Bürgerschaftswahl Hamburg Wahl-Ergebnis - 24. Sep 2001
|
Kölnische Rundschau Politik 24.9.2001
Schill Sieger der Wahl
Hamburg vor Machtwechsel
Hamburg - In Hamburg steht ein Machtwechsel bevor. Nach einem sensationellen Erfolg der Partei des umstrittenen Amtsrichters Ronald Schill bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag und eigenen schweren Verlusten kündigten die Grünen an, sie würden sich in die Opposition zurückziehen.
Wer die Hansestadt künftig regiert, ist noch offen. Ob die FDP gemeinsam mit der CDU und der Schill-Partei ein Mitte-Rechts-Bündnis eingeht, war zunächst unklar. Möglich war auch eine große Koalition aus CDU und SPD. Die SPD hat 44 Jahre lang ohne Unterbrechung in der Hansestadt regiert.
Die Parteien wollen heute (Montag) in Hamburg und Berlin über die Konsequenzen aus dem Wahlausgang beraten.
Der als "Richter Gnadenlos" bekannte Ronald Schill erzielte auf Anhieb 19,4 Prozent der Stimmen. Schill kündigte an, er werde wahrscheinlich auch bei der Bundestagswahl 2002 antreten. Die Spitzenkandidatin der Grün-Alternativen Liste (GAL), Krista Sager, sagte dem NDR, die Grünen sähen ihre Aufgabe jetzt wieder in der Opposition. Es habe einen starken Rechtsrutsch gegeben. Nun sei eine "Politik der Hau-drauf-Parolen" zu befürchten.
Die FDP zog nach einer Zitterpartie erstmals nach acht Jahren mit 5,1 Prozent wieder knapp in die Bürgerschaft ein. Während die SPD von Bürgermeister Ortwin Runde leicht zulegte, mussten die Grünen einen Einbruch von rund 5 Punkten einstecken.
Die CDU unter Ole von Beust verlor über 4 Punkte. Für SPD und CDU war es in Hamburg ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei Bürgerschaftswahlen. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen sahen keine Auswirkungen des Hamburger Wahlergebnisses auf die rot- grüne Koalition in Berlin.
Die SPD kam nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 36,5 Prozent. Vor vier Jahren hatte sie 36,2 Prozent der Stimmen erhalten. Die CDU musste mit 26,2 Prozent (1997: 30,7) Verluste einstecken. Bei den Grünen/GAL gab es mit 8,5 Prozent (1997: 13,9) einen Einbruch. Die FDP erhielt 5,1 Prozent (1997: 3,5). Für die erstmals angetretene Schill-Partei "Rechtsstaatliche Offensive" votierten 19,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 71 Prozent besser als 1997 (68,7 Prozent).
Ein Mitte-Rechts-Block von CDU, Schill-Partei und FDP würde auf eine Mehrheit in der Bürgerschaft kommen. Die SPD erhielt 46 (1997: 54), die Grünen 11 Mandate. Die CDU kam auf 33, die FDP auf 6, die Schill-Partei auf 25 Mandate. Mit 64 Sitzen läge ein solches Mitte- Rechts-Bündnis über der absoluten Mehrheit von 61 Mandaten.
Von Beust sagte, er gehe von Verhandlungen mit Schill und der FDP aus. CDU-Chefin Angela Merkel äußerte sich enttäuscht über das Abschneiden ihrer Partei. Schill sei nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil Rot-Grün in Hamburg die innere Sicherheit vernachlässigt habe. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer kündigte an, die Bundes-CDU werde das Thema innere Sicherheit stärker in den Vordergrund zu rücken.
Schill erklärte: "Wir werden den Wechsel in der Hansestadt herbeiführen." Er selbst strebe das Amt des Innensenators an. FDP- Spitzenkandidat Rudolf Lange verwies auf den Wunsch der Hamburger, den Wechsel herbeizuführen. Die FDP müsse sehen, wie sie bei Verhandlungen ihre Positionen durchsetzen könne. Auch eine Oppositionsrolle sei möglich.
