Berliner Zeitung 10.7.2001
BerlinOnline: Der schwere Weg der Versöhnung
Polens Staatspräsident Kwasniewski entschuldigt sich für das Pogrom an den Juden von Jedwabne. Viele Menschen im Dorf sind darüber empört
Paul Flückiger
JEDWABNE, 10. Juli. "Als Mensch, Bürger und Präsident entschuldige ich mich im Namen derjenigen, die mit den Opfern dieses Verbrechens mitfühlen. Jedwabne soll ein Ort der Versöhnung werden", sagt Aleksander Kwasniewski in strömendem Regen. Über 1 000 Menschen haben sich auf dem Marktplatz von Jedwabne versammelt, darunter zahlreiche jüdische Würdenträger und etwa 300 Presseleute aus aller Welt. Sie sollen hören, dass sich Polen von seinem Opfermythos verabschiedet; dass sich das Land dazu bekennt, im Zweiten Weltkrieg nicht nur Juden gerettet, sondern auch Juden auf bestialische Weise umgebracht zu haben.
Nur wenige Einwohner des ostpolnischen 2 000-Seelen-Städtchens sind unter den Zuschauern auszumachen. Auch ein offizieller Vertreter des polnischen Episkopats fehlt. Der konservative Premierminister Jerzy Busek will erst am Abend in Warschau zur Trauergemeinde stoßen.
Hingegen sind Angehörige der 1 600 Juden anwesend, die in Jedwabne am 10. Juli 1941 von ihren polnischen Nachbarn in eine Scheune getrieben und dort verbrannt wurden.
Lange Zeit galt dieses Pogrom als Tat deutscher Nazis. Dann wies der amerikanische Soziologe Jan Tomasz Gross in einem im November in Polen publizierten Buch nach, dass die polnischen, katholischen Einwohner selbst die Täter waren. Seitdem ist nichts mehr wie zuvor in dem nordostpolnischen Dorf.
"Wohin wir auch gehen, man zeigt plötzlich mit Fingern auf uns, selbst in Polen", sagt die Besitzerin des winzigen Buchladens. "Hundert Lügen über Jedwabne" war ihr letzter Renner. Es handelt sich um ein antisemitisch inspiriertes Buch, das Gross als Lügner zu entlarven versucht. Die Frau führte früher einen kleinen Hof. "1956 habe ich hier eingeheiratet, bin aus einem Nachbardorf hierher gezogen, was habe ich denn mit dem zu tun, was im Krieg geschehen ist?", fragt sie und wehrt ab.
"In jedem Volk gibt es ein paar schwarze Schafe." Auch ein paar hundert Meter weiter bei der ehemaligen Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus wird gebuddelt und gebaut. Bis zum März stand hier ein Gedenkstein "für die 1 600 von der Hitler-Polizei ermordeten Juden von Jedwabne".
Jetzt werden Marmorplatten für das neue Denkmal präpariert. Das deutsche Fernsehen filmt die Steinmetze. "Niemand will mit uns sprechen, die schlagen uns die Türen vor der Nase zu", klagt die ARD-Korrespondentin.
Der jüdische Friedhof gegenüber der Gedenkstätte wird von der Polizei bewacht. Unweit von hier wurden vor ein paar Wochen Exhumierungen vorgenommen. Man fand Hunderte von Männer-, Frauen- und Kinderknochen. Dass es weniger als erwartet waren, nutzen Vertreter des "Ortskomitees zur Verteidigung des guten Rufes von Jedwabne" Gross’ der Lüge zu bezichtigen. In Jedwabne, das vor dem Krieg halb jüdisch halb polnisch war, hat man das multikulturelle Erbe, wie fast überall in Polen, verdrängt. Der Sozialismus stülpte seine Werte über das Städtchen, die Kommunisten errichteten Fabriken, ein Restaurant, Läden mit vergitterten Schaufenstern und klobige Kioske. Das alles steht noch, doch das "Park-Restaurant" ist verstaubt und geschlossen, die landesweit bekannte Unterwäschefabrik des Ortes vor Jahren in Konkurs gegangen.
Nur der ehemalige Laden auf dem Dorfplatz boomt. Dort ist jetzt die "Relax-Bar". Stammkunden sitzen an den Tischen und heben Bierhumpen. "Wenn der Präsident nach Jedwabne kommt, schließen wir uns hier ein, schauen fern und trinken Bier", sagt einer. "Kwasniewski ist eine Windfahne, erst Kommunist, dann Demokrat und nun entschuldigt er sich auch noch - wofür eigentlich?"
Jedwabnes Bürgermeister Krzysztof Godlewski mochte sich mit solchen Einstellungen nicht abfinden. Doch der couragierte Volksvertreter wurde von seinen Wähler zurückgepfiffen. Am Dienstag nun obliegt ihm, die Gäste - darunter Überlebende des Pogroms - zur Gedenkfeier zu begrüßen. Godlewski hält sich an seinem Manuskript fest, hebt kaum die Augen. Er spricht von "traurigen Ereignissen", die sich damals unter der Sowjet- und Nazi-Besatzung zugetragen hätten.
Wer die Juden ermordet hat, sagt er nicht. Auch auf der Inschrift des neuen Gedenksteins steht es nicht.
Am Montag hatte sich daher der Europäische Jüdische Kongress zum Boykott der
Gedenkveranstaltung von Jedwabne entschlossen. Ähnliche Signale kamen aus Israel. Klare Worte von polnischer Seite gibt es auf der Gedenkveranstaltung einzig von Kwasniewski. Man kenne zwar noch nicht die ganze Wahrheit über die ostpolnischen Pogrome, sagt er, doch das halte ihn nicht davon ab, sich dafür zu entschuldigen, dass unter den Tätern auch Polen gewesen seien.
"Lasst uns unseren Schmerz und unsere Scham bekennen", fordert der Staatspräsident und erinnert seine Zuhörer an die multikulturelle und tolerante Tradition der Polen.
Mit zitternden Händen gedenkt dann der israelische Botschafter Shewah Weiss derer, die in Polen Juden versteckten und retten. Nach einem Schweigemarsch zum Ort des Verbrechens hält der Rabbiner von Warschau und Lodz, Michael Schuddrich, das Totengebet. Zuvor hat der aus Jedwabne stammende Rabbiner Jacob Baker im Namen der Opferfamilien von einem "der schönsten Tage in Polens Geschichte" gesprochen.
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Donau Kurier Politik 10.7.2001
Kwasniewski entschuldigt sich für Pogrom von Jedwabne
Jedwabne (dpa) - Der polnische Staatspräsident Kwasniewski hat sich heute im ostpolnischen Jedwabne öffentlich für das vor 60 Jahren verübte Pogrom an 1600 jüdischen Einwohnern der Kleinstadt entschuldigt. Es dürfe sich nie wiederholen, was in Jedwabne geschah, als Einwohner Jedwabnes am 10. Juli 1941 ihre jüdischen Nachbarn brutal ermordeten, sagte Kwasniewski. Die meisten der Opfer wurden bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt. Jahrzehntelang war der Tod der Juden von Jedwabne den deutschen Nazis angelastet worden.
DONAUKURIER , 10.07.2001
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News (ch) Politik 10.7.2001
Dienstag, 10. Juli 2001
Nicht deutsche Nazi-Besatzer, sondern Polen waren die Täter
Polens Präsident entschuldigt sich für Judenmorde
Jedwabne - Polens Staatspräsident Kwasniewski hat sich für die Ermordung mehrerer hundert Juden im Osten des Landes entschuldigt. Nie wieder dürfe sich wiederholen, was 1941 in der Stadt Jedwabne geschah.
Vor genau 60 Jahren haben Einwohner von Jedwabne ihre jüdischen Nachbarn brutal ermordet. Die meisten wurden lebendig in einer Scheune verbrannt.
Nach den Verbrechen hatte es lange Zeit geheissen, die Juden seien von den deutschen Nazi-Besatzern umgebracht worden.
Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Mörder Polen waren.
sk (Quelle: sda)
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TAZ Vermischtes 10.7.2001
Kwasniewskis schwerster Auftritt
Im Namen aller seiner Landsleute entschuldigt sich der polnische Staatspräsident für den Mord an den Juden in Jedwabne vor 60 Jahren. Mit dieser Geste versucht er auch die Spaltung innerhalb der polnischen Gesellschaft zu überwinden
aus Jedwabne GABRIELE LESSER
"Als Mensch, als Staatsbürger und als Präsident der Republik Polen entschuldige ich mich für das Verbrechen von Jedwabne", erklärte Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski gestern vor dreitausend Menschen, die aus ganz Polen auf den Marktplatz von Jedwabne gekommen waren. "Ich entschuldige mich in meinem Namen und in dem jener Polen, deren Gewissen durch das Verbrechen berührt wurde und die meinen, dass man nicht zugleich stolz sein kann auf die Größe der polnischen Geschichte, ohne auch den Schmerz und die Scham zu empfinden, die sich aus dem Bösen ergeben, das Polen anderen angetan hat."
Das Pogrom vom 10. Juli 1941, das erst in den letzten Monaten durch das Buch eines polnisch-amerikanischen Soziologen in der polnischen Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte eine Debatte ausgelöst, die Polens bisheriges Geschichtsbild zum Einsturz brachte. Den Mord an den Juden von Jedwabne und vielen anderen Städten in Ostpolen hatten nicht die Deutschen begangen, wie es auf allen Denkmälern hieß, sondern - auf Befehl der Deutschen oder auch ohne ihn - die katholischen Nachbarn. Der Schock über diese Entdeckung führte sowohl zu einer intensiven Gewissenserforschung als auch zu heftigen Abwehrreaktionen. In Jedwabne selbst klebten überall an den Hauswänden Plakate mit der Aufschrift: "Wir entschuldigen uns nicht! Die Täter waren die Deutschen". Am Abend vor der Gedenkfeier spielten Jugendliche Tanzmusik. Auch im Lande selbst war die Stimmung nach der halbherzigen Entschuldigung der Bischöfe Polens bei Gott und der Ankündigung Primas Glemps, auf keinen Fall an der Trauerfeier in Jedwabne teilnehmen zu wollen, gekippt.
Kwasniewski fand Worte, die sowohl Einfühlung in den Schmerz der Opfer und ihrer Familien ausdrückten als auch Verständnis für die Nachkommen der Täter und insbesondere die Einwohner Jedwabnes.
Bei den Jedwabnern bat er um Mitleid mit den Opfern, die vor 60 Jahren hier umgebracht wurden: "Die Opfer waren hilf- und schutzlos. Vielleicht werden wir niemals die ganze Wahrheit erfahren, aber es gibt keinen Zweifel - hier in Jedwabne starben Staatsbürger der Republik Polen von den Händen anderer Staatsbürger Polens. Menschen haben Menschen, Nachbarn Nachbarn dieses Schicksal bereitet."
Dann versuchte er die Jedwabner wieder zurück in die Gesellschaft Polens zu holen, um damit auch die Diskussion wieder in die richtige Richtung zu lenken. "Wir sind hier, um gemeinsam unser Gewissen zu erforschen. Wir erweisen den Opfern unsere Ehre und sagen ,Niemals wieder!' Seien wir heute alle Einwohner Jedwabnes! Fühlen wir mit ihnen. Verweilen wir mit ihnen im Gefühl der Trauer, der Scham und der Solidarität."
Am Ende verwies er noch eigens auf diejenigen Einwohner Jedwabnes, die vor 60 Jahren Juden gerettet hatten und von denen heute kein Einziger mehr in dem Dorf lebt - aus Angst vor den Nachbarn: "Gerecht ist derjenige, der Mitleid im Angesicht des Leidens zeigen konnte. Zahlreiche Polen - ebenso Einwohner Jedwabnes und umliegender Orte - verdienen den Namen eines Gerechten. Denken wir auch an sie heute mit größter Dankbarkeit und höchster Achtung."
Der Rabbiner Jakub Baker, der vor dem Pogrom aus Jedwabne emigiriert war, umarmte Kwasniewski. Auch Shewach Weiss, Botschafter Israels in Polen, war die Rührung anzusehen. "Ich danke Ihnen für Ihre warmen Worte, Herr Präsident", sagte er und fügte hinzu, dass er nur deshalb heute in Jedwabne sein könne, weil es auch andere "Nachbarn" in Polen gab. "Ich habe überlebt, weil mich unsere Nachbarn gerettet haben."
taz Nr. 6493 vom 11.7.2001, Seite 10, 121 Zeilen TAZ-Bericht GABRIELE LESSER , veränderter Artikel in taz-Ffm
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TAZ Vermischtes 10.7.2001
Das Pogrom von Jedwabne entzweit die Polen
Heute entschuldigt sich Präsident Kwasniewski für den Mord an Juden. Die gesellschaftliche Debatte hat eine neue Wende genommen
WARSCHAU taz Der neueste Warschauer Witz geht so: "Wann wird Emanuel Olisadebe ein echter Pole sein? Wenn er für Jedwabne um Entschuldigung bittet." Die Erklärung ist so einfach wie böse zugleich: "Der aus Nigeria stammende Olisadebe ist Polens Fußballstar Nummer eins. Er ist schwarz. Schuld an polnischen Pogromen kann ihn nicht treffen. Wir Polen sind solche Idioten, dass wir uns sogar für Dinge entschuldigen, die wir gar nicht getan haben."
Die Diskussion um das Buch "Nachbarn" des amerikanischen Soziologen Jan Tomasz Gross geht nun schon ins zweite Jahr. Die Frage, ob Polen tatsächlich im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierten und dabei halfen, die Juden im eigenen Lande zu ermorden, hat die Gesellschaft bis ins Mark getroffen. Das bisherige Geschichtsbild liegt in Trümmern. Polen waren im Zeiten Weltkrieg nicht nur Opfer, sondern auch Täter.
