Juden in Dresden

 

 

 

 

Neue Synagoge zu Dresden

(Pressemeldungen zur Eröffnung)

 

 


 

Freie Presse Politik 9.11.2001

Neubau der Dresdner Synagoge eingeweiht

Spiegel wirft Justiz im Kampf gegen Rechts Versäumnisse vor

 

Der erste Neubau einer Synagoge in den neuen Ländern ist in Dresden geweiht worden. In einer feierlichen Zeremonie wurden genau 63 Jahre nach der Zerstörung des alten Gotteshauses die Thora-Rollen in die Synagoge getragen. An dem Festakt nahmen unter anderem der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, und Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) teil.

Das Gebäude in der Dresdner Innenstadt besteht aus dem Gotteshaus und einem Gemeindehaus, jeweils in der Form eines Würfels. Rund 21,5 Millionen Mark kostete der Neubau. Spiegel sagte, dass 63 Jahre nach der Zerstörung die Synagoge geweiht werde, sei "richtig und wichtig".

Die alte Synagoge, die 1838 bis 1840 nach den Plänen des Architekten Gottfried Semper errichtet worden war, war in der Pogromnacht am 9. November 1938 von den Nationalsozialisten angezündet worden. Damals lebten 3673 Juden in der Elbestadt; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren es nur noch 70. Erst seit der Wende kann sich die jüdische Gemeinde wieder über eine steigende Zahl von Mitgliedern freuen. Sie kommen vor allem aus Osteuropa. Inzwischen leben in Dresden wieder 400 Juden.

Der Förderverein "Bau der Synagoge Dresden" sammelte bisher Spenden in Höhe von fast vier Millionen Mark. Mit jeweils acht Millionen Mark unterstützten das Land und die Stadt das Bauvorhaben.

In der "Sächsischen Zeitung" warf Spiegel der deutschen Justiz im Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus Versäumnisse vor.

Scharfe Kritik übte er besonders am Verhalten des sächsischen Generalstaatsanwalts Jörg Schwalm beim Neonazi-Aufmarsch in Leipzig am vergangenen Wochenende. "Das Verhalten der Justiz in diesem Fall ist nicht das richtige Zeichen, damit Rechtsradikale und Antisemiten von ihrem Treiben ablassen", sagte Spiegel.

Zudem warf Spiegel den Ländern Versäumnisse in der Bildungspolitik beim Thema Judentum und Antisemitismus vor. "Die Schulen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ihrem Erziehungsauftrag in diesem Punkt nicht gerecht."

© Copyright von AFP.

 

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Die Welt, Lokales  9.11.2001

Hamburger Segenswünsche für Dresdner Synagoge

Van Beust: "Das wieder erwachte jüdische Leben in unserem Lande ist uns allen ein Zeichen der Hoffnung"

Glück- und Segenswünsche hat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust dem früheren CDU-Sprecher Gert Boysen mit auf den Weg in die Partnerstadt Dresden gegeben. Dort wird heute Vormittag die neue Synagoge eingeweiht. Der Vorgängerbau von Gottfried Semper war am 9. November 1939 bei den Pogromen zerstört worden. "Das wieder erwachte jüdische Leben in unserem Lande ist uns allen ein Zeichen der Hoffnung", schrieb von Beust an Roman König, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Dresden. Dennoch bleibe der 9. November auch mit diesem Neubeginn ein Tag, der den Weg in den Abgrund markiert. Daniel Ajzensztejn, der Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg, schrieb an König: "Einer unserer schwersten Tage wird in diesem Jahr vielen auch ein Tag der Zuversicht sein." Den Neubau entwarfen die Saarbrücker Architekten Wandel, Hoefer, Lorch. Gs

 

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Bild Politik 9.11.2001

Heute wird die Neue Synagoge eingeweiht

Über Dresden strahlt der Stern der Hoffnung

 

Wie eine feste Bastion steht sie da, fensterlos und unheimlich, überwältigend und abweisend zugleich: die Neue Synagoge, die heute in Dresden eingeweiht wird. 21 Meter hoch, aus 300 Steinquadern – das erste neue jüdische Gotteshaus in Ostdeutschland seit der Wende. Keine Regenrinnen, keine Blitzableiter, keine Bewegungsmelder. All die nützlichen Alltagsdinge sind verdeckt, unsichtbar, als würden sie ablenken, stören.