Die SPD betonte als mit großem Vorsprung führende politische Kraft ihren Regierungsanspruch. Runde sagte, er werde die Möglichkeiten einer Koalition mit allen demokratischen Kräften klären. Ausgeschlossen sei Schill. Grünen-Bundeschef Fritz Kuhn warnte vor einer Beteiligung eines "Rechtspopulisten" wie Schill an der Regierung.
In Berlin wird nach dem Bruch der großen Koalition am 21. Oktober ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Entscheidende Auswirkungen auf die Mehrheiten im Bundesrat hat die Hamburg-Wahl nicht.
+++++++++++++++++++++++++++++++
Netzeitung Vermischtes 24.9.2001
Hamburg steht vor Regierungswechsel:
Schill erhält auf Anhieb 19,4 Prozent
Nach 44 Jahren wird die SPD in Hamburg wahrscheinlich nicht mehr regieren: Das vorläufige amtliche Endergebnis brachte eine Mehrheit für eine Koaliton aus CDU, FDP und Schill-Partei. Die Zustimmung der FDP-Basis ist jedoch noch unsicher.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis steht in Hamburg ein Regierungswechsel bevor.
Die SPD erreichte mit leichten Zugewinnen 36,5 Prozent (+0,3 Prozent), die CDU verliert 4,5 Prozent und kommt auf 26,2 Prozent. Die Grünen kommen nur auf 8,5 Prozent - eine schwere Niederlage (-5,4 Prozent).
Die FDP liegt demnach bei 5,1 Prozent. Sie überstand am Sonntagabend eine Zitterpartie und zieht nach acht Jahren wieder in die Bürgerschaft ein. Die Partei des Amtsrichters Ronald Schill erzielte auf Anhieb 19,4 Prozent. Die Sitzverteilung in der Hamburger Bürgerschaft lautet damit: SPD 46 Sitze, CDU 33 Sitze, Grüne 11, FDP 6 und Schill 25 Sitze.
Die seit vier Jahren regierende rot-grüne Koalition hat damit keine Mehrheit mehr. Die SPD hatte 44 Jahre lang ohne Unterbrechung in der Hansestadt regiert.
Entscheidende Auswirkungen auf die Mehrheiten im Bundesrat hat die Wahl nicht.
Zukünftige Regierung noch unklar
Zunächst war noch unklar, wie in Hamburg eine künftige Regierung aussehen könnte. Zunächst hatten CDU, FDP und Schill-Partei bekräftigt, einen «Bürgerblock» bilden zu wollen. Am Abend war aber bei der FDP noch unklar, ob sie tatsächlich gemeinsam mit der CDU und der Schill-Partei ein Mitte-Rechts-Bündnis eingehen will.´ Die Grünen kündigten den Gang in die Opposition an, die SPD reklamierte den Regierungsauftrag für sich.
Unmut bei der FDP-Basis
FDP-Chef Rudolf Lange sagte in der ARD, dass «die Hamburger einen Wechsel wollen». Die FDP werde sehen «wieweit sie in Verhandlungen ihre liberalen Positionen durchsetzen» könne. Im ZDF sagte Lange, dass die FDP «nicht als Rettungsanker für Rot-Grün zu Verfügung stehe». Er schloss eine Ampelkoalition defintiv aus.
Offenbar gibt es an der FDP-Basis Unmut über eine mögliche Koalition mit dem radikalen Richter Ronald Schill. «Jetzt muss ein Parteitag entscheiden, ob die FDP um jeden Preis an die Macht will und eine Koalition mit Schill eingehen will», forderte FDP-Mitglied Raoul Claassen auf der Wahlparty der Liberalen. Die Stimmung innerhalb der Liberalen sei «50 zu 50» für ein Zusammengehen mit Schills Partei.
Grüne wollen in die Opposition
Die Spitzenkandidatin der Grün-Alternativen Liste (GAL), Krista Sager, sagte dem NDR, die Grünen sähen ihre Aufgabe jetzt wieder in der Opposition. Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Rezzo Schlauch, appellierte in der in Hannover erscheinenden «Neuen Presse» an die Geschlossenheit der Grünen. Man habe «nicht mehr und nicht weniger verloren, als in anderen Landtagswahlen». Der «Leipziger Volkszeitung» sagte er, wegen Schill würden die Grünen nicht von ihrem Konzept einer liberalen und offenen Gesellschaft abrücken.
