständigung zwischen Roma und Nicht-Roma einsetzt. Vorstandsmitglied Günter Wallraff präsentierte gestern neue Dokumente aus Österreich, die ihm zufolge „die Lebenslüge der Riefenstahl unter Beweis stellen", er verurteilte sie als „glühende Hitler-Verehrerin".
Mit der Erklärung Riefenstahls ist eine zivilrechtliche Klage gegen sie hinfällig geworden. Ob die Staatsanwaltschaft gegen sie einen Strafantrag wegen Verleugnung des Holocaust stellt, ist noch offen. Es wird wohl nicht das letzte Mal sein, dass die letzte lebende Reizfigur des Nationalsozialismus die deutsche Justiz beschäftigt.
Erik Eggers
2002 © Verlag Der Tagesspiegel GmbH
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Berliner Morgenpost Kultur 16.8.2002 22:13
Erster Erfolg für die Roma im Fall Riefenstahl
In der juristischen Auseinandersetzung zwischen dem Rom e.V. und der Regisseurin Leni Riefenstahl über die Zwangsverpflichtung von Sinti und Roma für den Film «Tiefland» hat der Verein einen ersten Erfolg erzielt. Riefenstahl habe eine Unterlassungserklärung unterzeichnet, sagte der Vereinsvorsitzende Kurt Holl gestern in Köln. Darin verpflichte sie sich, künftig nicht mehr zu behaupten, die als Nebendarsteller in ihrem in der NS-Zeit entstandenen Film eingesetzten Sinti und Roma habe sie «nach dem Krieg alle wiedergesehen» und keinem von ihnen sei etwas passiert.
Die Rücknahme dieser in einem Zeitungsinterview gemachten Behauptungen sei eine «kleine Genugtuung» für die damaligen Statisten, sagte Holl. Man wolle aber auch erreichen, dass die Überlebenden, die nie einen Statistenlohn bekommen hätten, eine Entschädigung erhielten.
In einer Presseerklärung ließ Riefenstahl mitteilen, sie bedauere das Leid und die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit sehr. Ihr sei jedoch nicht bekannt gewesen, ob auch einige der von ihr für den Film «Tiefland» beschäftigten Darsteller ermordet worden seien. «Tiefland» basierte auf einer Oper nach einem alten spanischen Volksstück. Die Hauptrolle spielte Riefenstahl persönlich. Für die Dreharbeiten wurden die Sinti und Roma auf einem lagerähnlichen Areal eingepfercht. Die Regisseurin und Fotografin wird am 22. August 100 Jahre alt.
Epd
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Thüringische Landeszeitung Kultur 16.8.2002 20:57
Eine deutsche Karriere: Leni Riefenstahl
Die vor zwei Jahren erschienene Lebensgeschichte Leni Riefenstahls von Rainer Rother hatte etwa 300 Seiten und trug den Titel "Die Verführung des Talents". Die jetzt pünktlich zum 100. Geburtstag - am 22. August - der Filmemacherin vorgelegte neue Biografie von Jürgen Trimborn hat nicht nur den doppelten Umfang, sondern verweist auch mit ihrem Titel "Eine deutsche Karriere" in eine andere Richtung. Hatte schon Rother in seinem Schlusskapitel Riefenstahl "Auf dem Weg zur Kultfigur" gesehen, beschreibt der Filmhistoriker Trimborn die "Riefenstahl-Renaissance" der letzten Jahre noch ausführlicher - und bitterer.
Die in der NS-Zeit entstandenen Filme der Regisseurin, wozu auch die beiden Olympia-Streifen gehören, werden nach Ansicht des Autors zunehmend aus ihrem politischen Kontext herausgelöst und als eigenständige ästhetische Äußerungen von hohem Rang gesehen. Starfotografen wie Werbestrategen zitierten ihre Bilder, Regisseure ihre Filme, Musiker nutzten bestimmte Elemente ihrer Ästhetik für ihre Bühnenshows. So gibt es laut Trimborn in dem 1995 angelaufenen Walt-Disney-Streifen "Der König der Löwen" von Rob Minkoff unübersehbare Anklänge an den NS-Parteitagsfilm "Triumph des Willens". Michael Jackson knüpfe mit den marschierenden Fantasiesoldaten seines Videoclips "HiStory" an choreografische Vorbilder aus dem Progagandafilm an. 1999 habe schließlich Alice Schwarzer eine "regelrechte Riefenstahl-Apologie" verfasst und von einer "Hexenjagd" auf die Filmemacherin nach 1945 gesprochen.
