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In Memoriam Stefan Heym s"l

 

 

 

 

Berliner Zeitung Kultur 17.12.2001

BerlinOnline: Stefan Heym in Israel gestorben

Schriftsteller erlag mit 88 Jahren einem Herzversagen

TEL AVIV, 16. Dezember. Der Schriftsteller Stefan Heym ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er sei am Sonntag in Israel einem Herzversagen erlegen, bestätigte das Mishkenot-Shaananim Kulturzentrum Jerusalem. Heym hatte dort an einem Kongress über den Dichter Heinrich Heine teilgenommen.

Der am 10. April 1913 in Chemnitz als Helmut Flieg geborene Kaufmannssohn floh 1933 vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei und später in die USA, von wo er als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurückkehrte. 1952 siedelte er in die DDR über.

Heym beschäftigte sich mit zeitgeschichtlichen und historischen Stoffen. Er war der wohl bedeutendste "oppositionelle Autor" in der früheren DDR. Obwohl er sich zu einem "sozialistischen Deutschland" bekannte, wurde er zu einer Symbol- und Leitfigur für den geistigen Widerstand in dem zunehmend totalitärer werdenden SED-Staat. Nach dem Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 verfasste Heym den Aufruf "Für unser Land" gegen den, wie er meinte, "Ausverkauf an die Bundesrepublik". Bei der Bundestagswahl 1994 errang Heym für die PDS ein Direktmandat im Bundestag. Ein Jahr später gab er dieses zurück.

Mit Trauer reagierten Autoren und Politiker. Sein Kollege Erich Loest sagte, Heym sei zuletzt "klein und krumm" gewesen, "aber geistig präsent und vorlaut wie immer". Der Schriftsteller Hermann Kant, unter dessen Präsidentschaft im DDR-Schriftstellerverband Heym 1979 und andere Autoren ausgeschlossen wurden, sagte, er habe "äußerste Hochachtung vor dem Schriftsteller". Politisch seien sie nicht immer einer Meinung gewesen, aber sie beide hätte an die Zukunft einer besseren DDR geglaubt. Der PDS-Spitzenpolitiker Gregor Gysi sagte, er habe einen Freund verloren. (ku.)

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Berliner Zeitung Politik 16.12.2001

BerlinOnline: Ein Jahrhundert erzählt

Seine Bücher und sein Leben zeugen von einer Epoche der Umbrüche - zum Tod des Schriftstellers Stefan Heym -- von Cornelia Geissler

Der Schriftsteller Collin schafft es nicht, seine Memoiren zu vollenden. Nicht nur, dass er darüber krank wird, ihm sitzt auch noch der Stasi-Mann Urack im Nacken, dem jedes offene Wort ein Wort zu viel ist. Sich auf Collin beziehend, der einem seiner bekanntesten Romane den Titel gab, sagte Stefan Heym einmal, Memoiren seien ein gefährliches Unterfangen. Dem wollte er sich nicht aussetzen.

Dann hat er aber doch sein eigenes Leben nacherzählt. Mehr als 800 eng bedruckte Seiten lang wurden seine Erinnerungen, die er "Nachruf" überschrieb. Ein Titel, mit dem er auf die Gepflogenheit vieler Medien anspielte, noch vor dem Lebensende von Prominenten die Nekrologe zu verfassen. Er hatte also nicht nur Alden Whitman, den Nachruf-Schreiber der New York Times, im Sinn, der ihn Anfang der siebziger Jahre besuchte. Hoffnungslos veraltet, wird dessen Text nun sicher nicht mehr gedruckt werden; jetzt, da Stefan Heym im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Den Neugierigen, die das Erscheinen von Whitmans Artikel nicht abwarten wollen, empfahl Heym, besser seinen "Nachruf" zu lesen.

Heym schreibt darin über "S.H.", als handele es sich um eine seiner Romanfiguren. Mit den Initialen und der Verwendung der dritten Person Singular legte er ein Quäntchen Distanz zwischen sich und die behandelte Person, deren Handlungen er rückblickend bewertete. S.H. wird am 10.4.1913 in Chemnitz als Helmut Flieg geboren, beginnt ein Studium in Berlin und flieht schon im Frühjahr 1933 aus Deutschland. Ein satirisches Gedicht über die nationale Überheblichkeit der Deutschen, das er noch vor dem Machtantritt Hitlers in einer Zeitung veröffentlicht, lässt den Mann, der aus einem jüdischen Elternhaus kommt, zum Feindbild der Nationalsozialisten werden.

Ein Offizier der US Army

Auf einer Postkarte aus Prag an die Mutter verwendet der junge Flieg zum ersten Mal den Namen Stefan Heym. Zwei Jahre später geht er in die USA, nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an und wird 1943 Soldat der US Army. Als Offizier kommt er in die Abteilung für psychologische Kriegsführung; eine Erfahrung, die er später in dem Roman "The Crusaders" verarbeitet. Der ist, als er 1950 in Deutschland erscheint ("Kreuzfahrer von heute"), in den USA schon ein Bestseller. Als US-Soldat kommt Heym in den Westen Deutschlands. Bald nach der Befreiung arbeitet er als Journalist. Seinen Protest gegen den Koreakrieg nennen die Amerikaner "prokommunistisch".

S.H. glaubt an eine gerechtere Gesellschaft und geht 1952 in die DDR. Dass aber die praktizierte Form des Sozialismus nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmt, merkt er bald - und immer wieder. Manchmal lässt sich dies auch aus seiner alle zwei Wochen in der "Berliner Zeitung" erscheinenden Kolumne "Offen gesagt" herauslesen. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 erlebt S.H. als Wendepunkt, nicht nur in der Geschichte der DDR. Er gehört zu den ersten Unterzeichnern der Petition gegen diesen Willkürakt des Staates. Für den wiederum ist das Anlass genug, ihn noch stärker zu beobachten als ohnehin schon. Heym ist einer von ganz wenigen, die schon ohne Gauck-Behörde Einblick in Stasi-Blätter haben.

Ein ungeschickter IM verliert sein Notizbuch ausgerechnet bei S.H. im Garten. Auch davon handelt der "Nachruf". Das Buch schließt mit einer Hoffnung, der Hoffnung auf Gorbatschow und seine Reformen.

Anders als Collin hat Stefan Heym seine Memoiren überlebt. Er ist in den letzten Jahren nicht mehr gut zu Fuß gewesen und brauchte oft die unterstützende Hand seiner Frau Inge; er reagierte unwirsch, wenn ihn jemand zu leise ansprach, weil man ihn damit an seine Schwerhörigkeit erinnerte. Wenn er einen Stoff gefunden hatte, saß er weiterhin täglich am Computer und schrieb, trat zu Lesungen und Diskussionen an und signierte geduldig seine Bücher. Bis zuletzt war seine Meinung gefragt. Er gehörte noch zu der Autorenrunde, mit der Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt den Afghanistan-Einsatz diskutierte. Sein Name wird nun fehlen in den Veranstaltungskalendern, seine schnarrende Stimme auf den Podien auch.

So eng Heyms Lebensstationen mit der politischen Entwicklung Deutschlands in den letzten sieben Jahrzehnten verwoben sind, so vielfältig stellt sich sein literarisches Lebenswerk in diese Epoche. In seinen Romanen geht es Stefan Heym um die Freiheit des Einzelnen, in der Gesellschaft zu entscheiden und zu irren, um die Dialektik von Revolution und Restauration, um den Grat zwischen Mut und Übermut, Vernunft und Anpassung.

Im Jahr 2000 ist noch ein neues Buch erschienen, "Die Architekten", das eigentlich ein altes ist. Er hatte es Anfang der sechziger Jahre geschrieben und setzte sich darin mit der harmlosen DDR-Version des poststalinistischen "Tauwetters" auseinander. Sein englischer Verlag lehnte das Manuskript damals ab - der Ärger um den 17.-Juni-Roman "Fünf Tage im Juni" war noch nicht ausgestanden. Im Herbst 1999 kam Stefan Heym das Manuskript wieder in den Sinn und er übersetzte es.

Tatsächlich war seine Literatursprache anfangs das Englische gewesen. Weil er sich im Exil als unbekannter Autor mit einem auf Deutsch verfassten Buch wenig Chancen ausrechnete, an einen Verlag und an Leser zu kommen, schrieb er seinen ersten Roman in der Sprache, in der er sich damals gerade einzurichten begann. Das 1942 erschienene Buch "Hostages" ("Geiseln" - Heym nannte es später "Der Fall Glasenapp") wurde in Hollywood verfilmt. Es geht um den Widerstand der Einwohner Prags gegen die deutschen Besatzer.

Es folgen die "Crusaders" und noch zwei weitere Romane auf Englisch, ehe er sich dazu entschließt, deutsch zu schreiben. Von der amerikanischen Literatur bleibt ihm der Spaß an der short story, der geschickte Einsatz des Dialogs, um Atmosphäre zu schaffen, und zuweilen ein Hang zur Kolportage. Stefan Heym scherte sich nicht groß um stilistische Kritik im Detail.

Er hatte Geschichten zu erzählen und wollte sie vielen Menschen erzählen.

Die Themen reichen von der 1848er Revolution ("Die Papiere des Andreas Lenz", 1963) über die frühe Arbeiterbewegung ("Lassalle", 1969) bis zurück zu biblischen und mythologischen Stoffen. "Der König David Bericht" (1972) und "Ahasver" (1981) sind Heyms literarisch interessanteste Werke. Hier verlässt er konsequent das Fahrwasser des traditionellen Erzählens und unterwirft seine Motive auf verschiedenen Ebenen unterschiedlichen Interpretationen. Die Widersprüche zwischen Dogma und Wahrheit anhand der Heldengeschichte des Königs David oder das Motiv vom ewigen Juden, das Luther ebenso wie einem israelischen und einem DDR-Religionsforscher keine Ruhe lässt, sind auch fein ausgearbeitete Allegorien auf das Leben in der Meinungsdiktatur, mithin auf die Verhältnisse in der DDR. Heym beschreibt den latenten Konflikt zwischen Macht und Geist.

Ausgeschlossen aus dem Verband

Die in der historischen Gegenwart der DDR angesiedelten Romane ("Fünf Tage im Juni", 1974; "Collin", 1979), wie auch die kurz davor angesiedelte Utopie der Republik "Schwarzenberg" (1984), wurden als politische Kommentare gelesen. Als solche hatte der Autor, der 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde, sie sicher auch gemeint. Nur konnten sie deshalb nicht in der DDR erscheinen. Spiegelt "Collin" noch Heyms Erfahrung als Schriftsteller in der DDR, wird der 1988 erschienene "Nachruf" im Zuge der Wende-Ereignisse gleichsam zum Nachruf auf diese Existenz. Heym hat seine Memoiren lange überlebt, der Staat, von dem sie überdeutlich geprägt waren, nur um ein Jahr. Was kann einem Schriftsteller Besseres passieren?

Die aufregende Zeit seit dem Erscheinen der Erinnerungen wäre einen eigenen Memoiren-Band wert gewesen. Stefan Heym hätte darin erzählen können von seiner Sicht auf den 89er Herbst, da er zu den Rednern auf dem Alexanderplatz am 4. November gehörte und dem DDR-Volk attestierte, den aufrechten Gang gelernt zu haben; da er gemeinsam mit Christa Wolf den Aufruf "Für unser Land" vorstellte - einen Appell für eine eigenständige Deutsche Demokratische Republik, deren eben noch gelobtes Volk nun zu seiner Enttäuschung an die Wühltische des Westens strebte. Bald darauf ging er wieder appellierend in die Öffentlichkeit; diesmal unterstützte er die Gründung der Komitees für Gerechtigkeit, die das Selbstbewusstsein der ehemaligen DDR-Bürger im vereinten Lande stärken sollten.

Und dann wechselte Stefan Heym vom Beobachterposten direkt in die Politik, zog in den Bundestag ein, wurde dessen Alterspräsident. In seiner Rede zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestages am 10. November 1994 wünschte er sich "moralisches Verhalten", "Großzügigkeit und Toleranz im Umgang miteinander" und rief auf zu einer "Koalition der Vernunft", zu der sich alle im Bundestag vertretenen Parteien zusammenschließen sollten.

Deren Mitglieder demonstrierten eisige Ablehnung. Vorher waren noch schnell haltlose Gerüchte über eine Stasi-Zuträgerschaft in Umlauf gebracht worden. Stefan Heym stand am Rednerpult als Abgeordneter der falschen Partei. Er gehörte der PDS nicht an, auch nie der SED. Vor allem Vertreter der Christdemokraten, die den Schriftsteller wenige Jahre zuvor als aufrechten Geist in der Diktatur gelobt hatten, waren es, die ihm nun jeglichen Respekt versagten.

Aber vielleicht hat ihn das gar nicht getroffen. Hatte er sich doch, wie er selbst zugab, in die Politik begeben, weil es ihm "Spaß" machte. Stefan Heym hatte es geahnt, dass er populärer war als der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse, dessen Wahlkreis für den Konkurrenzkampf ausersehen war. Für die Leute im Osten, die jahrelang von Stefan Heyms seltenen Lesungen in Kirchen nur über Mund-zu-Mund-Propaganda erfuhren, die seine in der DDR erschienenen Bücher nur als "Bückware" unterm Ladentisch bekamen, die sich zerlesene West-Ausgaben von jenem "Collin", von "Schwarzenberg" und - vor allem - "Fünf Tage im Juni" von Hand zu Hand reichten, für viele dieser Menschen war es wohl ein Anliegen, den Schriftsteller in den Bundestag zu schicken. Sein Abgang von dort, nach weniger als einem Jahr, war schlecht inszeniert. Er verlasse Bonn, weil seine Stimme "zu schwach" sei, um gegen eine Diätenerhöhung für die Abgeordneten zu protestieren - diese Begründung klang wie ein Vorwand. Seine Leser hätten es besser verstanden, wenn er erklärt hätte, die Arbeit im Bundestag raube ihm Zeit, die er zum Schreiben brauche.

Im vereinten Land

Denn Stefan Heym schrieb zwar keine Fortsetzung des "Nachrufs", aber die Lust zu erzählen hat ihn nie verlassen. So veröffentlichte er zwei Bände mit short stories über das merkwürdige Zusammentreffen der Deutschen im vereinten Land ("Auf Sand gebaut", "Filz"). Er schrieb einen großen Roman über Karl Bernhardowitsch Radek und die Richtungskämpfe unter den Linken in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts ("Radek", 1995). Er veröffentlichte seine Aufzeichnungen aus der Zeit, als Wolf Biermann ausgebürgert wurde - ein Protokoll über die Repression auf der einen, den Mut auf der anderen Seite. Und es folgte noch ein Roman, mit einem ganz ungewöhnlichen Helden: "Pargfrider" ist die Geschichte eines Tuchhändlers, der vor allem auf seinen Nachruhm bedacht ist, eine Rollenprosa, die Heyms Sinn für Ironie in ein gemütliches K.-und-k.-Deutsch tunkte.

Wenn jetzt seiner gedacht wird, mögen einige Nachrufer versucht sein, fein säuberlich zu trennen zwischen dem achtbaren Autor mit einem Lebenswerk von fünfzehn Romanen und mehreren Erzählungsbänden und dem Verteidiger eines ostdeutschen Selbstbewusstseins, dem Abgeordneten auf der Liste der PDS, den man mit Verachtung strafen konnte. Auch nachdem er den Bundestag verlassen hatte, meldete er sich immer wieder mit seiner Meinung zu Wort. Jetzt sind es die Bücher in den Regalen seiner Leser, die bleiben. Sie geben Auskunft über ein Jahrhundert.

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Mitteldeutsche Zeitung Kultur 17.12.2001

Porträt

Sozialistischer Autor mit bewegtem Leben

Leitfigur für geistigen Widerstand im SED-Staat

Berlin/dpa. Stefan Heym, der am Sonntag in einer Hotelanlage am Toten Meer 88-jährig starb, hat es als kritischer Sozialist der DDR-Führung schwer gemacht. Bei gleichzeitigem Bekenntnis zu einem «sozialistischen Deutschland», dessentwillen er aus amerikanischem Exil nach dem Krieg die DDR als neue Heimat wählte, wurde er zu einer Symbol- und Leitfigur für den geistigen Widerstand in dem zunehmend totalitärer werdenden SED-Staat.

Nach dessen Zusammenbruch im Herbst 1989 war es wiederum Heym, der zu einem neuen Widerstand aufrief, diesmal unter dem Motto «Für unser Land» gegen den, wie er meinte, «Ausverkauf an die Bundesrepublik». Dafür zog er sich auch Feinde zu - 1992 wurde er in einem Kölner Hotel von einem Mann geschlagen und beschimpft. Dafür griff er aber auch in die Politik ein und errang bei der Bundestagswahl 1994 für die PDS ein Direktmandat im Bundestag, den er als Alterspräsident eröffnete. Ein Jahr später gab der damals 82-Jährige sein Mandat allerdings wieder zurück.

Der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Kaufmannssohn, der eigentlich Helmut Flieg hieß, wechselte in der Schulzeit nach Berlin und floh 1933 vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei und später in die USA, von wo er als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurückkehrte. In den USA hatte er sich mit Werken wie «Hostages» (Geiseln) und «The Crusaders» (Der bittere Lorbeer) einen Namen gemacht. 1951 siedelte er in die DDR über.

Heym beschäftigte sich neben zeitgeschichtlichen Themen auch mit historischen Stoffen. Zu seinen Büchern gehören «Der König David Bericht», «Fünf Tage im Juni», «Collin» und «Ahasver». Der unbotmäßige Autor wurde 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und sogar strafrechtlich wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt, was erst im Januar 1992 offiziell vom Gericht zurückgenommen wurde. 1988 erschien sein autobiografischer «Nachruf» als Geschichte eines bewegten Lebens.

Extra Zitate des Schriftstellers

«Es ist, als habe jemand die Fenster aufgestoßen ... »

Berlin/dpa. Eine Auswahl von Zitaten des Schriftstellers Stefan Heym, der am Sonntag im Alter von 88 Jahren gestorben ist:

«Das Schicksal hat gewollt, dass ich Deutschland und seine Menschen aus sehr verschiedenen Perspektiven zu sehen bekam: als Verprügelter und Verjagter und Verfolgter, dann aus der sicheren Distanz eines dazwischen liegenden Ozeans, dann als Eroberer und schließlich wieder als Bürger, wenn auch eines Drittel des Landes.» (Rede auf dem «Münchner Podium in den Kammerspielen» im November 1983)

«Es ist, als habe jemand die Fenster aufgestoßen ... nach Dumpfheit und Mief, Phrasengewäsch, bürokratischer Willkür und Blindheit.» (Am 4. November 1989 bei der Massenkundgebung auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz)

«Ich habe Angst, dass aus dem großen Traum von der demokratischen Revolution ein Albtraum werden könnte.» (Vor dem Beirat der IG Metall im Dezember 1989)

«Es wird keine DDR mehr geben. Sie wird nichts sein als eine Fußnote in der Weltgeschichte.» (Kommentar im Fernsehen zum Wahlergebnis der Volkskammerwahl der DDR am 18.3.1990)

«Ich bin immer noch Regimekritiker, nur das Regime, das ich kritisiere, hat gewechselt.» (Dezember 1991, vom Goethe-Institut organisiertes Podiumsgespräch zwischen Günter Grass und Stefan Heym)

«Zwischen den Stühlen zu sitzen war meine Dauerposition.» (Anlässlich seines 80. Geburtstages 1993 in einem dpa-Gespräch)

«Es kann passieren, dass ich fünf Jahre, nachdem ich abgekratzt bin, vergessen bin, dass keiner mehr über mich redet, keiner auch nur meine Bücher anguckt. (...) Ich hoffe, dass ich nicht ganz vergessen sein werde und es doch noch Menschen geben wird, die dann an meinen Büchern Spaß finden und vielleicht auch etwas zum Nachdenken haben werden. Schluss, punkt.»

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Münchener Merkur Kultur 17.12.2001

Die Lust an der Provokation

Gestern starb Stefan Heym

"Es kann passieren, dass ich fünf Jahre, nachdem ich abgekratzt bin, vergessen bin, dass keiner mehr über mich redet, keiner auch nur meine Bücher anguckt (. . .) Ich hoffe, dass ich nicht ganz vergessen sein werde und es doch noch Menschen geben wird, die dann an meinen Büchern Spaß finden und vielleicht auch etwas zum Nachdenken haben werden. Schluss, punkt." Soweit Stefan Heym in einem Gespräch vor sieben Jahren. Schluss, punkt - hat jetzt das Schicksal gesetzt. Gestern starb 88-jährig in einem Hotel am Toten Meer der Schriftsteller, der am 10. April in Chemnitz als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde, in der Emigration die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und 1945 als US-Soldat nach Deutschland zurückkehrte.

 

Der Tod ereilte ihn bei einem Heinrich-Heine-Kongress in Israel:

Heym hatte sich anlässlich eines Heinrich-Heine-Kongresses als Gast in Israel aufgehalten. "Zwischen den Stühlen zu sitzen, war meine Dauerposition", erklärte er einmal seine Existenzform, die immer wieder den Unmut seiner Kritiker hervorrief. Denn Stefan Heym war Zeit seines Lebens ein Unbequemer, ein Regime-Kritiker, ob es sich um das der DDR handelte oder um die politische Klasse nach der Wiedervereinigung.