Vor 63 Jahren, auf den Tag genau, in der Reichspogromnacht von 1938, hatten die Nazis hier die alte Synagoge niedergebrannt. Nur der vergoldete Davidstern „überlebte". Und der strahlt jetzt im 5,5 Meter hohen Eingangstor.

Drinnen ist alles so, wie es die uralten Vorschriften für einen Synagogen-Bau verlangen. Kein Altar, keine Heiligenbilder, keine Märtyrer-Skulpturen, kein Blumenschmuck – die Juden zelebrieren einen WORT-Gottesdienst, kommen ohne Bilder aus („Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen", 2. Mose 20,1–17) und ohne Opfergaben. Der Betsaal ist nach Jerusalem ausgerichtet, in der Ostwand eine Nische für den Schrein, in dem die Thora (fünf Rollen mit fünf Büchern Moses, mit unlöschbarer Tinte auf Pergament geschrieben), aufbewahrt wird. Ein Lesepult für den Vorleser, ein Becken fürs rituelle Händewaschen. Ewiges Licht, Holzbänke für Betende, darüber eine Galerie für Frauen. Zuhören dürfen sie – auch eine traditionelle Sitte – mitreden nicht. Hier nicht. Umso energischer vermutlich im Gemeindehaus mit Koscher-Küche, Rabbinerzimmer, Foyer-Cafe.

300 Männer finden einen Platz im Betsaal, 306 fasst der Gemeindesaal.

Vor dem Krieg lebten in Dresden 6000 Juden, heute sind es 375. Sie haben die 21,5 Millionen Mark für den Bau gesammelt. Aber nicht nur sie allein.

Auch ihre christlichen, engagierten Mitbürger.

Die Neue Synagoge. Sie ist ein Ort der Einkehr. Aber auch ein Zeichen für ein neues, wachsendes Selbstbewusstsein.

 

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Net-Zeitung Politik 9.11.2001

Eine neue Synagoge für Dresden - Die jüdische Gemeinde in Dresden hat ihre neue Synagoge geweiht.

Es ist der erste Neubau einer Synagoge in Ostdeutschland seit der Wende.

 

Der erste ostdeutsche Synagogen-Neubau nach der Wende ist am Freitag in Dresden geweiht worden. 63 Jahre nach der Zerstörung der Semper-Synagoge in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 fand der Festakt statt. Mit dabei: Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) und der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel.

Die jüdische Gemeinde in Dresden ist nach der Wende - vor allem durch Zuzug aus Osteuropa - auf 400 Mitglieder angewachsen.

Bisher stand der Gemeinde nur ein 1950 geweihtes Provisorium zur Verfügung. Von den rund 5000 Juden, die vor dem Krieg in Dresden lebten, überlebten nur etwa 100 den Holocaust.

Die Kosten für den Neubar in Höhe von 21,5 Millionen Mark tragen der Freistaat Sachsen und die Stadt. Vier Millionen Mark stammen aus Spenden. Noch fehlen 1,5 Millionen Mark. (nz)

 

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Rheinpfalz Online Politik 9.11.2001 18:54

Neubau der Dresdner Synagoge eingeweiht

 

Der erste Neubau einer Synagoge in den neuen Ländern ist in Dresden geweiht worden. In einer feierlichen Zeremonie wurden genau 63 Jahre nach der Zerstörung des alten Gotteshauses die Thora-Rollen in die Synagoge getragen. An dem Festakt nahmen unter anderem der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, und Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) teil.

Das Gebäude in der Dresdner Innenstadt besteht aus dem Gotteshaus und einem Gemeindehaus, jeweils in der Form eines Würfels. Rund 21,5 Millionen Mark kostete der Neubau. Spiegel sagte, dass 63 Jahre nach der Zerstörung die Synagoge geweiht werde, sei "richtig und wichtig".

Die alte Synagoge, die 1838 bis 1840 nach den Plänen des Architekten Gottfried Semper errichtet worden war, war in der Pogromnacht am 9. November 1938 von den Nationalsozialisten angezündet worden. Damals lebten 3673 Juden in der Elbestadt; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren es nur noch 70. Erst seit der Wende kann sich die jüdische Gemeinde wieder über eine steigende Zahl von Mitgliedern freuen. Sie kommen vor allem aus Osteuropa. Inzwischen leben in Dresden wieder 400 Juden.