Kritische Fragen an ihren Lebensweg und ihre Karriere blieben, so der Biograf, zunehmend aus, "ob aus Resignation vor ihrer mangelnden Fähigkeit zur Einsicht oder schlicht und einfach aus Respekt vor ihrem ungewöhnlichen Alter und ihrer ungebrochenen Vitalität". So werde der Weg von der "Renaissance zur Rehabilitation Riefenstahls geebnet", klagt Trimborn. Nur wenn man die Widersprüche ihrer Biografie kenne, verhindere man, dass Menschen unkritisch der "Macht der Bilder" erliegen, "dass das Faszinosum Leni Riefenstahl ein größeres Gewicht bekommt als die historischen und biografischen Fakten".
Dazu leistet die neue Biografie in der Tat ihren Beitrag, die sich auch zu lesen lohnt im Vergleich mit den 1987 erschienenen Memoiren der Filmemacherin. So widmet der Autor der Polenreise Riefenstahls Anfang September 1939, gleich zu Beginn des deutschen Überfalls auf das Nachbarland, ein ausführliches Kapitel und stellt die eigenen Recherchen in Archiven den Äußerungen oder Auslassungen Riefenstahls gegenüber.
Trimborn spricht von einem "verschwiegenen Filmprojekt" in direktem Auftrag Hitlers und zitiert dazu ein mit dem Vermerk "Geheim" versehenes Schreiben aus dem NS-Propagandaministerium vom 10. September 1939: "Am 5.9.39 übermittelte Major d.G. Kratzer des OKW eine Anordnung des Führers, nach der im Rahmen der Einsatzstelle des Propagandaministeriums ein ,Sonderfilmtrupp Riefenstahl´ aufzustellen war. Gemäß fernmündlicher Weisung des OKW...vom 9.9.39 18.45 Uhr ist dieser Filmtrupp am 10.9. um 7 Uhr nach Oppeln in Marsch gesetzt worden."
Riefenstahl erschien übrigens, wie Generalstabschef Erich von Manstein, später bemerkte, in einem Aufzug, der ihm wie eine Kostümierung erschien - "nett und verwegen" und "wie eine elegante Partisanin", in einer Art Tunika, mit Breeches und hohen Stiefeln, mit einem Messer im Stiefelschacht, am Lederkoppel hing eine Pistole.
Laut Trimborn geben weder die Akten der Wehrmacht noch andere Dokumente Auskunft über die eigentlichen Aufgaben Riefenstahls. Es gebe aber Indizien dafür, dass die Regisseurin nicht für "bessere Wochenschauaufnahmen" eingesetzt worden sei, sondern um an einem wesentlich prestigeträchtigen Projekt zu arbeiten, das dem Einfluss der Wehrmachtspropaganda entzogen gewesen sei. Die Aufnahmen des "Sonderfilmtrupps Riefenstahl" vom "Polenfeldzug" haben laut Trimborn den Krieg nicht überdauert.
i Jürgen Trimborn: Leni Riefenstahl - Eine deutsche Karriere, Biografie Aufbau-Verlag, Berlin, 600 S., 25 Euro
16.08.2002 Von Wilfried Mommert, dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung Vermischtes 16.8.2002 20:12
Riefenstahl soll Entschädigung zahlen
16. Aug. 2002 Eine ehemalige „Zigeuner-Komparsin" und Überlebende des Holocaust hat von der Filmemacherin Leni Riefenstahl (99) eine Unterlassungserklärung erwirkt. Demnach darf die wegen ihrer NS-Propagandafilme umstrittene Regisseurin nicht mehr behaupten, sie habe „alle Zigeuner, die in (ihrem Film) „Tiefland" mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert." Der Streifen entstand Anfang der 40er Jahre.