Er war - und das nicht zuletzt aus einem überragenden Selbstbewusstsein heraus - furchtlos. Das machte ihn in der DDR, die er 1953 zu seinem

Wohnsitz auserkoren hatte - mit allen Privilegien, die die Kommunisten einem der Ihren zu bieten hatten - zu einer Art Leitfigur.

Wie vielen anderen Intellektuellen, die aus der Emigration zurückkehrten und sich in Ulbrichts Berlin niederließen, erging es auch Heym: Schnell war alle Gunst dahin, denn er ließ sich nicht von der Partei in sein Schreiben hineinredigieren. Das Dilemma begann mit seinem Roman über den Arbeiteraufstand von 1953, "Fünf Tage im Juni". Das Buch durfte im Osten nicht erscheinen; die Erstausgabe kam 1974 in der Bundesrepublik heraus. So wurde der Schriftsteller zu einem gesamtdeutschen Autor, denn im Westen konnte er unbehelligt gelesen werden.

Und er wurde viel gelesen. Seine Romane, vor allem "Der König David Bericht", Collin" und "Ahashver", gehören zum Besten, was die DDR-Literatur hervorgebracht hat. Nach der Wende erregte er mit seinem Roman "Pargfrider" noch einmal literarisches Aufsehen. Politisch sorgte er bis zu seinem Lebensende dafür, dass die eher unmutigen, risikoscheuen Mitmenschen ihre Köpfe schüttelten über diesen unruhigen, provokationsfreudigen alten Mann. Ob er nun als Alterspräsident - übrigens der erste Jude in diesem Amt - für die PDS in den Deutschen Bundestag zog oder sich äußerte über die NATO-Angriffe auf Serbien.

Einige seiner Bücher, da hätte Heym sicher sein können, werden die Fünfjahres-Grenze mit Sicherheit überstehen.

Sabine Dultz

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Märkische Allgemeine Vermischtes 17.12.2001

Trauer und Bestürzung über Heyms Tod - Überführung am Dienstag

Berlin/Jerusalem (dpa) - Mit Trauer und Bestürzung haben am Montag Schriftstellerkollegen und Politiker auf den plötzlichen Tod von Stefan Heym reagiert, der am Vortag im Alter von 88 Jahren in Israel einem Herzversagen erlag. Der Leichnam soll am Dienstag nach Berlin gebracht werden. Eine Sprecherin des Kulturzentrums Mischkenot Schaananim in Jerusalem sagte, Heym solle in Deutschland begraben werden. Seine Ehefrau wollte noch am Montag nach Deutschland zurückreisen. Israels Gesundheitsbehörde könnten die Leiche Heyms jedoch nicht früher freigeben.

Heym wird möglicherweise auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Früher hatte er auch mal den Wunsch geäußert, auf dem kleinen Friedhof direkt gegenüber seinem Wohnhaus in Berlin-Grünau seine letzte Ruhe zu finden. Die letzte Entscheidung darüber wird nun seine Witwe Inge Heym treffen, sobald sie aus Israel zurückgekehrt ist.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse würdigte Heym als einen Moralisten und Kämpfer. In einem Schreiben an die Witwe Heyms sprach er ihr im Namen des Deutschen Bundestages und auch persönlich sein Beileid aus. "Ihr Mann gehörte zu den Persönlichkeiten, die sich für eine Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft mit ganzem Herzen eingesetzt haben."

Heym habe sich stets um eine aufrechte Auseinandersetzung aller Deutschen mit ihrer Vergangenheit aber auch mit der Gegenwart bemüht, "oftmals unbequem, immer unerschrocken". Nicht nur seine mutigen Worte bei der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 hätten ihn in Konflikt mit der SED-Herrschaft in der DDR gebracht.

Er habe Heym auch als politischen Konkurrenten erlebt, "kritisch, eigensinnig, unbeugsam", erinnerte der Bundestagspräsident. Thierse war Heym im Bundestagswahlkampf 1994 im Wahlkreis Berlin-Mitte-Prenzlauer Berg als Direktkandidat unterlegen. Heyms Haltung hätten auch diejenigen respektiert, "die sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden konnten, dass ein Vertreter der Liste der PDS den 13. Deutschen Bundestag als Alterspräsident eröffnete".

Die Schriftstellerin Christa Wolf hat ihren Kollegen Heym als einen unbeugsamen Menschen gewürdigt, den eine große Zuverlässigkeit ausgezeichnet habe. Besonders in Zeiten von Anfechtungen und Konflikten, "die ja in der DDR nicht selten waren", sei Heym immer jemand gewesen, auf den man sich verlassen konnte, sagte Wolf am Montag im Berliner Rundfunksender Radio Eins.

Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) trauert um einen großen Schriftsteller und unbestechlichen Chronisten seiner Zeit. Heym, der 1990 in den VS eintrat, habe sich bis zuletzt kritisch zu gesellschafts- und kulturpolitischen Ereignissen zu Wort gemeldet und eingemischt.

Die Stadt Chemnitz trauert um ihren Ehrenbürger Stefan Heym und einen großen Sohn der Stadt, hieß es in einem Nachruf der Stadt auf den am Vortag in Israel gestorbenen Schriftsteller. "Mit der Übertragung der Ehrenbürgerwürde an Stefan Heym ehrte die Stadt Chemnitz am 2. Oktober 2001 eine international geachtete Persönlichkeit, die hier in Chemnitz geboren und aufgewachsen ist." Heym wurde am 10. April 1913 unter dem bürgerlichen Namen Helmut Flieg als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Chemnitz, das zu DDR- Zeiten Karl-Marx-Stadt hieß, geboren.

Die Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler (parteilos) hat den großen Mut sowie die Glaubwürdigkeit und Unbeugsamkeit Heyms gewürdigt. "Sein bewegtes Leben war Zeugnis davon, dass große Literatur und politisches Streiten für eine demokratische und humane Gesellschaft vereinbar sind."

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Kölnische Rundschau Kultur 17.12.2001

Stefan Heym im Alter von 88 Jahren gestorben

Mann zwischen allen Stühlen

Von Wilfried Mommert und Hartmut Wilmes

Stefan Heym hatte noch zu Lebzeiten seinen eigenen "Nachruf" geschrieben. In diesen fesselnden Memoiren (1988) schilderte er die Geschichte eines deutschen Literaten aus jüdischem Elternhaus in Chemnitz, der aus dem Exil nach Ost-Berlin zurückkehrte und als Sozialist zu einer Symbolfigur des geistigen Widerstands im SED-Staat wurde.

Aktiv hatte Heym nach der Bundestagswahl 1994 in die Politik eingegriffen, als er als Direktkandidat für die PDS in den Bundestag einzog. Vielfach nahm man ihm übel, dass er das Scheitern der DDR als eine Art realpolitischen Betriebsunfall sah, der am Ideal des Sozialismus wenig ändere.

1992 wurde er im Kölner Dom-Hotel von einem Mann geschlagen und beschimpft. Heyms Antrittsrede als Alterspräsident des Bundestags fand nach zuvor aufgetauchten Stasi-Vorwürfen gegen ihn kontroverse Beachtung - die Union (außer Rita Süssmuth) versagte der Ansprache den Applaus.

Ein Jahr später gab Heym sein Mandat zurück, aus Protest gegen eine Diätenerhöhung. Er resümierte: "Ich habe nicht mehr die Illusion, dass ich die ganze Welt auf den Kopf gestellt habe." Vielleicht habe er "hier und da etwas bewegt", und vielleicht würden einige, wenn er längst nicht mehr da sei, noch immer Spaß an seinen Büchern finden.

Der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Kaufmannssohn, (eigentlich Helmut Flieg), wechselte in der Schulzeit nach Berlin und floh 1933 vor den Nazis in die Tschechoslowakei und später in die USA.

Dort hatte er sich mit Büchern wie "Hostages" und "The Crusaders" einen Namen gemacht. 1951 siedelte er, im Visier des Kommunistenjägers McCarthy, in die DDR über.

Auch in der DDR hat man ihn nicht mit offenen Armen empfangen. "Vielleicht haben sie ja Recht gehabt, denn ich habe ihnen ja nichts als Schwierigkeiten gemacht." So wurde er zur bekanntesten Unperson der DDR.

Nach deren Ende im Herbst 1989 rief Heym zu einem neuen Widerstand auf - gegen den "Ausverkauf an die Bundesrepublik". Als Autor beschäftigten ihn zeitgeschichtliche Themen sowie historische Stoffe.

Zu seinen Werken gehören "Der König David Bericht", der Probleme des Stalinismus parabelhaft spiegelt und in der DDR zunächst nicht erscheinen durfte, der Bericht über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 "Fünf Tage im Juni", das Funktionärsgleichnis "Collin", der Roman über die Republik "Schwarzenberg" im Erzgebirge kurz nach dem Krieg und "Ahasver" über eine drohende atomare Vernichtung.

Der unbotmäßige Autor wurde 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Später hielt er in dem dokumentarischen Roman "Radek" über den Mitarbeiter Lenins und Trotzkis eine groß angelegte Rückschau auf "Geburtsfehler einer Revolution".

1996 erschien "Der Winter eines Missvergnügens", der einen Moment DDR-Geschichte im Jahr der Biermann-Ausbürgerung 1976 beleuchtet. 1998 veröffentlichte er seinen Roman "Pargfrider", eine "historische Komödie" über einen österreichischen Kapitalisten der Kaiserzeit.

Schließlich folgte im vergangenen Jahr sein schon 1955 vollendetes Buch "Die Architekten", das noch einmal einen Zornesblitz in die Dunkelkammern der Geschichte schickte: Ein linientreuer Architekt wird zum Denunzianten, und Heym fängt das Gefühl der von der Stasi geschürten Angst präzis ein.

Er beschreibt den Verfall eines Mannes, "der anfängt mit einem Schweigen, wo er widersprochen, mit einem Kopfnicken, wo er protestiert haben sollte".

Zum Motiv der Veröffentlichung sagte Heym: "Als ich 1999 nach schwerer Lungenkrankheit und achtwöchigem Koma wieder zu Kräften kam, dachte ich mir, dass es doch ratsam sein könnte, wenn ich vor meinem endgültigen Exitus mein Werk noch komplett vorlegte."

Beim kürzlichen Autorentreffen bei Kanzler Schröder fand ihn sein Kollege Erich Loest "klein und krumm, aber geistig präsent und vorlaut wie immer". Jetzt ist Stefan Heym, dieser Deutsche zwischen alle Stühlen, mit 88 Jahren bei einem Besuch in Israel gestorben, wo er an einem Heine-Kongress teilgenommen hatte.

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Hannoversche Allgemeine Kultur 17.12.2001

Die geachtete Unperson: Stefan Heym ist gestorben

Der Schriftsteller und frühere PDS-Bundestagsabgeordnete Heym starb im Alter von 88 Jahren an einem Herzversagen. Er hielt sich gerade in Israel auf, wo er an einem Heinrich-Heine-Kongress teilnahm.

Freunde, Mitbürger, übernehmt die Herrschaft, deklarierte der Schriftsteller Stefan Heym am 4. November 1989 (kurz vor dem Mauerfall) auf dem Berliner Alexanderplatz vor vielen tausend protestierenden ehemaligen DDR-Bürgern. Zwar fiel die Mauer, aber Stefan Heyms Utopie vom „dritten Weg" – eine Art demokratischer Sozialismus – ist zerplatzt wie eine Seifenblase.

Zeitlebens fühlte er sich in der DDR fremd, mit dem gleichen Unbehagen begegnete er dem wiedervereinigten Deutschland. Heym war in der so genannten Nachwendezeit einer der lautstarken und vehementen „Bremser", der frühzeitig die entstandenen Probleme erkannte und sich gegen eine Vereinigung im Eilzugtempo aussprach. Schließlich zog der in Ost wie West gleichermaßen geachtete Autor, der 1999 die Veranstaltungsreihe „Hannover liest" eröffnet hat, sogar als Abgeordneter der PDS in den Bundestag ein.

Am 10. April 1913 wurde er in Chemnitz als Sohn jüdischer Eltern mit dem bürgerlichen Namen Helmut Flieg geboren. Schon früh begann er zu schreiben. „Leben und schreiben sind nicht zu trennen", bekannte er als 18-jähriger Gymnasiast (diese Maxime hat nie ihre Gültigkeit verloren), als in der „Volksstimme" sein erstes Gedicht „Exportgeschäft" veröffentlicht wurde. Man schrieb das Jahr 1931, und die antimilitaristischen Verse bewirkten Heyms (Fliegs) Relegation vom Chemnitzer Gymnasium.

Er zog nach Berlin, legte die Reifeprüfung ab und studierte Germanistik und Zeitungswissenschaft. In dieser Zeit schrieb Heym auch mehrere Artikel für Carl von Ossietzkys „Weltbühne". Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten führte sein Weg über Prag in die USA, wo er journalistisch tätig war. Über seine Kriegserfahrungen – er nahm als amerikanischer Soldat am Zweiten Weltkrieg teil – berichtet sein erster Roman „Hostages" (1943), der 1958 unter dem Titel „Der Fall Glasenapp" auf deutsch erschien.

Als sich Heym nach Kriegsende in seiner Funktion als amerikanischer Presseoffizier weigerte, antikommunistische Artikel zu schreiben, wurde er in die USA zurückkommandiert. Wegen der Kommunistenverfolgungen des Senators McCarthy entschloss sich Heym 1952 zur Übersiedelung in die DDR.

Der radikale Antifaschist wurde anfänglich mit Preisen und Aufzeichnungen überhäuft, doch die staatliche Euphorie verblasste, als sich der Autor als exponierter Kritiker des Stalinismus und der blutigen Niederschlagung der Arbeiteraufstände vom 17. Juni 1953 entpuppte.

Bis zuletzt war Heyms Verhältnis zum SED-Staat wenn nicht gebrochen, so doch zumindest arg gestört. Viele seiner Bücher (unter anderen „Fünf Tage im Juni", „Collin" und „Schwarzenberg") wurden in der DDR von der Zensur verboten.

Besonders groß war die staatliche Hatz auf Heym nach der im Westen erfolgten Veröffentlichung von „Collin" und der späteren Verfilmung mit Curd Jürgens und Hans-Christian Blech in den Hauptrollen.

Heym wurde daraufhin aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und von einem Gericht wegen „Verstoßes gegen das Devisengesetz" zu 9000 Mark Geldstrafe verurteilt. „Ich bin die bekannteste Unperson der DDR", sagte Heym über seinen Status. Er wurde zwar totgeschwiegen, aber dennoch – wegen seines internationalen Ansehens – toleriert.

„Man muss Menschen schaffen, die dem Leser ans Herz gehen", lautete zeitlebens das schriftstellerische Motto von Stefan Heym. Daran hielt er sich – halb Journalist, halb Erzähler – auch in seinen beiden vorzüglichen, neutestamentarischen Motiven folgenden Romanen „König David Bericht" und „Ahasver". 1988 legte Stefan Heym seine opulente, fragmentarische Autobiografie „Nachruf" vor – ein literarisches Zeitzeugnis von hohem Rang.

Weniger erfreulich war sein 1990 erschienener Erzählband „Auf Sand gebaut", in dem Heym einen allzu larmoyanten Abgesang auf die dahingesiechte DDR intoniert hatte. In diesen Kontext passt auch der zwei Jahre später veröffentlichte Essayband „Filz".

Mag man seinen politischen Idealen auch mit Vorbehalten begegnen, sein literarischer Rang als großer Erzähler bleibt davon nahezu unberührt – was auch sein letzter großer Roman „Radek" (1995) nachhaltig bewies. Die danach erschienenen Werke „Pargfrider" und der im Herbst des Jahres 2000 veröffentlichte, bereits 1965 fertiggestellte Roman „Die Architekten" waren eher blass.

Stefan Heym, der in seinen besten Büchern so fesselnd wie Ernest Hemingway erzählen konnte und der so subtile Menschenbilder wie Charles Dickens entworfen hat (womit zwei seiner großen literarischen Vorbilder genannt sind), war einer der bedeutendsten deutschen Nachkriegsautoren.

Peter Mohr

 

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Mittelbayerische Zeitung Politik 17.12.2001

Rheinpfalz Online Politik 17.12.2001

Thierse würdigt Heym als "Moralist und Kämpfer"

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat den verstorbenen Schriftsteller Stefan Heym als "Moralist und Kämpfer" gewürdigt. In einem Kondolenzbrief an die Witwe des am Sonntag im Alter von 88 Jahren verstorbenen Heym schrieb Thierse: "Ihr Mann gehörte zu den Persönlichkeiten, die sich für eine Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft mit ganzem Herzen eingesetzt haben." Heym war während eines Aufenthaltes in Israel an Herzversagen gestorben. Der Schriftsteller hatte dort an einem Kongress über den Dichter Heinrich Heine teilgenommen.

In seinem Brief schrieb Thierse, während der SED-Herrschaft in der DDR sei Heym in vielen Fällen im guten Sinne der Worte "starr- und eigensinnig" geblieben. Er habe auf den Möglichkeiten freier Kritik beharrt und sei für einen Sozialismus in demokratischer Verfassung eingetreten.

Thierse erklärte weiter, er habe Heym als kritischen und unbeugsamen politischen Konkurrenten erlebt. Auch in seiner sehr kurzen Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestages sei er seinen persönlichen Überzeugungen treu geblieben. Heym war 1994 als parteiloser Kandidat für die PDS angetreten und hatte sich im Wahlkreis Berlin Mitte/Prenzlauer Berg gegen Thierse durchgesetzt. Als Alterspräsident eröffnete er anschließend die 13. Legislaturperiode des Bundestages. 1995 gab Heym sein Mandat aber aus Protest gegen eine Diätenerhöhung wieder auf.

Die Schriftstellerin Christa Wolf nannte Heym einen Mann, "auf den man sich verlassen konnte, nach dem man sich ausrichten konnte". An erster Stelle seiner großen Verdienste stehe, "dass er unbeugsam war, dass er immer zu seinen Überzeugungen gestanden hat," sagte Wolf im Berlin-Brandenburger Sender Radio Eins.

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Darmstädter Echo Lokales 17.12.2001

Echo Online - AFP Nachrichten – DEUTSCHLAND

Zeuge seiner Zeit, Chronist der Weltläufe

Der Schriftsteller Stefan Heym ist tot

Der alte Mann war gerührt. Stefan Heym, der greise Nestor der DDR-Literatur, sprach am denkwürdigen 4. November des Wendejahres 1989 vor rund einer Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Beifall brandete auf, als damals 76 Jahre alte Heym ans Rednerpult trat und erklärte, er fühle sich, als habe ein Windstoß die Fenster aufgestoßen und die stickige Luft herausgeblasen.

Das bezog sich auf das Ende der DDR. Es dauerte dann aber nicht lange, bis die weiße Haarmähne Heyms in den Reihen der postkommunistischen PDS zu sehen war. Erstaunlich munter kandidierte er 1994 im Osten Berlins für den Bundestag und errang für die PDS ein Mandat, mit dem er als Alterspräsident die neue Legislaturperiode eröffnen konnte. Freilich – konkrete politische Absichten hat der Schriftsteller Heym mit seinem Sitz im Parlament kaum verbunden. Das politische Alltagsgeschäft überließ er lieber den Fachleuten – und zog sich nach zwei Jahren wieder zurück.

Gestern nachmittag ist Heym im Alter von 88 Jahren im israelischen Tel Aviv plötzlich an Herzversagen gestorben. Mit ihm verliert Deutschland einen einzigartigen Zeugen und Chronisten seiner Zeit: Früh hat der 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz geborene Sohn eines jüdischen Kaufmanns die Folgen unerwünschter literarischer Arbeit zu spüren bekommen. Man relegierte ihn 1931 vom Gymnasium wegen eines antimilitaristischen Gedichts. Den Schulabschluss holte er in Berlin nach, studierte Geschichte, Literatur und Zeitungswissenschaft. Weil die Nazis seinen Vater als Geisel für den Sohn festsetzten, floh er 1933 nach Prag, emigrierte in die USA und promovierte in Chicago über Heines „Atta Troll". Briefe aus dem Exil unterschrieb er mit seinem späteren Pseudonym „Stefan Heym". In diese Zeit fielen seine ersten Erfolge, sein erster Roman „Hostages" (von 1942) wurde verfilmt. Stefan Heym trat 1943 in die US-Armee ein, nahm an der Invasion in der Normandie teil, musste aber nach seiner Rückkehr in die Staaten feststellen, daß die Amerikaner der McCarthy-Zeit mit Linksintellektuellen nichts anfangen konnten.