Schill will den Wechsel
Unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Prognose sagte Schill in der ARD, er werde in der Stadt die Kriminalität senken und seine Wahlversprechen einlösen. Schill: «Wir werden den Wechsel in der Hansestadt herbeiführen.« Er wolle Hamburg so sicher machen wie München oder Stuttgart, sagte Schill im ZDF. Schill bezeichnete seine Partei als «demokratische Partei». «Recht und Ordnung» dürften nicht mit «rechts» verwechselt werden.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Schill Innensenator wird. Am Sonntagabend kündigte Schill zudem an, auch bei der Bundestagswahl 2002 antreten zu wollen.
SPD will verhandeln, CDU will mit Schill regieren
Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde reklamierte im ZDF den «Auftrag, eine Regierung zu bilden» für die SPD. Er wolle zunächst mit den Grünen, FDP und CDU verhandeln. Mit Schill werde er, Runde, jedoch keine Gespräche führen.
Auch der Hamburger SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz sieht im Ergebnis ein «Zeichen, dass die SPD eine Regierungsbildung versuchen sollte». Dies setzt jedoch Partner voraus - und die dürfte es nicht geben:
CDU-Chef Ole von Beust sagte in der ARD, dass große Koalitionen nur in Notzeiten sinnvoll seien.
Daher werde die CDU sehr rasch in Gespräche mit der FDP und der Schill-Partei eintreten. Er fürchte sich nicht vor Schill - obwohl dessen Partei denkbar knapp an die CDU herangerückt ist.
Unterstützung von CDU-Bundespolitikern
Unterstützung erhielt von Beust von Spitzenpolitikern der Union. Am Montag sprachen sich Parteivize Volker Rühe, der niedersächsische Landeschef Christian Wulff und Hessens Ministerpräsident Roland Koch für Koalitionsgespräche mit der Partei von Schill aus. Als Konsequenz aus dem Wahlergebnis plädierten sie dafür, das Thema der inneren Sicherheit künftig noch stärker in den Vordergrund zu stellen.
+++++++++++++++++++++++++++++++
Netzeitung Vermischtes 24.9.2001
Bundesparteien streiten um Schill
Der Hamburger Sieg des radikalen Außenseiters Ronald Schill führt zu Streit auch in der Bundespolitik. CDU und FDP wollen mit ihm koalieren, Grüne, SPD und PDS sind darüber entsetzt.
«Offensichtlich war das Thema von Ronald Schill ein wichtiges Thema, dass auch bundespolitisch ein Rolle spielt», sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer in der «Berliner Runde» des ZDF. Es sei daher richtig, in Hamburg mit der FDP und der Schill-Partei Gespräche aufzunehmen.
«Wenn sie mit einer Partei koalieren, die rechts von der CDU steht, ist das ein Tabubruch. Ich kann nur sagen, verhindern sie das», sagte der PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch.
«Ein solches Amt darf man nicht jemandem an die Hand geben, der so leichtfertig damit umgeht», sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in Zusammenhang mit Schills Diskussionen über mehr Gefängnisse und die Todesstrafe. «Recht und Ordnung sind o.k., wenn sie von liberalen Leuten vertreten werden, nicht von Schill.
Verfehlte Politik
«Schill ist auch ein Produkt der verfehlten Sicherheitspolitik der rot-grünen Koalition», entgegnete Cornelia Piper, Generalsekretärin der FDP.
Allgemein bedeute das Hamburger Ergebnis für die Bundespolitik nichts, sagte dagegen Müntefering. Etwa 80 Prozent der entscheidenden Themen sei landesspezifisch, für die Bundespolitik werde es dadurch keine Veränderungen geben.
Grüne erklären Verluste
Ganz sicher müssten die Grünen das Ergebnis «selbstkritisch» überprüfen, so der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Reinhard Bütikofer zu den Verlusten seiner Partei. Doch mit dem «Totenglöcklein» müsse man deswegen noch nicht klingeln. Man habe gezeigt, dass man einen festgelegten Kurs auch beibehalte, wenn Gegenwind aufkomme.
