Presse-Info >Genozid-Leugnung auf "türkischer Art"<
Aargauer Zeitung Politik 5.9.2001
Debatte mit neuen Vorzeichen
Armenien Ein Volk wehrt sich gegen das Vergessen eines Genozids
Seit gestern müssen sich 17 Türken vor Gericht verantworten. Sie streiten ab, dass die Türkei einen Völkermord an den Armeniern verübt hat. Ein Verfahren mit politischem Zündstoff für die Schweiz. - von Hans Peter Roth
Wir wollten einfach die Meinung der türkischen Bevölkerung in der Schweiz vertreten», sagte der Präsident der Koordinationsstelle der türkischen Verbände in der Schweiz, der seit gestern wegen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern vor dem Kreisgericht Bern-Laupen steht. Gegen ihn und 16 weitere Vertreter türkischer Organisationen reichte die Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA) 1997 Klage ein. Die GSA reagierte damals auf eine Petition türkischer Organisationen, in der es hiess, der Vergleich zwischen dem Holocaust und den Deportationen von Armeniern um 1915 entbehre jeder Grundlage.
«Nichts gegen Armenier»
Mit der umstrittenen Petition hatten die
türkischen Verbände ihrerseits reagiert auf die Bemühungen der GSA, auf
politischer Ebene die Massaker und Deportationen als Genozid anerkennen zu
lassen. Dafür wurden 1995 Unterschriften gesammelt. Auf türkischer Seite
empfinde man die Vorstösse der GSA als «Hetzkampagne», sagte der Angeklagte.
Es gebe keinen Grund, sich heute für die von ihm mit initiierte und
unterschriebene Petition zu entschuldigen. Unisono mit ihm gaben auch die drei
anderen gestern Befragten zu Protokoll, sie hätten persönlich nichts gegen die
Armenier und empfänden sie als ganz normale «Landsleute». Der Angeklagte war
von 1995 bis 1998 Mitglied der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Ende
1998 sei er ausgetreten «aus zeitlichen Gründen» und um die Kommission wegen
des Verfahrens «nicht zu belasten».
Mit dem gestern eröffneten Verfahren betritt Gerichtspräsident Lienhard
Ochsner Neuland. Denn mit Artikel 261 bis des Strafgesetzbuches haben
die Armenier in der Schweiz ein Mittel in der Hand, gerichtlich gegen
Rassendiskriminierung vorzugehen. Der seit 1995 geltende Artikel sieht für
Verstösse gegen die Antirassismusnorm Strafen von Busse bis Haft vor. Doch
bisher kam er nur im Zusammenhang mit der Leugnung des Holocaust zur Anwendung.
Dass die Premiere politisch brisant ist, zeigte sich am Sicherheitsdispositiv im
und um das Berner Amtshaus und am nur durch den Hintereingang eingelassenen
Medientross, der den Gerichtssaal bis auf den letzten Platz füllte.
Brisant ist das Verfahren, weil es im Fall einer Verurteilung der Angeklagten
das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Türkei erneut stark belasten
könnte. Und wegen der Frage, ob mit gleichen Ellen gemessen wird, wenn 261 bis
bei anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit als dem Holocaust zur Anwendung
kommt.
Nur «tragische Ereignisse»?
Dass politische Opportunitäten hier
durchaus mitspielen könnten, zeigte Joseph Deiss letzten Januar: Von der
Öffentlichkeit praktisch unbemerkt versprach der schweizerische Aussenminister
seinem türkischen Amtskollegen Ismail Cem: Der Bundesrat werde den Begriff
«Völkermord» für die Massaker an den Armeniern in den Jahren 1915 bis 1918
auch künftig nicht in den Mund nehmen. Diese Haltung steht nicht nur im
Widerspruch zur Uno-Konvention, die der Bundesrat letztes Jahr ratifiziert hat,
und zur Position des Europäischen Parlaments, das den durch die Türkei
verübten Genozid als solchen anerkennt. Mit der Antirassismus-Strafnorm könnte
die Schweizer Haltung gar als Verharmlosung von Völkermord ausgelegt werden.