1952 übersiedelte er in die DDR. Auch dort geriet er bald mit den Behörden aneinander, die Stasi überwachte ihn, manche Bücher von Stefan Heym konnten nur im Westen erscheinen.In „Schatten und Licht" porträtierte er Kleinbürgertum und Spitzelwesen in der DDR. In dem Buch „5 Tage im Juni" versuchte er die Ereignisse vom Arbeiteraufstand des Jahres 1953 zu erklären. Es folgte 1972 „Der König David-Bericht", eine Etüde über die Spannung zwischen Geist und Macht. 1979 erschien der Roman „Collin", in dem es um die Lebenslügen eines Paradeschriftstellers der DDR geht. Das Buch verursachte eine Menge Ärger, man warf Heym aus dem Ost-Schriftstellerverband. Dennoch gehört er in der DDR zu den Privilegierten, die Westhonorare auf Konten außerhalb der DDR besaßen. Niemand hinderte ihn, wenn er reisen wollte.

Mit dem Ende der DDR verlor Stefan Heym den Halt für seinen Standpunkt: Die Menschen, die jetzt in den Westen drängten, konnte er nicht verstehen. Heym geißelte das arrogante Auftreten der Westler, warf der Bundesrepublik vor, die ehemalige DDR wie eine Kolonie zu behandeln. Bis zuletzt bewahrte er sich eine würdevolle Empörerpose.

Als Autor war Heym immer populär. Sein „Ahashver"-Roman (1981) ist eine Parabel auf den jüdischen Weltflüchtling: Nicht nur in diesem Buch glaubten seine Leser ihn selbst wieder zu erkennen, sondern auch in der Radek-Biografie von 1995: Radek kämpft wie Don Quichote gegen alle Widrigkeiten von Stalins Kommunismus – und verschwindet doch im Lager. Heyms letztes Buch ist der Roman „Pargfrider" von 1998.

Stefan Heym war ein Autor, der aufrecht gehen wollte. Daß man ihn dafür als „Protagonisten der DDR-Diktatur" belächelte, konnte ihn nicht demütigen.

Wolf Scheller

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Netzeitung Politik 17.12.2001

Trauer um Stefan Heym

«Aufrecht, unbestechlich, mutig» – Schriftsteller und Politiker gedenken des Schriftstellers Stefan Heym.

«Er war einer der Großen dieses Jahrhunderts», schrieb die PDS am Montag: «Wir vermissen Stefan Heym.» Unbestechlich sei er gewesen, menschlich und «wahrhaftig in Leben und Werk», so PDS-Chefin Gabi Zimmer und Fraktionschef Roland Claus. «Er ließ sich durch keine Macht korrumpieren oder benutzen.»

Auch Gregor Gysi würdigte den Mut und die Unbestechlichkeit des Autors. Er habe einen Freund verloren, sagte Gysi.

Heym soll in Deutschland begraben werden. Sein Leichnam werde am Dienstag nach Berlin überführt, sagte eine Sprecherin des Kulturzentrums Mischkenot Schaananim in Jerusalem.

Verlust für die politische Kultur

«Wir trauern mit Ihnen um eine große Persönlichkeit der deutschen Literatur- und Zeitgeschichte», schrieb der Vorstand der Bündnis90/Die Grünen in einem offenen Brief. «Er war eine der wichtigsten Symbol- und Leitfiguren für den geistigen Widerstand gegen das SED-Regime. Auch später blieb er ein unbequemer Mahner für soziale Gerechtigkeit und kritischer Begleiter des Einigungsprozesses, der sich besonders für den Osten eingesetzt hat. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns alle und für die politische Kultur in Deutschland.»

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit würdigt Heym als eine «politisch-kulturelle Instanz». Mit Heym verliere Berlin und ganz Deutschland einen «Bezugspunkt für die Menschen in Ost und West auf dem schwierigen Weg durch das letzte Jahrhundert».

Großer Mann und großer Sohn

Bundespräsident Johannes Rau nannte Heym einen «von vielen geliebten und erfolgreichen Schriftsteller». Mit seinem Tod habe die deutsche Literatur einen großen Mann verloren.

Auch seine Heimatstadt kondolierte. Chemnitz trauere um einen großen Sohn, hieß es in einem Nachruf. Heym wurde am 10. April 1913 unter dem Namen Helmut Flieg in Chemnitz geboren.

Unbeugsam und verlässlich

Für die Schriftstellerin Christa Wolf war Heym vor allem ein unbeugsamer Mensch. Besonders in Zeiten von Anfechtungen und Konflikten, «die ja in der DDR nicht selten waren», sei Heym immer jemand gewesen, auf den man sich verlassen konnte, sagte Wolf im Berliner Rundfunksender Radio Eins.

Heym habe immer zu seinen Überzeugungen gestanden, sagte Wolf. «Es gab kein Zurückweichen, in allen Gesellschaften, in denen er gelebt hat. Immer hat er dann, wenn es schwierig wurde, sein Wort auf die Waagschale gelegt, die er für die progressive hielt.»

Respekt der Gegner

Mit ganzem Herzen habe sich Heym «für eine Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft» eingesetzt, schrieb Bundestagspräsident Wolfgang Thierse am Montag an die Witwe. Auch als politischen Konkurrenten habe er Heym «kritisch, eigensinnig, unbeugsam» erlebt. «Dies haben auch diejenigen respektiert, die sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden konnten, dass ein Vertreter der Liste der PDS den 13. Deutschen Bundestag als Alterspräsident eröffnete.»

Der Schriftsteller Erich Loest sagte, Heym sei zuletzt «klein und krumm» gewesen, «aber geistig präsent und vorlaut wie immer». (nz)

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16. Dez. 2001,

Gysi: Ich habe einen Freund verloren

Nach dem Tod von Stefan Heym haben seine politischen Freunde ihren Respekt vor dem Gestorbenen bekundet. Heym hat noch ein letztes Buchmanuskript vollendet.

PDS-Poltiker haben mit Trauer und Bestürzung auf den Tod des Schriftstellers Stefan Heym reagiert. Heym hatte 1994 als Parteiloser für die PDS ein Bundestagsmandat errungen.

«Ich habe heute einen Freund verloren», sagte Gregor Gysi der Nachrichtenagentur ddp. Heym sei ein großer Schriftsteller und toller Mensch gewesen. «Bestechend war sein Mut.» In der DDR habe er nie Kritik an undemokratischen Strukturen gescheut. Dafür habe er «Observation und Maßregelungen» ertragen. Auch nach dem Ende der DDR habe Heym als Sozialist seine kritische Sicht auf den Kapitalismus bewahrt. Gysi erinnerte zudem an Heyms «bedeutende» Rede als Alterspräsident des Bundestages.

Die stellvertretene PDS-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Petra Pau ´, sagte, mit Heym verliere Deutschland einen «politisch unangepassten und gerechten Menschen»: In den vergangenen acht Jahren sei ihr Heym zum ständig erreichbaren, herzensguten Ratgeber geworden. Tief betroffen zeigten sich auch PDS-Chefin Gabriele Zimmer und Fraktionsvorsitzender Roland Claus.

Loest: Vorlaut wie immer

Mit Bestürzung reagierten Schriftstellerkollegen auf Heyms Tod. Sein Kollege Erich Loest sagte, Heym sei zuletzt «klein und krumm» gewesen, «aber geistig präsent und vorlaut wie immer».

Der Schriftsteller Hermann Kant, unter dessen Präsidentschaft im DDR- Schriftstellerverband Heym 1979 und andere Autoren ausgeschlossen wurden, sagte der Nachrichtenagentur dpa, er habe «äußerste Hochachtung vor dem Schriftsteller Stefan Heym». Politisch seien sie nicht immer einer Meinung gewesen, aber sie beide hätte an die Zukunft einer besseren DDR geglaubt.

Letztes Buch kommt im Herbst 2002

Der Geschäftsführer der Verlagsgruppe Random House, Klaus Eck, kündigte an, dass Heyms letztes Buch im kommenden Herbst erscheinen werde. Das Manuskript liege seit wenigen Wochen im Verlag. (nz)

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Neue Zürcher Zeitung Vermischtes 17.12.2001

Der Utopist

Zum Tod von Stefan Heym

Weltläufigkeit oder Zweisprachigkeit sind nicht gerade ein Markenzeichen deutschsprachiger Schriftsteller, zumindest nicht bei der älteren Generation. Einige Ausnahmen verdanken sich der deutschen Katastrophe in diesem Jahrhundert: der NS-Diktatur und der von ihr erzwungenen Emigration. Aber nur wenige Autoren wollten oder konnten damals in eine andere Sprache wechseln. Klaus Mann und Erich Maria Remarque gehörten zu den polyglotten Ausnahmen - und Stefan Heym. Viele seiner Romane hat er zuerst in englischer Sprache geschrieben, auch dann noch, als er die USA längst wieder mit deutschem Boden vertauscht hatte.

Ihm war die Sprachanpassung leichter als anderen gefallen, denn er gehörte zu den jüngsten unter den Emigranten und sein Talent war noch biegsam. Im Alter von zwanzig Jahren war er nach Prag geflohen, zwei Jahre später studierte er dank einem Stipendium an der Universität von Chicago Germanistik. Sein Exil-Schicksal schien es gnädig mit ihm zu meinen - anders als das seiner Verwandten, die dem braunen Terror zum Opfer fielen. Von 1937 bis 1939 redigierte er in New York eine antifaschistische deutsche Zeitung. Bald liess er mit erfolgreichen Romanen aufhorchen («Hostages», 1942, «Of smiling Peace», 1944). Er nahm die amerikanische Staatsangehörigkeit an, machte als US-Sergeant in einer Psychological-Warfare-Kompanie die Invasion in der Normandie mit und kehrte 1945, nach einem kurzen Zwischenspiel bei der «Neuen Zeitung» in München, in die USA zurück. Alles sah nach einer vielversprechenden amerikanischen Karriere aus. Doch es sollte anders kommen.

Es war der «Zwang zur Politik» (Thomas Mann), der auch das Leben und Schreiben dieses vitalen Zeugen unseres Jahrhunderts dominierte. Es war durch die frühe Erfahrung des Ausgestossenseins und des Faschismus auch ein «Zwang zur Ideologie». Seitdem der Chemnitzer Gymnasiast Helmut Flieg (das Pseudonym gab er sich erst im Prager Exil) wegen eines frechen Gedichtes aus seiner Feder der Schule verwiesen worden war und erst recht seit Hitlers Machtübernahme war Stefan Heym zu einem überzeugten Sozialisten geworden, freilich ohne jemals Mitglied einer oder gar «der» Partei zu werden.

Obgleich ein Sympathisant Roosevelts und anfangs auch Nordamerikas, bewogen ihn die Hexenverfolgung der McCarthy-Ära und der Koreakrieg Anfang der fünfziger Jahre doch wieder, «heimzukehren». Die alte und neue Heimat hiess nun DDR. Ihr hat er, trotz teilweise heftigen Behinderungen - darunter eine hohe Geldstrafe wegen Veröffentlichung im Westen -, bis über ihren Tod hinaus eine keineswegs unkritische, aber doch beharrlich solidarische Treue gehalten. Aus dem in den USA gestählten journalistischen Profi wurde ein mit Privilegien versehener prominenter Autor des «anderen Deutschland», der oppositionelle Töne riskierte, aber zu den Fahnen stand. Nach dem Untergang des «real existierenden Sozialismus» hat er Führung und System der DDR heftig kritisiert, ebenso aber wandte er sich von Anfang an gegen die deutsche Wiedervereinigung. Als 1994 per Direktmandat für die PDS gewählter Abgeordneter und Alterspräsident hielt er im selben Jahr ein auch von manchen Gegnern respektiertes, geschliffenes Plädoyer für die Toleranz im Bonner Bundestag.

«Kreuzfahrer von heute» nannte er seinen ersten in der DDR erschienenen Roman, der unter dem Titel «Bitterer Lorbeer» 1950 auch in der Bundesrepublik erschien. Es war eine ideologische und ökonomische Abrechnung mit Amerika von einem geradezu chronischen Oppositionellen, aber auch ein packender, routiniert erzählter Roman über den Zweiten Weltkrieg. Vom Handwerk literarischer Wirkung, von den Stilmitteln des realistischen Erzählens verstand dieser Autor viel, er hatte sie ebenso in den USA wie an der Literatur des sozialistischen Realismus gründlich studiert. Und er war ein leidenschaftlicher Erzähler, dessen wohlformulierten, oft bissig-nachdenklichen Reden und Interviews zu lauschen immer spannend war.

Vor allem aber war Heym ein unbeirrbarer Utopist. Bei den Mächtigen in Ost wie West hat ihn das gründlich unbeliebt gemacht, aber der kluge Stratege liebte nun einmal den Widerspruch. Als ihm der Kulturminister der DDR 1973 zum 60. Geburtstag gratulierte und erklärte, er wünsche ihm alles Gute und sich selbst, dass Heym künftig die DDR-Gesetze einhalten möge, gab ihm Heym zur Antwort: «Herr Höpcke, ich war schon ein Weltautor, da gab es die DDR noch gar nicht.»

Die Mischung aus selbstbewusster Unbeugsamkeit und zeitweiliger Unterwerfung, kritischer Polemik und diplomatischer Taktik - auf dem Schriftstellerkongress der DDR von 1956 hatte er ausgerufen: «Aus Bonn wird behauptet, bei uns gebe es eine Zensur . . . es gibt keinen Maulkorb und keine Zensur bei uns!» - bestimmte vor allem seine ersten Jahre in Ostberlin. Immer deutlicher jedoch bezog Heym Position gegen die Irrwege des «real existierenden Sozialismus», immer energischer wehrte er sich gegen jede Bevormundung, setzte der «amerikanische Schriftsteller mit DDR- Pass» (Walter Ulbricht) mit seinen ausschliesslich im Westen veröffentlichten Romanen neue Massstäbe für den Freiheitsspielraum der DDR-Autoren. Freilich hat ihm das immer auch Anfeindungen im eigenen Lager und vor allem auch bei DDR-Oppositionellen eingebracht.

Zu Heyms besten Büchern gehört «Der König-David-Bericht» von 1972, in dem er biblische Geschichte und Gegenwart, königliche Macht und intellektuelle Opposition in einer farbigen Erzählung verwob, und «Ahasver» von 1981, der die Geschichte vom Ewigen Juden als den Kampf eines «kleinen Mannes» gegen Dogmatismus und Bürokratie, gegen brutale Realität und gesellschaftliche Verhärtung erzählt. Mit seinem Roman «Schwarzenberg» von 1984 schilderte er mit viel Witz und Ironie ein authentisches Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Schauplatz ist eine kurzlebige Republik im südlichen Erzgebirge vor ihrer Eingliederung in den sowjetischen Machtbereich.

Ein Jahr vor dem Fall der Mauer, also in jedem Fall zu früh, schrieb Heym seine Memoiren unter dem Titel «Nachruf». Darin fehlt es nicht an sarkastischen Seitenhieben gegen Weggefährten, überdies werden Ungereimtheiten allzu sehr geglättet. Der damals schon in den Westen übergesiedelte Schriftstellerkollege Erich Loest, der das Buch einer fairen, aber auch kritischen Würdigung unterzog, meinte nach der Veröffentlichung:

«Er hat durch seinen Mut und seine Halsstarrigkeit dafür gesorgt, dass sich kein ernst zu nehmender Autor der DDR mehr hindern lässt, im Westen zu publizieren. Diese Leistung genügt für ein Leben.»

Nach 1989 hat er beharrlich «die Herren der D-Mark, die wahren Sieger der europäischen Geschichte» attackiert und ohne Rücksicht auf voraussehbare Niederlagen «eine DDR-Demokratie, eine echte, mit allem, was sich daraus ergäbe, sozial und kulturell, und sogar mit Dichtern, die sich da engagierten» gefordert. Stefan Heym focht für seinen «dritten Weg», eine «offene DDR-Gesellschaft».

Er befand sich in der Rolle Davids gegen Goliath - nur hatte er, anders als dieser, keine Chance. Stefan Heym wird als gebildeter Querkopf in Erinnerung bleiben, der in einem langen, unruhigen Leben die grossen Irrwege des Jahrhunderts - Faschismus, Stalinismus - leidvoll erfahren hat oder freiwillig mitging. In Romanen und Parabeln hat er darüber anschaulich Bericht erstattet. Für seine Freunde in Ost und West wird er «einer von uns» bleiben. Im Westen sollte man ihm nicht vergessen, dass er sein Mandat als Bundestagsabgeordneter sofort niederlegte, als eine Erhöhung der Diäten beschlossen werden sollte. Stefan Heym war, bei all seinen utopischen Träumen, ein demokratischer Skeptiker und Realist - und, nicht zuletzt, ein weltläufiger Erzähler. Am Sonntag ist der 88-Jährige in Israel, wo er an einem Heinrich-Heine-Kongress teilnahm, einem Herzversagen erlegen.

Matthias Wegner

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Rheinpfalz Online Kultur 17.12.2001

Ein unbequemer Mahner - Zum Tode des Schriftstellers und Kurzzeitpolitikers Stefan Heym

Der gestern in Israel an Herzversagen verstorbene Stefan Heym war das, was man einen unbequemen Zeitgenossen nennt. Doch was heißt das eigentlich, "unbequem" sein?

Unbequem war er den anderen, die ihn so gerne als ewig gestrigen Altlinken bezeichnet hätten, zugleich aber nur allzu genau wussten, dass ihm seine Biographie, dass ihm Verfolgung und Repressalien durch zwei deutsche Unrechtsregime das Signum der moralischen Integrität verliehen. Kaum (an)greifbar, kaum zu fassen, zu stellen für jene, denen er nicht nur unbequem sondern geradezu ein Ärgernis war.

Beispielsweise 1994 den konservativen Abgeordneten im Deutschen Bundestag, denen mit Heym ein parteiloses Mitglied der PDS-Fraktion als Alterpräsident des Hohen Hauses zugemutet wurde. Der Schriftsteller, der damals bereits 81 Jahre alt war, beendete seine späte politische Karriere nur ein Jahr später. Doch er nutzte die Gunst der Stunde, um das zu tun, was er eigentlich zeit seines Lebens getan hat: zu mahnen, auf Missstände und soziale Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Ihm, dem die Wiedervereinigung mitunter zu schnell gegangen war, der viel mehr einen Anschluss denn eine Vereinigung gleichberechtigter Partner sah, diesem überzeugten Marxisten, mussten sie nun zuhören. All jene, die zu diesem Zeitpunkt vielleicht wirklich noch an die blühenden Landschaften glaubten.

Doch Heym suchte keineswegs die Konfrontation, er suchte den Dialog - und warb für gemeinsames Vorgehen aller politischer Fraktionen in schwieriger Zeit: "Und just darum plädiere ich dafür, dass die Debatte um die notwendigen Veränderungen in unserer Gesellschaft Sache einer großen, bisher noch nie da gewesenen Koalition werden muss. Einer Koalition der Vernunft, die eine Koalition der Vernünftigen voraussetzt."

Doch dies alles sollte nicht nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die deutsche Gegenwartsliteratur mit Stefan Heym eine wichtige Stimme verloren hat. Eine Stimme auch, die sich scharfer literaturtheoretischer Kritik ausgesetzt sah, weil sie ihre journalistischen Wurzeln nie verleugnet hat. Denn als Jornalist im amerikanischen Exil begann in den 30er Jahren die schriftstellerische Laufbahn des 1913 in Chemnitz als Helmut Flieg geborenen Stefan Heym.

Dem Autor verdanken wir Romane wie "Ahasver" (1981) oder zuletzt "Pargfrider" (1998).

Heym war als Erzähler ein begnadeter Dramaturg der Spannung, scheute vor dem Effekt nicht zurück - und blieb damit im Grunde stets dem anglo-amerikanischen Vorbild seiner Anfänge treu. (pom)

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Freies Wort Kultur 17.12.2001

Heyms Leichnam wird am Dienstag von Israel nach Berlin geflogen

Jerusalem (dpa) - Der Leichnam des deutschen Schriftstellers Stefan Heym soll am Dienstag von Israel nach Berlin übergeführt werden. Eine Sprecherin des Kulturzentrums Mischkenot Schaananim in Jerusalem sagte, Heym solle in Deutschland begraben werden. Der Schriftsteller war am Sonntag in Israel in einer israelischen Hotelanlage am Toten Meer im Alter von 88 Jahren an Herzversagen gestorben. Seine Ehefrau wolle noch am Montag nach Deutschland zurückreisen, hieß es. Israels Gesundheitsbehörde könne den Leichnam Heyms jedoch nicht früher freigeben.

Der 88-Jährige war den Angaben zufolge in der Hotelanlage nach einem Bad im Whirlpool plötzlich zusammengebrochen. Ein herbeigerufener Arzt habe vergeblich versucht, ihn wiederzubeleben, sagte die Sprecherin.

Heym, der unter anderem mit den Werken «Collin» und «Fünf Tage im Juni» über den Volksaufstand in der damaligen DDR 1953 bekannt geworden ist, hatte noch am vergangenen Donnerstag auf einem Kongress über den Dichter Heinrich Heine in Jerusalem einen Vortrag gehalten.

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FOCUS Politik 17.12.2001

Unbequem und schwierig

S tefan Heym engagierte sich in keiner Partei, in keiner Kirche und war dennoch hochpolitisch. Immer gradlinig seine Meinung vertretend, eckte er immer wieder an, ob einst in seiner Wahlheimat USA oder später in der DDR. Stefan Heym, der am Sonntag während einer Vortragsreise in Israel einer Herzattacke erlag, war nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller: Der „notorische Oppositionelle", wie ihn der „Tagesspiegel" nannte, steckte in seinem Leben auch viel ein. Und das, ohne zu klagen.