Vor einem guten Monat noch hielt Konstanty Gebert, Gründer der jüdischen Zeitschrift Midrasz, die sehr kontrovers geführte Debatte für einen Befreiungsschlag. In einem Interview sagte er: "Ich denke, dass es für Polen unglaublich wichtig ist, dass wir in den Spiegel sehen können, ohne Angst zu haben vor dem Schrecklichen, das wir da eventuell in der Vergangenheit entdecken müssen. Polen ist nicht die einzige Nation, die sich die schwarzen Seiten ihrer Geschichte ins Gedächtnis zurückrufen muss. Aber die Diskussion, die leidenschaftlich, aber auch verantwortungsvoll geführt wird, zeigt, dass Polen die Kraft und das Selbstvertrauen zu diesem Blick in den Spiegel bereits hat."
Doch heute ist Geberts Optimismus nur noch gedämpft. Seitdem die Exhumierung eines Teils der Opfer von Jedwabne abgeschlossen ist, hat die Diskussion eine Kehrtwende vollzogen. Über Schuld und Sühne redet seitdem kaum noch jemand. Denn statt der 1.600 Toten wurden "nur" die Überreste von 200 gefunden. Außerdem rund 100 Patronenhülsen und zwei Kugeln, die wahrscheinlich aus deutschen Waffen stammen. Damit war für die so genannten echten Polen sofort klar, dass die Überlebenden des Progroms gelogen hatten und die wahren Täter doch die Deutschen waren.
Nicht erwähnt wird, dass das dritte Massengrab auf dem jüdischen Friedhof nicht geöffnet wurde, um die Totenruhe nicht zu stören. Nicht erwähnt wird auch, dass mit zwei Kugeln aus einer Pistole und einem Karabiner nicht zweihundert Menschen erschossen werden können. Oder dass die Patronenhülsen überall im Feld liegen. In Jedwabne verlief zwei Mal im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Front.
Dennoch hofft der aus den USA stammende Rabbiner von Warschau und Lodz, Michael Schudrich, dass zur Trauerfeier am Dienstag möglichst viele Polen kommen werden: "Vielleicht kann man sagen, dass das höchste Ziel, das wir erreichen könnten, darin besteht, gemeinsam um die Toten zu trauern. Auch wenn wir nicht ganz verstehen, was tatsächlich an jenem Tag in Jedwabne geschah. Die gemeinsame Trauer um die ermordeten Juden von Jedwabne ist ein weiterer Schritt hin zur Versöhnung zwischen Juden und Polen."
Bereits vor Monaten hat Primas Józef Glemp, das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, seine Teilnahme an der Trauerfeier in Jedwabne abgesagt und dafür einen katholischen Sühnegottesdienst in Warschau abgehalten. Allerdings in einer Kirche, in deren Kellergewölbe sich bis heute die größte antisemitische Buchhandlung Warschaus befindet. Ausgerechnet hier hat der Primas Gott um Vergebung für die Sünde des Antisemitismus gebeten.
Wenn heute, am 60. Jahrestag des Pogroms, bei dem fast alle Juden Jedwabnes ermordet wurden, Staatspräsident Aleksander Kwasniewski die Juden um Entschuldigung bittet, wird einer fehlen: der Primas von Polen. "Schließlich", so erklärte er unlängst, "ist die Versöhnung, insbesondere mit der jüdischen Seite, doch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Nein, ich werde nicht nach Jedwabne kommen. Ich will nicht, dass es dort zu einem Schaulaufen kommt."
taz Nr. 6492 vom 10.7.2001, Seite 11, 136 Zeilen TAZ-Bericht GABRIELE LESSER
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TAZ Vermischtes 10.7.2001
Trauerfeier
Neues Denkmal für die Opfer
In der ostpolnischen Kleinstadt Jedwabne ist am Samstag das Denkmal aufgestellt worden, das an Hunderte jüdische Opfer eines polnischen Pogroms vor 60 Jahren erinnert. Offiziell wird es heute eingeweiht. Der Text des Denkmals, in dem es keinen Hinweis auf die Täter gibt, ist nach wie vor umstritten. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft hatten sich dafür ausgesprochen, dass die Gedenktafel den Satz "ermordet von ihren Nachbarn" enthält. Jahrzehntelang hatte am gleichen Ort ein Gedenkstein an die laut Aufschrift von der Gestapo ermordeten Juden erinnert. DPA
taz Nr. 6492 vom 10.7.2001, Seite 11, 20 Zeilen Agentur
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Frankfurter Rundschau Politik 10.7.2001
Historische Korrektur
Präsident Kwasniewskis Erklärung zum Jedwabne-Progrom ist ein Anfang - aber kein Durchbruch in den polnisch-jüdischen Beziehungen
Von Thomas Roser
Mühsam ringen die Polen mit der Aufarbeitung eines lange tabuisierten Kapitels ihrer Geschichte. Die seit Monaten anhaltende Diskussion um Schuld und Sühne für das Pogrom von Jedwabne verdeutlicht, wie schwer die Korrektur des historischen Selbstbilds fällt und wie tief antisemitische Stimmungen teilweise noch verwurzelt sind. Unzulässig und falsch wäre es, die Morde von Jedwabne mit dem staatlich organisierten Völkermord der Nationalsozialisten gleichzusetzen. Die Debatten in Polen über das Pogrom erinnern dennoch in Teilen an deutsche Vergangenheitsbewältigung, zeugen von dem Bemühen der Nachbarn um einen offeneren Umgang mit ihrer lange nur als Kette von Leiden dargestellten Geschichte.
Rund die Hälfte der Bevölkerung sprach sich in Umfragen gegen eine Entschuldigung für das Pogrom aus. Im September stehen Parlamentswahlen in Polen an. Präsident Kwasniewski hat im Gegensatz zur katholischen Kirchenführung ganz klar Stellung genommen. Eindeutig und würdig hat er sich für das Pogrom von Jedwabne entschuldigt und damit die Grundlage dafür gelegt, einen ehrlichen jüdisch-polnischen Dialog überhaupt wieder aufzunehmen.
Doch noch trennte die Polizei bei der Feier die Angehörigen der Opfer und die Nachkommen der Täter, konnten sich nur wenige Bischöfe zur Bekundung ihrer Solidarität mit ihren jüdischen Mitbürgern durchringen. Ein Anfang ist mit der Präsidenten-Erklärung von Jedwabne zwar gemacht. Aber von einem echten Durchbruch in den polnisch-jüdischen Beziehungen kann noch nicht die Rede sein.
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Erscheinungsdatum 11.07.2001
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Frankfurter Rundschau Vermischtes 10.7.2001
Die Kirche fehlte beim Gedenken
Polens Präsident entschuldigt sich für Juden-Pogrom von 1941
Von Thomas Roser (Warschau)
Nach monatelangen Debatten hat sich Präsident Alexander Kwasniewski am 60. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne öffentlich bei den Angehörigen der von ihren polnischen Nachbarn ermordeten Juden entschuldigt. Doch nicht nur viele Bewohner des Ortes, sondern auch kirchliche Würdenträger blieben der Feier fern.
An Deutlichkeit ließ die mit Spannung erwartete Rede des polnischen Präsidenten nichts zu wünschen übrig. Es gebe "keine Zweifel", dass Polen in Jedwabne von Polen ermordet worden seien, betonte Kwasniewski: ,,Es war ein Verbrechen, für das es keine Entschuldigung gibt. Ich entschuldige mich persönlich, als polnischer Staatsbürger und Präsident Polens." Sichtlich ergriffen umarmte der Rabbiner aus New York auf dem regenverhangenen Marktplatz von Jedwabne den Präsidenten.
1938 hatte der heute 86-jährige Jack Baker seinen ostpolnischen Heimatort verlassen, um in den USA sein Thora-Studium fortzusetzen. Seine Angehörigen sollte der Geistliche nie mehr wiedersehen: Am 10. Juli 1941 wurden fast alle jüdischen Bewohner des Ortes nach dem Einmarsch der Deutschen von ihren Mitbürgern ermordet.
Jahrzehntelang lastete ein Gedenkstein in Jedwabne die Ermordung der 1600 Juden der "Gestapo und Hitler-Polizei" an. Es war der Soziologe Tomasz Gross, der mit seinem Buch "Nachbarn" im letzten Jahr die Debatte um das Pogrom und das Geschichtsbild der Polen entfachte. Es gehe nicht darum, die Generation der Kinder für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen, betonte Kwasniewski: "Doch es gilt, die schmerzliche Wahrheit auszusprechen. Nur dadurch ist echte Erinnerung möglich."
Wie schwer manchen Polen der offene Umgang mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte und mit antisemitischen Vorbehalten fällt, zeigte die Gedenkfeier in Jedwabne. Die meisten Bewohner des Ortes, aber auch führende Vertreter der katholischen Kirche und des konservativen Regierungsbündnisses AWS, waren der vom Fernsehen übertragenen Trauerfeier ferngeblieben. Er habe schon in einem Gedenkgottesdienst im Mai für die Toten von Jedwabne gebetet, ließ Kardinal Jozef Glemp mitteilen. Ortspriester Edward Orlowski wollte den Tag in aller Ruhe zu Hause verbringen: "Die Deutschen waren für das Massaker verantwortlich. Warum sollten wir uns entschuldigen?"
Noch am Vorabend hingen in einigen Läden Flugblätter des Komitees zur "Verteidigung des guten Namens von Jedwabne" aus, die dazu aufforderten, der Feier fernzubleiben. Diejenigen, die sich dennoch auf dem Marktplatz einfanden, wurden von der Polizei von den Angehörigen der Opfer getrennt.
Siehe auch den Kommentar "Historische Korrektur"
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Erscheinungsdatum 11.07.2001
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Süddeutsche Zeitung Politik 10.7.2001
„Das Böse, das Polen anderen angetan haben"
Mit seiner Entschuldigung für das Jedwabne-Massaker gewinnt Staatschef Kwasniewski Anerkennung – und verliert auch Sympathien
Es war „ein schrecklicher Tag". Das sagt Polens Präsident Aleksander Kwasniewski über den 10. Juli 1941 in Jedwabne im von den Deutschen besetzten Ostpolen. Am Dienstag besuchte Kwasniewski den kleinen Ort, um dessen zu gedenken, was an jenem Tag vor 60 Jahren geschah: Hunderte, möglicherweise bis zu 1600, jüdische Einwohner von Jedwabne kamen qualvoll ums Leben. Als ihre Mörder galten jahrzehntelang die Nazis, und so stand es auch auf einem Gedenkstein in Jedwabne.
Vergangenes Jahr erschien in Polen ein Buch des Autors Jan Tomasz Gross mit dem Titel „Nachbarn". Das erzählte eine andere Geschichte. Die Mörder der Juden von Jedwabne waren demnach deren katholische Nachbarn gewesen. Ohne Beteiligung der deutschen Besatzer sollen die Polen sie in eine Scheune getrieben und dort verbrannt haben. Mit „Nachbarn" hat der in New York lebende Autor die wohl heftigste und schmerzhafteste Debatte des Nachkriegs–Polen ausgelöst. Im Kern geht es um den Umgang mit dem polnischen Antisemitismus und die Frage, ob Polen im Zweiten Weltkrieg nur Opfer oder in bestimmten Fällen auch Täter waren.
Dass am Pogrom von Jedwabne Polen beteiligt waren, wird von keinem seriösen Historiker bezweifelt. Umstritten ist aber die Rolle der Deutschen. Nach Darstellung von Gross waren sie aktiv nicht an dem Mord in Jedwabne beteiligt, dies aber wird von einer Reihe polnischer Wissenschaftler bestritten. Das polnische Institut des nationalen Gedenkens (IPN) führt derzeit eine Untersuchung durch, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll. „Nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen steht fest, dass Polen an dem Pogrom teilgenommen haben. Ungeklärt ist hingegen die Frage, ob an dem Mord Deutsche aktiv beteiligt waren und wenn ja, wie viele. Nicht geklärt ist auch die Zahl der ermordeten Jedwabner Juden", sagte IPN-Präsident Leon Kieres am Dienstag dem Polnischen Rundfunk.
In Jedwabne steht nun ein neuer Gedenkstein: „Im Andenken an die Juden aus Jedwabne und seiner Umgebung, an Männer, Frauen und Kinder ... ermordet, lebend verbrannt an diesem Ort am 10. Juli 1941." Weil jedes Wort über die Täter fehlt, boykottierten jüdische Organisationen aus dem Ausland die Gedenkfeier. Auch deshalb war mit Spannung erwartet worden, wie weit Kwasniewski mit seiner Geste in Jedwabne gehen würde.
„Wir wissen über das Verbrechen viel, aber noch nicht alles", sagte Kwasniewski, aber er nutzte dies nicht als Alibi. Stattdessen fand er deutliche Worte: „Bürger Polens starben durch die Hand von Bürgern Polens, Menschen haben das Menschen, Nachbarn haben das Nachbarn angetan." Dass Polen von den Deutschen besetzt gewesen sei, rechtfertige nichts. Für keinen Polen habe dies die Normen der Zivilisation außer Kraft setzen dürfen.
Der frühere Kommunist sprach auf dem Marktplatz von Jedwabne die entscheidenden Worte aus, die ihm viel Anerkennung bringen, aber in Teilen der polnischen Bevölkerung auch viele Sympathien kosten werden: „Deshalb entschuldige ich mich heute als Mensch, als Bürger und als Präsident der Republik Polen. Ich entschuldige mich in meinem Namen, aber auch im Namen jener Polen, deren Gewissen durch dieses Verbrechen berührt wird, und im Namen jener, die glauben, dass man nicht stolz sein kann auf die Größe der polnischen Geschichte, ohne gleichzeitig Schmerz und Scham zu empfinden über das Böse, das Polen anderen angetan haben." Unter den Zuhörern waren auch Angehörige der damaligen Opfer. Bürger von Jedwabne waren kaum unter ihnen.