Immerhin geht es um einen historisch belegten Genozid, der bis zu 1,5 Millionen
Armeniern das Leben kostete.
Wirtschaftlich gesehen ist es dagegen nachvollziehbar, dass die offizielle
Schweiz lediglich von «tragischen Ereignissen» spricht. Immerhin ist sie
weltweit fünftgrösste Investorin in der Türkei.
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Berliner Zeitung Lokales 6.9.2001
Türkei will keine Gedenkstätte für den "Oskar Schindler von Potsdam"
Stadt und Land unterstützen Ehrung von Johannes Lepsius
Jens Blankennagel
POTSDAM. Es ist nur eine unscheinbare und ziemlich verfallene Villa in der Großen Weinmeisterstraße 45 in Potsdam. Doch das alte Gemäuer, in dem der Theologe Johannes Lepsius von 1907 bis 1925 lebte, sorgt für internationale Aufregung. Denn dort soll eine Erinnerungsstätte für den Menschenrechtler eingerichtet werden. Doch da Lepsius - einer der bedeutendsten Humanisten seiner Zeit - in den Jahren 1915/16 gegen den Völkermord der Türken an den Armeniern protestiert und vielen Armeniern das Leben gerettet hat, regt sich Widerstand aus Ankara.
"Rechtsextreme Brutstätte"
Die türkische Regierung bestreitet, dass es diesen Genozid gegeben hat und kämpft gegen die Renovierung des Lepsius-Hauses. "In einer groß angelegten Aktion wurde versucht, Oberbürgermeister Matthias Platzeck und andere unter Druck zu setzen", sagt der Hallenser Historiker Hermann Goltz, der seit 1975 über Lepsius forscht und das Gedenkstätten-Projekt wissenschaftlich betreut. Immer wieder hätten das türkische Generalkonsulat und türkische Vereine in Briefen gedroht, dass 200 000 Türken, die in der Region leben, gegen das Lepsius-Haus demonstrieren würden.
Nachdem die Landesregierung einen Förderantrag für den Umbau der verfallenen Villa nicht bewilligt hat, wurde der Vorwurf laut, Ministerpräsident Manfred Stolpe und Platzeck (beide SPD) hätten sich dem Druck der türkischen Seite gebeugt. "Wir sind nicht eingeknickt", sagte Regierungssprecher Manfred Füger. Das Land stehe weiter voll zu dem Ziel, den bedeutenden Potsdamer zu ehren. Stolpe habe der türkischen Regierung versichert, dass in dem Haus keine antitürkische Propaganda betrieben werde. "Die türkische Seite hatte in den letzten Monaten bei jeder Gelegenheit ihre Angst geäußert, dass das Haus zu einer Brutstätte des Rechtsextremismus oder gar ein Anlaufpunkt für armenische Terroristen werden könnte", sagte Füger.
Oberbürgermeister Platzeck sagte, dass es massenhaft anonyme Drohbriefe gegeben habe. "Aber so etwas bekommen wir oft. Davon lassen wir uns nicht beirren." Die Stadt stehe weiter dazu, in der Villa eine "Stätte der Begegnung, Forschung und Aussöhnung" zu schaffen. Da das Haus aber nicht der Stadt, sondern der Schlösserstiftung gehöre, müsse diese mit dem privaten Förderverein "Lepsius-Haus" Sponsoren finden.
Der Förderantrag für die Villa musste aus formalen Gründen ablehnt werden, sagte Holger Drews, Sprecher des Kulturministeriums. "Es gab keine politischen Gründe."
"Wir brauchen 1,6 Millionen Mark für den Umbau", sagte Hans-Ulrich Schulz, Chef des Fördervereins und Generalsuperintendent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. "Wir lassen uns nicht entmutigen und stellen weiter Förderanträge." Es gehe nicht darum, die Türken "vorzuführen", sondern um einen Dialog über die Geschichte und um das Gedenken an einen Mann, der ungewöhnliche Zivilcourage gezeigt habe.