Dass einer wie er einmal Alterspräsident im Bundestag des vereinigten Deutschlands werden könnte, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, weder in der Emigration noch später, als er in der DDR politisch zwischen allen Stühlen saß. Als Helmut Flieg war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns am 10. April 1913 in Chemnitz zur Welt gekommen. Stefan Heym nannte sich der Jungjournalist im tschechoslowakischen Exil, um die in Nazi-Deutschland gebliebene Familie nicht zu gefährden. Der kompromisslose Antifaschist und undogmatische Sozialist konnte damit nicht verhindern, dass viele Familienmitglieder im Konzentrationslagern starben, der Vater Selbstmord beging.

Über Prag trieb es Heym 1935 in die USA, wo er bald als Autor Fuß fasste. Viel später noch, in den 90er Jahren, nahmen es ihm Ewiggestrige übel, dass er 1943 in die amerikanische Armee eintrat und später als Sergeant für psychologische Kriegsführung an der Normandie-Invasion teilnahm.

Als Autor hatte Heym zunächst in englischer Sprache Erfolg: Sein Erstling „Hostages" wurde in den USA verfilmt, der Kriegsroman „Crusader" avancierte gar zum Weltbestseller. Das schützte den Unbequemen freilich nicht vor Ärger. Wegen politischer Differenzen schied Heym 1945 aus der US-Armee aus, später geriet er in die Mühlen des militanten Antikommunisten Joseph R. McCarthy. 1952 schließlich gab er aus Protest gegen den Korea-Krieg die Kriegsorden zurück, die ihm die amerikanische Regierung verliehen hatte.

Heym, der kurz nach dem Krieg schon als Besatzungsoffizier Deutschland wiedergesehen hatte, kehrte nun endgültig zurück und zog mit seiner amerikanischen Frau nach Ostberlin. Von den SED-Oberen hoch dekoriert, ließ er sich jedoch nicht einspannen, kritisierte das Regime und war Mitunterzeichner der Solidaritätserklärung für den ausgebürgerten Wolf Biermann. Die SED-Führung ließ sich das nicht gefallen. 1979 – sein Roman „Collin" war soeben von der Zensur abgelehnt worden – wurde Heym mit einer Geldstrafe wegen Devisenvergehens kriminalisiert und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen.

Aus Protest Parlamentsmandat zurückgegeben

Zur Überraschung des politischen Establishments ließ sich der parteilose, politisch stets unzufriedene Heym 1994 in Berlin von der PDS für den Bundestag aufstellen und setzte sich gegen den populären SPD-Politiker Wolfgang Thierse durch, gab aber ein Jahr später aus Protest gegen eine Diätenerhöhung sein Parlamentsmandat zurück.

Dass Heym nach seiner Rede als Alterspräsident im November 1994 aus der CDU/CSU-Fraktion mit Ausnahme Rita Süssmuths keinen Beifall bekam, machte noch einmal deutlich, wie sehr der einstige Besatzer, der unorthodoxe Sozialist, der Gradlinige, der gut verdienende Autor die Gemüter bewegte und spaltete. Doch nicht nur die Union hatte ihre Schwierigkeiten mit dem schwierigen Mann. „Da ist jemand, mit dem wir alle wenig anfangen können, weil er sich nie einordnen ließ", sagte damals ein sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter.

 

(Quelle: ap)

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FOCUS Politik 17.12.2001

Nach Bad im Whirlpool kam der Tod

Über die Umstände des Todes von Stefan Heym wird mehr und mehr bekannt. Der 88-jährige Schriftsteller sei nach einem Bad in einem Whirlpool seines Hotels am Toten Meer plötzlich zusammengebrochen, teilte das israelische Kulturzentrum Mischkenot Schaananim am Montag mit. Ein herbeigerufener Arzt habe vergeblich versucht, ihn wiederzubeleben.

Heym hatte am Donnerstag auf einer von dem Kulturzentrum organisierten Heinrich-Heine-Konferenz in Jerusalem gesprochen. Am Samstag war er gemeinsam mit seiner Frau zum Toten Meer gereist.

Ein n-tv-Reporter berichtete, er habe Heym noch kurz zuvor bei bester Gesundheit angetroffen. „Er war derart rüstig und munter, er rannte herum als sei er ein 40-Jähriger".

Die PDS zeigte sich tief betroffen über den Tod Heyms, der auf der PDS-Liste ein Jahr lang Bundestagsabgeordneter gewesen war.

Heym, der eigentlich Helmut Flieg hieß, galt als einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller und hatte sich als stets unbequemer Mahner im politischen Geschehen einen Namen gemacht.

(Quelle: dpa)

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Zürich, 20 Minuten Politik 17.12.2001

Autor Stefan Heym gestorben

TEL AVIV - Der deutsche Schriftsteller Stefan Heym ist im Alter von 88 Jahren gestorben.

Der 88-Jährige starb am frühen Sonntagnachmittag in Israel, wie das Mischkanot-Sha'ananim-Kulturzentrum am Sonntag bestätigte. Heym hatte am Donnerstag auf einer von dem Kulturzentrum organisierten Heinrich-Heine-Konferenz in Jerusalem gesprochen.

Am Samstag war er gemeinsam mit seiner Frau zum Toten Meer gereist, wo er am Sonntag einen Herzanfall erlitt und starb. Die PDS zeigte sich tief betroffen über den Tod Heyms, der auf der PDS-Liste ein Jahr lang Bundestagsabgeordneter gewesen war.

Heym, der eigentlich Helmut Flieg hieß, galt als einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller und hatte sich auch als stets unbequemer Mahner im politischen Geschehen einen Namen gemacht. Der 1913 in Chemnitz geborene Sohn eines jüdischen Kaufmanns war nach der Nazi-Machtübernahme 1933 in die USA ausgewandert und im Krieg mit den US-Truppen zurück nach Europa gekommen.

 

1952 siedelte Heym in die DDR über, setzte sich aber später als "kritischer Marxist" mit den doktrinären Kräften auseinander, die nach seiner Ansicht "den Sozialismus zu einem Zerrbild der Idee entstellten". Bei der größten Demonstration vor dem Mauerfall sagte Heym am 4. November auf dem Alexander-Platz in Ost-Berlin: "Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen, nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit."

Nach dem Mauerfall trat Heym für eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik ein. Bei der Bundestagswahl 1994 trat er als parteiloser Kandidat für die PDS an und setzte sich im Wahlkreis Berlin Mitte/Prenzlauer Berg gegen den heutigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse als SPD-Direktkandidat durch. Als Alterspräsident eröffnete er die konstituierende Sitzung des Parlaments. Bereits 1995 gab der aufmüpfige Spätpolitiker allerdings aus Protest gegen die geplante Diätenerhöhung sein Bundestagsmandat zurück.

Zu den bekanntesten Werken Heyms zählen sein englischsprachiger Weltbestseller "The Crusaders" (1948), die Auseinandersetzung mit dem Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 "5 Tage im Juni" (1959/1968), die Abrechnung mit der stalinistischen DDR-Vergangenheit "Collin" (1979) und sein autobiografischer "Nachruf" (1988). Heym erhielt zahlreiche Auszeichnungen und war seit 1998 einer der Ehrenpräsidenten des wiedervereinigten PEN-Zentrums.

"Er war einer der großen dieses Jahrhunderts", erklärten die PDS-Bundesvorsitzende Gabi Zimmer und der PDS-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Roland Claus. Heym sei "unbestechlich menschlich, wahrhaftig in Leben und Werk" gewesen. "Er klärte uns auf und unterhielt uns, er widersprach, forderte uns heraus, nannte uns unsere Schuld und vertraute auf unseren Willen, uns zu ändern, als sehr wenige dies taten." Der Berliner PDS-Landesvorsitzende Stefan Liebich und der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf erklärten, Heym sei stets ein unabhängiger Geist und, wenn nötig, ein Mann des Widerspruchs gewesen. Er habe sein Leben und Werk in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt. "Seine Bücher werden unvergessen bleiben und seine Botschaft ist uns Verpflichtung."

QUELLE: SDA

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Weser Kurier Vermischtes 17.12.2001

Don Quichote mit dem aufrechten Gang

Stefan Heym ließ sich seine humanen Ideale nicht durch die Widrigkeiten des politischen Weltlaufs korrumpieren

Von unserem Mitarbeiter Wolf Scheller

Der alte Mann war sichtlich gerührt. Stefan Heym, der greise Nestor der DDR-Literatur, sprach an jenem denkwürdigen 4. November des Wendejahres 1989 vor rund einer Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Beifall brandete bei den Tausenden auf, als Heym ans Rednerpult trat. Er fühle sich, als habe ein Windstoß die Fenster aufgestoßen und die ganze stickige Luft herausgeblasen. Das bezog sich auf die gerade 40 Jahre alt gewordene DDR, die mit ihrem Jubelfest zugleich den Todesstoß versetzt bekommen hatte.

Es dauerte dann aber auch nicht lange, dann konnte man die weiße Haarmähne des Stefan Heym in den Reihen der postkommunistischen PDS aufleuchten sehen. Noch immer träumte er den alten Traum, es nach vier Jahrzehnten Sozialismus jetzt mit der Verwirklichung der gleichnamigen Utopie versuchen zu können. Der Aufruf „Für unser Land" brachte ihn freilich auf eine Namensliste, auf der auch der Honecker-Nachfolger Egon Krenz unterschrieben hatte.

Heym kümmerte das nicht. Erstaunlich munter kandidierte er im Osten Berlins zum Bundestag und errang für die PDS ein Mandat, mit dem ausgestattet er als Alterspräsident vor den Reihen einer finster dreinblickenden Unionsfraktion die neue Session des deutschen Bundestages eröffnen konnte.

Freilich – konkrete politische Absichten hatte der Schriftsteller Heym mit diesem Amt und seinem Sitz im Parlament kaum verbunden. Das politische Alltagsgeschäft überließ er lieber den Fachleuten – und zog sich – wohl auch ernüchtert – nach zwei Jahren wieder zurück. Das Ganze war nur eine Art Zwischenspiel, das dem greisen Heym trotz der damit verbundenen Beschwernisse zunächst auch Spaß gemacht hatte. Vor allem gefiel ihm, dass sich das Bonner Establishment nicht nur insgeheim über seinen Auftritt ärgerte. Das war so ganz nach seinem Geschmack. Vielleicht hatte er – der einstige Emigrant – insgeheim lange auf solch einen Moment gewartet. Er war ja doch ein einzigartiger Zeuge und Chronist seiner Zeit. Früh hat der als Helmut Flieg in Chemnitz geborene jüdische Kaufmannssohn die Folgen unerwünschter literarischer Arbeit zu spüren bekommen. Man relegierte ihn vom Gymnasium wegen eines antimilitaristischen Gedichts. Den Schulabschluss holte er in Berlin nach, studierte Geschichte, Literatur und Zeitungswissenschaft. Als die Nazis seinen Vater als Geisel für den Sohn festsetzen, flieht er zu Fuß übers Riesengebirge nach Prag, emigriert in die USA und promoviert in Chicago über Heines Atta Troll, eine Arbeit, die erst Jahre später wie durch Zufall in Amerika wieder auftaucht. Seine Briefe aus dem Exil an die Eltern unterschreibt er damals bereits mit seinem späteren Pseudonym „Stefan Heym".

In diese Zeit fallen auch seine schriftstellerischen Erfolge, sein erster Roman „Hostages" wird sogar verfilmt. Heym tritt in die amerikanische Armee ein, nimmt an der Invasion in der Normandie teil, muss aber nach seiner Rückkehr in die Staaten feststellen, dass die Amerikaner im Zeichen der McCarthy-Hetze mit linksgerichteten Intellektuellen nichts anfangen können. Aus Protest gegen den Krieg in Korea gibt er seine Kriegsauszeichnungen zurück und übersiedelt 1952 in die DDR. Hier gerät er bald ebenfalls mit den Behörden aneinander. Der Staatssicherheitsdienst überwacht ihn. Es gibt Beispiele grotesker Bevormundung und Zensur – manche Bücher von Stefan Heym können nur im Westen erscheinen.

In „Schatten und Licht" porträtierte er Kleinbürgertum und Spitzelwesen in der DDR. In dem Buch „5 Tage im Juni" versuchte er die Ereignisse vom Arbeiteraufstand des Jahres 1953 zu erklären.

Es folgte 1972 „Der König David-Bericht", eine Etüde über die Spannung zwischen Geist und Macht. Dann – 1979 der Roman „Collin", in dem es um die Lebenslügen eines Paradeschriftstellers der DDR geht. Das Buch verursachte eine Menge Ärger, nicht zuletzt deshalb, weil Heym es ohne vorherige Genehmigung in einem Westverlag hatte drucken lassen.

Man wirft ihn daraufhin aus dem Schriftstellerverband, man bespitzelt ihn und seine Familie.

Dennoch gehört er in der DDR zu den wenigen Unberührbaren, nicht Belangbaren, eben zu den Privilegierten. Niemand hinderte ihn, wenn er ins westliche Ausland reisen wollte. Er war einfach zu prominent, und listig, wie er nun einmal auch war, besaß er bis zum Schluss noch seinen amerikanischen Pass. Doch mit dem Ende der DDR hatte auch ein Mann wie Stefan Heym den Halt für seinen eigenen Standpunkt verloren. Die Menschen, die jetzt in den Westen drängten, wollte oder konnte er nicht verstehen. Er warf ihnen vor, nur am Konsum interessiert zu sein, also an dem teilhaben zu wollen, dessen Besitz für ihn selbst ganz selbstverständlich war. Dann sprach er vom „Schnäppchen DDR", vom „Anschluss". Er geißelte das arrogante Auftreten der Westler, warf der Bundesrepublik vor, die ehemalige DDR wie eine Kolonie zu behandeln. Bis zuletzt bewahrte er sich diese würdevolle Empörerpose, die sich gegen den aggressiven Kapitalismus ebenso wendete wie gegen verbohrte Stalinisten.

Als Schriftsteller war Heym immer populär. Sein „Ahashver"-Roman, eine Parabel vom jüdischen Weltflüchtling – in vielen seiner Bücher glaubten seine Leser ihn wiedererkennen zu können.

Verwandtes schließlich auch meinte man in seiner großen Radek-Biographie zu erkennen.

Radek, der wie Don Quichote gegen alle Fährnisse und Widrigkeiten von Stalins Kommunismus zu kämpfen versucht – und doch am Ende scheitert, im Lager verschwindet. So erinnert man sich zuletzt auch an den kämpferischen Ton und Gestus eines Autors, der sich nichts gefallen ließ, weil er aufrecht gehen wollte. Dass man ihn im Westen als „linken Wirrkopf" und „Protagonisten der DDR-Diktatur" belächelte, konnte ihn nicht demütigen. Sein letztes Buch – der Roman „Pargfrider", die Geschichte eines Wiener Shylock zeigt den Napoleon-Verehrer Pargfrider bei aller Sympathie seines Autors in freundlich-ironischer Distanz. Auf dieser Ebene wird man auch Stefan Heym ansiedeln. Dass er nun 88jährig am Rande eines HeinrichHeine-Kongresses in Israel starb, wirkt wie ein schicksalhaftes Mitspielen um sein humanistisches Bemühen.

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Dresdner Neueste Nachrichten Kultur 17.12.2001

Leipziger Volkszeitung Lokales 16.12.2001

Er brauchte die Reibung - und die Hoffnung auch

Stefan Heym ist tot: Der große alte Ost/West-Literat starb gestern 88-jährig beim Besuch in Israel

Der große alte Literat ist tot. Er starb gestern 88-jährig in Israel, wo er zu einem Kongress über seinen Kollegen Heinrich Heine war. Stefan Heym starb an Herzversagen; den eigenen "Nachruf", vorsorglich 1988 in die Welt gebracht, überlebte er damit um rund dreizehn Jahre. Eine lange Zeit, mit der er wahrscheinlich selbst am wenigsten gerechnet hatte.

Nun wusste er natürlich als Journalist, der er auch war, vom Brauch der Redaktionen, Nachrufe auf prominente Zeitgenossen für den Fall der Fälle in der Schublade zu haben. Dass er sich also damals entschloss, dem eigenen Ende zuvorzukommen, hatte aber weniger den Sinn von Hilfestellung für die Feuilletons.

Es war vielmehr das gute Recht eines Mittsiebzigers, seine Sicht der Dinge zu schildern. Das Projekt zielte auf die Gegenwart - wie all seine Romane im historischen Gewand Gegenwärtiges im Blick hatten, den Leser von heute. Der Gedanke, im "stillen Kämmerlein" für die Nachgeborenen zu schreiben, lag einem politisch so inspirierten Autor wie ihm völlig fern. Außerdem war Heym schon 1988, wenn das Wort Sinn machen soll, ein Mann des Jahrhunderts. Und er wusste das.

Die Memoiren des Helmut Flieg, bekannt geworden als Stefan Heym, fanden, wie die meisten seiner Bücher, schnell ein großes Publikum. Nur die Westberliner "tageszeitung" mäkelte damals über den Nekrolog in eigener Sache: "Was Heym auch erzählt, eigentlich ist nur eines bedeutend: er selbst und seine Werke.

Die historischen Ereignisse bleiben blasse Staffage." Dieser Schmähruf ist insoweit erinnernswert, als ja Heym stets mit Lob und Tadel leben musste, nur war das Sympathiegefälle in den Zeiten des geteilten Deutschland eher umgekehrt: Der Westen hob in den Himmel, was der Osten an dem querköpfigen Mann verdammte.

Heym brauchte die Reibung. Nicht, dass er sie von Anfang an gesucht hätte. Die Rolle des Widerständlers wuchs ihm zu. 1913 in Chemnitz in eine jüdische Familie hineingeboren, spürte er die Ressentiments schon im Gymnasium. Sich zu wehren, war eine Art des Überlebens. Der Widerstand gegen die Nazis unter diesen Umständen ebenso zwangsläufig wie die Emigration. In den USA sah sich der Ex-Sergeant für psychologische Kriegsführung, Teilnehmer an der Normandie-Invasion, plötzlich den antikommunistischen Hexenjagden McCarthys ausgesetzt.

Da hatte er mit seinen "Kreuzfahrern von heute" (1948) bereits einen Weltbestseller gelandet. 1952 übersiedelte er in die DDR, aus Protest gegen den Korea-Krieg der Amerikaner. Aber auch hier brauchte es nur wenige Jahre, und Heym hatte sich als "kritischer Marxist" verdächtig gemacht. Bücher wie "5 Tage im Juni" (1974) über die Ereignisse um den 17. Juni 1953 oder "Collin" (1979), eine Abrechnung mit dem Stalinismus, konnten nur im Westen erscheinen.

Nach dem unverhofften Ende der DDR erfuhr Heym erneut, wie vergänglich Ruhm und Anerkennung sind. Seiner Eröffnungsrede als Alterspräsident des Bundestages 1994, wohin er auf PDS-Ticket eingerückt war, versagte die CDU/CSU-Fraktion demonstrativ den Applaus. Kurz zuvor hatte man ihn gar der Stasi-Mitarbeit beschuldigt. Dass er selbst Jahre lang von Mielkes Mannen observiert worden war ("Der Winter unseres Missvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant", 1996), fiel da nicht ins Gewicht.

Heym freilich, wie viele seiner Profession süchtig nach Beifall und Bewunderung, begegnete den wechselnden Anfeindungen zeitlebens wenn schon nicht mit Gleichmut, so doch mit einer selten gewordenen Unbeirrbarkeit. Zuletzt mischte sich in die Weisheit des Alters auch Halsstarrigkeit. So oder so, seine Beharrlichkeit in den Wettern des Jahrhunderts erklärt sich vielleicht daraus, dass der Mann ein gläubiger Mensch war: nicht in landläufigem Sinn. Er huldigte, frei von jeder Orthodoxie, einer, wie er erklärte, "Heilserwartung an den Sozialismus", was ihn gleich mehrfach angreifbar machte. Er beschwor, einem Credo gleich, sein Ideal einer Welt, "die menschlich ist, in der nicht der Ellenbogen wichtigster Körperteil ist, sondern das Herz und der Kopf." Der Mann mit dem Kopf eines Uhus, war Moralist. Das verbindet ihn mit den anderen Großen.

Der Vision einer menschlich und vernünftig eingerichteten Welt ist Stefan Heym, der übrigens gern und oft in Leipzig war, in seinen besten Büchern nachgegangen. In den beiden religiösen Romanen "Der König-David-Bericht" (1972) oder "Ahasver" (1981) entwirft er Gegenwelten ohne Lug und Trug, ohne Dogmen und Gewalt. Immer lässt er den Geist über die Macht triumphieren, setzt er den Zweifel über die Gewissheit, die Toleranz über den Fanatismus. In der Hoffnung, der Leser erkenne in der Unterhaltung auch die Unterweisung. Mit dem letzten Roman "Pargfrider" (1998), der zu einem literarischen Vermächtnis wurde, tastet sich Heym an das Thema Tod heran. Dazu bekannte er in einem Interview: "Man macht sich schon Gedanken über den Tod, wenn man in meine Jahre kommt. Ich weiß nicht, was nach dem Exitus passieren wird. Ich habe eine große Befürchtung: gar nichts, und das wäre natürlich die langweiligste Lösung."