Daniel Brössler
Außerdem in dieser Ausgabe:
Kommentar : Kwasniewskis Courage
Polens Präsident Aleksander Kwasniewski hat zwei demokratische Wahlen gewonnen. Er hat sein Land in die Nato geführt und ein gutes Stück auf dem Weg in die Europäische Union vorangebracht. Dem Schatten seiner Vergangenheit konnte er dennoch nie ganz entfliehen. Wer einst dem kommunistischen Polen als Minister gedient hat, dem bleibt im demokratischen Polen ein Makel. Oft ist Kwasniewski deshalb ein Opportunist gescholten worden, stand er im Verdacht, sich gewissenlos mit dem Wind zu wenden.
Mit der Entschuldigung für das Pogrom an den Juden von Jedwabne hat er nun sich und seinem Land einen großen Dienst erwiesen. Sich, weil er tat, was ein Opportunist nie getan hätte. Er hat Worte gegen den Wind gesprochen. Seine Entschuldigung wird vielen in Polen zu weit gehen. Kwasniewski hat wohl kaum neue Anhänger gefunden, aber gewiss an Statur gewonnen. Seinen Entschluss erleichtert hat freilich die Tatsache, dass er die Gunst des Wählers nicht mehr braucht. Für eine dritte Amtszeit darf er nicht kandidieren. Seinem Land hat Kwasniewski einen Dienst erwiesen, weil er glaubwürdiger ein modernes Polen nicht hätte repräsentieren können. Ein Polen, das sich kritisch mit seiner Geschichte auseinander setzt.
Das aber sollte nicht missverstanden werden, vor allem in Deutschland nicht. Der Holocaust war ein deutsches Werk. Opfer des Nazi-Terrors waren auch Millionen katholische Polen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass auch einzelne Polen Verbrechen begangen haben. Dass Polens oberster Repräsentant diese Verbrechen eingesteht, gibt Deutschen nur Anlass zu Respekt, keinesfalls aber zur Selbstgerechtigkeit. dbr
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Der STANDARD (Wien), Vermischtes 10.7.2001
Auch deutsche Täter
Munition der Wehrmacht wurde gefunden
Mittwoch, 11. Juli 2001, Seite 3
Warschau - Nach dem Abschluss der Exhumierung von Pogrom-Opfern in Jedwabne hatten polnische Ermittler auch Indizien für eine Beteiligung deutscher Täter an der Ermordung der Juden gefunden. Auf dem Gebiet der ehemaligen Scheune, in dem die Opfer lebendig verbrannt wurden, wurde Munition gefunden, wie sie von deutschen Offizieren verwendet wurde. Doch der Historiker Jan Tomasz Gross hatte in seinem Buch "Nachbarn" berichtet, Einwohner von Jedwabne hätten das Verbrechen begangen.
Das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), das für die Verfolgung nationalsozialistischer und stalinistischer Verbrechen zuständig ist, ermittelte und konnte aber aus Rücksicht auf jüdische Religionsgesetze keine vollständige Exhumierung der Opfer vornehmen. So ist die Lücke zwischen den nachweislichen 200 Pogrom-Opfern und den übrigen der 1600 Juden von Jedwabne zu erklären. (red)
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DER STANDARD
Mittwoch, 11. Juli 2001, Seite 3
"Entschuldige mich für Verbrechen"
Polens Präsident Kwasniewski bat um Vergebung für ein Pogrom an Juden im Jahr 1941
STANDARD-Korrespondentin Gabriele Lesser aus Jedwabne
"Als Mensch, als Staatsbürger und als Präsident der Republik Polen entschuldige ich mich für das Verbrechen von Jedwabne", erklärte Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski am Dienstag vor dreitausend Menschen, die aus ganz Polen auf den Marktplatz von Jedwabne gekommen waren. "Ich entschuldige mich in meinem Namen und in dem jener Polen, deren Gewissen durch das Verbrechen berührt wurde, und die meinen, dass man nicht zugleich stolz sein kann auf die Größe der polnischen Geschichte, ohne auch den Schmerz und die Scham zu empfinden, die sich aus dem Bösen ergeben, was Polen anderen angetan haben."
Das Pogrom vom 10. Juli 1941, das erst in den letzten Monaten durch das Buch des polnisch-amerikanischen Soziologen Jan Tomasz Gross in der polnischen Öffentlichkeit bekannt, hatte eine Debatte ausgelöst, die Polens bisheriges Geschichtsbild zum Einsturz brachte.
Den Mord an den Juden von Jedwabne und vielen anderen Städten in Ostpolen hatten nicht die Deutschen begangen, wie es auf allen Denkmälern hieß, sondern - auf Befehl der Deutschen oder auch ohne ihn - die katholischen Nachbarn. Der Schock über die Entdeckung, dass Polen im Zweiten Weltkrieg nicht nur Opfer waren, sondern auch Täter, führte sowohl zu einer intensiven Gewissenserforschung als auch zu heftigen Abwehrreaktionen.
In Jedwabne selbst klebten überall an den Hauswänden Plakate mit der Aufschrift: "Wir entschuldigen uns nicht! Die Täter waren die Deutschen." Am Abend vor der Gedenk- und Trauerfeier spielten Jugendliche demonstrativ laut Tanzmusik. Auch im Lande selbst war die Stimmung nach der halbherzigen Entschuldigung der Bischöfe Polens bei Gott und der Ankündigung von Primas Jozef Glemp, auf keinen Fall an der Trauerfeier am 60. Jahrestag in Jedwabne teilnehmen zu wollen, gekippt.
Präsident Kwasniewski machte in seiner Rede das Unmögliche möglich und fand Worte, die sowohl Einfühlung in den Schmerz der Opfer und ihrer Familien ausdrückten als auch Verständnis für die Nachkommen der Täter und insbesondere die Einwohner Jedwabnes, die seit Monaten im Scheinwerferlicht der Medien stehen und das Etikett der National-Verstockten tragen. Bei den Jedwabnern bat er um Mitleid mit den Opfern, die vor 60 Jahren hier umgebracht wurden: "Die Opfer waren hilf- und schutzlos. Vielleicht werden wir niemals die ganze Wahrheit erfahren, aber es gibt keinen Zweifel - hier in Jedwabne starben Staatsbürger der Republik Polen von den Händen anderer Staatsbürger Polens."
Am Ende schließlich verwies er noch eigens auf diejenigen Einwohner Jedwabnes, die vor 60 Jahren Juden gerettet hatten und von denen heute kein Einziger mehr in dem Dorf lebt - aus Angst vor den Nachbarn: "Gerecht ist derjenige, der Mitleid im Angesicht des Leidens zeigen konnte."
Der Rabbiner Jakub Baker, der bereits vor dem Pogrom aus Jedwabne mit seinen Eltern emigriert war, umarmte Kwasniewski spontan. Und auch Shewach Weiss, dem Botschafter Israels in Polen, war die Rührung anzusehen.
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Mannheimer Morgen Politik 10.7.2001
"Es waren Nachbarn, die die Juden töteten"
Der schwierige Gang des polnischen Staatschefs Aleksander Kwasniewski nach Jedwabne Von unserem Redaktionsmitglied Hans-Dieter Füser
Aleksander Kwasniewski hält an seiner Entscheidung fest. Wenn in Jedwabne heute des Pogroms vom 10. Juli 1941 gedacht wird, will sich der Staatspräsident dafür entschuldigen, dass damals die polnische Hälfte der Dorfbevölkerung die Jüdische umgebracht hat.
Nicht nur die heutigen Einwohner der idyllisch gelegenen Kommune im Nordosten des Landes versuchen, die schrecklichen Ereignisse zu verdrängen. Sie wissen auch konservative Kirchenführer und Historiker auf ihrer Seite. "Vielen Menschen", meint dazu Kwasniewski, "fällt es schwer zu akzeptieren, dass wir uns im Zweiten Weltkrieg nicht nur heldenhaft behauptet haben - was sicher richtig ist. Leider gab es auch Grausamkeiten." Für den Staatschef ist der Gang nach Jedwabne daher "die größte Herausforderung meiner bisherigen Amtszeit".
Granitblöcke markieren bis heute den Grundriss jener Scheune, die für die jüdischen Bewohner vor 60 Jahren zur Todesfalle wurde. Einen Tag lang prügelte ein entfesselter Mob - kurz nach dem Einmarsch der Deutschen in die bis dahin von den Sowjets besetzte Region - seine jüdischen Nachbarn auf bestialische Weise zu Tode. Hunderte der Opfer pferchten die Täter schließlich in die Scheune in der Nähe des jüdischen Friedhofs. Dann setzten sie das Gebäude in Brand, und im ganzen Dorf waren die Schreie der Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannten, zu hören. Am Ende gab es mehrere Hundert, nach anderen Angaben etwa 1600 Tote zu beklagen.
Die Auseinandersetzung mit derartigen Themen war in Polen über lange Jahre tabu. Zwar wanderten nach dem Krieg einige der schlimmsten Schlächter von Jedwabne für mehrere Jahre hinter Gitter, doch eine gründliche Aufarbeitung des Pogroms blieb aus.
Das kommunistische Regime nutzte gar antisemitische Vorbehalte in der Bevölkerung aus und ließ 1962 einen Gedenkstein errichten, der die "Gestapo (Geheime Staatspolizei, d. Red.) und die Hitler-Polizei" für das Massaker verantwortlich machte. Erst das vor etwa einem Jahr veröffentlichte Buch "Nachbarn" des Ende 1968 in die Vereinigten Staaten emigrierten polnischen Soziologen Jan Tomasz Gross trat eine Debatte bisher nicht gekannten Ausmaßes in seiner Heimat los.
Die Arbeit beruht auf Augenzeugenberichten - und traf Polen wie ein Keulenschlag. Denn nach seinen Erkenntnissen hatten die deutschen Besatzer zwar das Pogrom initiiert, begangen wurde es aber von den Bewohnern Jedwabnes. Gross: "Es waren nicht die Nazis, sondern Nachbarn, die die Juden töteten."
Vorwürfe von interessierter Stelle blieben nicht aus. Gross habe unsorgfältig gearbeitet, die Deutschen hätten die Bewohner zu dem Massaker gezwungen, die Juden sich zudem zuvor der Kollaboration mit den Sowjets schuldig gemacht, so die gängigen "Argumente".
Doch Kwasniewski ließ sich nicht beirren. Schmerzlich sei für ihn die Lektüre des Buches gewesen, gestand er öffentlich ein. "Doch wir dürfen unseren Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen unserer Trauer Ausdruck geben und uns für diejenigen entschuldigen, die dieses Verbrechen begingen."
© Mannheimer Morgen – 10.07.2001
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Die Welt, Politik 10.7.2001
"Wir ehren die Opfer und sagen nie wieder"
Polens Präsident Aleksander Kwasniewski gedenkt den Opfern des Judenpogroms von Jedwabne – Von Gerhard Gnauck
Jedwabne - Auf dem Marktplatz der Kleinstadt Jedwabne hat die größte Geschichtsdebatte in Polen seit 1989 mit einem Staatsakt ihren Höhepunkt erreicht. Vor mehreren hundert Gästen gedachte Polens Präsident Aleksander Kwasniewski der Opfer des Judenpogroms von Jedwabne vom 10. 7. 1941 und anderer Pogrome in dieser Gegend. "Als Mensch, als Bürger und als Präsident der Republik Polen bitte ich um Entschuldigung. Ich bitte um Entschuldigung in meinem Namen und im Namen derjenigen Polen, deren Gewissen dieses Verbrechen bewegt."
Vor 60 Jahren hatten Polen auf diesem Marktplatz im Nordosten des Landes hunderte ihrer jüdischen Nachbarn zusammengetrieben, misshandelt und schließlich zu einer Scheune getrieben, in der sie bei lebendigem Leibe verbrannt wurden.
Kwasniewski erinnerte in seiner Ansprache mehrfach an die "Billigung und Anregung", mit der die deutschen Besatzer den Pogrom mit vorbereitet hätten. Zugleich sagte er, Bürger der Republik Polen hätten anderen Bürgern derselben Republik den Tod bereitet. "Wir sind hier mit dem Ziel einer kollektiven Gewissenserforschung. Wir ehren die Opfer und sagen nie wieder."
Der Präsident betonte, er sage diese Worte nicht, weil irgendjemand, etwa das Ausland, sie erwarte, sondern "weil wir selbst sie am dringendsten brauchen". Polen habe heute den Mut, auch über düstere Kapitel seiner Geschichte zu sprechen.
An die Einwohner der Stadt gewandt, die die Feier mit kritischen Blicken beobachteten, sagte er, Jedwabne müsse zu einem Ort der Versöhnung werden. "Man darf nicht von kollektiver Verantwortung reden, die die Einwohner eines Ortes oder ein ganzes Volk mit Schuld belastet . . . Kain hätte Abel an jedem Ort töten können."
Der Botschafter Israels in Polen, der frühere Knesset-Präsident Schewach Weiss, forderte zum Kampf gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt auf. Weiss erinnerte daran, dass Polen, "andere Nachbarn" als die in Jedwabne, ihn und seine Familie vor dem Holocaust gerettet haben.
Der Botschafter nahm in seiner Rede als einziger zu der Inschrift auf dem anschließend enthüllten Mahnmal Stellung. Darin wird nicht gesagt, wer die Täter waren. Er hoffe, dass es nach Abschluss der Ermittlungen eine Inschrift geben werde, "die die historische Wahrheit enthält, wie schmerzhaft sie auch immer sein mag". Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die erst im Herbst enden sollen, hatte das "Institut des Nationalen Gedenkens" eingeleitet, eine der deutschen Gauck-Behörde vergleichbares Amt. Dessen Vorsitzender Leon Kieres war ebenso anwesend wie der um die polnisch-jüdische Verständigung verdiente polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski.