«Grün wird nicht aufgerieben», sagte Bütikofer, alle Umfragen würden bestätigen, dass die korrigierende Wirkung der Grünen erwünscht sei. Man werde sich nicht aus der Verantwortung «davonstehlen». (nz)
+++++++++++++++++++++++++++++++
Stuttgarter Zeitung Politik 24.9.2001
Die Ängste der Bürger
Machtwechsel an der Elbe
Verlierer, Sieger, Gewinner - eigentlich verbieten sich angesichts des Wahlergebnisses in Hamburg diese Begriffe. Wahlsieger ist zum Beispiel von den bloßen Zahlen her die seit mehr als vier Jahrzehnten regierende SPD an der Elbe. Und doch hat sie mit ihrem Bürgermeister Ortwin Runde an diesem Sonntag ein Debakel erlitten. Wahlverlierer ist dagegen Ole von Beust, der CDU-Kandidat für das Spitzenamt im traditionsreichen Stadtstaat. Dennoch ist er zugleich der eindeutige Gewinner, eben weil er mit seiner Partei den Machtwechsel erkämpft hat. Zu den Gewinnern zählt unbestreitbar auch die FDP, die den Wiedereinzug ins Hamburger Stadtparlament erreicht hat. Allerdings, stolz können die Liberalen auf ihr mageres Ergebnis nicht sein, finden sie sich doch auf dem fünften und damit letzten Platz in der Parteienrangfolge wieder. 18 Prozent - in Hamburg jedenfalls eine bös entlarvte Illusion.
Leicht fällt das Urteil hingegen über die Grünen. Sie haben die Serie ihrer Wahlschlappen fortgesetzt und müssen sich, wohl zusammen mit der SPD, auf den Oppositionsbänken niederlassen. Ein weiterer Schlag für die Partei, die auf Bundesebene ohnehin vor einer Zerreißprobe steht. Und leicht fällt auch das Urteil über den Richter Ronald Schill. Er ist der Triumphator und zieht mit einem sensationell starken Ergebnis wahrscheinlich in den Senat ein. Wenn überhaupt jemand, können er und seine Mitstreiter aus vollem Herzen feiern. Eine Partei aus dem Nichts etabliert sich über Nacht als dritte Kraft und erzielt fast genau jenen Wert, den sich Jürgen Möllemann für die FDP erträumt. Wie viel Politikverdrossenheit muss sich in der wohlhabenden Hafenstadt angesammelt haben, dass die Wähler sich dazu entschlossen, das Parteiengefüge so durcheinander zu wirbeln? Und das angesichts einer weltpolitischen Situation, in der sich Bürger normalerweise an das Bewährte, Vertraute halten, statt auf Experimente zu setzen.
Dem Populisten Schill ist es offensichtlich gelungen, der verbreiteten Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen und die Enttäuschten um sich zu sammeln.
Sein Credo hieß und heißt Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Damit hat er den Nerv getroffen, den Rot-Grün in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt hat. Ortwin Runde, dem braven, farblosen Bürgermeister, hat es nicht geholfen. noch wenige Monate vor der Wahl den Innensenator auszutauschen und eine härtere Linie gegen die Kriminalität zu fahren. Das Manöver kam zu spät und war zu durchsichtig. Umso bemerkenswerter ist freilich, dass sich die CDU auf ihrem ureigenen Feld diese offene Flanke der Hamburger Politik nicht zu Nutze machen konnte. Nicht sie galt als Alternative, sondern eben Schill.
Der bisherige Richter und künftige Innensenator kommt nun allerdings in die Verlegenheit, nicht mehr nur reden und schimpfen zu können, sondern Verantwortung übernehmen zu müssen. Das ist die demokratische Falle, die auf jede Protestpartei lauert. Vor einigen Jahren gab es schon einmal so eine Partei in Hamburg, die Statt-Partei, die dann recht schnell entzaubert wurde. Wie stabil ist denn überhaupt das Bündnis der Unzufriedenen? Und wie fundiert sind wohl die Versprechungen, denen Schill seine Anziehungskraft verdankt? Im Übrigen: auch wenn der Ruf nach Sicherheit alles übertönt hat, die weltläufige Elbmetropole bleibt ein liberaler Standort.