"Urvater der Menschenrechte"
"Lepsius ist eigentlich ein größerer Oskar Schindler als Schindler", sagte Professor Goltz. Lepsius habe den Völkermord nicht nur als Augenzeuge dokumentiert, er sei auch Anwalt und Helfer der Armenier gewesen. "Er ist dort so etwas wie ein inoffizieller Heiliger, der Waisenhäuser und Schulen gründete und Tausende Menschenleben rettete."
Doch obwohl der Völkermord und die Hilfe durch Lepsius belegt sind, habe die Potsdamer Politik merken müssen, dass das Thema ein "heißes Wespennest" sei. "Die Leugnung dieses Völkermordes ist eine wissenschaftlich nicht haltbare und längst zu revidierende Doktrin des türkischen Staates", sagte Goltz. Er hofft, dass die Politiker sich jetzt mit ihrer ganzen Autorität für das Haus einsetzen. "Vielleicht war erst der türkische Protest nötig, damit sie erkennen, dass es eine Sünde wäre, die Gedenkstätte für einen der Urväter der Menschenrechte nicht einzurichten."
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Tagesspiegel Vermischtes 6.9.2001
Potsdamer Lepsiushaus - Türkische Diplomaten machen Druck auf Platzeck
Restaurierung des historischen Gebäudes soll verhindert werden
Michael Mara
Diplomatische Verwicklungen um das Potsdamer Lepsiushaus: Die Türkei übt offenbar auf Brandenburgs Landesregierung Druck aus, um die Einrichtung einer Gedenkstätte für den großen deutschen Theologen und Humanisten Johannes Lepsius zu verhindern. Lepsius (1858-1926) hatte den türkischen Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915/16 dokumentiert, bei dem mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder getötet wurden - und den die Türkei bis heute offiziell bestreitet. Das ARD-Magazin "Report" warf Ministerpräsident Manfred Stolpe und Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck (beide SPD) am Montagabend vor, sich aus Opportunitätsgründen dem Druck zu beugen: Nachdem sie zunächst für das Projekt geworben hätten, liege es jetzt auf Eis: Fördermittel würden nicht bewilligt, man hülle sich in Schweigen. Laut "Report" soll Platzeck "massive Drohungen, auch von offizieller türkischer Seite" erhalten haben.
Platzeck bestätigte das so allerdings nicht: Richtig sei, dass der türkische Gesandte ihn aufgesucht und Bedenken vorgetragen habe, sagte er dem Tagesspiegel. Es seien auch Briefe eingetroffen, doch habe es keine "massiven Drohungen" gegeben. Auch die Staatskanzlei bestritt, dass Ministerpräsident Stolpe unter dem Druck der Türken "eingeknickt" sei: Richtig sei, so der Vize- Regierungssprecher Manfred Füger, dass die Türkei keine offizielle Gelegenheit verstreichen lasse, ohne "das Problem Lepsiushaus" anzusprechen. Stolpe versuche, der türkischen Diplomatie die Sorge vor der geplanten Gedenk- und Begegnungsstätte zu nehmen. Er habe wie Armenien auch die Türkei eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen und zugesichert, dass daraus keine "Brutstätte für armenischen Extremismus" werde. Dass im Moment kein Geld für das Lepsiushaus vorhanden sei, habe nichts damit zu tun, "dass man der Türkei politisch entgegenkommt", so Füger.
Platzeck verwies darauf, dass die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Eigentümer des Hauses sei und nicht die Stadt. Warum die Stiftung nicht mit der Rekonstruktion des Hauses am Neuen Garten - in der Sichtachse des Belvederes - beginnt, war gestern nicht zu erfahren. Es hieß lediglich, man bemühe sich, "die Finanzierung zustande zu bringen". Das Kulturministerium bestätigte, dass ein Fördermittel-Antrag der Stiftung abgelehnt worden sei: Die Mittel hätten aus dem Programm "Dach und Fach" des Bundes kommen sollen. Angeblich soll das Förderkriterium "akut vom Verfall bedroht" bei der Lepsiusvilla nicht gegeben sein. Auch werde die Stiftung, die über einen Investitionsetat von 26 Millionen Mark jährlich verfüge, selbst gefördert. Und Doppelförderung sei nicht üblich.