Nach dem Ende der Ansprachen zogen die Teilnehmer schweigend den Weg entlang, auf dem die Juden 1941 zur Scheune getrieben worden waren. Einige der Gäste, unter ihnen Juden aus der Gegend, die Polen vor dem Holocaust gerettet hatten, trugen weiße Nelken. Am Ort, wo die Scheune gestanden hatte, sprachen Rabbiner das jüdische Totengebet. Das Mahnmal hat die Form eines jüdischen Grabsteins, in den vorne eine Tafel aus verkohltem Holz eingelassen ist.
Zu Protesten von Einwohnern kam es nicht. In den vergangenen Tagen waren in der Gegend anonyme Flugblätter aufgetaucht, die zu Demonstrationen aufriefen. Die polnische Polizei hatte gedroht, jegliche Anstiftung zum Rassenhass unnachgiebig zu verfolgen. Dennoch bleibt der Umgang mit dem Verbrechen weiterhin umstritten. Erst am Montag hatte ein Autor in der regierungsnahen Zeitung "Zycie" gegen die bevorstehenden "Bußrituale", einen Bestandteil der "Holocaust-Industrie", protestiert. Der Pogrom sei "nicht eine Idee der Polen gewesen, sondern Element der planmäßigen Politik der Nazis auf den nach dem 22. Juni 1941 besetzten Gebieten. Die Deutschen waren (...) der wichtigste ursächliche Faktor der Tragödie der jüdischen Einwohner von Jedwabne."
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Die Welt, Politik 10.7.2001
Gute Nachrichten aus Polen
Kommentar
Von Gerhard Gnauck
Am Dienstag hat Polen der Opfer des Judenpogroms von Jedwabne gedacht. Präsident Aleksander Kwasniewski bat in aller Demut um Entschuldigung für das Verbrechen, bei dem 1941, nach dem Einmarsch der Deutschen im Osten Polens, Bewohner der Kleinstadt Hunderte ihrer jüdischen Nachbarn ermordet hatten. Schon Kwasniewskis Vorgänger Walesa hatte um Entschuldigung für den polnischen Antisemitismus gebeten. Doch erst das Buch "Nachbarn" des Historikers Jan Tomasz Gross hat vor einem Jahr eine große Debatte entfacht. Die Diskussion über Jedwabne hat die Nation erschüttert. Es war die größte Geschichtsdebatte der 1989 begründeten Dritten Republik. Was die Dreyfus-Affäre für Frankreich war, schrieb eine polnische Zeitung zu Recht, war die Jedwabne-Debatte für Polen.
Es kennzeichnet große Debatten, dass in ihnen unsachliche, auch verletzende Töne zu hören sind, dass Traditionsbestände an die Oberfläche gespült werden, von denen viele gewünscht hätten, dass sie im Halbdunkel des Unveröffentlichten geblieben wären.
Die am häufigsten gestellte Frage war wohl die, ob eine Entschuldigung den Polen, auch den heute lebenden, nicht eine Kollektivschuld aufbürde und das Land in eine Reihe stelle mit Deutschland, wo der Holocaust seinen Ausgang nahm. Zugleich wurde nach den Wurzeln des polnischen Antisemitismus gefragt, ferner nach der jüdischen Kollaboration mit der Sowjetmacht, welche manche zur Erklärung oder gar Rechtfertigung des Verhaltens der Täter heranziehen.
Zweierlei ist schon jetzt als Ergebnis festzuhalten: Kein ernst zu nehmender Historiker kann eine Beteiligung polnischer Täter an diesem und ähnlichen Pogromen noch leugnen. Zugleich hat das neue Polen eine neue Formel gefunden, über die Opfer zu sprechen. Der oberste Aktenverwalter Leon Kieres, der immer mehr in die Rolle eines polnischen Joachim Gauck hineinwächst, hat sie in der Debatte vorgegeben, und Präsident Kwasniewski hat sie gestern wiederholt: In Jedwabne haben Bürger der Republik andere Bürger derselben Republik ermordet. Das knüpft an das Nationsverständnis der alten Adelsrepublik an, in der jeder, gleich welches Glaubens oder welcher "Rasse", gleichermaßen Pole sein konnte. In diesem Sinne hat sich Polen gestern eine neue Selbstdefinition gegeben, eine neue und doch alte Identität.
Den Autor erreichen Sie unter: forum@welt.de
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Kurier (Wien) Politik 10.7.2001
"Zum Gedenken an die Juden von Jedwabne"
Jedwabne - Beim Pogrom in Jedwabne wurden am 10. Juli 1941 rund 1.600 Juden in der polnischen Kleinstadt qualvoll ermordet. Als Täter des Massenmordes wurden jahrzehntelang die deutschen Nationalsozialisten genannt. Erst der Soziologe Jan Tomasz Gross fand heraus, dass es die polnischen Nachbarn waren, die damals ihre jüdischen Mitbürger bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrennen ließen. Die Erkenntnisse schockierten Polen und lösten eine Debatte über die Vergangenheitsbewältigung aus.
Schreie der 1.600 Juden aus dem Feuer
Die Opfer des Pogroms wurden laut Augenzeugen des Massakers in Jedwabne zunächst auf den Marktplatz gezwungen und dann in einen leeren Stall getrieben. Dann schlossen Polen in Gegenwart deutscher Nazis die Türen, verschütteten Benzin und setzten den Stall in Flammen. Aus dem Stall waren Schreie zu hören, als die rund 1.600 eingeschlossenen Juden bei lebendigem Leib verbrannten. Viele Polen betonen, ihre Landsleute seien von den deutschen Besetzern damals zu Verbrechen gezwungen worden. Hätten sie Widerstand geleistet, wären sie entweder getötet oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden.
Gedenkstein an den 10. Juli 1941
Am Wochenende wurde ein neues Denkmal in Jedwabne aufgestellt. Zuvor hatte ein einfacher Stein mit der Aufschrift "Von der Gestapo und Hitlers Gendarmen" an das Verbrechen erinnert. Das neue Denkmal, ein Betonblock mit einem verbrannten Stück Holz aus einem jüdischen Grab, trägt eine dreisprachige Aufschrift: "Zum Gedenken an die Juden von Jedwabne und aus der Region, diese Männer, Frauen und Kinder, die auf diesem Boden lebten und an diesem Ort am 10. Juli 1941 umgebracht und bei lebendigem Leib verbrannt wurden." Kritiker beklagen, dass die Mitschuld der polnischen Nachbarn an dem Verbrechen nicht ausdrücklich erwähnt wird.
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Kurier (Wien) Politik 10.7.2001
"Polnische Bürger durch ihre Mitbürger gestorben"
Jedwabne - Der polnische Präsident hat sich öffentlich für das Pogrom an den 1.600 jüdischen Einwohnern des Ortes Jedwadne vor 60 Jahren entschuldigt. "Ich entschuldige mich persönlich, als polnischer Staatsbürger und Präsident Polens", sagte Kwasniewski bei einer Gedenkfeier am Dienstag. Nie wieder dürfe sich wiederholen, was in Jedwabne geschah, als Einwohner des Ortes ihre jüdischen Mitbürger am 10. Juli 1941 brutal ermordeten.
"Opfer waren schutz- und hilflos"
Die meisten Opfer wurden bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt. Es gehe nicht um Kollektivschuld oder darum, die Generation der Kinder für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen, sagte Kwasniewski. Doch es gelte, die schmerzliche Wahrheit auszusprechen. "Die Opfer waren schutz- und hilflos. Die Verbrecher fühlten sich straffrei, weil die deutschen Besatzer solche Taten wollten", erinnerte Kwasniewski an das Verbrechen vor 60 Jahren, das durch nichts zu rechtfertigen sei.
"Es waren die Deutschen"
"Wir können keinen Zweifel haben - hier in Jedwabne sind polnische Bürger durch die Hände anderer Bürger gestorben", betonte Kwasniewski. Die Täter hätten sich nicht nur vor ihren jüdischen Nachbarn schuldig gemacht, sondern auch vor den Traditionen Polens. Jahrhunderte lang was Polen ein Zufluchtsort von Juden aus ganz Europa gewesen.
In Jedwabne selbst blieben viele Einwohner der Feier fern, da sie sich pauschal verurteilt sahen. "Das ist keine Feier für uns" sagte ein Frau. Noch am Montag hingen in einigen Geschäften Flugblätter des "Komitee zum Schutz des guten Namen Polens", in dem es hieß: "Wir entschuldigen uns nicht. Es waren die Deutschen, die die Juden von Jedwabne ermordet haben."
APA/dpa/AFP/hei
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Hannoversche Allgemeine Politik 10.7.2001
Nicht alle wollen um die toten Juden trauern
Jedwabwe. Nicht nur viele Einheimische, sondern auch kirchliche Würdenträger blieben der Gedenkstunde fern. Sie folgten nicht dem Beispiel des polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski, der sich in dem Ort Jedwabne in Ostpolen vor den Juden verneigte, die vor genau 60
Jahren ermordet worden waren. Ungeachtet der monatelangen Auseinandersetzungen über das Pogrom von Jedwabne entschuldigte sich das Staatsoberhaupt gestern öffentlich bei den Angehörigen der von ihren polnischen Nachbarn ermordeten Juden.
An Deutlichkeit ließ die mit Spannung erwartete Rede des Präsidenten nichts zu wünschen übrig. Es gebe keine Zweifel, dass in Jedwabne 1600 Bürger Polens von anderen Polen ermordet worden seien, erklärte Kwasniewski mit gefasster Stimme. Und er stellte unzweideutig fest: „Es war ein Verbrechen, für das es keine Entschuldigung gibt. Ich entschuldige mich persönlich, als polnischer Staatsbürger und Präsident Polens."
Sichtlich ergriffen umarmte der aus New York angereiste Rabbiner Jack Baker auf dem regenverhangenen Marktplatz von Jedwabne den polnischen Präsidenten.
1938 hatte der heute 86-Jährige seinen Heimatort Jedwabne verlassen, um sein Thora-Studium in den Vereinigten Staaten fortzusetzen. Seine Angehörigen sollte der Geistliche nie mehr wiedersehen: Am 10. Juli 1941 wurden fast alle jüdischen Bewohner des Ortes nach dem Einmarsch der Deutschen von ihren katholischen Mitbürgern ermordet.
Jahrzehntelang war auf einem Gedenkstein in Jedwabne der „Gestapo und Hitler-Polizei" die Ermordung der 1600 Juden angelastet worden. Es war der Soziologe Tomasz Gross, der mit seinem Buch „Nachbarn" im vergangenen Jahr die seit Monaten wogende Debatte um das Pogrom und das Geschichtsbild der Polen entfachte. Es gehe nicht darum, die Generation der Kinder für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen, betonte Kwasniewski in seiner Ansprache:
„Doch es gilt, die schmerzliche Wahrheit auszusprechen. Nur dadurch ist echte Erinnerung möglich."
Wie schwer manchen Polen der offene Umgang mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte und antisemitischen Tendenzen im Lande fällt, offenbarte trotz der klaren Worte von Kwasniewski auch die Gedenkfeier in Jedwabne. Nicht nur die meisten Bewohner des Ortes, sondern auch führende Vertreter der katholischen Kirche und des konservativen Regierungsbündnisses AWS waren der im Fernsehen live ausgestrahlten Trauerfeier demonstrativ fern geblieben. Er habe schließlich schon in einem Gedenkgottesdienst im Mai für die Toten von Jedwabne gebetet, hatte Jozef Kardinal Glemp vorab kurz mitteilen lassen. Und Ortspriester Edward Orlowski sagte, er wolle den Tag in aller Ruhe zuhause verbringen: „Die Deutschen waren für das Massaker verantwortlich. Warum sollten wir uns entschuldigen?"
Noch am Vorabend der Feier hingen in einigen Läden Flugblätter des Komitees zur „Verteidigung des guten Namens von Jedwabne" aus mit der Aufforderung, die Gedenkfeier nicht zu besuchen. Diejenigen, die sich dennoch auf dem Marktplatz einfanden, wurden von der Polizei nachdrücklich von den angereisten Angehörigen der Opfer getrennt.
Mehrere jüdische Organisationen hatten auf die Entsendung offizieller Delegationen verzichtet, weil auch auf dem neuen Gedenkstein nicht verzeichnet worden ist, dass es Polen waren, die die Morde begingen.
Sie sei nicht gekommen, weil sie Entschuldigungen erwarte, sondern weil sie für ihre in Jedwabne ermordeten Angehörigen beten wolle, sagte die in Argentinien lebende Laura Klein. Die Art und Weise, wie die Polen mit ihrer Vergangenheit umgingen, bestimme auch, wie das Land künftig aussehen werde, meinte der aus New York angereiste Ty Rogers; 26 seiner Familienangehörigen wurden in Jedwabne ermordet. Rogers erklärte: „Es geht nicht darum, dass jemand verdammt werden soll, sondern dass die Polen anerkennen und verstehen, was
hier passiert ist."
Mit den Worten, es habe in Polen auch viele „gute Nachbarn" gegeben, erinnerte der israelische Botschafter Szewach Weiss an die zahlreichen Polen, die während der deutschen Besatzung jüdischen Mitbürgern das Leben retteten. Der in Ostpolen geborene Diplomat überlebte den Krieg in einem Scheunenversteck seiner katholischen Nachbarn.