Schill wird sich mäßigen müssen, zumal er ja überdies in eine Dreier-Koalition eingebunden ist, der man ein kompliziertes Binnenleben voraussagen kann.
Natürlich werden nun die Sozialdemokraten noch einmal versuchen, die FDP ins leck geschlagene rot-grüne Boot zu holen. Das ist legitim und könnte sogar die bessere Lösung für die Hansestadt sein als die Einbeziehung einer im Grunde unbekannten und deshalb durchaus Sorgen machenden Größe. Aber die Liberalen können nicht mehr zurück: Sie haben sich auf den Wechsel festgelegt. Der Schwenk zur Ampelkoalition könnte tödlich sein, weil er das Umfaller-Stigma neu beleben und die bundesweite 18-Prozent-Kampagne endgültig diskreditieren würde.
Die Hamburg-Wahl gilt als erster großer Stimmungstest vor dem entscheidenden Kampf um die Regierungsmacht in Berlin. Der wichtigste Fingerzeig für Gerhard Schröder und Joschka Fischer ist die dramatische Schwäche der Grünen.
Wie die sich wieder in Stärke verwandeln könnte, weiß niemand. So ist nicht auszuschließen, dass die Sehnsucht nach der guten alten Oppositionszeit neuen Zulauf erhält, gerade angesichts der weltpolitischen Herausforderungen, auf Grund deren das Thema innere und äußere Sicherheit absoluten Vorrang gewinnt. Jede Koalition hat ihre Zeit. Es ist gut möglich, dass die Zeit für Rot-Grün mit der amerikanischen Katastrophe und ihren Konsequenzen schon abgelaufen ist. Und der Kanzler - der hat schon öfter gezeigt, wie kühl er kalkulieren kann.
Von Joachim Worthmann
+++++++++++++++++++++++++++++++
Weser Kurier Vermischtes 24.9.2001
Schill knickt für Fotografen ein
Sieger der Hamburg-Wahl gibt sich gelassen: Wir sind liberale Partei
Hamburg. Es dauerte anderthalb Stunden, bis Wahlsieger Ronald Schill zum ersten Mal einknickte: Als er um 19.35 Uhr nach einem Fernsehinterview auf CDU-Spitzenkandidaten Ole von Beust traf, ging der hoch gewachsene Hamburger Amtsrichter ein paar Zentimeter in die Knie, damit beide zusammen auf das Foto passten.
Nur ein paar Sekunden dauerte der erste gemeinsame Auftritt der beiden Männer, die Innensenator (Schill) und Bürgermeister (von Beust) in Hamburg werden wollen: Als wäre ihnen der gemeinsame Auftritt dann doch unangenehm, gingen beide ohne ein Wort in verschiedene Richtungen davon.
Der große Sieger Schill gab sich in der Stunde des Erfolgs gelassen: „Bereits vor einem Jahr habe ich ein solches Ergebnis vorausgesagt, damals hat man mich noch für einen Spinner gehalten", sagte er beim Betreten des Wahlzentrums.
Kaum war der Amtsrichter da, drängelten sich um ihn Fernsehen, Fotografen und Radiomikrofone. Kameras gingen zu Bruch, kräftige Personenschützer bahnten ihm den Weg. In der Stunde des Erfolges gab Schill sich aber gemäßigt: „Wir sind eine liberale Partei", rief er in die Mikrofone, als könnte er damit den Ruf des engstirnigen Rechtspopulisten abwerfen.
Schill war auch dort Thema, wo er gar nicht war: Die SPD hatte ihre Anhänger in einem stickigen holzgetäfelten Zimmer vor drei Fernsehern versammelt: „Jaaa!", riefen die Genossen, als die Zugewinne für ihre Partei im ersten Trend angezeigt wurden, „Jaaa!", riefen sie, als gleich danach die Verluste der CDU kamen. Doch dann verschwand die Freude wie durch die großen weißen Löcher der Klimaanlage: Das einstellige Ergebnis des Koalitionspartners Grün-Alternative Liste (GAL) wurde mit Stöhnen aufgenommen, als die Schirme 17 Prozent für Schill zeigten, erschraken die Sozialdemokraten: „Oooooh".