Unterdessen bekräftigte der Vorsitzende des Fördervereins für das Lepsiushaus, Hans-Ulrich Schulz, dass ein Zusammenhang zwischen "der plötzlichen Zurückhaltung in Potsdam" und der türkischen Intervention "nicht auszuschließen" sei. "Wir waren auf gutem Weg, es bestand Einvernehmen, jetzt passiert nichts", sagte Schulz, der auch Generalsuperintendent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg ist. Der Förderverein, der die Gedenkstätte aufbauen und betreiben will, habe "eine Flut von ähnlich formulierten Protestbriefen" gegen das Projekt erhalten. Der Vorwurf darin: Man lasse sich von den Armeniern instrumentalisieren. Versuche, türkische und armenische Diplomaten an einen Tisch zu bringen, scheiterten bisher. "Die Fronten sind verhärtet", hieß es im Umfeld Stolpes und Platzecks. Auch soll die türkische Seite bereits gegen die "Report"-Sendung interveniert haben. Auch das Auswärtige Amt in Berlin soll signalisiert haben, dass man kein Interesse an einer weiteren Eskalation habe. Die türkische Botschaft war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Wie leicht die Situation sich zuspitzen kann, zeigte im Frühjahr die türkische Reaktionen auf die Entscheidung des französischen Parlaments, den Armenier-Mord offiziell zum Genozid zu erklären. Die Türkei boykottierte daraufhin französische Firmen, schloss sie von Ausschreibungen aus.
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Tagesspiegel Vermischtes 6.9.2001
Potsdamer Lepsiushaus
Kommentar: Langer Schatten des Völkermords
Fan
Der Begriff "Tolerantes Brandenburg" zählt zum Pflichtvokabular der Landesregierung, wenn über Rechtsextremismus gesprochen wird. Gemeint ist dann nicht nur das umfangreiche Handlungskonzept, sondern auch eine Haltung - mit dem Begriff wird Engagement gegen nationalistische Umtriebe propagiert. Wie steht es nun um die Zivilcourage der Regierung und des Potsdamer Oberbürgermeisters, wenn nicht Skinheads rumoren, sondern die Repräsentanten eines Nato-Landes? Die türkische Botschaft übt offenbar Druck aus, damit Potsdam auf die Gedenkstätte "Lepsiushaus" verzichtet, in der vom Völkermord an den Armeniern die Rede sein soll. In der Türkei gilt die Leugnung dieses Verbrechens, dem im Ersten Weltkrieg eine Million Armenier zum Opfer fielen, als eine Art Staatsräson. Ist diese nun stärker als das Bekenntnis der Regierung Stolpe/Schönbohm zum "Toleranten Brandenburg"? Es gibt Anzeichen, dass Potsdam zurückweicht, auch auf Wunsch der Bundesregierung. Und auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit.