Der Förderverein "Bau der Synagoge Dresden" sammelte bisher Spenden in Höhe von fast vier Millionen Mark. Mit jeweils acht Millionen Mark unterstützten das Land und die Stadt das Bauvorhaben.

In der "Sächsischen Zeitung" warf Spiegel der deutschen Justiz im Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus Versäumnisse vor. Scharfe Kritik übte er besonders am Verhalten des sächsischen Generalstaatsanwalts Jörg Schwalm beim Neonazi-Aufmarsch in Leipzig am vergangenen Wochenende. "Das Verhalten der Justiz in diesem Fall ist nicht das richtige Zeichen, damit Rechtsradikale und Antisemiten von ihrem Treiben ablassen", sagte Spiegel.

Zudem warf Spiegel den Ländern Versäumnisse in der Bildungspolitik beim Thema Judentum und Antisemitismus vor. "Die Schulen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ihrem Erziehungsauftrag in diesem Punkt nicht gerecht."

afp, Freitag, 9. Nov , 16:00 Uhr.

 

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Handelsblatt Wirtschaft 9.11.2001 16:17

Synagoge in Dresden geweiht

Spiegel warnt vor zunehmendem Rechtsextremismus

 

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, hat vor zunehmendem Rechtsextremismus in Deutschland gewarnt. Bei der Weihe der neuen Synagoge am Freitag in Dresden wies Spiegel darauf hin, dass viele junge Leute für menschenverachtende Ideologien empfänglich seien.

ap DRESDEN.

Das beste Mittel gegen Antisemitismus sei, Juden persönlich zu kennen und über ihre Kultur Bescheid zu wissen.

Gleichzeitig übte er Kritik an Juristen und Staatsanwälten und verwies in diesem Zusammenhang auf die Ansicht des sächsischen Generalstaatsanwaltes Jörg Schwalm, wonach das Rufen der NS-Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" nicht strafbar sei. Es sei erschreckend, wenn Juristen der Ansicht seien, dass es sich dabei um eine zulässige Meinungsäußerung handele. Er sei dem sächsischen Justizminister Manfred Kolbe (CDU) dankbar, dass er diese Entscheidung von Schwalm korrigiert und zugleich klargestellt habe, dass "niemand solche Äußerungen ungestraft brüllen kann", sagte Spiegel.

Den 9. November 1938, die Pogromnacht der Nationalsozialisten, bezeichnete der Präsident als Tag des entfesselten Hasses. Niemand habe danach mehr sagen können, er habe nichts gewusst, denn vor aller Augen "waren die Juden ihren Peinigern ausgesetzt." In der so genannten Reichskristallnacht wurden Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte geplündert und Menschen ermordet.

Die neue Synagoge sei Ausdruck des jüdischen Lebens und der Wille, an einem Ort bleiben zu dürfen, betonte Spiegel. Zugleich verwies er auf die wachsende Anzahl jüdischer Mitbürger in Deutschland. 1989 habe es in der Bundesrepublik 25 000 gegeben, heute seien es bereits 90 000. Damit sei die jüdische Gemeinde in Deutschland die drittgrößte in Europa und eine der am stärksten anwachsenden in der Welt.

Zu Beginn der Weihe wurden die Torarollen in einer feierlichen Prozession in die Synagoge getragen und dann in den Toraschrein hineingehoben. Anschließend wurde das ewige Licht feierlich entzündet. An der Veranstaltung nahmen auch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) sowie der Botschafter der Vereinigten Staaten, Daniel Coats, teil.

Der 21,5 Millionen Mark teuere Neubau wurde an der Stelle in Dresden errichtet, wo die erste im Jahre 1840 geweihte Sempersynagoge stand. Sie wurde während der Reichspogromnacht 1938 vollständig zerstört. In Dresden lebten bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 rund 5000 Juden, heute hat die Gemeinde 400 Mitglieder.