Thomas Roser
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Hannoversche Allgemeine Politik 10.7.2001
Schmerzhafte Einsicht in die geschichtliche Wahrheit
Jedwabne. Missmutig schüttelt der alte Mann am Ortseingang von Jedwabne sein ergrautes Haupt. Er sei noch ein Kind gewesen, als die Scheune gebrannt hat ...
(der Artikel war nicht mehr erreichbar)
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Freie Presse Politik 10.7.2001
Polens Präsident bittet um Verzeihung für Pogrom
Polizei verhindert Kundgebung polnischer Nationalisten
Sechzig Jahre nach dem antisemitischen Pogrom in Jedwabne hat der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski um Verzeihung für die Beteiligung seiner Landsleute an dem Massenmord gebeten. "Wir flehen die Seelen der Toten und ihre Familien an, uns für dieses Verbrechen zu vergeben", sagte Kwasniewski vor rund 3000 Gästen einer Gedenkfeier in dem nordostpolnischen Ort. Neuen Erkenntnissen zufolge trieben polnische Nachbarn am 10. Juli 1941 fast die gesamte jüdische Gemeinschaft von Jedwabne in eine Scheune und verbrannten sie bei lebendigem Leib.
In seiner Rede schloss Kwasniewski eine Kollektivschuld aller Polen für das Verbrechen aus. Allerdings bleibe die Tatsache, dass "polnische Bürger durch andere polnische Bürger getötet wurden". Darüber "drücken wir unser Bedauern, unsere Scham und unsere Reue aus, nicht nur weil uns die Welt zuhört, sondern weil wir es selbst benötigen, um über die Wahrheit Zeugnis abzulegen".
Der US-Historiker polnischer Abstammung Jan Tomasz Gross deckte in einem Buch die polnische Verantwortung für das Pogrom in Jedwabne auf, das bislang in erster Linie den Nationalsozialisten angelastet worden war. Wehrmachtssoldaten waren wahrscheinlich in dem Ort und halfen
möglicherweise bei dem Massenmord. Um alle Zweifel an dem Tathergang und an der Zahl der Opfer auszuräumen, beauftragte die Regierung in Warschau das "Nationale Institut für die Erinnerung" mit einer Untersuchung des Geschehens.
Die Gedenkfeier begann unter starkem Polizeischutz auf dem zentralen Platz des 4000-Einwohner-Orts mit dem Trauermarsch von Frédéric Chopin. Die Polizei verhinderte eine Gegenkundgebung von etwa 30 polnischen Nationalisten. Die Teilnehmer der Gegenkundgebung wollten nach eigenen Angaben gegen die "Lüge vom Judenmord durch Polen" demonstrieren. Am Montag waren an der Straße nach Jedwabne Hakenkreuz-Schmierereien aufgetaucht. In Jedwabne selbst wurden gegen die Gedenkfeier gerichtete Plakate angebracht.
© Copyright von AFP.
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Aargauer Zeitung Politik 10.7.2001
Polen: Gedenkfeier für die Pogrom-Opfer von Jedwabne
Chopins Trauermarsch für die 1600 Opfer
Mit den Klängen von Chopins Trauermarsch hat am Dienstagvormittag die Gedenkfeier für die bis zu 1600 Opfer des Pogroms vor 60 Jahren in der ostpolnischen Kleinstadt Jedwabne begonnen.
Fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet
Der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, Rabbiner aus Polen und aus dem Ausland, Angehörige der Opfer und Vertreter jüdischer Einrichtungen kamen zu der Trauerfeier in den kleinen Ort. Am 10. Juli 1941 war fast die gesamte jüdische Bevölkerung Jedwabnes ermordet worden.
In Scheune verbrannt
Die meisten Opfer wurden bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt. Seit vor mehr als einen Jahr bekannt wurde, dass in diesem Fall nicht die Nationalsozialisten, sondern polnische Nachbarn die Täter waren, ist in Polen eine anhaltende Debatte über das polnisch-jüdische Verhältnis entbrannt.
Schuld den Nazis gegeben
In Jedwabne selbst wollten viele Einwohner der Feier fernbleiben, da sie sich pauschal verurteilt sehen. Noch am Montag hingen in einigen Geschäften Flugblätter des «Komitee zum Schutz des guten Namen Polens», in dem es hiess: «Wir entschuldigen uns nicht. Es waren die Deutschen, die die Juden von Jedwabne ermordet haben.» (sda/heh)
Polen: Kwasniewski bittet um Vergebung für Judenmorde
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Aargauer Zeitung Politik 10.7.2001
Polen: Kwasniewski bittet um Vergebung für Judenmorde
Rabbi umarmt Präsidenten spontan
Der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski hat sich für die Ermordung mehrerer hundert Juden in der Stadt Jedwabne im Jahre 1941 entschuldigt.
«Ich entschuldige mich persönlich»
«Ich entschuldige mich persönlich, als polnischer Staatsbürger und Präsident Polens», sagte Kwasniewski mit ernster Stimme. Nie wieder dürfe sich wiederholen, was in Jedwabne geschah, als Einwohner Jedwabnes ihre jüdischen Nachbarn am 10. Juli 1941 brutal ermordeten.
Die meisten der Opfer wurden lebendig in einer Scheune verbrannt. Der aus Jedwabne stammende New Yorker Rabbiner Jack Baker umarmte den polnischen Präsidenten nach dessen Rede spontan.
Es geht nicht um eine Kollektivschuld
Es gehe nicht um eine Kollektivschuld oder darum, die Generation der Kinder für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen, sagte Kwasniewski. Doch es gelte, die schmerzliche Wahrheit auszusprechen. Nur dadurch sei echte Erinnerung möglich, sagte Kwasniewski.
Lange Zeit hatte es geheissen, die Juden seien von den deutschen Nazi-Besatzern umgebracht worden. Erst kürzlich wurde aber bekannt, dass die Juden von ihren polnischen Nachbarn gejagt worden waren. Der israelische Botschafter Schewach Weiss forderte vor allem die jungen Einwohner Jedwabnes auf, gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass zu kämpfen. «Du sollst nicht töten», zitierte er auf polnisch, hebräisch und jiddisch.
Auch andere Nachbarn
«Ich hatte das Glück, auch andere Nachbarn zu treffen», betonte der in Ostpolen geborene Diplomat. Er sei nur in der Lage, zu den Versammelten zu sprechen, weil polnische Nachbarn ihn und seine Familie in einer Scheune versteckt hatten.
(sda/heh)
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Rheinpfalz Online Politik 10.7.2001
Polens Präsident bittet um Verzeihung für Pogrom
Sechzig Jahre nach dem antisemitischen Pogrom in Jedwabne hat der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski um Verzeihung für die Beteiligung seiner Landsleute an dem Massenmord gebeten. "Wir flehen die Seelen der Toten und ihre Familien an, uns für dies ...
(der Artikel war nicht mehr erreichbar)
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Zürich Express Politik 10.7.2001
Kwasniewski bittet um Vergebung für Polens Judenmorde
JEDWABNE - Polens Staatspräsident Kwasniewski hat sich für die Ermordung mehrerer hundert Juden im Osten des Landes entschuldigt. Nie wieder dürfe sich wiederholen, was 1941 in der Stadt Jedwabne geschah, sagte der Präsident. Einwohner hatten vor genau 60 Jahren ihre jüdischen Nachbarn brutal ermordet. Die meisten wurden lebendig in einer Scheune verbrannt.
Lange Zeit hatte es geheissen, die Juden seien von den deutschen Nazi-Besatzern umgebracht worden. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Mörder Polen waren.
(10. Juli 2001 21:11)
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Stuttgarter Zeitung Politik 10.7.2001
Unter Schmerzen verabschiedet sich Polen vom Leidensmythos
Heftige Debatten vor der Gedenkfeier für die Juden von Jedwabne, die von ihren eigenen Nachbarn ermordet worden sind
Seit Monaten erregt in Polen die Debatte um ein Judenpogrom die Gemüter. Heute will sich Präsident Kwasniewski für die Ermordung der Juden von Jedwabne entschuldigen. Die Erkenntnis, dass Polens Geschichte nicht nur Opfer, sondern auch Täter kennt, fällt vielen indes schwer.
Von Thomas Roser, Jedwabne
Missmutig schüttelt der Greis sein ergrautes Haupt.
Er sei noch ein Kind gewesen, als die Scheune gebrannt habe, erzählt er. "Es wurden dort Juden verbrannt, ob von Deutschen oder Polen, weiß ich nicht mehr - das ist doch auch egal.'' Mit Deutschen würde er im Gegensatz zu "den Juden'' aber gerne noch einen Wodka trinken wollen, berichtet er mit vertraulichem Augenzwinkern. Er könne nicht verstehen, warum "die Juden'' nun 60 Jahre nach dem Brand noch so "einen Ärger'' machen würden: "Ähnliches ist schließlich auch in anderen Dörfern passiert: Warum wird nun ausgerechnet Jedwabne überall so schlecht gemacht?''
Schwül und schwer lastet die Mittagshitze über den Roggenfeldern. Kniehohe Granitblöcke markieren den Grundriss der Scheune, die für die jüdischen Bewohner des idyllisch gelegenen Dorfes im Nordosten Polens am 10. Juli 1941 zur Todesfalle wurde. Einen Tag lang prügelte und steinigte ein entfesselter Mob kurz nach dem Einmarsch der Deutschen in die bis dahin von den Sowjets besetzte Region ihre jüdischen Nachbarn auf bestialische Weise zu Tode. Hunderte von ihren Opfern pferchten die blutrünstigen Schlächter schließlich in die Scheune unweit des jüdischen Friedhofs. Mit Benzin setzten sie das Gebäude in Brand, im ganzen Dorf waren die Schreie ihrer bei lebendigem Leib verbrennenden Nachbarn zu hören.
Zwar wurde nach dem Krieg 1949 eine Hand voll der Schergen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, doch die gründliche Aufarbeitung des Pogroms blieb aus.
1962 ließ der kommunistische Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie in Jedwabne einen Gedenkstein aufstellen, der "Gestapo und Hitler-Polizei'' für die Ermordung der 1600 Juden des Ortes verantwortlich machte.
Fast vier Jahrzehnte sollte die Stein gewordene Geschichtsverfälschung den Ort des Massakers markieren. Die "antizionistische'' Kampagne des Regimes, die sich antisemitische Vorbehalte geschickt zu Nutze machte und 1968 in der Zwangsausbürgerung polnischer Juden gipfelte, bestimmte fortan die Geschichtsschreibung: Die Auseinandersetzung mit jüdischen Themen blieb lange tabu.
Erst Anfang der 80er Jahre begann sich in Polen wieder Interesse am jüdischen Kulturerbe zu regen. Nach dem Machtwechsel 1989 lebten in den Großstädten kleine jüdische Gemeinden wieder auf. Endlich begannen sich auch Historiker mit der widersprüchlichen Materie zu befassen. Doch keine Arbeit hat so viel Aufsehen erregt, wie das vor Jahresfrist veröffentlichte Buch "Nachbarn'' des 1968 in die USA emigrierten Soziologen Jan Tomasz Gross. Seine auf Augenzeugenberichten beruhende Arbeit über das Dorf, in der die eine Hälfte der Bevölkerung die andere ermordete, traf Polen wie ein Keulenschlag. Seinen Erkenntnissen zufolge hatten die deutschen Besatzer zwar das Pogrom initiiert, begangen wurde es aber von den Bewohnern: "Es waren nicht die Nazis, sondern deren Nachbarn, die die Juden töteten.''
Die Diskussionen um das Buch lösten bald eine nationale Debatte aus, die seit Monaten die Schlagzeilen der heimischen Medien bestimmt.
Nationalistisch gesinnte Kirchenfürsten und Historiker mühten sich nach Kräften, die polnische Beteiligung am Pogrom abzuwiegeln: Gross habe unsorgfältig gearbeitet, die Deutschen hätten die Bewohner zu dem Massaker gezwungen, die Juden sich zudem zuvor der Kollaboration mit den Sowjets schuldig gemacht. Auch in Jedwabne habe die Diskussion um das Pogrom die Bevölkerung "geteilt'', berichtet in seiner Amtsstube müde Bürgermeister Krysztof Godlewski. ,,Tiefer Schock'' oder ,,entrüstete Zurückweisung'' seien die gängigen Reaktionen: ,,Während die einen akzeptieren können, dass die polnische Nation nicht immer nur aus Helden bestanden hat, verweigern sich andere dieser Einsicht resolut.''
Schon im 19. Jahrhundert von den benachbarten Großmächten für mehr als 100 Jahre von der Landkarte gefegt, hatte im Zweiten Weltkrieg neben der Sowjetunion wohl kaum ein anderes Land so unter der deutschen Besatzung zu leiden wie Polen.
1939 von zwei Nachbarn überfallen, verlor das Land in sechs Jahren ein Fünftel seiner Bevölkerung, wurde die jüdische Gemeinschaft durch den nationalsozialistischen Völkermord fast vollständig vernichtet. Die Polen hätten sich an das Selbstbild der wehrlosen Opfer der Geschichte gewöhnt, erklärt der Warschauer Journalist Zygmunt Dzieciolowski die Heftigkeit der Jedwabne-Debatte.
Schmerzlich und schrecklich sei für ihn die Lektüre des Buches gewesen, gestand Präsident Alexander Kwasniewski, als er im März seine Teilnahme an den Gedenkfeiern zum 60.Jahrestag des Pogroms ankündigte: "Doch wir dürfen unseren Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen unserer Trauer Ausdruck geben und uns für diejenigen entschuldigen, die dieses Verbrechen begingen.''
Vielen seiner Landsleute fällt die Einsicht indes schwer, dass die bisher so stolz gehegte Geschichte Polens auch einige dunkle Seiten kennt. Nicht nur die Furcht, dass die Morde von Jedwabne im Ausland gar mit dem staatlich inszenierten Völkermord der Deutschen gleichgesetzt werden könnten, belastet die Diskussion um das Pogrom.