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Lausitzer Rundschau Lokales 5.9.2001
Diplomatisches Hin und Her mit der Türkei um verfallendes Haus in Potsdam
Verwicklungen um Lepsius-Gedenkstätte
Diplomatisches Hin und Her mit der Türkei um verfallendes Haus in Potsdam
von MICHAEL MARA
Diplomatische Verwicklungen um das verfallene Lepsiushaus in Potsdam, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört: Die Türkei übt offenbar auf Brandenburgs Landesregierung Druck aus, um die Einrichtung einer Gedenkstätte für den großen deutschen Theologen und Humanisten Johannes Lepsius zu verhindern. Lepsius (1858-1926) hatte den türkischen Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915/16 dokumentiert. In der Gedenkstätte sollte an den Genuzid erinnert werden, dem etwa eine Million Armenier zum Opfer fielen, was die Türkei jedoch bis heute offiziell bestreitet. Das Fernsehmagazin Report Mainz warf Ministerpräsident Manfred Stolpe und Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck am Montagabend vor, sich aus Opportunitätsgründen dem diplomatischen Druck zu beugen: Nachdem sie zunächst für das Projekt Lepsiushaus geworben hätten, liege es jetzt auf Eis: Fördermittel würden nicht bewilligt. Beide hüllten sich in Schweigen. "Es ist ein unwürdiges Spiel, was hier betrieben wird", kommentierte Report Mainz. Politiker, die so gern mehr Zivilcourage forderten, sollten sie auch selbst gegenüber einer befreundeten Regierung aufbringen und die Wahrheit nicht verschweigen. Laut Report soll Oberbürgermeister Platzeck "massive Drohungen, auch von offizieller türkischer Seite" erhalten haben. Platzeck bestätigte das allerdings so nicht: Richtig sei, dass der türkische Gesandte ihn aufgesucht und Bedenken vorgetragen habe. Es seien auch Briefe eingetroffen, doch habe es keine "massiven Drohungen" gegeben. Auch die Staatskanzlei bestritt, dass Ministerpräsident Stolpe vor dem türkischen Druck "eingeknickt" sei: Richtig sei, so der stellvertretende Regierungssprecher Manfred Füger, dass die Türkei keine offizielle Gelegenheit verstreichen lasse, ohne das Lepsius-Haus anzusprechen. Stolpe versuche seit längerem, der türkischen Politik und Diplomatie die Sorge vor der geplanten Gedenk- und Begegnungsstätte zu nehmen. Er habe ebenso wie Armenien auch die Türkei eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen und zugesichert, dass daraus keine "Brutstätte für armenischen Extremismus" werden solle. Dass im Moment kein Geld für die Rekonstruktion des Lepsiushauses vorhanden sei, habe nichts damit zu tun, "dass man der Türkei politisch entgegenkommt". Platzeck verwies darauf, dass die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Eigentümer des Hauses sei und nicht die Stadt. Warum die Stiftung nicht mit der Rekonstruktion des Hauses am Neuen Garten beginnt, war gestern nicht zu erfahren. Es hieß lediglich, man bemühe sich, "die Finanzierung zustande zu bringen".
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Quelle
Mittwoch, der 5. September 2001 / 14:35 Uhr
Türkei bestreitet Völkermord und verhindert deutsche Gedenkstätte
- In Potsdam sollte das Haus des Theologen Johannes Lepsius als Gedenkstätte für den Völkermord der Türken an den Armeniern in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ausgebaut werden
- Dies hat die Türkei nun mit großem diplomatischem Aufwand verhindert. Auch bestreitet sie, dass der Völkermord, obwohl historisch belegt, jemals stattgefunden hat und bezeichnet alle, die anderer Meinung sind, als Lügner oder von Propaganda verblendete.
- Deutsche Politiker ließen sich von den Drohungen der Türken (NATO Mitglied, eventuelles zukünftiges EU-Mitglied) so einschüchtern, dass keiner mehr was von der Errichtung der Gedenkstätte wissen möchte.
Meinung zur News:
Ist schon traurig, wie wenig Rückgrat deutsche Politiker haben, wenn ihnen sogar historische Fakten egal sind und sie sich lieber von anderen sagen lassen, was sie zu tun und zu lassen haben.
Aber die Türkei ist eben ein wichtiger Handelspartner, besonders für Waffen. Die Armenier sind das nicht...
(original-Quelle - http://www.swr.de/report/archiv - die Sendung vom 3.9.01)
Report Mainz
am 3. September 2001 im Ersten
Völkermord -
Die Armenienfrage und die feigen Politiker
Unser nächster Beitrag handelt von einem unscheinbaren Haus in Potsdam. Über Nacht ist es zu einem Politikum geworden. Anfang des vorigen Jahrhunderts wohnte der Theologe Johannes Lepsius in diesem Haus, ein bedeutender Humanist, der die Verfolgung der Armenier durch die Türken dokumentiert hat.