Lutz Hoyer

© Dresdner Neueste Nachrichten erschienen am 16.12.2001

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Basler Zeitung Kultur 17.12.2001

Bitterer Lorbeer: Erzähler Stefan Heym ist tot

Der deutsche Schriftsteller Stefan Heym ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er erlag am Sonntag in Israel, wo er sich an einem Heine-Kongress aufhielt, einem Herzversagen. Sein «Nachruf», den er sich zu Lebzeiten geschrieben hatte, war bibeldick und grabsteinschwer. Aber er hat darin nur Bruchstücke seiner Biografie ausgebreitet, vor allem in Anekdotenform. Nach dem Ende der DDR mischte Stefan Heym, jahrzehntelang eine Autorität des Zweifels an der realen Existenz des Sozialismus, die Karten neu und gesellte sich zu den Parteigängern, die seine Bücher notorisch unterdrückt hatten. Die Verblüffung, die nicht nur seine Gegner befiel, hat ihm gewiss Spass gemacht.

Die Überraschung, die er geboten hatte, wurde von der erbitterten Provinzialität verbraucht, die 1994 dem Bundestags-Abgeordneten der PDS entgegenschlug. Vielleicht war dieser Ausflug in die Politik jedoch nur die letzte der ironischen Gesten, mit denen der narrenweise Stefan Heym Freund und Feind zu animieren wusste: eine Toleranzprobe, die viele Journalisten und Politiker nicht bestanden haben.

Stefan Heym ist so alt geworden, dass nur ein Teil seiner Biografie überblickbar geblieben ist. Man könnte behaupten: Er hat mehrere Leben gelebt, und einige davon sind im geschichtlichen Dunkel verschwunden. Er war einer der Jüngsten unter den schreibenden Emigranten: Als der Chemnitzer Helmut Flieg ist er mit 20 in die Tschechoslowakei geflohen und zwei Jahre später weiter in die Vereinigten Staaten. Noch in Prag hatte er für eine Dramatisierung des «Tom Sawyer» das Pseudonym «Stefan Heym» benutzt, um seine in Deutschland lebende Mutter zu schützen. Der angenommene Name ist dem Autor angewachsen: Als er, der Tellerwäscher und Agitator gegen Hitler, Kellner und Buchverkäufer, seine amerikanischen Romane «Hostages» und «Of Smiling Peace» schrieb; als er in amerikanischer Uniform nach Deutschland zurückkehrte und 1948 mit «Kreuzfahrer von heute» seinen Roman des inneren Schismas vorlegte.

Nicht erst den DDR-Heimkehrer, den Renegaten und den Post-DDR-Quijote hätte man befragen können, ob seine Festigkeit in Sachen Sozialismus nicht eine fortgesetzte Niederlage bedeute. Den Redaktor der deutsch-amerikanischen Wochenzeitung «Deutsches Volksecho», die 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt, einging. Den Angehörigen der amerikanischen Propagandaeinheit, der nach dem alliierten Sieg sich mit der Armee überwarf und 1952 seine amerikanische Staatsbürgerschaft zurückgab. Den Rückkehrer, der erst in die DDR ging, als ihn die «volksdemokratische» Tschechoslowakei nicht aufnahm. Den Stalin-Verehrer, SU-Reisenden und orthodoxen Leitartikler, der gleichwohl früher und energischer als viele andere seiner Kollegen sich korrigierte. Den Oppositionellen in der unsichtbaren Argwohnzelle der hartgesottenen, in allen Kominternintrigen erfahrenen Ulbrichtianer.

Er glaubte geduldig und ohne jede historische Tiefenschärfe daran, dass sich Bürokratismus und Schlendrian, verknöcherter Zentralismus und menschenverachtender Zynismus abwerfen liessen.

Heym wusste von seinen Feinden mit malerischem Vergnügen zu erzählen. Da bewährte sich der geschulte Journalist mit seiner Erfahrung an diversen Wörterfronten.

Die meisten seiner Bücher haben über das sichere Gespür hinaus, das er für aktuelle Stoffe und transparente Storys hatte, kaum Bestand. Sie enthalten den Pegelstand der Probleme, denen sich ein «feindlich-negativer» Schriftsteller in der DDR ausgesetzt sah. Das Bild des Schreibers ist in seinem Gesamtwerk vom Rande her immer mehr in den Mittelpunkt gerückt. Diese Verschiebung war ein Ausdruck des zähen, listenreichen Kampfes mit der Zensur, den er nie aufgegeben hat und von dem er vor allem im Roman «Die Schmähschrift» 1970 unter der Spiegelmaske Daniel Defoes erzählte. Sein Selbstbild als ewiger Rebell hat Heym, eigenartig flüchtig, im «Lasalle»-Roman (1969), gewiss auch im «Radek», entwickelt. Und ausserdem gibt es ein zerklüftetes Papiergebirge aus rund zwei Dutzend Büchern, Sedimente vergangenen Zeitgeists, Ablagerungen stattgefundener Konflikte und gewesener Diskussionen.

Am lebendigsten erweist sich Heym dort, wo der jüdische Erzähler zum Vorschein kam: mit dem «König-David-Bericht» über die Schwierigkeiten des alttestamentarischen Historienschreibers und mit dem «Ahasver», der bis in die Zeitferne der Schöpfungsgeschichte führt. Der Bibelton durchsetzte den journalistischen Bericht, die Geste des Unzeitgemässen schuf Distinktion zum historisch verkleideten Tagesgetümmel. Schriftsteller haben Präsenz in ihrer Zeit. Vielleicht müssen viele von ihnen wieder vergessen werden, damit man sie unter anderen Vorzeichen wieder entdecken kann. Das eine wird, das andere mag Stefan Heym passieren.

Wilfried F. Schoeller

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Hamburger Abendblatt Kultur 17.12.2001

DIE BERÜHMTESTE UNPERSON DER DDR

Zum endgültigen Bruch mit der offiziellen Ostberliner Kulturpolitik kam es 1979, als der DDR-Schriftstellerverband unter Federführung von Hermann Kant sein berühmtestes Mitglied ausschloss. Da Heym seine Bücher auch - und auf Grund der DDR-Zensur manchmal ausschließlich - beim Bertelsmann-Verlag publizierte, konstruierte die Stasi ein Devisenvergehen. Im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" wurde über die Straftat "des ehemaligen USA-Bürgers Stefan Heym" berichtet. Doch anders als viele seiner Kollegen blieb Heym in der DDR, denn er hielt an der sozialistischen Utopie fest. Dass sich die Ostdeutschen 1989 anders entschieden, konnte er nie verwinden. (M.G.)

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NACHRUF

Zwischen den Stühlen

Im Alter von 88 Jahren starb gestern in Israel der deutsche Schriftsteller Stefan Heym.

Von Matthias Gretzschel

Hamburg - In seinen letzten Tagen hatte Stefan Heym noch an einem Heine-Kongress in Israel teilgenommen.

Gestern starb er 88-jährig an Herzversagen. Schon seit Jahren war Heym gesundheitlich stark angegriffen und hatte 1999 nach einer Operation wochenlang im Koma gelegen.

In einem seiner letzten Bücher, dem 1998 erschienenen Roman "Pargfrider", lässt Heym einen alten Juden auf sein Leben zurückblicken, einen Mann, dem nichts geschenkt wurde, der es dennoch zu Ansehen und Erfolg gebracht hatte und sich nun um den Nachruhm sorgt. Obwohl dieses Buch nicht von einem Schriftsteller des 20. Jahrhunderts handelt, sondern die Lebensgeschichte eines 1787 im k.u.k. Ungarn geborenen Kaufmanns erzählt, findet man darin Sätze, die auf das Schicksal des Verfassers gemünzt zu sein scheinen: "Wenn mich einer fragte, was ich als die größte Leistung eines Menschen unseres Jahrhunderts betrachte, würde ich sagen: dass er es fertiggebracht hat, bis dato zu überleben."

Was es bedeuten konnte, im unheilvollen 20. Jahrhundert zu überleben, davon kündet das Schicksal des Schriftstellers, der am 10. April 1913 als jüdischer Kaufmannssohn Helmut Flieg in Chemnitz geboren wurde.

Schon als Kind fiel er auf, wurde von der Schule verwiesen, weil er in der sozialdemokratischen "Chemnitzer Volksstimme" ein antimilitaristisches Gedicht veröffentlicht hatte. Er ging nach Berlin, machte Abitur und begann schon früh seine literarische Laufbahn, u. a. als Autor der "Weltbühne". Als die Nazis 1933 nach der Macht griffen, nahm er das Pseudonym Stefan Heym an, floh in die Tschechoslowakei und ging von da aus in die USA, wo er sein Philosophie- und Germanistikstudium abschloss.

Heym war kein Pazifist, sondern im Gegenteil fest entschlossen, gegen die Nazi-Barbarei zu kämpfen.

Folgerichtig nahm er als Experte für psychologische Kriegsführung auf amerikanischer Seite am Zweiten Weltkrieg teil. Schon 1942 hatte er mit seinem Romandebüt "Der Fall Glasenapp" bemerkenswerten Erfolg.

Nach Kriegsende schrieb er den Roman "Kreuzfahrer von heute", einen Bestseller. Er wurde Redakteur bei der "Neuen Zeitung" in München, wo er sich aber auf Grund seiner kommunistischen Haltung schnell Ärger einhandelte.

In die USA versetzt und aus der Armee ausgeschieden, gab er 1951 aus Protest gegen den Korea-Krieg seine militärischen Auszeichnungen zurück und ging in die DDR.

Der Kommunist schien nun am richtigen Ort zu sein, aber der äußere Eindruck täuschte. Denn obwohl er damals durchaus in stalinistischen Kategorien dachte, war er doch nicht blind für das, was um ihn herum geschah.

Gerade in der DDR angekommen, wurde er Zeuge des Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Er verarbeitete das dramatische Geschehen in dem Roman "Fünf Tage im Juni", der - obwohl er der SED-Sicht teilweise nahe kam - nicht veröffentlicht werden durfte. Mit der Novelle "Die Schmähschrift oder König gegen Defoe" (1970) und dem Roman "Der König-David-Bericht" (1972) konnte er die Zensur umgehen, indem er seine Kritik an der diktatorischen Machtausübung der SED in historische Stoffe kleidete. Heym hatte zwar keineswegs aufgehört, sich als Kommunist zu fühlen, doch verstand er eben etwas völlig anderes darunter als die Genossen im Politbüro. Endgültig zum Dissidenten wurde er 1976 durch seine Beteiligung an dem Künstlerprotest gegen die Biermann-Ausweisung. Sein DDR-Roman "Collin" konnte 1979 nur in der Bundesrepublik erscheinen, denn inzwischen war er - wie er selbst formulierte - zur "bekanntesten Unperson der DDR" geworden, eine Rolle, in der er sich zumindest zeitweise auch gefiel.

1988 erschien seine Autobiografie unter dem selbstironischen Titel "Nachruf", aber sich aufgeben wollte Stefan Heym noch lange nicht. Als die SED im Herbst 1989 entmachtet wurde, hoffte er auf einen demokratischen Sozialismus - und war enttäuscht und verbittert, als sich die übergroße Mehrheit der DDR-Bürger für den anderen, den kapitalistischen Weg der Bundesrepublik entschied. Mürrisch gab er seither immer wieder zu Protokoll, was seiner Meinung nach alles schlecht lief. Auch wenn sich der Wind gedreht hatte und ihm nun manchmal kräftig ins Gesicht blies, blieb er seinen Überzeugungen treu - diesmal gegen den Zeitgeist. Das, was er Honecker und dessen Genossen am meisten übel nahm, waren in erster Linie nicht Stasi und Mauer, sondern die Tatsache, dass sie mit ihrer stalinistischen Diktatur die Idee des Sozialismus zerstört hatten.

Dass sich Heym 1994 ausgerechnet von der PDS als Kandidat aufstellen ließ und auch tatsächlich in den Bundestag einzog, hat viele seiner Freunde irritiert. Es mag als Arabeske eines außergewöhnlichen Schicksals gelten. Die versteinerten Mienen, die die CDU-Abgeordneten während Heyms Rede als Alterspräsident pflichtschuldigst aufgesetzt hatten, und der zu dieser Zeit auf eigentümliche Weise lancierte Stasi-Verdacht gegen den jahrzehntelang von der Stasi Bespitzelten, gehörten dagegen zu den eher kümmerlichen Begleiterscheinungen der ebenso absurden wie kurzen Polit-Karriere eines alten Mannes, der weder frei von Ambitionen noch von persönlichen Eitelkeiten gewesen ist.

Doch das alles zählt nicht viel angesichts der Lebensleistung eines bedeutenden deutschen Autors, dessen Bücher in Zukunft wohl dazu beitragen werden, die Geschichte des 20. Jahrhunderts und vor allem die Jahrzehnte der deutschen Teilung besser verstehen zu können.

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Hamburger Morgenpost Lokales 16.12.2001

Ein Kämpfer für eine bessere Welt

Der Schriftsteller Stefan Heym starb im Alter von 88 Jahren

Stefan Heym, der am Sonntag in Israel im Alter von 88 Jahren gestorben ist, hatte noch zu Lebzeiten seinen eigenen "Nachruf" geschrieben.

In diesen fesselnden, 1988 erschienenen Memoiren, schilderte er die Geschichte eines bewegten Lebens: eines deutschen Literaten aus einem jüdischen Elternhaus in Chemnitz, der zum Exil gezwungen wurde und nach seiner Rückkehr mithelfen wollte, ein besseres Deutschland aufzubauen. In der DDR wurde er zum wohl bedeutendsten "oppositionellen Autor".

Obwohl er sich zum "sozialistischen Deutschland" bekannte und deshalb nach dem Krieg und dem amerikanischen Exil die DDR als Heimat wählte, wurde er zu einer Symbolfigur für den geistigen Widerstand im SED-Staat. Heym war ein zutiefst politischer Mensch.

Einer seiner letzten öffentlichen Auftritte war 1999 von den NATO-Angriffen auf Serbien überschattet. Bei einer Lesung aus seinem Roman "Pargfrider" reagierte er mit Bestürzung auf die Neuigkeit. "Ich hatte gehofft, dass ich nie wieder einen Krieg erleben muss", sagte der Autor. Heym hatte als amerikanischer Sergeant an der Normandie- Invasion im Zweiten Weltkrieg teilgenommen.

Aktiv hatte Heym nach der Bundestagswahl 1994 in die Politik eingegriffen, als er als Direktkandidat für die PDS in den Bundestag einzog. Seine Antrittsrede als Alterspräsident fand damals kontroverse Beachtung im vereinten Deutschland - der erste deutsche Schriftsteller und der erste Jude in diesem Amt, wie Heym immer hervorhob. Ein Jahr später gab er sein Mandat jedoch wieder zurück, aus Protest gegen eine Diätenerhöhung.

Resümierend meinte Heym einmal, dass er mit seinem Wirken vielleicht "hier und da" etwas bewegt habe.

"Insofern habe ich nicht ganz umsonst gearbeitet." Und vielleicht würden einige Menschen, wenn er längst nicht mehr da sei, noch immer etwas Spaß an seinen Büchern finden und auch etwas zum Nachdenken haben.

Mit dem Ende der DDR war auch für Heym ein Traum zu Ende gegangen, - dass es mit der DDR ein neues Deutschland geben könnte, das seinen Vorstellungen entsprach.

W. Mommert/dpa

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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 17.12.2001

Hier hatte er seinen Platz

Der Tod von Stefan Heym ruft im Osten viele Erinnerungen wach - ganz unterschiedliche. Stimmen und Reaktionen von Politikern, Oppositionellen und Kollegen

Robert Ide

An manchen Tagen wird deutlich, dass die unvollendete innere Einheit in Deutschland gar nicht so viel mit Ost und West zu tun hat, sondern eher mit Ost und Ost. Am Sonntag ist Stefan Heym im Alter von 88 Jahren gestorben - einer der bedeutendsten ostdeutschen Schriftsteller ist tot. Heym hat einst gegen die Nazis gekämpft, dann den DDR-Sozialismus kritisiert und schließlich den real existierenden Kapitalismus angegriffen. Der Tod des Dissidenten hat bei Politikern und Schriftstellerkollegen Bestürzung ausgelöst. Die Rückblicke von Zeitzeugen fallen dennoch ganz unterschiedlich aus. In Ostdeutschland ist man sich nicht ganz einig über Stefan Heym.

Gregor Gysi sagte, er trauere um einen Freund und einen tollen Menschen. Petra Pau sagte: "Ich bin sehr traurig über den schweren Verlust." Und als einen "der Großen dieses Jahrhunderts" bezeichneten ihn die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer und Fraktionschef Roland Claus. Im Frühsommer 1994 hatte sich Stefan Heym überraschend in den Bundestagswahlkampf eingeschaltet. Auf der Liste der PDS gewann er ein Direktmandat und wurde Alterspräsident des Parlaments. Bei seiner ersten Rede verweigerte ihm die große Mehrheit der Unionsfraktion demonstrativ den Beifall.

"Ich habe in dieser Zeit mehrmals mit ihm gesprochen, er hatte leider eine falsche Vorstellung von der Politik", erinnert sich der letzte DDR-Ministerpräsident und PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow.

Nach einem kurzen parlamentarischen Intermezzo legte Heym im September 1995 sein Bundestagsmandat wieder nieder - Anlass war eine Diätenerhöhung. An jenem Abend fuhr Heym zu Modrow. "Er wollte mir seinen Platz im Bundestag übergeben. Da musste ich ihm leider sagen, dass das nicht geht, sondern dass der Listenzweite in seinem Wahlkreis automatisch nachnominiert wird." Heym sei enttäuscht gewesen, berichtet Modrow. Es war nicht die einzige Enttäuschung nach dem Umbruch.

In der DDR sind sich der SED-Funktionär Modrow und der kritische Autor Heym nie begegnet. Ob sich Heym in der DDR wohl gefühlt hat? Modrow sagt: "Wohl gefühlt ist nicht der richtige Ausdruck, aber er hatte hier seinen Platz."

Im Lager der einstigen DDR-Opposition wird Heyms Leben anders betrachtet als in den Reihen der PDS. "Für mich ist er immer ein zwiespältiger Mensch geblieben", sagt Bärbel Bohley, Mitbegründerin der Oppositionsbewegung "Neues Forum". Natürlich habe Heym immer wieder Kritisches über den SED-Staat gesagt. Aber: "Er hätte mehr sagen können, er hatte die Möglichkeit." Heym sei eine schillernde Figur geblieben, beklagt Bohley. Den Kontakt zum offiziell verdammten Robert Havemann habe Heym frühzeitig abgebrochen, um seine Lese-Reisen in den Westen nicht zu gefährden.

Bohley sagt: "Stefan Heym war nie richtig eindeutig."

Eindeutigkeit - ein wichtiges Kriterium für einen politischen Menschen. Aber auch für einen guten Romancier? Der Schriftsteller Erich Loest hat den Tod seines Kollegen mit Bestürzung aufgenommen. "Ich habe ihn noch vor wenigen Wochen in Berlin getroffen, als wir mit einigen Schriftstellern bei Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeladen waren", erinnert sich der Leipziger Autor. Obwohl Heym bereits zu diesem Zeitpunkt körperlich gezeichnet gewesen sei, habe er nichts von seiner Angriffslust verloren. "Er war klein und krumm, aber geistig präsent und vorlaut wie immer", sagt Loest. Kennen gelernt hatten sich beide Schriftsteller in Berlin - am 17. Juni 1953, dem Tag des Volksaufstandes in der DDR. Später hat Heym ein Buch über das Ereignis geschrieben, "Fünf Tage im Juni". Kein eindeutiges Buch. Aber ein wunderbar erzählter Roman.

Heyms Bücher hatten Binnenwirkung, auch wenn sie am Ende nur noch in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden. Die SED hatte Angst vor dem unbequemen Literaten. Deshalb belegte sie ihn "wegen Devisenvergehens" mit einer Strafe von 10 000 Mark. Deshalb schloss ihn der DDR-Schriftstellerverband aus seinen Reihen aus. Hermann Kant war damals Präsident des Verbandes. Am Todestag brachte er seine "äußerste Hochachtung vor dem Schriftsteller Stefan Heym" zum Ausdruck. Politisch seien sie nicht immer einer Meinung gewesen. Er sei auch immer noch ratlos, wie sich der Ausschluss aus dem Schriftstellerverband unter den damaligen politischen Umständen und Verhältnissen in der DDR hätte verhindern lassen, meint heute Hermann Kant.

"Jeder ist seinen Weg gegangen."

Nun ist Stefan Heym tot. Sein Traum von einem gerechten Sozialismus auf deutschem Boden hat sich nicht erfüllt. Trotz seines Kampfes gegen die Nazis. Trotz seiner kritischen Solidarität mit der Deutschen Demokratischen Republik. Am Ende hat Heym die DDR als eine "Fußnote in der Geschichte" bezeichnet.