Galgenhumor bei Fraktionschef Holger Christier auf die Frage, wie es der SPD in der Opposition ergehen wird: „Das wäre eine neue Erfahrung". Doch schon nach 30 Minuten hatten sich der Top-Genosse wieder gefasst und machte Annäherungsversuche an CDU und FDP für mögliche Koalitionen.
Bei der CDU wollte auch keine überschäumende Stimmung aufkommen, obwohl der Weg für von
Beust mit FDP und Schill zum Bürgermeistersessel frei ist. Der Schock über die verlorenen Prozente saß offenbar zu tief. Als die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, kommt bei der Union nur einmal verhaltener Jubel auf: als die gigantischen Zahlen für Schill durch den Raum dröhnten.
„Hauptsache Wechsel": Viel mehr war von CDU-Mitgliedern nicht zu erfahren. Wirklich glücklich wirkt niemand. „Es war eben unser oberstes Ziel, diesen verfilzten Senat abzulösen", meint Georg Jarzembowski, Mitglied des Europäischen Parlaments. „Aber einfach wird es wohl nicht werden, vor allem nicht mir einer so starken Schill-Partei."
Die CDU-Fraktionsmitarbeiterin Claudia Raap wurde deutlicher: „Schill verursacht mir Bauchschmerzen. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht." Als schließlich Ole von Beust auftaucht, möglicherweise der künftige Bürgermeister Hamburgs, kam endlich Stimmung auf: Mit rhythmischem Klatschen wird der etwas verkniffen wirkende Spitzenkandidat empfangen. „Wir werden mit vernünftigen Koalitionspartnern einen stabilen Wechsel herbeiführen", gibt auch Beust sich zuversichtlich. Trotzdem entschuldigt er sich bei seinen Parteifreunden für die verlorenen Sitze.
Bei den Grünen hing ein einsames Plakat an der Wand: „Nur mit uns" steht darauf. Nun sind die Grünen der doppelte Verlierer der Wahl: Prozente weg, Regierungsbeteiligung weg. „Wir sind zwischen die großen Blöcke geraten", sagte ein Parteimitglied. Bei Kaffee und Mineralwasser suchten sie nach Wegen in die Zukunft.
FDP-Chef Rudolf Lange war neben Schill der einzige, der sich aus vollem Herzen freute:
Siegeszeichen für die Kameras, ständig in Kontakt zu Schill oder Beust, als könnte der pensionierte Konteradmiral schon eine neue Regierung durch die körperliche Nähe herbeiführen.
Claus-Peter Tiemann (ap)
+++++++++++++++++++++++++++++++
Augsburger Allgemeine Politik 24.9.2001
Rot-Grün ohne Mehrheit in Hamburg - Schill Sieger
Hamburg (dpa) - In Hamburg steht ein Machtwechsel bevor. Nach einem sensationellen Erfolg der Partei des umstrittenen Amtsrichters Ronald Schill bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag und eigenen schweren Verlusten kündigten die Grünen den Rückzug aus der Regierung mit der SPD an.
Wer die Hansestadt künftig regiert, ist aber noch offen. Ob die FDP gemeinsam mit CDU und der Schill-Partei ein Mitte- Rechts-Bündnis eingeht, war am Abend unklar. Möglich war auch eine große Koalition aus CDU und SPD. Die SPD hat 44 Jahre lang ohne Unterbrechung in der Hansestadt regiert.
Der als «Richter Gnadenlos» bekannte Ronald Schill erzielte auf Anhieb 19,4 Prozent. Schill kündigte an, er werde wahrscheinlich auch bei der Bundestagswahl 2002 antreten. Die Spitzenkandidatin der Grün- Alternativen Liste (GAL), Krista Sager, sagte dem NDR, die Grünen sähen ihre Aufgabe jetzt wieder in der Oppositionspolitik. Es habe einen starken Rechtsrutsch gegeben. Nun sei eine «Politik der Hau- drauf-Parolen» zu befürchten.