Mit der Bemerkung, dass es nun aber an der Zeit sei, dass auch die Juden darüber nachdächten, welche Schuld jüdische Parteifunktionäre während der sowjetischen Besatzung auf sich geladen hätten, brüskierte Kardinal Jozef Glemp die jüdische Gemeinschaft des Landes ebenso wie der für seine antisemitischen Neigungen berüchtigte Danziger Bischof Henryk Jankowski: "Wir sollten das ganze Gerede um Jedwabne beenden. Wer hat denn Christus ans Kreuz geschlagen und wer kreuzigt derzeit Polen?''
Gross' Buch über die "Nachbarn'' hat auch deswegen für so viel Wirbel und Aufregung gesorgt, weil die Debatte darüber die polnische Öffentlichkeit so offen mit dem Antisemitismus im eigenen Land konfrontiert habe, meint Dzieciolowski.
Frische Ölfarbe glänzt auf dem Wegweiser zur Gedenkstätte, eine Dampfwalze rollt langsam über die für die Feierlichkeiten frisch geteerte Straße.
"Eigentlich könnte die Diskussion auch eine Riesen-Marketingchance für Jedwabne sein, aber die Leute erkennen das leider nicht'', klagt ein Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung. Er empfinde die Debatte um das Pogrom als "positiv'', meint indes Bürgermeister Godlewski. Wenn im Dorf endlich wieder der Alltag eingekehrt sei, hoffe er, dass nicht nur Politiker und Historiker, sondern auch "normale Leute'' zu einem "fruchtbaren'' Dialog über das Pogrom finden könnten, Juden das Gespräch mit den Einwohnern von Jedwabne suchen würden: "Wir müssen den vorurteilsfreien Umgang mit unserer Geschichte noch lernen. Doch das ist ein mühsamer Prozess.''
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Südwest Presse Politik 10.7.2001 9:16
Als Nachbarn Nachbarn ermordet haben
Zuerst kam der Schock, dann der Streit und jetzt kommt das Denkmal: Der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski erinnert heute an das Pogrom von Jedwabne vor 60 Jahren.
ELISABETH ZOLL
Warschau· Über die Zahl der Opfer wird noch gestritten, über das Ausmaß der Schuld auch, doch die Polen kommen an einer Erkenntnis nicht mehr vorbei: Sie waren während des Zweiten Weltkrieges nicht nur Opfer. Sie waren auch Täter. Das Massaker im ostpolnischen Städtchen Jedwabne steht dafür.
Es geschah vor 60 Jahren. Kurz nach dem Einmarsch der Deutschen in die bis dahin von den Sowjets besetzte Zone sollen am 10. Juli 1941 nach Recherchen des aus Polen stammenden Soziologen Jan Tomasz Gross die christlichen Bewohner der Stadt 1600 Juden zuerst über den Marktplatz gejagt, geprügel und dann in einer Scheune bei lebendigem Leib verbrannt haben. Bis auf wenige Flüchtlinge soll dabei die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt ums Leben gekommen sein.
Die schriftlichen Ausführungen des Wissenschaftlers (sie sollen im Herbst im Beck-Verlag unter dem Titel ¸¸Nachbarn'' erscheinen) haben Polen in eine Art Schock versetzt. Jahrzehntelang wurde die Gestapo für die Ermordung der Juden verantwortlich gemacht. Auf einer Gedenktafel war das Verbrechen bis vor kurzem der ¸¸Gestapo und Nazi-Soldaten'' zugeschrieben worden.
Mancher These von Jan Tomasz Gross wird inzwischen widersprochen. Jüngste Ausgrabungen am Ort des Verbrechens haben ergeben, dass bei dem Judenpogrom vermutlich weitaus weniger Menschen umgekommen sind als bisher angenommen. Nach Angaben des Instituts für das Nationale Gedächtnis (IPN), das die Ausgrabungen begleitet hat, sind in der Scheune höchstens 200 Menschen verbrannt. Diese Zahl sei aufgrund von Bodenanalysen ermittelt worden. Am Ort des Verbrechens wurden auch etwa 100 Patronenhülsen gefunden. Sie deuten darauf hin, dass auch deutsche Soldaten an dem Massaker beteiligt waren. Denn Polen durften unter deutscher Besatzung keine Waffen tragen.
Doch eine Schuld bleibt. Polens Präsident Aleksander Kwasniewski will sich heute, am 60. Jahrestag des Verbrechens, bei den Überlebenden des Pogroms und Angehörigen der Ermordeten im Namen Polens entschuldigen. Auch ein Denkmal soll errichtet werden. Über dieses wurde bis zuletzt gestritten. Der Grund: Die Inschrift gibt keinen Hinweis auf die Täter. Während die Vertreter jüdischer Gemeinden auf dem Satz ¸¸Von ihren Nachbarn ermordet'' bestanden, ist die polnische Version der Inschrift ¸¸dass die vom deutschen Nazismus angefachte Sünde des Hasses sich niemals wieder gegen Menschen dieser Erde richte'' weitaus unkonkreter.
Jüdische Organisationen sehen darin eine ¸¸Halbwahrheit, die eine ganze Lüge ist.''
Deshalb werden der Europäische Jüdische Kongress, Vertreter des Simon Wiesenthal Centers und des Instituts der Jerusalemer Gedenkstätte Jad Vaschem die heutige Feier boykottieren. ¸¸Wir wollen nicht als Alibi für einen Vorgang dienen, mit dem der Realität eine Maske aufgesetzt wird'', teilte der Jüdische Kongress gestern mit.
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Bieler Tagblatt Politik 10.7.2001
Ausland
Polen wehrt sich gegen Verallgemeinerungen
Janusz Tycner
Jedwabne lässt den Polen keine Ruhe. Ein Ende der Diskussion ist nicht abzusehen. Sie wird jedenfalls ganz bestimmt nicht verstummen nachdem heute, 60 Jahre nach dem Mord vom 10. Juli 1941 an den jüdischen Bewohnern der Kleinstadt Jedwabne im Nordosten Polens, Staatspräsident Kwasniewski am Ort des Geschehens die Juden um Vergebung gebeten hat.
Ausgelöst wurde die Debatte durch das Buch «Nachbarn» des in New York lebenden polnisch-jüdischen Soziologen und Historikers Jan Tomasz Gross. Er beschreibt, wie es 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen in dem Städtchen zu einem Pogrom kam. Die These von Gross: Polnische Nachbarn haben in Jedwabne die Juden aus eigenem Antrieb, ohne Zutun der Deutschen bestialisch umgebracht.
Die Pogrome in Jedwabne und Umgebung wurden von keinem seriösen polnischen Debatten-Teilnehmer in Frage gestellt. Schliesslich hat schon das kommunistische Polen die Täter in zwei Prozessen, in den Jahren 1949 und 1953, auf die für die damalige Zeit typische Art und Weise abgeurteilt: In Schnellprozessen, auf Grund von Aussagen, die vorab zumeist durch unbarmherziges Prügeln erzwungen worden waren. Danach galt dieses Kapitel von 1941 als abgeschlossen. Ein Gedenkstein in Jedwabne nannte die Nazis als Täter.
Das Buch von Gross, dürftig recherchiert und schnell geschrieben, enthält zahlreiche Fehler und kränkende Verallgemeinerungen. Sie konnten korrigiert werden während eines im Frühjahr eingeleiteten und noch laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens, nach Exhumierungsarbeiten vor Ort, umfangreichen Archivrecherchen und etlichen Zeugenbefragungen.
Das demokratische Polen war den Opfern und sich selbst eine solche Untersuchung schuldig. Es ging nicht, wie oft behauptet wurde, um Verdrängung und Abwiegeln, sondern um die objektive Feststellung der Tatsachen. Die Polen wollen wissen, wofür sie sich entschuldigen sollen.
Heute steht fest: Die Pogrome wurden von der Gestapo geplant und angestachelt. Deutsche Beamte waren unmittelbar beteiligt. Die Zahl der Opfer in Jedwabne betrug nicht 1600, sondern etwa 250. Die etwa vierzig polnischen Pogromhelfer in Jedwabne waren zumeist ortsbekannte Kleinkriminelle, zu denen auch der kurz zuvor selbst ernannte Bürgermeister gehörte.
Dass es solche Leute überhaupt gab, erfüllt die meisten Polen mit tiefer Scham, weckt Mitleid mit den Opfern und das Bedürfnis nach Abgrenzung und eindeutiger Verurteilung der Täter. Gleichzeitig ist man jedoch nicht bereit, angesichts der riesigen eigenen Opfer im Kampf gegen die grausame deutsche Besatzung und vieler Beispiele der Rettung von Juden im besetzten Polen, sich nun, was der Buchautor Gross eindeutig suggeriert, als eine Nation von «Hitlers willigen Vollstreckern» - um mit Daniel Goldhagen zu sprechen - darstellen zu lassen.
Die Kollaboration war und ist in beinahe allen polnischen Kriegsdarstellungen präsent, jedoch stets im Hintergrund, am Rande, weil sie eine schmerzliche, aber doch eine Randerscheinung im besetzten Polen war. Gewiss, in Sonntagsreden, wenn Polen die Helden des Widerstandes ehrt, tauchen die Denunzianten, die polnischen V-Leute der Gestapo, Gauner, die versteckte Juden erpressten, die kleinen Kriegsgewinnler, nicht auf.
Wer jedoch die Sonntagsreden zum allgemeinen Massstab polnischer Vergangenheitsbewältigung erklärt und alles andere - Schilderungen, Untersuchungen, Quellensammlungen, Prozessakten schlicht übersieht, der begeht einen Missbrauch, degradiert die Polen zu einem Volk von prahlerischen, zur Selbstreflexion unfähigen Grosstuern, und hat als Tabubrecher natürlich ein leichtes Spiel. Dass die Wirklichkeit eine andere ist, hat auch die Jedwabne-Diskussion bewiesen.
Plötzlich aber soll die Kollaboration im Mittelpunkt der Geschichtsdarstellung stehen. Das und nur das, nicht jedoch die Aufarbeitung des Jedwabne-Pogroms, empfinden viele an der Weichsel schlicht als beleidigend und ungerecht.
Standpunkt
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Neues Deutschland Politik 10.7.2001
»Der Schoß ist fruchtbar noch«
Von Julian Bartosz, Wroclaw
Im ostpolnischen Jedwabne werden Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, Rabbiner und Angehörige von Überlebenden heute der etwa 1600 Opfer eines Pogroms vor 60 Jahren gedenken.
Polizeieinheiten werden mobilisiert sein, um den über 3000 Teilnehmern der Trauerfeier in Jedwabne freie Fahrt durch Lomza zu sichern. Die ausgesperrten Arbeiter der Baumwollwerke »Narew«, die schon seit Monaten die Auszahlung ihrer Löhne für die letzten zwei Jahre fordern, wollen die Strecke nämlich blockieren. So vermischen sich die blutigen Ereignisse des 10. Juli 1941, als Einwohner der Kleinstadt ihre jüdischen Nachbarn ermordeten, mit den sozialen Schmerzen der Gegenwart zu einem traumatischen Drama besonderer Art. Ein Polizeisprecher hielt es für völlig unvorstellbar, dass die Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Mordes von Jedwabne von »unverantwortlichen Elementen« gestört werden solle. Die ausgesperrten Weber hielten dagegen, nicht antisemitische Beweggründe, sondern die unvorstellbare Arroganz der Eigentümer und die Gleichgültigkeit staatlicher Stellen zwängen sie dazu, die europäische Öffentlichkeit auf die barbarischen Verhältnisse des wilden Kapitalismus in Polen aufmerksam zu machen.
Eine Antwort auf die Frage, ob die Zusammenkunft staatlicher und religiöser Autoritäten anlässlich dieser Trauerfeier im Arbeitskampf benutzt werden darf, lasse ich offen. Jede Antwort klänge irgendwie falsch.
Über Jedwabne hat ND ausführlich berichtet – als erste deutsche Zeitung im Januar und erneut im April.
Was seither geschehen ist, lässt sich so zusammenfassen: Als ob die Zahl der getöteten Juden das Wichtigste wäre, diskutierten verschiedene Kreise und Medien beschämenderweise die ganze Zeit darüber, wie viele Menschen dem Pogrom zum Opfer gefallen sind. Konnten es – wurde nicht nur in nationalistischen Blättern gefragt – tatsächlich 1600 Menschen gewesen sein, die in einer in Brand gesteckten kleinen Scheune den Tod fanden? Diese Zahl hatte Prof. Jan Tomasz Gross in seinem Buch »Die Nachbarn« genannt. Die mit Erlaubnis und im Beisein jüdischer Geistlicher durchgeführte »Exhumierung« (sowohl am Standort der Scheune wie an anderen Stellen) förderte nur Asche an den Tag. Der seinerzeitige Justizminister Lech Kaczynski fand, dass die Aschemenge auf »höchstens 200 bis 250 Opfer« hinweise.
Heftig wurde darüber gestritten, von wem die Initiative zum Massenmord ausging. Die zunächst geplante Inschrift für das Mahnmal, das heute eingeweiht wird, enthielt den Hinweis auf die »Anstiftung von Nazis«.