In Ostdeutschland ist man sich nicht einig über Stefan Heym. Er selbst hätte das wohl als Lob empfunden.

Weitere Artikel: Der trotzige Träumer

17. 12. 2001

Stefan Heym

Der trotzige Träumer

Stationen eines Lebens: In Chemnitz geboren, ging Stefan Heym später ins Exil, begann zu schreiben und kämpfte als Amerikaner gegen die Nazis. Nach dem Krieg zog es ihn in die DDR - in ein Land, das er nicht liebte und dem er doch treu blieb. Mit 88 Jahren ist er gestorben. Von Robert Ide und Rolf Scola

Er war ein unmöglicher Mensch, und wahrscheinlich hätte er sich über diesen ersten Satz seines Nachrufs mit dem ihm eigenen schelmischen Grinsen gefreut. Nie tat Stefan Heym, was man von ihm erwartete. Mit geradezu diebischem Vergnügen stand er auf der "anderen" Seite. Verfasser von Nachrufen auf ihn kam er um Jahre zuvor, indem er seine Erinnerungen "Nachruf" betitelte und so schon im Voraus jeden zum billigen Nachahmer degradierte, der sich einmal daran versuchen würde, eine Bilanz dieses wechselvollen Lebens zu ziehen.

Der Mann war von einer verschmitzten Gerissenheit, die seinen Zeitgenossen mitunter etwas den Atem nahm. Mindestens ebenso oft, wie er sie ihrer weltanschaulichen Trägheit wegen rügte, musste Heym sich von manch galligem Mitmenschen beschimpfen lassen, was er stets nach außen hin mit größter Gelassenheit hinzunehmen pflegte. Doch holte er meist schon kurze Zeit später zum verblüffenden Gegenschlag aus und spaltete erneut den Zeitgeist.

Stefan Heym hieß gar nicht so. Er wurde als Helmut Flieg am 10. April 1913 in Chemnitz im Hause eines jüdischen Kaufmanns geboren. Sein weltbekannter Künstlername tauchte zuerst auf einigen unscheinbaren Postkarten auf, die er aus dem Prager Exil der Mutter nach Chemnitz schickte, damit sie keinen Ärger bekam. Der junge Flieg wurde von der Gestapo gesucht. Erst zu Beginn der Vierzigerjahre, als er in Amerika schon einiges Ansehen als Autor des antifaschistischen Romans "Hostages" (Der Fall Glasenapp) genoss, ließ er Stefan Heym in seinen Pass als richtigen Namen eintragen. Helmut Flieg aus Chemnitz war tot, es lebte von nun an der Autor Stefan Heym.

Gegen die braunen Horden

Wegen eines harmlosen antimilitaristischen Gedichtes von seinem Chemnitzer Gymnasium relegiert, kommt Heym 1931 nach Berlin, wo die Nazis bereits ihre Fahnen schwenken. Aus seiner Abneigung den braunen Horden gegenüber macht er nie eine Hehl. Durch Zufall begegnet er Mitgliedern der Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe, ohne jedoch in deren Aktivitäten einbezogen zu werden. Heym muss die Stadt bald schon sicherheitshalber verlassen. Nach kurzem Aufenthalt in Prag kommt er 1935 in die USA. Im selben Jahr begeht sein jüdischer Vater Selbstmord, andere Familienmitglieder kommen später in den Lagern der Nazis um. Nach wechselvollen Jahren als Tellerwäscher, Redakteur und Druckereivertreter gelingt Heym endlich mit "Hostages" 1942 der große Wurf, der den ärmlichen Emigranten in den Staaten berühmt macht. Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält er 1943 mit seinem Eintritt in die US-Armee. In der Abteilung für psychologische Kriegsführung kehrt er als Befreier nach Deutschland zurück.

"Hostages" traf Anfang der Vierzigerjahre den Nerv der Zeit. Ohne Beweise werden darin harmlose Besucher eines Restaurants im besetzten Prag verhaftet und schließlich hingerichtet, weil der deutsche Gefreite Glasenapp von seinem Gang zur Toilette nie zurückkehrte. Die Hintertür führte direkt hinunter zur Moldau. Der unaufdringlich mit den Zügen eines kommunistischen Widerständlers versehene Toilettenwärter Janoschik erweist sich als standhafter Mensch, der für seine Überzeugungen auch gelassen in den Tod geht. Es ist ein auf amerikanisch-flüssige Weise geschriebenes Buch gegen die Nationalsozialisten, das sich ohne tiefschürfende Analysen auf die Seite des kleinen, tapferen Prager Widerständlers stellt. Die in frühen Gedichten und Erzählungen noch deutlich sichtbare schwergewichtige Intellektualität Stefan Heyms hat hier erstmals ganz konsequent der Story Platz gemacht. Und so sollte es von nun an bleiben.

Bei aller Selbstironie hat Stefan Heym es doch immer auch genossen, mit seinem Verhalten, mit seinen Schriften und Interviews Verwirrung zu stiften. Er mag es für heilsam gehalten haben in einer scheinbar verkrusteten, selbstgerechten Welt, und es war wohl auch immer etwas Koketterie mit im Spiel. Das Erlebnis des erstarkenden Nationalsozialismus und die fast noch jungfräulich, so wunderbar logisch und einfach daherkommende "wissenschaftliche Weltanschauung" des Marxismus haben den emporstrebenden jungen Mann früh schon auf ihre Seite gezogen. Wann immer man auch mit ihm sprach - nie verhehlte er, dass er sich als Sozialist und Marxist betrachtete.

Sein Weltbild war geprägt von Klassen und der schlichten Vorstellung von den "Bossen", die sich die dicken Gewinne einsteckten.

Die Realität in der DDR sagte ihm, dass etwas mit dem Lande nicht in Ordnung sein konnte. Die Grundfesten seiner Weltsicht hat das jedoch nie erschüttert: "Der wahre Sozialismus muss erst noch gemacht werden." Wo das Dumpfe seine Herrschaft errichtete, ergriff Stefan Heym für die lichte Aufklärung Partei. Es gehört zu seinen bleibenden Verdiensten, sich in der DDR widersetzt zu haben, als jene die Macht besaßen, denen er sie eigentlich gegönnt hatte.

Angewidert von der Hexenjagd-Atmosphäre im Amerika McCarthys und dem Korea-Krieg, fasziniert dagegen von der Aufbruchstimmung des Experiments DDR, siedelte Heym 1952 nach Ost-Berlin über. Ein Versuch, sich in Prag niederzulassen, scheiterte, nachdem ihm Freunde dort vorsichtig die Augen über die Realität geöffnet hatten: In den Monaten des Slansky-Prozesses war es für einen Juden und Westemigranten nicht ratsam, gar noch um Aufnahme zu bitten. So sehr er sich auch bemühte, die besten Seiten der neuen Gesellschaft in der DDR zu sehen, so sehr er versuchte, sie in seinen Büchern in günstigem Licht darzustellen - er war doch nie blind genug, Bürokratie und engstirnige Borniertheit der Bonzen zu übersehen.

Kunst oder Propaganda?

Stefan Heyms Wohlwollen galt dem Sozialismus und dem Arbeiter, den er bis zuletzt als Träger des gesellschaftlichen Fortschritts betrachtete. Und mitunter überschritten seine Erzählungen und Romane auch die Grenzen dessen, was künstlerische Arbeit von billiger Propaganda unterscheidet.

So plakativ wie der Titel sind auch einige Geschichten seines Bandes "Schatten und Licht", in dem es vor allem um die Auseinandersetzung zwischen den beiden jungen deutschen Staaten geht. Da schildern Übersiedler aus dem Westen, weshalb sie es dort nicht mehr ausgehalten haben und in die DDR gekommen sind. Da peinigt ein westlicher, ideologisch ohnehin abtrünniger Spion seine Familie auch noch mit Lederpeitschen.

Der zu DDR-Zeiten mit dem Hauch von Dissidententum umgebene Roman "Fünf Tage im Juni" wurde manchem verspäteten Ost-Leser zur Enttäuschung: Der Autor beschreibt darin zwar die Versäumnisse der SED-Bürokraten, stützt jedoch insgesamt eher die These von der westlichen Unterminierung des ersten Arbeiter- und Bauernstaates während des Aufstands 1953. Held des Romans ist der einfache Arbeiter Kallmann, der in den Stunden des sowjetischen Militäreinsatzes und der wütenden Proteste auf den Straßen ein Karl-Marx-Porträt aus einem kaputten Schaufenster rettet. Heyms Traum von der guten Seele des arbeitenden Volkes - nirgends ist er besser dargestellt als in dieser Szene. Das Buch war in der DDR verboten.

In vielen von Heyms Werken wird der Gegensatz zwischen der schuftenden Arbeiterklasse und den Funktionären in den Bürostuben dargestellt. Immer wieder verurteilte Heym das Anpassertum im Arbeitermilieu, und immer wieder nahm er dafür die Sozialdemokratie als Beispiel heran, der er bis zuletzt die von ihr gebilligten Kriegskredite von 1914 nicht verzieh.

Doch trotz mancher Illusion, die sich Heym in Bezug auf einen wie auch immer gearteten Sozialismus gemacht hat, war er Dissident. 1965 stritt er sich mit Walter Ulbricht auf dem Schriftstellerkongress, in den Siebzigerjahren unterschrieb er die Protesterklärung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Schon lange, bevor es mit der DDR zu Ende ging, redete Heym von der Friedensbewegung und von der deutschen Wiedervereinigung, die er für "möglich und naturgegeben" hielt. Heym war trotz mancher Nähe zum SED-Staat oppositionell. Und deshalb rissen sich die Leute um seine Bücher, warteten auf seine Interviews im Westfernsehen und versuchten, möglichst einen Stehplatz auf einer seiner raren Lesungen in Kirchen oder kleinen Gemeindesälen zu erwischen. Im "König David Bericht" verbarg er hinter alttestamentarischer Historienszenerie die widerliche Geschichtsklitterung, die jedem DDR-Bürger aus Medien und Schulen entgegenschlug. In seinem wohl besten Roman "Ashaver" werden am Ende jene Mauern überwunden, die verhindern, dass man die Realität zur Kenntnis nimmt. Mit einer geschickt und stilsicher eingefädelten Geschichte auf drei Erzählebenen vermittelte Heym schon 1981: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Eine düstere Prognose für eine verkalkte Gesellschaft.

Als diese dann tatsächlich zusammenbrach, war Heym nur kurz voller Freude. Auf der von Bürgerrechtlern und Künstlern organisierten Großdemonstration am 4. November 1989 ergriff er das Wort und traf den Nerv. Eine Million Menschen in Berlins noch geteilter Mitte jubelten ihm zu, als Heym ins Mikrofon rief: "Es ist, als habe einer das Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der geistigen, wirtschaftlichen, politischen Stagnation." Kurze Pause. "Den Jahren von Dumpfheit und Mief und bürokratischer Willkür." Jubel. Langer Applaus. Vor ihm standen die Leute, die er immer beschrieben hatte - die einfachen Menschen aus den Betrieben und Werken, die die Schnauze voll hatten. Die endlich aufrecht gehen wollten. In jenem Moment war der Schriftsteller ihre Stimme. Als Heym von der provisorischen Bühne kletterte, zitterten seine Hände. Fünf Tage später wurde die Mauer geöffnet.

Plötzlich ging es um andere Dinge. Um die Einheit, ums Reisen, um die D-Mark. Vorkämpfer Heym fühlte sich missverstanden. Die Konsumwut der befreiten Ossis, ihr "Gedränge um den Tinnef bei Bolle und Bilka" - all das verärgerte Heym. Das Verhalten der einfachen Arbeiter wollte so gar nicht mit Heyms Traum eines freien, sozial gerechten und menschlichen Gemeinwesens zusammenpassen. Ein Spalt tat sich auf zwischen dem schreibenden Dissidenten und seinen Lesern. Heym wollte nicht einfach ins Lager derer überwechseln, die in seinen Augen den Kalten Krieg unverdient gewonnen hatten. Das war sein Verständnis von Dialektik.

Sympathie für die Schwachen

Von nun an zog sich Heym zurück, wenn auch nur ganz langsam. Er schrieb Bücher mit Tagesaktualität. Doch Wendegeschichten wie "Auf Sand gebaut" und "Filz" fanden nicht so viele Leser wie die neu aufgelegten Romane, die Heym zu DDR-Zeiten im Westen veröffentlicht hatte, wie zum Beispiel "Collin". Heym blieb ein Träumer, und er beharrte auf seinem Ideal vom demokratischen Miteinander der Menschen - unabhängig von Siegermächten und kapitalen und bürokratischen Interessen.

Einmal versuchte es Heym noch. 1994, als viele ihn abgeschrieben hatten, traute sich der 81-Jährige noch einmal raus. Der zeitlebens parteilose Schriftsteller kandidierte auf der offenen Liste der PDS in Berlin für den Bundestag. Dieser Schritt konnte nur den erstaunen, der den Mann nicht kannte. Stefan Heyms Sympathien lagen immer auf Seiten der Schwachen, und die glaubte er nun in den Ostdeutschen und den Armen zu erkennen, die die SED-Nachfolgepartei zu vertreten vorgab. Wieder rieb er sich die Hände über die Empörung all jener, die sein Zusammengehen mit den Erben seiner ehemaligen Peiniger für anstößig hielten. Wieder mischte der Greis mit dem markanten Profil in den Schlagzeilen mit und freute sich, dass man im bürgerlichen Lager den Kopf schüttelte, vor den er seine Kritiker seit jeher mit Vorliebe stieß. Nach einem Wahlkampf, in dem es weniger um Inhalte als vielmehr um seine Person ging, gelang ihm der Einzug in den Bundestag als Direktkandidat der PDS. Als Alterspräsident eröffnete Heym die 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages mit einer Rede, die wie das Credo eines großen Mahners klang. Soziale Gerechtigkeit und ökologisches Engagement forderte er ein und mag es wohl genossen haben, mit welcher Unsicherheit die Abgeordneten sich zu zaghaftem Applaus durchrangen.

Gestern ist der Schriftsteller Stefan Heym im Alter von 88 Jahren in Israel gestorben. Er erlag einem Herzversagen in einer Hotelanlage am Toten Meer. Auf seinem Anrufbeantworter ist noch seine heiser klingende, aber immer klar betonende Stimme zu hören. Eine Stimme, die sich immer eingemischt hat. Und die nie aufgab.

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Bonner Rundschau Kultur 17.12.2001

Stefan Heym im Alter von 88 Jahren gestorben - Mann zwischen allen Stühlen

Von Wilfried Mommert und Hartmut Wilmes

Stefan Heym hatte noch zu Lebzeiten seinen eigenen "Nachruf" geschrieben. In diesen fesselnden Memoiren (1988) schilderte er die Geschichte eines deutschen Literaten aus jüdischem Elternhaus in Chemnitz, der aus dem Exil nach Ost-Berlin zurückkehrte und als Sozialist zu einer Symbolfigur des geistigen Widerstands im SED-Staat wurde.

Aktiv hatte Heym nach der Bundestagswahl 1994 in die Politik eingegriffen, als er als Direktkandidat für die PDS in den Bundestag einzog. Vielfach nahm man ihm übel, dass er das Scheitern der DDR als eine Art realpolitischen Betriebsunfall sah, der am Ideal des Sozialismus wenig ändere.

1992 wurde er im Kölner Dom-Hotel von einem Mann geschlagen und beschimpft. Heyms Antrittsrede als Alterspräsident des Bundestags fand nach zuvor aufgetauchten Stasi-Vorwürfen gegen ihn kontroverse Beachtung - die Union (außer Rita Süssmuth) versagte der Ansprache den Applaus.

Ein Jahr später gab Heym sein Mandat zurück, aus Protest gegen eine Diätenerhöhung. Er resümierte: "Ich habe nicht mehr die Illusion, dass ich die ganze Welt auf den Kopf gestellt habe." Vielleicht habe er "hier und da etwas bewegt", und vielleicht würden einige, wenn er längst nicht mehr da sei, noch immer Spaß an seinen Büchern finden.

Der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Kaufmannssohn, (eigentlich Helmut Flieg), wechselte in der Schulzeit nach Berlin und floh 1933 vor den Nazis in die Tschechoslowakei und später in die USA.

Dort hatte er sich mit Büchern wie "Hostages" und "The Crusaders" einen Namen gemacht. 1951 siedelte er, im Visier des Kommunistenjägers McCarthy, in die DDR über.

Auch in der DDR hat man ihn nicht mit offenen Armen empfangen. "Vielleicht haben sie ja Recht gehabt, denn ich habe ihnen ja nichts als Schwierigkeiten gemacht." So wurde er zur bekanntesten Unperson der DDR.

Nach deren Ende im Herbst 1989 rief Heym zu einem neuen Widerstand auf - gegen den "Ausverkauf an die Bundesrepublik". Als Autor beschäftigten ihn zeitgeschichtliche Themen sowie historische Stoffe.

Zu seinen Werken gehören "Der König David Bericht", der Probleme des Stalinismus parabelhaft spiegelt und in der DDR zunächst nicht erscheinen durfte, der Bericht über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 "Fünf Tage im Juni", das Funktionärsgleichnis "Collin", der Roman über die Republik "Schwarzenberg" im Erzgebirge kurz nach dem Krieg und "Ahasver" über eine drohende atomare Vernichtung.

Der unbotmäßige Autor wurde 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Später hielt er in dem dokumentarischen Roman "Radek" über den Mitarbeiter Lenins und Trotzkis eine groß angelegte Rückschau auf "Geburtsfehler einer Revolution".

1996 erschien "Der Winter eines Missvergnügens", der einen Moment DDR-Geschichte im Jahr der Biermann-Ausbürgerung 1976 beleuchtet. 1998 veröffentlichte er seinen Roman "Pargfrider", eine "historische Komödie" über einen österreichischen Kapitalisten der Kaiserzeit.

Schließlich folgte im vergangenen Jahr sein schon 1955 vollendetes Buch "Die Architekten", das noch einmal einen Zornesblitz in die Dunkelkammern der Geschichte schickte: Ein linientreuer Architekt wird zum Denunzianten, und Heym fängt das Gefühl der von der Stasi geschürten Angst präzis ein.

Er beschreibt den Verfall eines Mannes, "der anfängt mit einem Schweigen, wo er widersprochen, mit einem Kopfnicken, wo er protestiert haben sollte".

Zum Motiv der Veröffentlichung sagte Heym: "Als ich 1999 nach schwerer Lungenkrankheit und achtwöchigem Koma wieder zu Kräften kam, dachte ich mir, dass es doch ratsam sein könnte, wenn ich vor meinem endgültigen Exitus mein Werk noch komplett vorlegte."

Beim kürzlichen Autorentreffen bei Kanzler Schröder fand ihn sein Kollege Erich Loest "klein und krumm, aber geistig präsent und vorlaut wie immer". Jetzt ist Stefan Heym, dieser Deutsche zwischen alle Stühlen, mit 88 Jahren bei einem Besuch in Israel gestorben, wo er an einem Heine-Kongress teilgenommen hatte.

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Die Welt, Kultur 16.12.2001

Der Literat, der Kreuzritter wurde Romancier, DDR-Oppositioneller, PDS-Abgeordneter: Zum Tode von Stefan Heym - Von Jost Nolte

Der Rabbi ist am Kreuz gestorben. Auf seinem Weg nach Golgatha hat ihm der Schuster Ahasver die Tür gewiesen. Darum sollte der Mann verflucht sein bis ans Ende der Tage.

Doch nach 2000 Jahren verbünden sich der Rabbi und der Schuster und kämpfen gegen Luzifer und seine Horden, bis von denen nichts bleibt als ein fernes Lachen. Ein Sieg? Und dann?

Der Rabbi und der Schuster stürzen in die Tiefe, und der Rabbi bittet Ahasver, ihn nicht zu verlassen. Da legt Ahasver seinen Kopf an die Brust des Rabbi, und sie werden Geist vom selben Geist, und weil der Rabbi ohnehin dem Geist Gottes verwoben ist, geht auch der Schuster Ahasver in Gottes Geist ein – „ein Wesen, ein großer Gedanke, ein Traum". Das einige Wesen, der überwältigende Gedanke, der alles bezwingende Traum ist, grob gesagt, der Sozialismus.

Ahasver war Stefan Heyms anspruchsvollste Maske. Er schuf 1981 den Ewigen Juden nach seinem Bilde, wie er seit seinem dritten Roman alle seine Romanhelden mit Familienähnlichkeit, wenn nicht mit Zwillingsähnlichkeit ausstattete.