Vertreter des gemeinnützigen Vereins Rom forderten am Freitag vor Journalisten in Köln zudem eine Geste der Wiedergutmachung von Riefenstahl. An der Veranstaltung, die nach Drohanrufen von der Polizei gesichert wurde, nahmen die Autoren Ralph Giordano und Günther Wallraff sowie die ehemalige „Zigeuner-Komparsin" Riefenstahls, Zäzilia Reinhardt (76), teil. Riefenstahl wird am kommenden Donnerstag (22. August) 100 Jahre alt. Sie lebt am Starnberger See.
Mehr als 20 starben im KZ
Der Verein Rom veröffentlichte eine Liste mit den Namen von 48 von Riefenstahl angeforderten „Zigeunern".
Ein Abgleich habe ergeben, dass mehr als 20 der 48 Sinti und Roma in Konzentrationslagern endeten. „Für eine ganze Reihe ist vermerkt, dass sie dort umgekommen sind", sagte Vorstandsmitglied Kurt Holl.
Mit Unterstützung des Vereins, der sich für die Verständigung von Sinti und Roma und Nicht-Rom einsetzt, hatte die überlebende Zwangsarbeiterin die Regisseurin aufgefordert, ihre kürzlich veröffentlichte Behauptung zu widerrufen. Reinhardt war nach eigenen Angaben mit 15 Jahren in das NS-Lager Max Glahn bei Salzburg gekommen.
Die Riefenstahl GmbH habe sich an die Kriminalpolizei Salzburg gewandt und Häftlinge für „Tiefland" angefordert, sagte sie. Nach den Dreharbeiten mussten die Darsteller laut Reinhardt wieder ins Lager zurück. Die 76-Jährige nannte die Behauptung Riefenstahls, niemandem sei etwas passiert, „eine infame Lüge".„Sie leugnet bis heute"Rom e. V. stellte nach eigenen Angaben außerdem Strafantrag gegen Riefenstahl wegen „Holocaust-Leugnung" bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt.
Sie habe sich direkt des NS-Lagersystems bedient. „Um dies zu vertuschen, scheute sich Frau Riefenstahl nicht, die Zwangsarbeit und die spätere Ermordung ihrer 'Zigeuner-Statisten' bis heute zu verharmlosen, ja zu leugnen", sagte Holl. Dies habe bei den Überlebenden zu einer „unglaublichen Traumatisierung" geführt.
„All diese Wunden sind wieder aufgebrochen."
Mit Nachdruck forderten die Teilnehmer, Riefenstahl solle die Überlebenden entschädigen. Zudem sollten im Vorspann von „Tiefland" künftig die Namen aller Sinti und Roma aufgeführt werden, die Riefenstahl als Kleindarsteller zwangsverpflichtet habe. Riefenstahl hatte nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe vergangene Woche in einer Stellungnahme die Verfolgung und das Leid bedauert, „das Sinti und Roma während des Nationalsozialismus haben erleiden müssen". Ihr sei „heute bewusst, dass viele von ihnen in Konzentrationslagern umgekommen sind".
Giordano fordert eine „Geste"
Der Zeitzeuge Giordano („Die Bertinis") warf Riefenstahl dagegen am Freitag vor, sie halte an einer „Lebenslüge" fest. „Ich verlange, dass sie ehrlich ist und sich vielleicht auch aufrafft zu einer Geste und so bezeugt, dass sie etwas gelernt hat und dass sie ihre Lebenslüge durchbricht", sagte Giordano in Köln. „Ich denke, der 100. Geburtstag (von Riefenstahl) wäre ein guter Anlass für eine Geste", sagte Giordano. Wallraff („Ganz unten") nannte Riefenstahl eine „furchtbare Propagandistin und Begünstigte erster Klasse" von Adolf Hitler. Dennoch gelte sie inzwischen fast als eine Kultfigur.
Text: dpa
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FAZ - Jubilare
Statt Blumen: Riefenstahl droht neuer Prozess
Von Jörg Thomann
14. Aug. 2002 Am 22. August feiert Leni Riefenstahl ihren 100. Geburtstag. Rund um diesen Termin wird das filmische Schaffen der umstrittensten Regisseurin der Welt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wie nie zuvor, von ihren großen Tagen als Hitlers Lieblingsfilmerin einmal abgesehen. Arte präsentiert den neuen (!) Riefenstahl-Film „Impressionen unter Wasser" sowie ihr Berg-Drama „Das blaue Licht", während Premiere ihren Liebesfilm „Tiefland" zeigt. Und ein weiteres Mal werden sich die Feuilletons ausgiebig der Frage widmen, ob es sich bei Riefenstahl um eine begnadete Künstlerin handelt, die ohne ihre verhängnisvolle Begegnung mit Hitler eine beispiellose Karriere gemacht hätte, oder um eine völlig überschätzte Figur, die ihren zweifelhaften Ruhm einzig ihrem skrupellosen Pakt mit dem Terror-Regime verdankt.