HANDELSBLATT, Freitag, 09. November 2001

 

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Mittelbayerische Zeitung Politik 9.11.2001

Neubau der Dresdner Synagoge wird eingeweiht

Gebäude kostete rund 21,5 Millionen Mark

Meldung vom Freitag 09. November 2001 , 08.03 Uhr ©

Copyright AFP Agence France-Presse GmbH 1999

Weitere Artikel.. Der erste Neubau einer S ...

 

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Mitteldeutsche Zeitung Kultur 9.11.2001

Synagogen-Neubau wird in Dresden geweiht

Jüdische Gemeinde der Stadt erhält neues Gotteshaus

 

Dresden/dpa. Der erste Neubau einer Synagoge in den Neuen Ländern wird am heutigen Freitag in Dresden geweiht. Auf den Tag genau 63 Jahre nach der Zerstörung der alten Synagoge in der so genannten Reichspogromnacht erhält die Jüdische Gemeinde Dresden damit wieder ein Gotteshaus. Zu dem feierlichen Akt werden rund 400 Gäste erwartet, darunter der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, und Oscar-Preisträger und Hollywood-Star Maximilian Schell.

Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) will der Gemeinde einen historischen Thora-Mantel übergeben.

Der 21,5 Millionen Mark (rund 11 Mio Euro) teure Bau mit einem Gottes- und einem Gemeindehaus entstand auf dem Grundriss der 1938 von den Nazis niedergebrannten jüdischen Synagoge von Gottfried Semper. Land und Stadt steuerten jeweils 8 Millionen Mark bei, mehr als 4 Millionen Mark warb der 1997 gegründete Förderverein bei rund 3500 privaten Spendern ein. Im Anschluss an die Weihe wird der erste Gottesdienst mit Mitgliedern der Gemeinde abgehalten.

 

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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 9.11.2001

Die Moderne kleidet die Tradition

Mit der neuen Dresdner Synagoge gelingt ein Sprung über Kulturen und Zeiten

Falk Jaeger

 

Neben dem laufenden Wiederaufbau der Frauenkirche nahezu unbemerkt wuchs unweit davon ein Neubau in die Höhe, der nach nur 17 Monaten Bauzeit morgen eingeweiht werden kann: die neue Dresdner Synagoge. 63 Jahre zuvor, am 9. November 1938 abgebrannt, die Reste systematisch abgetragen und zum Straßenbau eingesetzt - die Zeitläufe haben Dresdens Synagoge übel mitgespielt. Das Grundstück war dann in DDR-Zeiten zu einer verkehrsumtosten städtebaulichen Restfläche verkommen. Heute erheben sich dort die beiden Kuben des Neubaus, und er hat Mühe, über die Weite der Freiflächen hinweg Kontakt zur Nachbarbebauung zu halten. Denn eines ist er nicht: ein selbstbewusster Solitär, wie es noch Sempers hoch aufragender Vorgängerbau von 1840 gewesen war.

Aus Saarbrücken kommt das Team Wandel Hoefer Lorch und Hirsch, das sich gegen namhafte Konkurrenz durchsetzen konnte. Noch immer sträuben sie sich, als Spezialisten angesehen zu werden, wenngleich sie mit der Gedenkstätte am Berliner Bahnhof Grunewald, mit dem zweiten Preis des Wettbewerbs der Synagoge in Mainz und dem Gewinn der Konkurrenz für die Synagoge in München bewiesen haben, dass ihnen die Umsetzung spiritueller Inhalte in architektonische Orte durchaus ein besonderes Anliegen ist.

In Dresden entschlossen sie sich, Gemeindehaus und Synagoge in zwei getrennten Baukörpern unterzubringen. Dazwischen ein ruhiger Hof mit einem Platanenhain und der Erinnerung an die zerstörte Synagoge, die Gottfried Semper in neuromanischem Stil errichtete. Deren Grundrissfigur zeichneten die Architekten im Boden symbolträchtig als Bruchglasfläche nach. Inschriften und einige noch vorgefundenen Steine, als Spolien in die Wand gesetzt, halten die Erinnerung wach. Und noch ein Relikt hat sich erhalten. Der frisch vergoldete Davidstern über der Tür zur Synagoge zierte früher einen der beiden Treppentürme. Er war 1938 von einem Feuerwehrmann geborgen und, auf einem Dachboden versteckt, bis heute aufbewahrt worden.