Und genau hier liegt das Problem: Kämpften Potsdams Oberbürgermeister und Brandenburgs Ministerpräsident zunächst mit großem Elan für die Sanierung des historischen Gebäudes, sind sie auf einmal ganz still. Denn der Türkei, dem NATO-Partner und EU-Beitrittskandidaten, ist das Werk von Johannes Lepsius ein Dorn im Auge. Die Erinnerung an den türkischen Völkermord an den Armeniern. Eric Friedler und Barbara Siebert berichten.
BERICHT:
Potsdam. Dieses unscheinbare Haus ist zum Gegenstand diplomatischer Verwicklungen geworden. Warum, dies erzählt uns der Generalsuperintendent der evangelischen Kirche Brandenburg. In diesem Haus, so berichtet er uns, lebte bis 1926 Johannes Lepsius, einer der großen Humanisten seiner Zeit. Er hatte tausenden armenischen Waisenkindern das Leben gerettet. Seine Hinterlassenschaft sollte hier endlich der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Doch genau dies provozierte die Republik Türkei. Heftige Reaktionen folgten.
O-Ton, Hans-Ulrich Schulz, Generalsuperintendent Ev. Kirche, Berlin-Brandenburg:
»Dass die große Türkei, diese großartige Nation, mit dem kleinen Lepsius-Haus, mit diesem Erinnerungsort in Potsdam ein so großes Problem hat, und eine Staatsaffäre daraus macht, ist doch ein Umstand, der uns sehr erschüttert.«
1915: Der Pfarrer Johannes Lepsius wird Zeuge eines furchtbaren Verbrechens.
Im osmanischen Reich, der heutigen Türkei, erlebt er die massenhafte Vernichtung armenischer Männer, Frauen und Kinder.
Was damals geschah, ist heute bis in die Einzelheiten von Historikern erforscht.
O-Ton, Dr. Hans-Lukas Kieser, Universität Zürich:
»Der junge türkische Staat hat mit bewussten Maßnahmen die direkten Massakrierungen, die Deportationen in den Tod, die Vernichtung in Konzentrationslagern eingeschlossen, eine Million Menschen, Armenier, vernichtet.«
Lepsius versuchte, die Welt wachzurütteln, vergeblich. Und so dokumentierte er den Massenmord in allen Einzelheiten, sammelte Augenzeugenberichte, mobilisierte Hilfe, gründete Waisenhäuser für armenische Kinder. Heute gibt es ein Wort für das, was Lepsius’ Erbe bezeugt: Genozid, also Völkermord.
O-Ton, Prof. Martin Tamcke, Universität Göttingen:
»Wenn ich als Genozid verstehe, dass ein Volk planmäßig verfolgt wurde, und dass es selbst keine Möglichkeit hatte zu einer aktiven Abwehr, dann ist dieser Vorgang, der in der Türkei, besser damals dem Osmanischen Reich, stattfand, ein Genozid. «
Für die Republik Türkei ein brisantes Thema, die Einschätzung eindeutig. Der türkische Botschafter:
O-Ton, Frage:
»Gab es jemals einen Völkermord oder einen Massenmord an Armeniern im osmanischen Reich in den Jahren 1915/16?«
O-Ton, Osman Korutürk, Botschafter der Republik Türkei:
»No.«
O-Ton, Frage:
»Können sie das wiederholen? Gab es das niemals?«
O-Ton, Osman Korutürk, Botschafter der Republik Türkei,:
»No, no.«
Mit dieser Haltung kollidierte die geplante Einrichtung des Lepsiushauses. Professor Hermann Goltz hat das Erbe von Lepsius wissenschaftlich ausgewertet. Er hatte gehofft, dass es im Lepsiushaus zur Aufklärung und als Fundament des Dialogs zwischen Armeniern und Türken dienen könnte. Stattdessen lud der türkische Botschafter ihn ein und teilte ihm mit,...