Seine beiden ersten Romane hatte Heym im Exil auf amerikanisch geschrieben. „Hostages" von 1942, auf deutsch dann „Der Fall Glasenapp", wurde ein mit Zeitumständen verkleideter Reißer, und beim Schreiben lernte Heym, dass er zum Schriftsteller taugte. Das nächste Buch, „Smiling Peace" von 1944, war eine weitere Fingerübung. Im „Bitteren Lorbeer" von 1948 fand Heym seinen Stil. Er pfiff er noch auf alle Masken, aber das Schicksal des US-Sergeanten Bing aus Chemnitz, der mit der US-Army in der Normandie landete und der bald nach Prag und schließlich nach Berlin-Ost überwechselte, schrieb er vom eigenen Lebenslauf ab. Ein halbes Jahrhundert später hatte er das Versteckspiel zum Allzweck-Mittel ausgestaltet. Ob er 1985 Lenins Kampfgefährten Radek als besonders talentierten, originellen und sympathischen Revolutionär oder drei Jahre später einen gewissen Pargfrider als besonders talentierten, originellen und sympathischen Kapitalisten vorführte, es war immer Stefan Heym, der uns entgegentrat. Und mit den Figuren, mit Ahasver, Radek, Pargfrider und den andern wechselte Heym nicht nur die Kostüme, sondern auch die Weltanschauungen, damit er dem Herrgott, den Kommunisten oder den Kapitalisten den Marsch blasen konnte.

Die Gegenprobe klappt auch: Man nehme den „Nachruf", mit dem Heym 1988 den Nekrologen auf seine Person vorgegriffen hat. Die mehr als 800 Seiten lesen sich, wie sich die Romane lesen – spannend, gewitzt, menschlich. Wer den Anfang gelesen hat, liest auch den Rest, denn er will wissen, was aus dem Jungen Helmut Flieg wird, von dem erzählt wird, sein Vater, der Kaufmann Daniel Flieg, Strumpf- und Wirkwaren, sei ein preußischer Pflichtmensch gewesen und habe ihm, Helmut, auf Spaziergängen durch die nach hinten gedrehten Ellbogen einen Spazierstock geschoben, um ihm den krummen jüdischen Rücken gerade zu biegen.

Der Anstand gebietet es, im Todesfall einen Autor zunächst einen Autor zu nennen. Wie sich abzeichnet, lassen sich in diesem Fall der Zeitgenosse und der Literat nicht säuberlich unterscheiden. Wenn es noch Zweifel gab, bewies dies der „Nachruf". Er zeigte Heym als Zeitungsmann, Romancier, Soldat und Grenzgänger. Immer war er der „Crusader", der Kreuzritter. „The Crusader" hatte der „Bittere Lorbeer" auf Amerikanisch geheißen.

Stefan Heym ist tot. Er starb am Sonntag mit 88 Jahren in Israel.

Über seinem Sarg schwebt das Bild des Mannes, der darauf aus war, in jeder Lebenslage recht zu behalten. Wie kam da das harte Urteil Günter Kunerts über seinen ehemaligen DDR-Landmann zustande: „Stefan Heym war zwar gegen das Unrechtsregime. Aber von den tapferen Menschen, die immer wieder versucht haben, der Willkürherrschaft entgegenzutreten, war er nun mal der allergrößte Feigling. Er hatte nicht nur Angst, sondern die Angst hatte ihn. Auch das ist erlaubt, ist menschlich.

Aber nicht erlaubt ist die Heuchelei."

Kunert, der unter Protest jenen Staat verlassen hatte, hinter dessen Stacheldraht Heym wohnen blieb, nahm die vermeintliche Angst des Kollegen als Beweggrund für dessen einträgliche Grenzgängerei. Angst passt meistens, und in dieser Diagnose ließ sich auch die Praxis unterbringen, in der DDR von den Honoraren zu leben, die es sich der Westen kosten ließ, wenn ein Kommunist den Kommunismus kritisierte. Eine Praxis, die zunächst riskant war; nach der Ausweisung Biermanns war der Ärger, den ein Mann wie Heym mit seiner Art von Unbotmäßigkeit riskierte, gewissermaßen nur noch rituell. Er konnte jederzeit ausreisen, die Grenztruppen ließen ihn auch regelmäßig zurückkehren. Was er tun konnte, um es dabei zu belassen, tat er. Er war klug genug, Honecker und seinen Leuten die Chance zu lassen, mit dem Störenfried S. H. zu leben. Tatsächlich versuchten sie, ihm ein Devisenvergehen anzuhängen, aber dabei blieb es.

Das Unbequemsein war ihm früh zugewachsen. Aus dem Bürgerssohn Helmut Flieg, geboren 1913 in Chemnitz, wird ein Primaner und Kästner-Verehrer. Ihn wollen sie wegen eines Gedichts, das eine sozialdemokratischen Zeitung gedruckt hat, von der Schule weisen. Die Nazis in Chemnitz eröffnen gegen ihn ein Kesseltreiben. Er geht nach Berlin, um dort sein Abitur zu machen. Nach dem Reichstagsbrand tut er das Klügste, was er tun kann. Mit 20 verlässt er Deutschland. Die Postkarte, die er aus Prag nach Hause schicken will, unterschreibt er mit Stefan Heym. Das bleibt sein Name. Er arbeitet für Zeitungen, kommt in die USA und schreibt weiter, nun auch Bücher. Ein Foto aus ersten Nachkriegstagen zeigt Heym als Sieger vor seinem zerstörten Elternhaus.

Am Ende wird er sich fragen lassen müssen, was er daraus gemacht hat, dass er 1945 auf der richtigen Seite war. Die Antwort: Er hat Romane geschrieben, mit denen er sich sehen lassen konnte. Davon abgesehen, wollte er als Journalist Politik machen. Aus dem Rechthaben wurde Rechthaberei. Zum Schluss wurde er Politiker. Er ließ sich 1994 von der PDS in den Bundestag schicken, wurde dessen Alterspräsident, hielt eine kluge Rede, demissionierte im Jahr darauf. Die DDR, die er, abzüglich der falschen Führung, hatte erhalten wollen, war verschwunden. So erlebte er am Ende doch eine Niederlage.

Was bleibt, sind seine Romane.

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Standard (Wien), Vermischtes 16.12.2001

Stefan Heym 1913 – 2001

Tel Aviv - Der deutsche Schriftsteller Stefan Heym (eigentlich Helmut Flieg) starb 88-jährig in einer Hotelanlage am Toten Meer an Herzversagen. Heym, der mit den Werken Collin und Fünf Tage im Juni über den Volksaufstand in der DDR 1953 bekannt wurde, hatte an einem Kongress über Heinrich Heine teilgenommen. Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte 1933 nach Prag, 1935 nach New York, wo er als Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung Deutsches Volksecho fungierte. 1951 übersiedelte er in die DDR und kam bereits 1956 in Konflikt mit der Regierung, seine Bücher durften ab 1976 nicht mehr in Ostdeutschland erscheinen. Er gilt als Nestor der DDR-Bürgerrechtsbewegung, plädierte bereits 1982 für die Wiedervereinigung. Eine ausführliche Würdigung lesen Sie morgen im STANDARD. (dpa, red) Foto: epa/dpa

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Kurier (Wien) Kultur 16.12.2001

Schriftsteller Stefan Heym gestorben

Er sei am Sonntag in Israel einem Herzversagen erlegen, bestätigte das Mishkenot-Shaananim Kulturzentrum in Jerusalem am Sonntag nach Angaben des Fernsehsenders n- tv.

"Er war rüstig"

Wie der n-tv-Korrespondent Ulrich Sahm berichtete, war Heym in einer Hotelanlage am Toten Meer plötzlich zusammen gebrochen. Kurz zuvor habe er ihn noch in guter Gesundheit angetroffen. "Er war derart rüstig und munter, er rannte herum, als sei er ein 40-Jähriger."

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Frankfurter Allgemeine Zeitung Kultur 17.12.2001

Literatur: Schriftsteller Stefan Heym gestorben

Nach dem Tod des Schriftstellers

Stefan Heym herrscht Trauer unter den literarischen und politischen Freunden des Autors und unter seinen Lesern. Die PDS, für die Heym 1994 mit einem Direktmandat in den Bundestag eingezogen war, würdigte ihn am Sonntagabend als „einen der Großen des Jahrhunderts", als lebendigen Maßstab für Courage und Gewissen. Heym starb am Sonntag während eines Aufenthalts in Israel mit 88 Jahren an Herzversagen. "Deutschland", hatte Stefan Heym noch vor kurzem, nach seiner Meinung zum Ende des Literarischen Quartetts befragt, gesagt. "Deutschland wird auch ohne diese Sendung eine Literatur haben. Und ich werde mich bemühen, in der Zeit, die mir noch bleibt, dazu beizutragen. "Symbolfigur des geistigen Widerstandes in der DDR. Im Frühjahr 1999 hatte Heym nach einer Gallensteinoperation wochenlang in einem künstlichen Koma gelegen. Vergangenen Januar las Heym in der Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied er war, aus seinem Mitte der 60er Jahre entstandenen, bisher unveröffentlichten Roman „Die Architekten" und wurde dabei stürmisch gefeiert. Der Präsident der Berliner Akademie, der ungarische Schriftsteller György Konrad, würdigte Heym bei der Lesung als den „Berliner Schriftsteller-Doyen", der „in Unbilden eines langen Lebens sich treu geblieben ist". Heym war der wohl bedeutendste „oppositionelle Autor" in der früheren DDR. Obwohl er sich zu einem „sozialistischen Deutschland" bekannte, wurde er zu einer Symbol- und Leitfigur für den geistigen Widerstand in dem zunehmend totalitärer werdenden SED-Staat. 1998 war Heyms letzter Roman „Pargfrider" erschienen. Es folgte noch der Geschichtenband „Immer sind die Weiber weg." Zu seinen bekanntesten Büchern gehören „Collin" und „Fünf Tage im Juni". Gegen dem "Ausverkauf an die Bundesrepublik" - PDS-Direktmandat. Nach dem Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 hatte Heym zu einem neuen Widerstand aufgerufen, diesmal unter dem Motto „Für unser Land" gegen den, wie er meinte, „Ausverkauf an die Bundesrepublik". Er griff auch aktiv in die Politik ein und errang bei der Bundestagswahl 1994 für die PDS ein Direktmandat im Bundestag, den er als Alterspräsident eröffnete. Ein Jahr später gab der damals 82-Jährige sein Mandat allerdings wieder zurück. Auch einer seiner letzten öffentlichen Auftritte war von der aktuellen politischen Situation geprägt. Mit Bestürzung reagierte Heym im Frühjahr 1999 bei einer Lesung in Hannover auf den Beginn der Nato-Angriffe auf Serbien.

Opposition und Dissidenz als Leitmotive eines langen Lebens. Der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Kaufmannssohn, der eigentlich Helmut Flieg hieß, wechselte in der Schulzeit nach Berlin und floh 1933 vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei und später in die USA, von wo er als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurückkehrte. 1951 siedelte er in die DDR über. Heym beschäftigte sich mit zeitgeschichtlichen und historischen Stoffen. Zu seinen Büchern gehören „Der König David Bericht", der Probleme des Stalinismus parabelhaft spiegelt und in der DDR zunächst nicht erscheinen durfte. „Fünf Tage im Juni" berichtet vom Volksaufstand am 17. Juni 1953, das Buch „Collin" ist ein Funktionärsgleichnis. 1979 wurde Heym aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und sogar strafrechtlich wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt, was erst 1992 offiziell vom Gericht zurückgenommen wurde. 1988 erschien sein autobiografischer „Nachruf". Nach dem Ende der DDR hielt Heym in dem dokumentarischen Roman „Radek" über den Mitarbeiter Lenins und Trotzkis eine Rückschau auf „Geburtsfehler einer Revolution". Sein literarisches Archiv hat Heym der britischen Universität Cambridge übergegeben.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung Vermischtes 17.12.2001

Der große Einäugige - Sozialist bis zuletzt: Der Schriftsteller und Zeitkritiker Stefan Heym ist in Israel gestorben

Im Frühjahr 1996, um die Zeit seines dreiundachtzigsten Geburtstags, veröffentlichte der Schriftsteller Stefan Heym sein letztes Buch. Es heißt "Der Winter unseres Mißvergnügens" und schildert, was hinter den Propagandakulissen vorging, als 1976 der Sänger Wolf Biermann aus der DDR vertrieben wurde. Im Vorwort heißt es: "Zurückblickend möchte ich sagen, daß hier ein Menetekel erschienen war, ankündigend das Ende des real existierenden Sozialismus - nicht ohne Grund hatte man ihn so präzisiert -, das Ende dieser mißratenen Revolution, dieser Republik ohne eigene Legitimierung." Heym hatte die DDR, die er einst ausdrücklich zur Heimstatt erkor, in vier Jahrzehnten wiederholt kritisiert, manchmal recht bissig, sich aber dennoch stets zu ihr bekannt. Erst in diesem späten Tagebuch, am Ende seines Lebens, verwarf er grundsätzlich jenes Konstrukt, das sein Angebot solidarischer Gefährtenschaft nie anders als mit Mißtrauen, schließlich mit offener Feindseligkeit zu beantworten verstand.

An Feinden hat es Heym niemals gemangelt. Das Jahrhundert, das ihm als Lebensspanne zuteil wurde, hat ihm genügend davon beschert, die schlimmsten gleich am Anfang seiner Laufbahn. Knapp zwanzig Jahre alt war der Kaufmannssohn Helmut Flieg aus Chemnitz, der sich später Stefan Heym nannte, zur Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung. In Anbetracht jener neuen Verhältnisse dachte und publizierte er falsch, nämlich links. Doch kam es darauf erst in zweiter Linie an, schwerer fiel ins Gewicht, daß er Jude war. Nach dem Programm der neuen Herren hätte Heym wohl kaum seinen dreißigsten Geburtstag erlebt. So darf man es als Sieg bezeichnen, daß er die Triumphstunde seiner Verfolger um mehr als sechzig Jahre überdauert hat.

Es war ein mühselig errungener Sieg. Heym, zunächst in die Tschechoslowakei entkommen, erhielt 1935 eine Einladung der Universität Chicago. Der Emigrant finanzierte Studium und Lebensunterhalt mit Hilfsarbeiten als Kellner, Tellerwäscher, Warenhausverkäufer, Handelsvertreter, Sprachlehrer; schließlich, ab 1937, als Chefredakteur der deutschsprachigen Wochenzeitung "Deutsches Volksecho". 1943, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, trat er in die Armee ein, landete 1944 mit den Invasionstruppen in der Normandie, näherte sich den deutschen Westgrenzen als Sergeant einer Psychological-Warfare-Kompanie, war nach dem Sieg als Besatzungsoffizier im Ressort Umerziehung tätig. Er zählte zu den Mitbegründern der amerikanisch lizenzierten "Neuen Zeitung", einem der wenigen renommierten Blätter in den ersten Nachkriegsjahren.

Die Deutschen damals bekamen von all dem wenig mit, sie hatten andere Sorgen. Es kümmerte sie nicht, daß einer ihrer Umerzieher, ein Linker namens Heym, in weltanschauliche Differenzen mit seinen Vorgesetzten geriet, schließlich verabschiedet und in die Staaten zurückgeschickt wurde. Sie horchten erst auf, als Stefan Heym im April 1953 mit einem Donnerschlag seiner Emigrantenheimat Valet sagte: In einem dramatischen Brief an den Präsidenten Eisenhower beschuldigte er die Vereinigten Staaten, den Koreakrieg angestiftet zu haben, und verzichtete auf Offizierspatent, Kriegsorden sowie Staatsbürgerschaft. Gleichzeitig bat er die Regierung der DDR um Asyl und übersiedelte nach Ostberlin.

In seiner Autobiographie "Nachruf" (1988) bekannte Heym, der Lagerwechsel sei keineswegs so glorios vonstatten gegangen, wie seine Inszenierung seinerzeit glauben machte. Das Ulbricht-Regime schätzte Rebellen eben nur in den Reihen des Gegners, in den eigenen Reihen sah es lieber phantasielos funktionierende Parteisoldaten als eigenwillige Überläufer. Das Volk wiederum, unter politischem Druck und horrenden Versorgungsmängeln ächzend, begriff nicht, wieso jemand auf Freiheit und Reichtum Amerikas verzichtete und freiwillig in die Ödnis kam, aus der man selber sich wegwünschte.

So zwischen offiziellem Mißtrauen und allgemeinem Mißverstehen, reagierte der isolierte Idealsozialist kratzbürstig. Ihm schien, die Deutschen trügen noch allzuviel von Hitlers Ungeist in sich; im Westen tanzten sie nach der Pfeife des amerikanischen Kapitals, im Osten verfehlten sie die sozialistische Erlösung. In dem Roman, der 1950 als erstes seiner Werke wieder in Deutschland erschien - in der DDR "Kreuzfahrer von heute", in der Bundesrepublik "Bitterer Lorbeer" betitelt -, hatte Heym die amerikanischen Sieger mit den deutschen Verlierern über denselben Leisten geschlagen: präfaschistische Kommißköpfe die einen, servile Unbelehrbare die anderen. Nun, in der DDR, porträtierte er ein ums andere Mal in Zeitungsartikeln und Erzählungen seine Mitbürger als Altlast der Geschichte.

Was Wunder, daß Heym den Aufstand vom 17. Juni 1953 als düstere Bestätigung empfand. Der Roman, in dem er das Ereignis zu deuten versuchte, kümmerte lange Jahre an der Zensur der SED, was Heyms Freund, der Regimekritiker Robert Havemann, in seinem Buch "Fragen, Antworten, Fragen" (1970) so kommentierte: "Stefan Heym sollte der Partei dafür dankbar sein, daß der ,Tag X' nie erschienen ist.

Heym übernimmt nämlich die grundfalsche offizielle Lesart, wonach der ,17. Juni' ein von den westlichen Geheimdiensten organisiertes konterrevolutionäres Unternehmen war."

Mehrfach umgeschrieben, doch im Prinzip unverändert, erschien der Roman später unter dem Titel "5 Tage im Juni" in einem Westverlag. Zu jener Zeit, 1974, war das Verhältnis zwischen Autor und SED-Regime längst vollends ruiniert. Die Partei, der Heym nie angehört hatte, verübelte ihrem Kritiker, daß er sie auf ihre Losungen festnagelte und ihr ständig aufrechnete, wie sie ihren veröffentlichten Anspruch verfehlte.

Als "feindlich-negativer Schriftsteller" wurde Heym Objekt der Überwachung durch die Staatssicherheit. Die Verlage der DDR verschlossen sich ihm, publizieren konnte er nur noch im Westen. Heym zögerte nicht, die Möglichkeiten zu nutzen, die der Klassengegner ihm bot, doch hat er niemals seine ideologische Position davon beeinflussen lassen.

Er blieb ein überzeugter Sozialist, und eben deshalb schien es ihm geboten, sich von den Verfälschern des Sozialismus in der DDR zu distanzieren. Eine schwierige Balanceübung, aber er meisterte sie. In den siebziger und frühen achtziger Jahren erschienen einige der wichtigsten, zugleich auch unterhaltsamsten Bücher aus seiner Feder: "Die Schmähschrift" (1970), eine Erzählung über den Konflikt des englischen Schriftstellers Daniel Defoe mit der Zensur der Queen Anne; "Der König David Bericht" (1972), ein Roman, in dem König Salomo die Vorgeschichte und Geschichte seiner Herrschaft umlügen läßt; der Roman "Collin" (1979), ein klinischer Bericht über Politik und Moral im SED-Staat; der Roman "Ahasver" (1981), in dem die Engel Ahasver und Luzifer aus dem Himmel durch die deutsche Geschichte stürzen, wobei sich am Ende erweist, daß der Staat DDR des Teufels ist.

Nicht aber die sozialistische Idee. Am 4. November 1989, während der Wende-Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz, stand der alte Stefan Heym auf dem Podium und beschwor die künftige, bessere, endlich richtige DDR. Elf Monate später war er Einwohner der Bundesrepublik. Enttäuscht publizierte er 1992 eine Sammlung grollender Kommentare ("Filz"), in denen er mit der ungeliebten neuen Gegenwart abrechnete, das Ostland als ausgebeutete Provinz schilderte und für deren Elend die Treuhand und die Gauck-Behörde verantwortlich machte.

Deutschland werde eine sozialistische oder gar keine Zukunft haben, sagte er damals in einem Interview mit der Ostberliner "Neuen Deutschen Literatur". Denn: "Wenn man ihnen (den Menschen im Osten) nicht eine demokratische Lösung anbieten kann, eine linke Lösung, dann werden sie nach rechts gehen, werden wieder dem Faschismus folgen . . ." Diese Überzeugung war es wohl auch, die ihn, solange es seine Gesundheit erlaubte, für Gysis Partei im Bundestag sprechen ließ, obwohl die doch aus dem Schoß jener SED geboren war, die den Schriftsteller und Bürger Heym vier Jahrzehnte lang schurigelte.

Warum bedeutet ihm dieses Faktum so wenig? Er hat es nie einleuchtend erklärt. Die Vermutung liegt nahe, daß es für ihn nur einen wirklich argen Feind gab, jenen, der so viele seiner Freunde, seiner Verwandten umgebracht hat. Die andere deutsche Diktatur bedrückte und ängstigte ihn, aber ließ ihn am Leben. Das erlaubte ihm bis zuletzt, zwischen lauterer Idee und mißlungener Realisierung fein zu unterscheiden.