Eine solche Anstiftung ist im Prinzip gar nicht zu bestreiten, denn der Pogrom fand zu Ende der dritten Woche der Besetzung dieses Gebiets durch Wehrmacht und SS-Einsatzgruppen statt; nazistische Gendarmerie war in Jedwabne zugegen und mit der Asche wurden Hülsen ausgegraben, die zweifellos von Geschossen aus Mauserwaffen »made in Germany« stammen. Angesichts des vorliegenden dokumentarisch belegten Beweismaterials über Verbrechen der SS und der Wehrmacht erschien mir die hastige Suche nach eindeutigen Dokumenten, Befehlen und Berichten zum konkreten Fall Jedwabne als unverständlicher Übereifer, weil für die generelle Bewertung des Tatbestands unerheblich. Gewütet haben letztlich doch polnische Nachbarn der misshandelten, bespotteten und schließlich ermordeten Juden von Jedwabne. Die seit Jahrhunderten auf der Christus-Kreuzigung basierende und im »einfachen Volk« nicht nur von der katholischen Kirche geschürte antisemitische Stimmung war in den Menschen vorhanden – und darum geht es. Man kann sich nicht einfach aus der moralischen Mitverantwortung stehlen, indem man vom »örtlichen Pöbel« spricht, auch wenn unter der deutschen Besetzung zigtausend Polen, darunter einige Jedwabner, ihr Leben eingesetzt haben, um jüdische Mitbürger zu retten. So wäre also der Hinweis auf die nazistische »Anstiftung«, wie richtig er auch sein mag, eine Verschleierung der Wahrheit von Jedwabne gewesen.
Im Kern handelt es sich bei der Jedwabne-Debatte in Polen um eine »Vivisektion der edlen polnischen Seele«, einen Eingriff am lebenden Objekt. Dass dies nach Bekanntwerden des Massenmords von Jedwabne unerlässlich geworden ist, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Unser, ich betone »unser«, Problem besteht eben darin, dass – völlig abgesehen von drastischen antisemitischen Ausfällen – »eine antisemitische Haltung entschieden allgemein ist«, wie es Prof. Janusz Czapinski in einem »Trybuna«-Gespräch formulierte. »Das bedeutet keinesfalls, dass alle Vertreter dieser Haltung bereit sind, dies offen zu gestehen«, betonte der Soziologe.
Mit dem Antisemitismus ist man bereit zu kämpfen, hieß es in einem Essay der »Gazeta Wyborcza«, aber man tut sich schwer, gegen Antisemiten vorzugehen. Auch vor der Allerheiligen-Kirche zu Warschau, in der die polnischen Bischöfe am 27. Mai den Herrn um Vergebung anflehten, weil man ihn durch die Sünde gegen die jüdischen Mitbürger beleidigt habe, werden antisemitische Publikationen weiterhin zum Verkauf feilgeboten. Derartige Presse- und Buchprodukte sind überall an Zeitungskiosken zu erstehen. »Der Schoß ist fruchtbar noch...« Darüber der deutschen Leserschaft, auch des ND, zu berichten fällt mir nicht leicht!
Um so schwerer, wenn dieses Geständnis Verwunderung auslösen sollte.
Rabbiner Jacob Baker aus New York, der in den 30er Jahren aus Jedwabne in die USA emigrierte und heute der Gemeinschaft der Jedwabne-Juden in der Diaspora vorsteht, wird beim heutigen »staatlichen« Kaddisch eine Rede halten: »Als Rabbi will ich Juden wie Polen helfen, der Wahrheit ins Auge zu schauen.« (ND 10.07.01)
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Spiegel Vermischtes 10.7.2001 19:36
POLEN
"Die Täter waren Polen"
Awigdor Nielawicki, Überlebender des Pogroms von Jedwabne, über Antisemitismus und Kollaboration im Zweiten Weltkrieg
Nielawicki: Ja, ein Staatsanwalt hat mich angerufen und gefragt, ob ich nach Polen kommen würde. Das habe ich abgelehnt. Das Land, in dem ich geboren wurde und fast verbrannt worden wäre, habe ich 1945 verlassen und nie wieder betreten. Am 15. Mai sollte ich nun eine Aussage in der polnischen Botschaft hier in Israel machen. Doch niemand hat sich mehr gemeldet.
SPIEGEL: Umstritten ist, ob Deutsche die Polen zur Tat angestachelt haben. Vor allem polnische Historiker suchen immer noch nach Indizien für eine deutsche Täterschaft. Wie war es wirklich?
Nielawicki: Ich finde es schlimm, dass sich viele Polen der antisemitischen Vergangenheit ihres Landes noch immer nicht stellen. Die müssen begreifen: Die Täter waren Polen. Sie kamen am Morgen des schlimmen Mordtages sogar mit ihren Pferdewagen, um nach dem Pogrom sofort die Häuser der toten Juden zu plündern.
Und ich sage: Es waren sogar mehr als 2000 Tote an diesem Tag.
Wenn man nämlich die Zahl der jüdischen Familien addiert, die an diesem 10. Juli in Jedwabne waren - neben den Ortsansässigen auch viele Flüchtlinge -, muss man feststellen, dass die bisher angegebenen Zahlen zu niedrig sind.
SPIEGEL: Wie alt waren Sie damals?
Nielawicki: Ich war fast 16 Jahre alt und komme eigentlich aus Wizna, einem kleinen Ort, etwa zehn Kilometer von Jedwabne entfernt. Als die Deutschen die Russen am 22. Juni im Osten Polens angriffen, wurde Wizna aus der Luft bombardiert. Das jüdische Viertel brannte. Alle Familien, auch meine, flüchteten. Mit einem Pferdewagen zogen wir los. Gegen Abend wurden wir von polnischen Banditen überfallen. Sie schlugen uns und stahlen das bisschen, was wir vor den Flammen retten konnten.
SPIEGEL: Waren das gewöhnliche Diebe, oder steckte Antisemitismus dahinter?
Nielawicki: Sie wollten unser Geld, und sie wussten, dass niemand sie strafen würde für ihre Taten. Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden wir Juden Freiwild für die Polen, vor allem für die Nationalisten, die Juden und Kommunisten hassten. Etliche der Schläger waren von den Deutschengerade aus dem Gefängnis freigelassen worden. Solche Ex-Häftlinge töteten auch den Vater meiner Tante, der nicht fliehen konnte.
SPIEGEL: Hatten die Deutschen die Täter angestachelt?
Nielawicki: Das brauchten die Deutschen nicht. Außerdem waren Wehrmacht und SS doch in diesem Teil Polens noch gar nicht richtig da. Die kamen erst in diesen Tagen nach und nach an.
Wir hatten nach dem Überfall alles verloren. Also brachte mein Vater mich, meine Mutter und Schwestern zu einem Bekannten, einem katholischen Wirt, der uns in seiner Scheune versteckte. Aber auch dort waren wir vor den Nationalisten nicht lange sicher. So gingen wir zurück nach Wizna ins Haus meines Großvaters, wo sich bereits eine polnische Familie einquartiert hatte. Sie verrieten uns aber nicht. Ein jüdischer Hufschmied, etwa 75, blieb dagegen im Wirtshaus. Er sagte: Ich kenne hier alle, ich habe keine Angst. Auch ihn erschlugen freigelassene Häftlinge, nachdem sie getrunken hatten. Wohl ein Dutzend Juden aus Wizna wurde so umgebracht.
SPIEGEL: Wie war das Verhältnis zwischen Juden und - den katholischen - Polen in Ihrem Dorf, bevor die Deutschen einmarschierten?
Nielawicki: Nicht schlecht, aber auch nicht gut. Als kleiner Junge habe ich mich mit den polnischen Jungs mehr geprügelt als mit ihnen gespielt. Im Laufe der dreißiger Jahre wurde das Verhältnis immer schlechter. Die meisten Händler auf dem Markt von Wizna waren Juden. Immer öfter kam es dort zu Attacken, Stände wurden zerstört oder geplündert.
Dahinter steckten oft Anhänger der "Stronnictwo Narodowe", einer rechtsextremen Partei, die seit den dreißiger Jahren auch den Boykott jüdischer Geschäfte organisierte. Es gab sogar eine antisemitische Kooperative in Wizna. Damit wollten die Nationalisten verhindern, dass Polen bei Juden kauften. Das Massaker von Jedwabne hat also eine lange Vorgeschichte. Die Täter fielen nicht vom Himmel. Professor Jan Tomasz Gross, der darüber ein Buch geschrieben hat, ist im Recht, wenn er sagt, dass die Mörder "Nachbarn" waren.
SPIEGEL: Viele Polen empfinden diese Darstellung als ungerecht, weil in ihrem Land nach Schätzungen etwa 40 000 bis 50 000 Juden von Polen vor den Nazis gerettet wurden. In der Allee der Gerechten von Jad Waschem sind viele polnische Namen verzeichnet.
Nielawicki: Ich weiß, auch Freunde meiner Familie sind bei Polen versteckt worden und konnten so überleben. Doch noch mehr kamen durch Polen oder mit ihrer Hilfe ums Leben. Viele Polen haben mit den Deutschen kollaboriert. "Juden arbeiten, Juden arbeiten", dieser Spruch, mit dem sie jüdische Bürger aus den Häusern holten, gellt mir noch in den Ohren. Oft ließen sich deutsche Soldaten von Polen zeigen, wo die Juden wohnten. Als ich im August 1941 von den Deutschen in das Ghetto von Lomza getrieben wurde, standen Polen feixend am Straßenrand. Sie haben uns die letzten Habseligkeiten aus den Händen gerissen. Im Ghetto hinderten sie uns mitunter, unsere Essensrationen abzuholen, oder sie warfen die Lebensmittel auf die Erde. Das Schlimmste aber ist: Sie töteten meine Familie.
SPIEGEL: Wie kam es zu dem Massenmord in Jedwabne?
Nielawicki: Wir hatten uns zu einem Onkel nach Jedwabne geflüchtet. Er war Müller. Tagsüber versteckten wir uns in den Feldern. Denn überall gab es Polen, die Juden töten wollten, aber auch Deutsche. Eines Abends kam die polnische Nachbarstochter, um uns zu warnen: Wir würden alle umgebracht.
Meine Eltern waren da gerade in unser Heimatdorf Wizna aufgebrochen, um Geld aufzutreiben. So lief ich am nächsten Morgen allein in die Felder. Ich trug drei Hosen und drei Hemden übereinander, denn nachts war es kalt. Am Morgen des 10. Juli wurde ich von polnischen Schlägern - sie waren um die 20 Jahre alt - auf einem Feldweg entdeckt. Ich lief so schnell ich konnte. Doch die vielen Hosen und Hemden behinderten mich. Also haben sie mich erwischt.
SPIEGEL: Waren Deutsche in Jedwabne?
Nielawicki: Nur ein paar Polizisten. Bei der Polizei arbeiteten mehrere Juden, junge Männer. Die Polen riefen, so berichten andere Zeugen: "Gebt uns die Juden." Doch die Polizisten sagten: "Nein, wir brauchen sie noch." Aber die Deutschen gaben wohl das Einverständnis. Auf dem Marktplatz habe ich jedenfalls keine Deutschen gesehen.
SPIEGEL: Alle Juden wurden auf dem Marktplatz zusammengetrieben.
Was geschah dort?
Nielawicki: Wir wurden von den Polen geschlagen. Sie hatten Prügel, Peitschen undMesser. Wir mussten singen: "Wir wollten den Krieg", wir mussten Gras aus den Steinritzen zupfen. Ich blieb immer in der Mitte des Platzes, da bekam ich kaum Schläge ab. Den Rabbi zwang man, eine rote Fahne zu schwenken. Andere schleppten die Lenin-Statue, die die Russen aufgestellt hatten. Ich sehe noch das hasserfüllte Gesicht einer Bäuerin am Straßenrand vor mir, als sie mich ins Dorf schleppten: Sie rief: "Warum habt ihr den Jungen nicht gleich fertig gemacht?"
SPIEGEL: Wie entkamen Sie?
Nielawicki: Plötzlich glaubte ich, meine Mutter zu sehen, die an diesem Morgen ja zurückkommen wollte. Doch die Frau war zu weit weg und das Gedränge zu dicht. Dann wurden wir aus dem Dorf auf eine Scheune zu getrieben. Ich dachte: Wenn ich weiter mitlaufe, sterbe ich bestimmt. Da entschloss ich mich, in die Felder zu fliehen.
SPIEGEL: Dort haben Sie sich versteckt?
Nielawicki: Ja. Da lag ich und presste mich auf die Erde. Ich habe auf Schüsse oder Explosionen gewartet, weil Deutsche in Wizna auch manchmal Handgranaten in jüdische Häuser geworfen hatten. Aber es blieb ruhig. Dann hörte ich plötzlich so eine Art Wimmern, das langsam anstieg, ein seltsames Geräusch, das wie eine Welle über das Feld strich. Heute weiß ich, dass es die Todesgebete der brennenden Juden waren.
Dann wehten Rauchwolken über das Land. Es roch furchtbar, so wie nach verbranntem Vieh. Als es qualmte, setzten sich die Pferdewagen der Polen in Bewegung - um zu plündern. Doch ich dachte: Es brennt im Dorf, sie müssen löschen.
SPIEGEL: Sie konnten sich nicht vorstellen, was wirklich passiert war?
Nielawicki: Nein, erst abends hat mir ein Junge, der ebenfalls in die Roggenfelder geflüchtet war, erzählt, was passiert ist.
SPIEGEL: Haben Sie Schüsse gehört?
Nielawicki: Nein. Niemand hat geschossen. Ich weiß, dass in Jedwabne Patronenhülsen gefunden wurden. Interessierte polnische Historiker wollten daraus folgern, dass die Juden erschossen worden sind. Und dann wären die Deutschen die Täter. Aber das ist falsch. In Jedwabne verlief zeitweilig im Ersten Weltkrieg die deutsch-russische Front. Daher stammen wohl die Munitionsreste.
SPIEGEL: Wie haben Sie den Rest des Krieges überlebt?
Nielawicki: Ich sprach Polnisch ohne jiddischen Akzent. Das hat mir das Leben gerettet. Ich traf in den Wäldern polnische Partisanen von der AK, der Heimatarmee, die mich aufnahmen.