O-Ton, Prof. Hermann Goltz, Universität Halle Wittenberg:
»...dass eine solche Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern auch eine Gefährdung der Türkei ist, indem nämlich Ansprüche geltend gemacht werden, und dass letztlich, diese Konsequenz wurde sogar im Gespräch mit dem Botschafter gezogen, letztlich unsere Initiative, so lachhaft für uns dieses klang, dass unsere Initiative dazu beiträgt, die Türkei aufzulösen.«
O-Ton, Frage:
»Ihrer Ansicht nach also, lügen diejenigen, die über den Völkermord an den Armeniern sprechen?«
O-Ton, Osman Korutürk, Botschafter der Republik Türkei:
»Entweder sie lügen absichtlich, oder sie sind fehlgeleitet. Fehlgeleitet durch die jahrelange Propaganda der armenischen Diaspora.«
April 2001. Im französischen Parlament wird eine Resolution verabschiedet. Der Völkermord an den Armeniern wird als historische Tatsache anerkannt. Auch dem deutschen Bundestag könnte eine solche Resolution bevorstehen. Ein Gruppenantrag soll eingebracht werden. Der Fraktionsvorstand der SPD rät seinen Abgeordneten, nicht dafür zu stimmen. Das Thema sei Sache der Historiker, für ein Parlament nicht geeignet. Der Völkerrechtler:
O-Ton, Prof. Otto Luchterhand, Universität Hamburg:
»Der Hauptgrund, der die Politiker in der Bundesrepublik in ihrer Mehrheit dazu veranlasst, von einer solchen Resolution abzusehen, ist, auf einen Punkt gebracht, politischer Opportunismus. «
Auch die CDU ist gegen eine Resolution. Sie würde die Position der NATO, die wirtschaftlichen Interessen, und das Verhältnis zu den 2,5 Millionen Türken in Deutschland belasten.
O-Ton, Karl Lamers, MdB/Außenpolitischer Sprecher der CDU:
»Hintergrund ist der Umstand, dass die Türkei und auch leider der Großteil der hier lebenden Türken eine sehr, ja man muss schon so sagen, nationalistische Haltung hat, die gespeist ist aus einer Mischung von Komplexen und Überheblichkeitsgefühlen. Unsicherheit und Überheblichkeit paaren sich, wie häufig in solchen Fällen, in einer negativen Weise und die Position verhärtet sich nur. Das kann nicht der Sinn einer solchen Initiative sein.«
Zurück nach Potsdam. Die Zurückhaltung der Bundespolitik gegenüber der Türkei hinterlässt auch auf lokaler Ebene Spuren. Das Lepsiushaus, Teil des Unesco-Weltkulturerbes, verfällt. Eigentlich schien die Renovierung sicher, eine Förderung durch das Land in Aussicht gestellt.
O-Ton, Hans-Ulrich Schulz, Generalsuperintendent Ev. Kirche, Berlin-Brandenburg:
»Das war in Potsdam und im Land Brandenburg mit Sicherheit politisch gewollt, wir fühlten uns da sehr gut unterstützt. Es gibt Aussagen vom Kulturminister des Landes Brandenburg, es hat öffentliche Veranstaltungen gegeben, in denen also diese Unterstützung deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist.«
1998. Das geistliche Oberhaupt der Armenier, der Katholikos, besucht Potsdam. Thema seiner Gespräche mit Ministerpräsident Stolpe ist auch das Lepsiushaus. Hier soll, so der Kulturminister, ein Zentrum zur Erinnerung an den Völkermord entstehen. Für den Potsdamer Oberbürgermeister Matthias Platzeck sogar Chefsache. Man kann es nachlesen: Er vergleicht Lepsius mit Oskar Schindler, nennt den Wiederaufbau „unser Potsdamer Vorhaben". Heute schweigt Matthias Platzeck in Sachen Lepsiushaus, lehnt ein Interview ab. Nach REPORT-Recherchen erhielt er massive Drohungen, auch von offizieller türkischer Seite. Man könne für nichts garantieren, der Wiederaufbau des Lepsiushauses hätte schlimme Konsequenzen.