Nach einer Zitterpartie stand erst mit dem amtlichen Endergebnis fest, dass die FDP nach acht Jahren mit 5,1 Prozent wieder knapp die Fünf-Prozent-Hürde übersprang. Während die SPD von Bürgermeister Ortwin Runde leicht zulegen konnte, mussten die Grünen einen Einbruch von rund 5 Punkten einstecken. Die CDU verlor über 4 Punkte. Für SPD und CDU war es in Hamburg ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei Bürgerschaftswahlen. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen sahen keine Auswirkungen des Hamburger Wahlergebnisses auf die rot-grüne Koalition in Berlin.
Die SPD kam nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 36,5 Prozent. Vor vier Jahren hatte sie 36,2 Prozent der Stimmen erhalten. Die CDU musste mit 26,2 Prozent (1997: 30,7) Verluste einstecken. Bei den Grünen/GAL gab es mit 8,5 Prozent (1997: 13,9) einen Einbruch. Die FDP erhielt 5,1 Prozent (1997: 3,5). Für die erstmals angetretene Schill-Partei «Rechtsstaatliche Offensive» votierten 19,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 71 Prozent besser als 1997 (68,7 Prozent).
Ein Mitte-Rechts-Block von CDU, Schill-Partei und FDP würde auf eine Mehrheit in der Bürgerschaft kommen. Die SPD erhielt 46 (1997: 54), die Grünen 11 Mandate (1997: 21). Zusammen also 57 Sitze. Die CDU kam auf 33 (bisher 46), die FDP auf 6, die Schill-Partei auf 25 Mandate. Mit 64 Sitzen läge ein solches Mitte-Rechts-Bündnis über der absoluten Mehrheit von 61 Mandaten.
CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust sagte, er gehe von Verhandlungen mit Schill und der FDP aus. Angesichts der erwarteten knappen Mehrheiten schloss er eine große Koalition nicht völlig aus. CDU- Chefin Angela Merkel äußerte sich enttäuscht über das Abschneiden ihrer Partei. Schill sei nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil Rot-Grün in Hamburg die innere Sicherheit vernachlässigt habe. CDU- Generalsekretär Laurenz Meyer kündigte an, die Bundes-CDU werde das Thema innere Sicherheit stärker in den Vordergrund zu rücken.
Schill erklärte: «Wir werden den Wechsel in der Hansestadt herbeiführen.» Er selbst strebe das Amt des Innensenators an. FDP- Spitzenkandidat Rudolf Lange verwies auf den Wunsch der Hamburger, den Wechsel herbeizuführen. Die FDP müsse sehen, wie sie bei Verhandlungen ihre Positionen durchsetzen könne. Auch eine Oppositionsrolle sei möglich.
Die SPD betonte als mit großem Vorsprung führende politische Kraft ihren Regierungsanspruch. Der amtierende SPD-Bürgermeister Ortwin Runde sagte, er werde die Möglichkeiten einer Koalition mit allen demokratischen Kräften klären. Ausgeschlossen sei Schill.
Grünen-Bundeschef Fritz Kuhn warnte vor einer Beteiligung eines «Rechtspopulisten» wie Schill an der Regierung. Die ökologische Kompetenz der Grünen sei nicht zum Tragen gekommen, da der Wahlkampf vom Thema innere Sicherheit beherrscht worden sei. Dies bestätigte eine Analyse der Forschungsgruppe Wahlen. Zugleich sei für den Wahlausgang der mangelnde «Amtsbonus» von Runde und die grundsätzliche Wechselstimmung entscheidend gewesen, meinten die Wahlforscher. «Die Kriminalitätsbekämpfung war der entscheidende Trumpf der Schill-Partei im Wahlkampf.»
In Berlin wird nach dem Bruch der großen Koalition am 21. Oktober ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Entscheidende Auswirkungen auf die Mehrheiten im Bundesrat hat die Hamburg-Wahl nicht.
++++++++++++++++++++++++ E N D E ++++++++++++++++++++++++