Er war ein Einäugiger, und doch: Zum Streitgegner machten ihn Meinungen und Worte, mehr nicht. Aus dem langen Leben dieses Mannes ist keine Handlung bekannt, die ihm zur Unehre gereicht hätte. Das ist Grund genug, ihm Dank zu sagen für manche anregende Stunde mit den Büchern, die er für uns schrieb. Am Sonntag nachmittag ist Stefan Heym, der am 10. April 1913 geboren wurde, in Israel gestorben.

SABINE BRANDT

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2001, Nr. 293 / Seite 41

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Neues Deutschland Kultur 17.12.2001

Der Mann, der sich seinen Nachruf schrieb - Der Schriftsteller Stefan Heym ist tot

Von Horst Haase

Der Tod Stefan Heyms – wenngleich in biblischem Alter – ist für die linke deutsche Kultur sehr schmerzlich. Starb mit ihm doch ein Autor, der die Sprache mit hoher Wirksamkeit einzusetzen wusste, und der ein Werk schuf, das in Erzählungen, Reportagen, Essays und in einer Serie eindrucksvoller Romane unser widerspruchsreiches Jahrhundert aus einem Blickwinkel zur Darstellung brachte, wie er sich heute mehr denn je als notwendig erweist. Indem er sich als Schriftsteller besonders den politisch-gesellschaftlichen Facetten des Säkulums zuwandte, hat er einen unverzichtbaren Beitrag zur Erhellung jener historischen Vorgänge geleistet, die in den herrschenden Diskursen systematisch verdunkelt werden. Sozialisten und Demokraten haben einen engagierten Vorkämpfer verloren. Das wurde nicht zuletzt deutlich in jener Sternstunde deutscher Politik und Literatur, als dieser Autor, ein jüdischer deutscher Antifaschist, 1994 als Alterspräsident des Bundestages und damit vor der Weltöffentlichkeit seine Rede zur Eröffnung der Legislaturperiode hielt. Er beschwor darin nicht nur eine demokratische Politik angesichts sich abzeichnender neuer Großmachtallüren, rief in Hinblick auf die zu gestaltende deutsche Einheit zu Toleranz und Versöhnung auf, sondern gab mit der Berufung auf Clara Zetkin und Willy Brandt auch der deutschen Linken entscheidende Orientierungen. Im Zitat der Brechtschen Kinderhymne war vieles davon zusammengefasst – als Gleichnis auch dafür, was dieser Schriftsteller der Kunst zutraute und was er von ihr erwartete.

Stefan Heym wurde 1913 in Chemnitz geboren. In der Familie seiner Herkunft verlebte er eine behütete Kindheit und Jugend, die im Frühjahr 1933 jäh endete. Zwei Jahre zuvor hatte der Gymnasiast Helmut Flieg Verse veröffentlicht, die ihm nach dem Reichstagsbrand böse angekreidet wurden; das Militär fand sich darin bekrittelt, die neuen Machthaber hetzten den jungen Intellektuellen außer Landes. So hat Heym das harte Brot des antifaschistischen Exils von Beginn an gegessen. Unter diesen Bedingungen reifte er als Schriftsteller. Das hat ihn geprägt.

Da war, erst in der Tschechoslowakei, später in den USA, Kärrnerarbeit als Journalist zu leisten, ein Metier, das er sein Leben lang nie verschmäht hat und in dem er sich meisterlich auskannte. Als Mitarbeiter und Macher antifaschistischer Presseorgane hat er sich politisch profiliert. Auch sein literarisches Werk ist davon beeinflusst: Es gewann an Lebensverbundenheit, Klarheit und spannungsvoller Bewegtheit, aber auch gelegentliche kolportagehafte Züge dürften hier ihre Wurzeln haben.

Da waren die Wege in Redaktionen und Verlage, um eigene literarische Arbeiten in fremden Landen gedruckt zu sehen. Für den Anfänger und den Exilanten ein doppelt mühsames Geschäft. Das sich aber auszahlte in wachsendem Erfolg und als Erfahrung, wie Kunst unter die Leute zu bringen ist. Heym lernte es, eine publikumswirksame Literatur zu produzieren. In den USA wurde er zu einem Autor, dem die Bedeutung des Plots, die Dramaturgie einer Story, die innere Spannung einer Szene und vor allem die Notwendigkeit gründlicher und sauberer Recherchen für seine Prosa aufgingen.

Mit der US-Army zog er in den Krieg gegen Hitler-Deutschland. Als Antifaschist und Jude wie als Demokrat und gerade aufgenommener US-Staatsbürger sah er darin seine Pflicht. So marschierte er als Sieger in sein Geburtsland ein, aber ohne Triumph; in den »Crusaders« (1948), diesem Welterfolg, und vielleicht seinem besten Buch, hat er es beschrieben. An treudeutschen Stammtischen und bei den Traditionstreffen der Ritterkreuzträger hat man das nie verziehen. In den USA noch verfasste er zwei für ihn wichtige Romane: »Mit den Augen der Vernunft« (1951), dessen Titel bereits Programm war, und »Goldsborough« (1953), ein Werk, das seine Fähigkeit bewies, aufrechten Arbeitern literarische Gestalt zu geben. Letzteres bewährte sich später in seinem Buch über den 17. Juni 1953 in der DDR und in »Schwarzenberg« (1984), dem Roman über den Versuch einer basisdemokratischen Republik in einer »vergessenen« Ecke des Erzgebirges Mai/Juni 1945, den er einem anderen deutschen Arbeiter- und Bauernstaat als Spiegel vorhielt, der sich darin aber weder erkennen konnte noch wollte.

In die DDR war er zurückgekehrt, weil er sich als progressiver Autor, als Sozialist und mit einer eingeschriebenen Kommunistin als Ehefrau, im Amerika McCarthys nicht sicher fühlte. Es war ein kühner Schritt, verbunden mit großen Hoffnungen. Publizistische Arbeiten wie »Offene Worte. So liegen die Dinge« (1953) und »Offen gesagt« (1957) zeugten von Stefan Heyms Optimismus, auf deutschem Boden eine Alternative zum Kapitalismus schaffen zu können, die auf demokratischen Aktivitäten der Massen und auf der Mitarbeit der Künstler beruht. Das erwies sich jedoch mehr und mehr als eine Illusion. Mit seinen Büchern, die wie stets in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen suchten, hatte er bald erhebliche Schwierigkeiten. Als konsequenter Realist und unbestechlicher Kritiker wurde er zu einem Wortführer der oppositionellen Kräfte. In offener Attacke, wie in »Collin« (1979) gegen die Machenschaften des Sicherheitsdienstes, und in listigen Parabeln trug er seine Meinung vor. Bücher wie »Lasalle« (1969), »Der König-David-Bericht« (1972) und »Ahasver« (1981) brachten eine weit gespannte geschichtliche, philosophische und legendäre Thematik zum Tragen, deren hintergründige Symbolik entscheidende Schwachpunkte des realsozialistischen Systems bloßlegte. Die große regierungskritische Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, auf der auch Stefan Heym das Wort ergriff, war deshalb für ihn ein Moment der persönlichen Genugtuung und eine Bestätigung seines mutigen literarischen Werks. »Stalin verläßt den Raum« (1991) hieß eine Sammlung seiner Arbeiten, die diesen Vorgang mitbewirkt hatten.

Keineswegs einverstanden aber war er damit, wie sich nach der Wende von 1989/ 90 die deutsche Einigung entwickelte. Er hatte zunächst auf eine sich reformierende DDR gehofft. Als Schriftsteller operativ wie eh und je, stellte er in den Erzählungen des Bandes »Auf Sand gebaut« (1990) die Ungereimtheiten und Ungeheuerlichkeiten des Umbruchs und des Anschlusses dar. Seine »Gedanken über Deutschland« veröffentlichte er unter der bezeichnenden Überschrift »Filz« (1991). Er forderte Gerechtigkeit für die Menschen in den neuen Bundesländern. Das führte ihn konsequenterweise mit dem Mandat der PDS 1991 in den Bundestag, aus dem er allerdings voller Abscheu über die Diäten-Kungelei einer Mehrheits-Koalition bald wieder ausschied.

Seine Sache war denn doch eher die Literatur: Späte meisterliche Arbeiten wie der Roman über den Revolutionär und das tragische Stalin-Opfer »Radek« (1995) oder den die Großen seines Jahrhunderts auf listige Weise herausfordernden jüdischen Händler »Pargfrider« (1998) zeugten von der Richtigkeit dieser Entscheidung. Bis zum letzten Atemzug war er ein politisch bewusster Mensch, der nicht aufgab. Und er blieb immer ein Schriftsteller, den man wohl unter die geschmähten Gesinnungskünstler rechnen muss, der aber eben eine solche Kennzeichnung zu Recht als ein hohes Lob empfand.

Noch zu seinen Lebzeiten hat sich Stefan Heym einen »Nachruf« (1988) selbst geschrieben. Diese umfassende Autobiografie immer mal wieder zur Hand zu nehmen, gereicht dem toten Schriftsteller zur Ehre und hilft seinen Lesern, sich in der Welt von heute besser zurechtzufinden.

© ND GmbH 2001

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TAZ Lokales 16.12.2001

Stefan Heym in Israel gestorben

Der Schriftsteller Stefan Heym ist am Sonntag im Alter von 88 Jahren in Israel gestorben. Heym war unter anderem mit den Werken "Collin" und "Fünf Tage im Juni" über den Volksaufstand in der DDR 1953 bekannt geworden. Obwohl er sich zum "sozialistischen Deutschland" bekannte, um dessentwillen er aus amerikanischem Exil nach dem Krieg die DDR als Heimat wählte, wurde er zu einer Symbolfigur des geistigen Widerstands im SED-Staat. Aktiv blieb Heym auch nach dem Mauerfall. 1994 gewann er für die PDS das Bundestagsdirektmandat im Wahlkreis Mitte-Prenzlauer Berg. Seine Antrittsrede als Alterspräsident fand kontroverse Beachtung - der erste Schriftsteller und der erste Jude in diesem Amt, wie Heym hervorhob. Der Präsident der Akademie der Künste, der ungarische Schriftsteller György Konrád, würdigte Heym als "Berliner Schriftsteller-Doyen", der "in Unbilden eines langen Lebens sich treu geblieben ist".

PDS-Landeschef Stefan Liebich bezeichnete Heym als "unabhängigen Geist", der sein Leben und Werk in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt habe. DPA, TAZ

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Nachruf SEITE 3

STEFAN HEYM IST TOT

"Zwischen den Stüheln zu sitzen war meine Dauerposition" - und da hat sich der Autor, der kritische Sozialist, der Emigrant, der als US-Soldat 1945 zurückkehrte und die DDR von Anfang bis Ende mahnend begleitete, wohl gefühlt. Stefan Heym starb gestern im Alter von 88 Jahren in Israel

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Die bekanntesten Werke:

Der Geist und die Macht

Heyms erster Roman, "Hostages. A Novel" (in Deutschland erschienen als "Der Fall Glasenapp"), war noch eine relativ einfache Gut-böse-Geschichte über eine Geiselnahme im besetzten Prag und erschien 1942 in den USA. Erst sein dritter Roman, "Crusaders" (1948, "Der bittere Lorbeer"), wird von den Literaturkritikern als differenzierte Auseinandersetzung mit dem Faschismus höher eingeschätzt.

1951 siedelte Heym in die DDR über. "Im Kopf sauber. Schriften zum Tage" wurde 1954 in Leipzig veröffentlicht, es folgte 1957 "Offengesagt. Neue Schriften zum Tage". Heym beschäftigte sich neben zeitgeschichtlichen Themen auch mit historischen Stoffen.

Zu seinen Büchern gehören "Lenz oder die Freiheit" (1965, über den badischen Bauernaufstand) und "Lassalle" (1969), "Collin (1979)" und "Ahasver" (1981). Mit "Der König David Bericht" (1972), einem Buch über das Verhältnis von Geist und Macht und die Suche nach geschichtlicher Wahrheit, gelang ihm der Durchbruch in der Bundesrepublik. "Fünf Tage im Juni" begann Heym direkt unter dem Eindruck des 17. Juni 1953, sechs Jahre später war die erste Fassung des Romans fertig, wurde jedoch verboten - ebenso wie die zweite Fassung Anfang der 70er-Jahre, die letztendlich erst 1989 gedruckt wurde. Um die Wendejahre erschienen verschiedene Erzählungen und Essays. 1996 dann "Der Winter unseres Missvergnügens. Aus den Aufzeichungen des OV Diversant". Sein letzter Roman heißt "Die Architekten" und erschien im Jahr 2000.

Heyms Bücher sind derzeit bei Bertelsmann und im Fischer Taschenbuch Verlag erhältlich. REM

taz Nr. 6628 vom 17.12.2001, Seite 3, 46 Zeilen (TAZ-Bericht), REM, ni

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Dokumentation

Volk und Heym

"Liebe Freunde, Mitbürger, es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit.

Welche Wandlung! [. . .] In der Zeit, die hoffentlich jetzt zu Ende ist, wie oft kamen da die Menschen zu mir, mit ihren Klagen. [. . .]

Und ich sagte, so tut doch etwas. Und sie sagten resigniert, wir können doch nichts tun. Und das ging so in dieser Republik, bis es nicht mehr ging. [. . .] Die Mehrzahl erklärte [. . .]: Schluß, ändern, wir sind das Volk!"

Stefan Heym, 4. 11. 1989 auf der Massenkundgebung auf dem Ostberliner Alexanderplatz

"Die großen, die erhebenden Momente sind vorbei [. . .] Aus dem Volk, das nach Jahrzehnten Unterwürfigkeit und Flucht sich aufgerafft und sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und das soeben noch, edlen Blicks, einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde eine Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt, Hertie und Bilka zustrebten auf der Jagd nach dem glitzernden Tinnef.

Welche Gesichter, da sie, mit kannibalischer Lust, in den Grabbeltischen, von den westlichen Krämern ihnen absichtsvoll in den Weg platziert, wühlten; und welch geduldige Demut vorher, da sie, ordentlich und folgsam, wies ihnen beigebracht wurde zu Hause, Schlange standen um das Almosen, das mit List und Tücke Begrüßungsgeld geheißen war von den Strategen des Kalten Krieges. [. . .] Nicht sie sind schuld, diese Vergierten, an ihrer Entwürdigung; schuld sind die, die da in dem Land hinter der Mauer eine Wirtschaft führten, in welcher Mangel an Logik zu einem Mangel an Gütern führte [. . .]."

Stefan Heym, 4. 12. 1989 im "Spiegel"

taz Nr. 6628 vom 17.12.2001, Seite 3, 51 Zeilen (Dokumentation), Stefan Heym,

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Einer, der immer aneckte

Stefan Heym ist gestorben. Widersetzen war der Lebensinhalt des Schriftstellers - bis zum Schluß - von NICK REIMER

Parterre. Zum Schluss stand der Computer im Wohnzimmer. "Ich bin ein alter Knochen", pflegte Heym zu kokettieren. Natürlich meinte er damit den immer schwereren Gang über die Treppen, die in sein Arbeitszimmer führten, und nicht sein Schreiben. Stefan Heym hat immer geschrieben. Schon auf dem Gymnasium in Chemnitz brachte er mit für seine Jugend erstaunlich spitzer Feder Antikriegsgedichte zu Papier, was ihm prompt die Relegation einbrachte. Aber auch das ist charakteristisch für Stefan Heym: Kantig, trotzig, bissig widersprach er, wo es nötig schien; weise, hitzig, wortgewandt legte er sich an mit Macht und Mächtigen. Was schwer ist und Schwierigkeiten macht. Aber genau so war das Leben von Stefan Heym.

Schwierigkeiten. Sein Ganzes Leben begleiteten sie ihn. Stefan Heym, der als Helmut Flieg geboren wurde, gelang unter Schwierigkeiten 1933 über Prag die Flucht nach Amerika. Heym hatte in Ossietzkys Weltbühne gegen die Nazis angeschrieben.

Unter Schwierigkeiten leitete er in New York das Deutsche Volksecho", eine antifaschistische Wochenzeitung, die schon bald Pleite ging, weil sie ins offizielle Deutschlandbild der USA so gar nicht passen wollte. Als Propagandaoffizier für die US Army lernte Heym dann die Schwierigkeiten des Krieges gegen sein Volk kennen - und muckte gegen die amerikanische Besatzungsmacht auf, was ihm die Versetzung nach Amerika einbrachte. Dort interessierten sich bald die Kommunistenjäger für den Deutschen: Der Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Senators Joseph McCarthy ließ Heym überwachen und vorladen. Heym hielt es für an der Zeit, in seine Heimat zu übersiedeln, in den demokratischen Teil, nach Ostberlin, was ihm allerdings mehr Schwierigkeiten einbrachte als gedacht. Und kaum anderthalb Jahre zurück, erregte er ob seines Eintretens für eine kritische Debatte nach dem 17. Juni 1953 das Missfallen Walter Ulbrichts. Die offene Kontroverse mit Ulbricht folgte beim Schriftstellerkongress 1956, und als Erich Honecker im November 1965 auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED Heyms Roman "5 Tage im Juni", der den Aufstand von 1953 reflektierte, resolut angriff, war die politische und persönliche Isolation des Schriftstellers besiegelt. Stefan Heym durfte nicht mehr publizieren.

Heym gehörte zu den Ersten, die sich 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wandten. Fortan war Stefan Heym die schreibende Unperson Nummer eins der SED. "Das Bild unserer Menschen ist empörend verfälscht", schrieb die Kulturzeitschrift Sonntag 1979 über seine neuesten Unbotmäßigkeit. Die war unter dem Titel "Collin" im deutschen Westen erschienen, ein Roman, der schonungslos mit der stalinistischen Realität des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden abrechnet. Bislang lediglich isoliert, lieferte jens Buch der Staatsmacht den willkommenen Anlass, Heym nun auch strafrechtlich zu verfolgen - etwa wegen des Vergehens gegen die Devisenbestimmungen der DDR. Aus dem Schriftstellerverband der DDR wurde daraufhin der unbequeme Autor ausgeschlossen. Aber Stefan Heym blieb in der DDR, seinen Lesern zu Liebe: die saugen seine kluge Ketzerei auf wie das Wasser in der Wüste. Was Heym zum Nestor der Bewegung werden ließ, die 1989 die SED hinwegfegte.

Auch im neuen Deutschland fand sich Stefan Heym schnell auf der Seite derer wieder, die gegen sind. Heym wandte sich gegen eine vorschnelle Wiedervereinigung, gegen die Schließung der Kalisalzgrube in Bischofferode, gegen die Bombardierung Serbiens. Doch das neue Deutschland bot ihm auch die Chance einmal dafür zu sein: Im November 1994 wählte der Deutsche Bundestag Stefan Heym zu seinem Alterspräsident, den er mit einer im Vorfeld gefürchteten, dann als klug bezeichneten Rede eröffnete. Der einzige wortgewaltige Auftritt des Wortgewaltigen im deutschen Parlament.Wenig erfolgreich, wie der wenig später feststellen musste: 1995 legte er sein Mandat nieder, aus Protest gegen eine geplante Diätenerhöhung, wie Heym begründete; aber dass ist natürlich nur die halbe Wahrheit.

Stefan Heyms Bücher historischen Romane sind die besseren Bücher; sein Generalthema war von Anfang an historisch und politisch: Revolution, Diktatur, Freiheit, Demokratie und Sozialismus - abstrakta, deren Kongruenz er nicht a priori vorraussetzt.

Woher nah er dass, woher die ganze Kraft? "Ich habe schon Bücher geschrieben, als es die DDR noch nicht gab", pflegte Heym vor 1989 zu sagen. Nie sei er "zu Kreuze gekrochen, habe nie eine Hand zum Verrat gereicht", sagte er gern danach. Und die Anfeindungen machten ihn stark. Zweifelsfrei hatte Stefan Heym das, was er bei den Ostdeutschen im Jahre 1989 so sehr vermisste, sein Leben lang praktiziert: Den Aufrechten Gang.

"Das kenn ich gut", sagte Heym, als es die taz vor Jahresfrist mal wieder vor finanziellen Problemen stand. Schließlich ging es 1939 seinem "Deutschen Volksecho" auch enorm schlecht. Heym ist damals losgezogen um Unterstützung und Geld aufzutreiben.

"Aber damals interessierte sich niemand für die Nazis". Aus Sympatie schenkte Heym der taz zum letzten Weihnachtsfest eine Geschichte: "Mein lieber Klon!" Als hätte Heym es geahnt, kam er mit seinem Thema - der Klonierung des Menschen - zur richtigen Zeit: Die britische Regierung hatte gerade das Klonen von Embryonalzellen genehmigt.

Weder Weihnachten noch das Klonen des Menschen wird Stefan Heym erleben. Gestern ist der große, linke Chronist des vergangenen deutschen Jahrhunderts gestorben. In Israel erlag er einem Herzversagen. Der Tod ereilte ihn symbolträchtig: Der Jude Heym war in das jüdische Land gereist, um an einem Kongress über den Deutschen Dichter Heinrich Heine zu referieren. Den verehrte Heym enorm. Schon in seiner Magisterarbeit an der Universität von Chicago hatte sich Heym mit Heine befasst.

taz Nr. 6628 vom 17.12.2001, Seite 3, 160 Zeilen (Portrait), NICK REIMER,

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