O-Ton, Prof. Hermann Goltz, Universität Halle Wittenberg:
»Ich weiß auch sicher, dass der Oberbürgermeister von Potsdam unter einem ganz erheblichen Druck gesetzt worden ist. Das ging bis dahin, dass man Massendemonstrationen der türkischen Bürger von Berlin in Potsdam angedroht hat, man hat sogar von Zahlen gesprochen, 200.000 Türken werden Potsdam belagern, gegen diese unsere Initiative, des Wiederaufbaus des Lepsiushauses.«
Staatskanzlei Brandenburg. Auch hier gab es Interventionen, die türkische Zeitung „Hürriyet" vermeldet stolz, Ministerpräsident Stolpe garantiert offiziellen türkischen Vertretern, dass es einen Missbrauch des Lepsiushauses nicht geben wird. Was auch immer damit gemeint ist, heute steht jedenfalls fest: Es gibt kein Fördergeld für das ursprünglich politisch so sehr erwünschte Projekt.
O-Ton, Osman Korutürk, Botschafter der Republik Türkei:
»Unsere Meinung ist: Wenn ein Archiv in dem Lepsiushaus entsteht, dann darf dieses nicht für falsche Zwecke missbraucht werden. Wir wissen, dass einige armenische Diaspora-Kreise Dokumente fälschen. Um die Wahrheit zu verdrehen.«
Auch Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes sahen sich bemüßigt einzugreifen. Inoffiziell teilten sie den Initiatoren des Projektes ihre Haltung mit.
O-Ton, Hans-Ulrich Schulz, Generalsuperintendent Ev. Kirche, Berlin-Brandenburg:
»In diesem Gespräch ist schon sehr deutlich geworden, dass das Auswärtige Amt kein Interesse daran hat, dass dieses Thema jetzt verfolgt wird und mithin auch kein Interesse daran hat, dass das Lepsiushaus seiner alten, neuen Bestimmung dienlich gemacht werden kann.«
Professor Goltz führt uns an einen geheimen Ort. Hier hat er die Originaldokumente von Johannes Lepsius versteckt. Er fürchtet, dass türkische Extremisten die Unterlagen zerstören könnten, Drohungen gab es schon. Hier werden die Dokumente wohl noch lange bleiben, sein bitteres Resümee:
O-Ton, Prof. Hermann Goltz, Universität Halle Wittenberg:
»Auf den massiven Druck der türkischen Botschaft auf die höchsten politischen Stellen in Deutschland, das Auswärtige Amt, aber auch auf die lokalen und landespolitischen Stellen, Ministerpräsident von Brandenburg, Oberbürgermeister von Potsdam, ist unser Projekt des Wiederaufbaus des Lepsiushauses inzwischen gestoppt.«
Und so bleibt in Potsdam alles beim alten. Die Hinterlassenschaft von Lepsius bleibt der breiten Öffentlichkeit verborgen, und sein Haus, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, verfällt. Die türkische Diplomatie hat in Brandenburg offensichtlich ihre Mission erfüllt.
Abmoderation Bernhard Nellessen:
Es ist ein unwürdiges Spiel, das hier betrieben wird. Politiker, die so gerne mehr Zivilcourage fordern, sollten diese auch selbst an den Tag legen, vor allem gegenüber einer befreundeten Regierung, wie der türkischen. Einfach wegsehen, die Wahrheit verschweigen, das hat noch keiner Freundschaft gut getan.
Moderation: Bernhard Nellessen
Bericht: Eric Friedler / Barbara Siebert
Kamera: Hans E. Vennegeerts
Schnitt: Zsuzsa Ronai