SPIEGEL: Die haben Sie für einen waschechten Polen gehalten?
Nielawicki: Ja. Ich hatte sogar in ihren katholischen Religionsbüchern gelesen. Aber da konnte ich, im Gegensatz zu jüdischen Büchern, nicht viel lernen. Außerdem war dort zu lesen: Die Juden haben unseren Heiland umgebracht. Da begriff ich, warum sie uns hassten.
SPIEGEL: Haben die Partisanen Ihre Doppelrolle durchschaut?
Nielawicki: Nein. Ich war sehr vorsichtig. Denn die Soldaten sangen auch Spottlieder über Juden.
SPIEGEL: Die Angehörigen der Heimatarmee gelten in Polen als Helden des Widerstandes.
Nielawicki: Aber unter ihnen waren auch Antisemiten, die Juden umbrachten. Auch zwei Onkel von mir, die sich mit anderen Juden in den Sümpfen bei Klescze versteckt hielten, wurden von Partisanen getötet - "von unseren Leuten", wie mir Dorfbewohner dort später erzählten.
SPIEGEL: Sie haben nach dem Krieg, noch im Sommer 1945, Ihre Erlebnisse von Jedwabne in Bialystok zu Protokoll gegeben.
Nielawicki: Ja, aber meine Aussagen wurden später verfälscht. Ich habe zum Beispiel erklärt, wie Deutsche mit Polen zusammen auf Judenjagd gegangen sind. In dem Protokoll, das ich erst vor einiger Zeit lesen konnte, wird der Anteil der Polen gar nicht mehr erwähnt. Die Kollaboration wurde vertuscht.
SPIEGEL: Der polnische Präsident Aleksander Kwa£niewski will sich am 10. Juli in Jedwabne für das Pogrom entschuldigen. Tröstet Sie das?
Nielawicki: Meine Familie machen Worte nicht wieder lebendig.
INTERVIEW: ANNETTE GROßBONGARDT, CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
© DER SPIEGEL 22/2001
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Spiegel Vermischtes 10.7.2001 19:36
© DER SPIEGEL 10/2001 - 05. März 2001
Das Schweigen der Bauern
Vor 60 Jahren wurden in Jedwabne über tausend Juden ermordet - von Polen. Während Historiker und Intellektuelle Korrekturen am Selbstbildnis der Nation vornehmen, lebt im Dorf ein Kartell von Vertuschern.
Ein alter Mann sitzt am Tisch und faltet die Hände. Der Kachelofen bollert leise, auf der Kommode stehen Plastikpflanzen, an der Wand hängen Madonnenbilder. Wohnt hier ein Mörder?
Vor sich hat Zygmunt Laudanski ein Blatt Papier gelegt wie ein Beweisstück in einem Prozess. Die Skizze darauf soll ihn rehabilitieren.
Sie zeigt den Straßenplan von Jedwabne, einem Dorf im Nordosten Polens, so wie es seiner Erinnerung nach am 10. Juli 1941 ausgesehen hat. An diesem Tag wurden vor dem Ort, der von September 1939 bis Juni 1941 Teil des sowjetischen Machtbereichs war, über tausend Juden von ihren polnischen Nachbarn ermordet; die Opfer, vor allem Frauen und Kinder, waren in einer Scheune zusammengepfercht und verbrannt worden.
Die gerade einmarschierten deutschen Besatzer sollen zwar zur Tat angestiftet haben, doch ausgeführt wurde das Verbrechen von Polen - so die vorläufige Bilanz einer staatlichen Untersuchungskommission.
Laudanski, damals ein junger Mann, soll einer der Täter gewesen sein. Mit seinem Bruder Jerzy wurde er deshalb bereits im Jahr 1949 verurteilt, beide saßen bis in die späten fünfziger Jahre in Haft.
Die Frage, ob Zygmunt und Jerzy Laudanski von den Kommunisten damals unschuldig verurteilt wurden oder ihre Strafe zu Recht verbüßt haben, wird derzeit in ganz Polen erbittert diskutiert. An ihrer Beantwortung hängt das gute Gewissen der Nation. Denn bisher haben sich die Polen ausschließlich als Opfer der Geschichte
gesehen, nicht aber als Täter.
Dieses Selbstbildnis hat der polnische Historiker Jan Tomasz Gross, Professor an der New York University, mit seinem Buch "Nachbarn" zerstört. Er beschreibt darin, wie sich viele Einwohner von Jedwabne zu willigen Vollstreckern der Nazis gemacht haben. Sein Werk, das in diesen Tagen auch in den USA erscheint, wird beim C. H. Beck-Verlag gerade ins Deutsche übersetzt.
Angespornt vom Streit um das Buch, das vor allem von polnischen Nationalkatholiken und Rechten attackiert wird, wittert Laudanski, 82, nun die Chance für eine Rehabilitation. Er versucht, einen beherrschten Eindruck zu machen. Laudanski behauptet, dass er nicht in der Nähe der Scheune war, als sie angezündet wurde. Das Einzige, woran er sich erinnern will, ist der schwarze Leichenrauch. Der Qualm zog über sein Elternhaus hinweg und habe schrecklich gestunken.
"Mit der Mordbrennerei haben wir nichts zu tun. Meine Brüder sind keine Verbrecher!", sagt auch Kazimierz Laudanski, der älteste der drei Brüder, der inzwischen erblindet ist. Er selbst will am 10. Juli nicht in Jedwabne gewesen sein.
Haben seine Brüder denn etwas mit den Morden in den Tagen vor der schrecklichen Tat zu tun? Der Vater war ein Aktivist der "Stronnictwo Narodowe", einer rechtsextremen, antisemitischen Partei, die in Polen schon vor dem Krieg den Boykott jüdischer Geschäfte organisierte.
Nach dem Einmarsch der Deutschen jubelten ihnen viele Dorfbewohner zu, erinnert sich Kazimierz Laudanski. Tagelang wüteten polnische Antisemiten und töteten Juden nicht nur in Jedwabne, sondern auch in anderen Dörfern der Gegend - aus Rache für die angebliche Kollaboration jüdischer Einwohner mit den sowjetischen Besatzern.
"Das war ein heiliger Zorn!", sagt der älteste der Laudanski-Brüder, "die Vergeltung war die Pflicht eines jeden Patrioten." Zygmunt sieht stumm herüber und nickt. Ihr Vater hatte während der sowjetischen Besatzung in Haft gesessen und war von den Deutschen befreit worden.
Doch die Unschuldsbeteuerungen der Laudanskis, sie seien Opfer stalinistischer Willkürjustiz, sind nicht besonders glaubwürdig. Mehrere Menschen haben die Untaten bezeugt, darunter ein überlebender Jude aus Jedwabne, der seine Erinnerungen nach dem Krieg zu Papier brachte. Eine Bäuerin hatte ihn und sieben andere Juden versteckt. Kaum wurde ihre mutige Tat nach dem Krieg bekannt, wurde sie auf offener Straße von Polen verprügelt.
Auch unter Historikern ist die Tatsache, dass Polen in Jedwabne genau das verbrochen haben, was Deutsche in Hunderten von anderen Orten ganz routinemäßig taten, inzwischen unumstritten. Doch in Jedwabne scheint die Zeit stillzustehen. Die Erinnerung der Menschen hier ist so festgefroren wie die Eiszapfen an den Holzhäusern.
Jedwabne ist ein Bauerndorf mit schlechten Straßen, einer Kneipe, ein paar Kramerläden und einer viel zu großen Kirche für die 1800 Einwohner der Gemeinde. Von der Kanzel herab ermahnt Pfarrer Edward Orlowski seine Gläubigen, Fremden gegenüber "keine Dinge zu sagen, die schlecht für uns Polen sind".
Ein von ihm organisiertes Treffen, in der ein staatlicher Ankläger Auskunft über den Stand des neuen Untersuchungsverfahrens gab, geriet zu einer pöbelhaften Demonstration. "Die Juden haben uns verraten!", skandierten die Bauern, "sie wollen uns unseren Boden wegnehmen" - die Angst vor jüdischen Restitutionsansprüchen geht um in Jedwabne. Seelsorger Orlowski forderte schließlich, "diesen Professor Gross zu verklagen".
Ausländern gegenüber schlägt Pfarrer Orlowski sanftere Töne an. Wer wolle denn schon wissen, wie es damals wirklich war, sagt er. Er sitzt am Tisch seines Empfangszimmers und zeigt stolz ein paar Fotos, die ihn gemeinsam mit Papst Johannes Paul II. zeigen - er kennt Karol Wojtyla noch aus gemeinsamen Tagen an der Universität. Die volle Wahrheit über Jedwabne, sagt der Priester, sei noch gar nicht bekannt.
Gleichwohl ist sich der Geistliche, der erst 1988 nach Jedwabne kam, ganz sicher, dass viele Juden vor dem Einmarsch der Deutschen für den sowjetischen Geheimdienst gespitzelt hatten- ein besonders bei polnischen Katholiken verbreitetes Klischee. Das Massaker sei im Übrigen von den Deutschen verübt worden, was Historiker inzwischen widerlegt haben. Einen Polen, der sich weigerte, die Juden zu schlagen, hätten die Nazis im Dorfteich ertränkt - auch für diese Märtyrer-Geschichte gibt es keinen Beleg. Bis ihn seine Haushälterin zum Essen ruft, versucht der Pfarrer die besudelte Ehre seiner Gemeinde zu verteidigen.
Zu der gehört auch Elzbieta. Sie ist eine fromme Katholikin, ehrt den Priester, aber liebt auch die Wahrheit. Sie möchte mit ihrem wirklichen Namen nicht zitiert werden, "weil ich hier in Jedwabne sonst geschlagen werde oder mir noch Schlimmeres passiert". Sie mag nur heimlich reden, denn wer in Jedwabne mit Fremden über das Pogrom spreche, wird selbst bedroht. Es werde sich schon noch "eine weitere brennende Scheune" finden, heißt es.
Elzbieta war zehn Jahre alt, als um sie herum "die Hölle losbrach". Am Morgen des 10. Juli 1941 hat sie ihre jüdischen Freundinnen, die Töchter der Familie Fiszman, besucht. Gegen zehn Uhr kamen "polnische Jugendliche und junge Männer und schickten alle zum Markt". Elzbieta ging nach Hause, ihre Freundinnen fingen an zu weinen. "Die Juden wussten, das sie sterben würden", erinnert sich die Frau, denn in den Tagen zuvor hatte es schon in Nachbarorten Pogrome gegeben.
"Es waren die Polen", welche die Juden zusammentrieben, da ist sich die Zeugin sicher. "Deutsche habe ich nicht gesehen, nur ein paar Polizisten." Ob sie damals Polizisten von Soldaten unterscheiden konnte? "Ja, wir haben als Kinder die Uniformen der Deutschen bewundert." Vor allem Kinder und Frauen seien vor der Kirche zusammengetrieben worden. Dort hat sie ihre Freundinnen zum letzten Mal gesehen. Als am Nachmittag der Qualm beißend über die Dächer zog, "wusste ich, was passiert war". 70 Jahre ist Elzbieta heute und hat mit der Erinnerung an die schwarze Rauchsäule "jeden Tag" verbracht.
"Ich habe immer darauf gewartet, endlich die Wahrheit sagen zu können", sagt sie zum Abschied. "Bei uns hier im Dorf wissen alle Bescheid, aber viele lügen, oder sie haben Angst."
Die Vergangenheit ist in Jedwabne nie vergangen, die Einwohner leben mit der Erinnerung an das Massaker wie mit ihrem Schatten. Stanislaw Michalowski, Vorsitzender des Stadtrats, weiß noch genau, wie er als Kind seinen Vater und dessen Freunde bei einem Trinkgelage im Wohnzimmer belauschte. Die Besucher "haben mit ihren Morden angegeben. Es waren Polen".
Neben Michalowski sitzt Bürgermeister Krzystof Godlewski. Er empfindet die Last der verheimlichten Vergangenheit als Fluch.
Doch heute kämpft er fast allein gegen ein Kartell von Vertuschern.
Nicht einmal den Gedenkstein aus kommunistischen Zeiten, der am Tatort auf dem Hügel vor dem Dorf steht, kann er ändern. Die Inschrift bezichtigt noch die Deutschen der Tat. Außerdem drängt die jüdische Gemeinde in Warschau auf eine würdige Bestattung der Toten, die damals in den Feldern verscharrt wurden.
Doch das Land ist Privatbesitz, es gehört der Tochter des Bauern, der vor 60 Jahren seine Scheune zur Verfügung gestellt hatte. Sie gehört zu den Schweigern im Dorf. "Wir wollen das Land kaufen, aber sie geben es nicht her", sagt Godlewski.
Um bei den Nachfahren der Täter etwas zu bewirken, wäre der Bürgermeister auf die Hilfe des Pfarrers angewiesen. Doch der arbeitet gegen ihn. Die Inschrift auf dem Stein solle doch "so bleiben, wie sie ist", sagt Orlowski. "Die Leute wussten damals schon, was sie taten."
Vor dem Massaker haben in Jedwabne etwa 1800 Juden gelebt, heute wohnt dort nur noch eine Frau mit jüdischen Vorfahren. Sie ist mit einem katholischen Bauern verheiratet. Als das Dorf jetzt in die Schlagzeilen geriet, hat der Pfarrer sie besucht und ihr einen Rat gegeben: "Die Bewohner von Jedwabne haben dir immer geholfen. Das solltest du jetzt nicht vergessen, wenn du mit Fremden redest."
CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
© DER SPIEGEL 10/2001
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Bild: Kantor Joseph Malovany aus New York singt Psalmen bei der Gedenkfeier von Jedwabne
Foto: AP
Bild: Die Reste des alten Denkmals von Jedwabne
Foto: Reuters
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