Wie eine christliche Kirche auszusehen hatte, wusste man zu allen Zeiten. Einen spezifischen Synagogenbaustil hatte es nie gegeben, denn die Juden in der Diaspora haben meist die Sakralbauformen des Gastlandes übernommen. Als sich die Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts emanzipierten und große Synagogen zu bauen begannen, wuchs zur selben Zeit das Nationalbewusstsein der Deutschen. So geriet der Synagogenbau in einen Stilkonflikt. Einerseits wollten sich die Juden mit deutsch-nationalen Bauformen zum Vaterland bekennen, andererseits sollte der Sakralbau den jüdischen Charakter nicht verleugnen, was meist durch orientalische Bauformen geschah - man denke an die Berliner Synagoge. Semper löste das Problem in Dresden, indem er den außen romanisierend gehaltenen Bau im Inneren orientalisch dekorierte.

Vom heutigen Neubau werden derlei formale Aussagen nicht erwartet, allzu plakative Symbolik wird im modernen Sakralbau vermieden. In Dresden stehen sich Synagoge und Gemeindehaus als Antipoden gegenüber, verschlossen, introvertiert die eine, offen, einladend das andere. Mit seiner delikat proportionierten Glasfassade gewährt es vom Hof aus Einblicke in das Foyer sowie in die Bibliothek, die Tagessynagoge und die Gemeinderäume in den beiden Obergeschossen. Sichtbeton (wenn auch nicht immer ansehnlich verarbeitet, welcher Handwerker beherrscht das schon) und Eichenholz bei den Fenstern, den Wandschränken, den Parkettböden sind mit Sorgfalt zu einer sehr angenehmen Raumstimmung komponiert. Der überraschend große Saal erhält sein Licht über schmale Außenfenster und Oberlichte. Gleichfalls überraschend die von außen nicht zu erahnende Dachterrasse, auch sie ringsum und am Fußboden mit Holz verkleidet - diesmal Teak - ein freundlicher Ort zur vielfältigen Nutzung.

Von außen gibt sich der Bau eher zugeknöpft. Was wie Sandsteinmauerquader aussieht, sind Kunststeine, die als Masse und durch die gleichfarbigen Fugen leider zu wenig Leben ausstrahlen (der Travertin am Kunstverein gegenüber hat dagegen richtig Feuer). Am Gemeindezentrum als Vorsatzschale konstruiert, setzt sich die Wand als Hofmauer aus tonnenschweren Quadern fort und verbindet sich mit dem geschlossenen Kubus der Synagoge. Dessen schrittweise Verdrehung des Baukörpers in jeder der 32 Steinlagen um 6 Zentimeter ist nicht nur ein baukünstlerischer Einfall sondern korrigiert einen Mangel des Grundstücks. Erst an der Traufkante in 19 Metern Höhe ist die exakte Ostrichtung erreicht, und an dieser Richtung orientiert sich innen der Kultraum der Synagoge, der gemäß der Vorschrift geostet sein muss.

Im Inneren haben die Architekten auf faszinierende Weise die Jahrtausende alte Ambivalenz des Synagogenbaus thematisiert. Ein Vorhang aus goldglänzendem Metallgewebe (Tombak, eine spezielle Messing-Legierung) umfängt den eigentlichen Kultraum und entspricht dem transportablen Stiftszelt für die Bundeslade, während die massive Außenwand den festen salomonischen Tempel symbolisiert. Alle Einbauten, das Gestühl, die Frauenempore und die Stirnwand, haben die Deutschen Werkstätten Hellerau aufs Feinste in Eiche gefertigt.

Almemor heißt das hölzerne Pult, an dem die Thora verlesen wird. Es steht inmitten der Gemeinde und konstituiert eigentlich einen Zentralraum. Aron ha-Kodesch, der Thoraschrein an der Stirnseite, definiert jedoch wie der Altar in der christlichen Kirche einen nach Osten gerichteten Longitudinalraum. Es ist der historische "synagogale Raumkonflikt", den die Saarbrücker Architekten nicht ohne Probleme zu überspielen versuchten. Ein weiteres Spannungsfeld für den modernen Synagogenbau liegt zwischen orthodoxen und reformierten, den christlichen Liturgien angenäherten Riten.