Leni ins Gefängnis?
Eine wenig erfreuliche Geburtstagsüberraschung möchte Riefenstahl nun der Kölner Verein Rom e.V. bereiten. Der gemeinnützige Verein zur Verständigung zwischen Sinti und Roma und Nicht-Roma hat an diesem Mittwoch angekündigt, juristische Schritte gegen die Jubilarin einzuleiten: Man wirft ihr vor, das Andenken an die ermordeten Holocaust-Opfer zu beschädigen. Für die Dreharbeiten zu ihrem letzten Film „Tiefland" habe Riefenstahl von 1940 bis 1942 über 100 Sinti und Roma aus NS-Lagern rekrutiert, erklärte der Verein in Köln.
Diese seien später in Konzentrationslager deportiert worden, viele von ihnen seien dort umgekommen.
Riefenstahl habe behauptet, keinem der Sinti und Roma sei etwas passiert. Die Aussagen Riefenstahls könne Rom e.V. nach eingehenden historischen Recherchen widerlegen. Sollte sich Leni Riefenstahl mit stolzen 100 Jahren noch vor einem Gericht verantworten müssen? Droht ihr womöglich gar das Gefängnis?
Letzteres wohl kaum. Dem Verein, so darf man mutmaßen, geht es weniger um eine juristische als um eine moralische Verurteilung der Riefenstahl, deren befürchteter Glorifizierung durch die Medien man präventiv etwas entgegensetzen und ihr auf diese Weise ein wenig die Geburtstagsfeier verderben möchte. So hat man für die Pressekonferenz schon das Erscheinen von Günter Wallraff und Ralph Giordano angekündigt, zwei Experten zwar nicht fürs Rechtswesen, aber für medienwirksame Entrüstung.
Das Filmprojekt „Tiefland"
Für „Tiefland" hatte Riefenstahl Sinti und Roma aus dem Lager Maxglan bei Salzburg als Statisten eingesetzt haben. Schon 1948 musste sie sich vor Gericht wegen des Vorwurfs verantworten, die Sinti und Roma nicht entlohnt zu haben und von ihrer bevorstehenden Deportation gewusst zu haben. Riefenstahl wurde freigesprochen.1982 wurden die Vorwürfe rund um „Tiefland" in einer Fernsehdokumentation des WDR erneuert; es kam wieder zu einem langwierigen Prozess.
Riefenstahl gewann in mehreren Punkten, konnte die Behauptung aber nicht entkräften, die Statisten selbst ausgewählt zu haben. Mit welchen neuen Beweisstücken Rom e.V. den „Tiefland"-Rechtsstreit nun neu aufrollen will, wird man erst bei der Pressekonferenz erfahren - die, das lässt die Besetzung mit Wallraff und Giordano erahnen, einen Prozess samt Urteil wohl schon vorwegnehmen wird.
Text: @jöt
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FAZ - Jubilare
Ein Aktenordner voller Angriffe
Von Jörg Thomann
15. Aug. 2002 „Es macht mich traurig." Das sagt Leni Riefenstahl, die demnächst 100 Jahre alt wird, über ihren Geburtstag am 22. August. Traurig deshalb, weil ihr langes Leben ihr so schwer erscheint. Es wäre schöner gewesen, so Riefenstahl, „wenn der liebe Gott mich geholt hätte auf dem Höhepunkt meines Schaffens". Das war für die Regisseurin der 1. September 1939, der Tag, als Deutschland Polen überfiel und an dem Leni Riefenstahl tatsächlich ganz oben war: auf einem Berggipfel in den Dolomiten. Alles, was danach kam, ist für sie „ein stetiger Abstieg" gewesen.
Ihre bekanntesten und umstrittensten Filme, „Triumph des Willens" über den NS-Parteitag und ihren Olympia-Zweiteiler, hatte Riefenstahl da längst gedreht. Distanziert hat sie sich nie von ihnen, auch nicht gegenüber der Interviewerin Sandra Maischberger, die sie im Auftrag des ZDF und Arte besucht hat. „Ich sehe ihn nicht politisch", sagt die Regisseurin über den „Triumph des Willens". In der Liste der Riefenstahl-Filme, die das Fernsehen rund um ihr Jubiläum ausstrahlt, taucht der „Triumph" allerdings, mit gutem Grund, nicht auf.
Ein Aktenordner Angriffe
Dafür aber, nach knapp 50 Jahre währender Schaffenspause, ein neuer Riefenstahl-Film: „Impressionen unter Wasser". Gezeigt wird das als Dokumentarfilm angekündigte Werk - siehe Kritik - an diesem Donnerstag um 22.55 Uhr bei Arte im Rahmen eines Riefenstahl-Themenabends. Darin zu sehen sind auch Riefenstahls Spielfilm „Das blaue Licht" (1932, um 0.40 Uhr) und ihr Zwiegespräch mit Sandra Maischberger (23.40 Uhr), das recht einfallslos „Der Künstler und die Macht" betitelt ist.
Maischberger trifft die Regisseurin nicht im Studio, sondern bei Riefenstahl daheim. Der Hausbesuch wird zur Besichtigung eines Lebens: von den Nuba-Fotos an der Wand über die Regale mit Aktenordnern - einer davon trägt das Stichwort „Angriffe" - bis zum höchstmodernen Arbeitsplatz der Künstlerin, die sich gerade im Schnitt am Computer übt. Entsprechend sprunghaft verläuft zunächst das Gespräch. Ruhiger wird es erst, als die Damen auf der Sitzgruppe Platz nehmen, Riefenstahl vor ihrem Bücherregal. In der Nahaufnahme sieht man direkt neben ihrem Gesicht - Zufall oder sorgsam arrangierte Symbolik? - einen Buchrücken mit der Aufschrift „Century".
Gequälte Penthelisea
Leni Riefenstahl: eine von manchen vergötterte, von anderen verachtete Jahrhundertfigur voller Widersprüche, die auch hier nicht verborgen bleiben. Kleists Penthesilea wollte Riefenstahl immer verfilmen, Inbegriff der starken Frau für sie und Geistesverwandte; sie selbst aber will „immer froh" gewesen sein, „wenn ich gut geführt wurde". Zum „Triumph des Willens" sei sie von Hitler „gezwungen worden", sagt sie einmal; „ausgenutzt" aber, heißt es später, habe jener sie „überhaupt nicht". Als „Quälerei" empfand sie die Dreharbeiten, bei denen sie dennoch ihr Bestes gab: „Es liegt mir nicht, Schlechtes zu machen."
Einmal in ihrem Film benutzt Maischberger einen solchen Widerspruch, um ihre Gesprächspartnerin vorzuführen. „Was es für eine Wirkung hat, darüber habe ich mir doch keine Gedanken gemacht", behauptet Riefenstahl wiederum zum „Triumph des Willens". Prompt folgt ein Gegenschnitt auf die Regisseurin, die sich ihren eigenen Film nochmals ansieht und von der trefflichen „Wirkung der Fahrstuhl-Aufnahme" schwärmt.
Hitler war nicht ihr Typ
Einigen können sich die beiden Frauen jedenfalls darauf, dass Riefenstahl, wie Maischberger mutmaßt, sich außer für ihre Arbeit für „fast gar nichts" interessiere: „Das stimmt ziemlich", bestätigt Riefenstahl. Ihre Arbeit ist auch das Interessanteste an der Person Leni Riefenstahl - weit interessanter jedenfalls als die Zahl ihrer sexuellen Beziehungen, nach der Sandra Maischberger die fast 100-Jährige allen Ernstes fragt. Adolf Hitler übrigens zählte nicht dazu, wie Riefenstahl versichert. Der nämlich war „äußerlich auf keinen Fall der Typ, der mir als Mann gefallen hätte". Und was war mit den inneren Werten?„Ich bin in gewisser Beziehung vielleicht naiv, das wird mir manchmal nachgesagt", sagt Riefenstahl ganz am Anfang des Gesprächs, und beinahe - aber eben nur beinahe - nimmt man es ihr auch ab, wenn sie beteuert, sie habe stets nur „einfach das gefilmt, was mir gefallen hat": ob es afrikanische Krieger waren, deutsche Olympioniken oder NSDAP-Parteisoldaten. Oder auch exotische Meeresbewohner, wie in ihrem neuen Film „Impressionen unter Wasser". Ein Dokument, das in 45 Minuten zusammenfasst, wie Leni Riefenstahl die Welt sieht - und wie sie selbst gesehen werden möchte.
Der Themenabend „Leni Riefenstahl" läuft am Donnerstag, 15.8., bei Arte. Den Anfang machen um 22.55 Uhr die „Impressionen unter Wasser".
Text: @jöt
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Rheinische Post Kultur 16.8.2002 19:57
Tiefland-Komparsen" klagen an
Leni Riefenstahl gesteht Irrtum
Köln (rpo). Leni Riefenstahl hat eine Unterlassungserklärung gegenüber einer Überlebenden des Holocaust unterschrieben. Sie versichert, nicht mehr zu behaupten, sie habe alle in dem Film "Tiefland" mitwirkenden "Zigeuner" nach dem Krieg wiedergesehen. Eine solche Aussage Riefenstahls war vom Magazin der "Frankfurter Rundschau" zitiert worden.
Für Riefenstahls Film "Tiefland" waren nach Angaben des Vereins Rom e.V. zwischen 1940 und 1942 etwa 120 Sinti und zwei Roma aus NS-Lagern in Salzburg und Berlin zwangsverpflichtet worden.
Viele von ihnen seien später in Konzentrationslagern umgekommen, erklärte Rom e.V. weiter.
Der Streit um den Riefenstahl-Film dürfte aber weitergehen. Denn Rom e.V. hatte nach eigenen Angaben parallel bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt Strafantrag gegen Riefenstahl wegen Holocaustleugnung gestellt. Diese strafrechtliche Seite sei nun von der Staatsanwaltschaft zu beantworten, sagte der Anwalt von Rom e.V., Helge Sasse. "Ich wage die Prognose, dass nicht viel passieren wird", fügte der Anwalt allerdings hinzu.
Die Riefenstahl Produktion GmbH hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, die Filmemacherin bedaure die Verfolgung und das Leid der Sinti und Roma während des NS-Regimes. Sie habe sich jedoch immer gegen Behauptungen gewandt, sie hätte während der Dreharbeiten Kenntnis von den in Konzentrationslagern stattfindenden Gräueltaten gehabt. Die Behandlung der bei "Tiefland" mitwirkenden Sinti und Roma sei sehr zuvorkommend gewesen.
Nach wie vor fordern die Vereinsvertreter von Riefenstahl, die am 22. August 100 Jahre alt wird, eine Entschädigung für die noch lebenden Kleindarsteller. Sie habe zumindest eine "moralische Verpflichtung", hieß es in Köln.
© rp-online, ap, dpa, sid
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n-tv
Freitag, 16. August 2002
Urteil gegen Riefenstahl "Zigeuner-Komparsin" gewinnt
Leni Riefenstahl darf nicht mehr behaupten, keinem Einzigen der "Zigeuner-Komparsen" sei nach dem Krieg etwas passiert. Eine ehemalige "Zigeuner-Komparsin" und Überlebende des Holocaust erwirkte eine entsprechende Unterlassungserklärung von der Fast-Hundertjährigen. Die wegen ihrer NS-Propagandafilme umstrittene Regisseurin hatte stets wiederholt, sie habe "alle Zigeuner, die in (meinem Film) 'Tiefland' mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert ". Der Streifen entstand Anfang der 40er Jahre.
Vertreter des gemeinnützigen Vereins Rom forderten vor Journalisten zudem eine Geste der Wiedergutmachung von Riefenstahl. An der Veranstaltung, die nach Drohanrufen von der Polizei gesichert wurde, nahmen die Autoren Ralph Giordano und Günther Wallraff sowie die ehemalige "Zigeuner-Komparsin" Riefenstahls, die 73-jährige Zäzilia Reinhardt, teil.
Riefenstahl wird am 22. August 100 Jahre alt. Sie lebt am Starnberger See.
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