Ob die Frauenempore als solche genutzt wird, hängt von der Entwicklung der Gemeinde ab, ob die im Untergeschoss vorgesehene Mikwe, das Taufbad, noch ausgebaut werden wird, ebenfalls.

Als geistvolle architektonische Konzeption eines Traditionsorts wird die Dresdner Synagoge weithin Schule machen, als Baukunst allgemein besticht sie durch Atmosphäre und ihre Materialsicherheit bis insund ihrer Detail.

 

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Die Zeit - Kultur 8.11.2001

Unverbrüchlich anders

ARCHITEKTUR

Monument eines erstarkten Selbstbewusstseins: Die neue Synagoge in Dresden - Von Hanno Rauterberg

 

Die Synagoge ist ein Haus im Grenzland. Sie steht, wo das Schwelgen der Brühlschen Terrassen endet und die Weite der Plattenviertel beginnt, wo Dresdens barocke Vergangenheit auf eine zugige Gegenwart trifft. Weder hier noch dort ist die Synagoge heimisch, sie will auch nicht vermitteln, sondern kapselt sich ab. Sie ist eine Welt für sich.

Manche nennen sie einen Bunker, andere eine Festung, besonders erfreut jedenfalls sind die wenigsten Dresdner über den Neubau (Architekten Wandel Hoefer Lorch + Hirsch). Da versuchen sie seit Jahrzehnten schon, ihr geliebtes Canaletto-Panorama, die turm- und kuppelreiche Silhouette wiederzugewinnen, und dann entsteht da dieser nacktwandige Doppelkubus und drängt sich hinein ins ornamentfreudige Stadtbild. Viele hätten es gern gesehen, wenn sich die Synagoge angepasst und eingeordnet hätte, doch diesen Gefallen tat sie ihnen nicht:

Selbstbewusst setzte sie sich in die Dresdner Szene, als sollte niemand die Rückkehr der jüdischen Gemeinde übersehen. Dank russischer Zuwanderung leben wieder fast 400 Juden in Dresden (nur 53 waren es vor zehn Jahren), und so wird die Einweihung der neuen Synagoge an diesem Freitag ein Fest des Neuanfangs sein. Nicht zufällig aber feiert man an einem 9. November.

63 Jahre zuvor, auf den Tag genau, hatten die Nationalsozialisten das Gebäude niedergebrannt, und nichts war davon übrig geblieben als ein vergoldeter Davidstern und der legendäre Ruf. Um die Synagoge zu einem Monument bürgerlichen Stolzes zu machen, hatte die jüdische Gemeinde 1838 den Architekten Gottfried Semper beauftragt, der auch die Oper und Gemäldegalerie der Stadt entwarf und der bis heute sehr verehrt wird. Deshalb drängten nicht wenige Dresdner auf eine Rekonstruktion, als 1997 die Planungen für eine neue Synagoge begannen - so wie die Frauenkirche sollte sich auch die Semper-Synagoge wieder stolz gen Himmel erheben. Doch dieser Strategie, das Geschehene ungeschehen zu machen, wollte die jüdische Gemeinde nicht folgen. Sempers Architektur im "deutschen Style" der Romanik, mit der die Dresdner Juden des 19. Jahrhunderts ihrer Eingliederung und Emanzipation ein Zeichen setzten wollten, hielten sie für unangebracht.

Die neue Synagoge macht keine Hoffnung auf Versöhnung. Stoisch steht sie im Stadtraum, just dort, wo täglich viele tausend Dresdner die Elbe überqueren. Die meisten werden in diesem Bau nichts sehen als banales Gewürfel: eine Bastion im Lärm der Autopiste und der vorbeischrammenden Straßenbahn. Nur wer anhält, aussteigt, die Kuben umrundet, wird die leise Raffinesse dieser Architektur spüren.

Was von der Straße aus wie eine abweisende Wand wirkt, ein Lockmittel nur für Graffiti-Sprüher, gerät dann plötzlich aus dem Lot. Denn die Mauern der Synagoge sind zwar aus mächtigen Betonblöcken gefügt, jede Steinlage aber ist ein wenig aus der Achse gerückt, und so dreht sich das Gebäude kunstvoll Schicht für Schicht empor. Alles erscheint fest gefügt und verweigert doch die bekannte Ordnung: Es ist ein in sich verwundener Körper, der glatt aussehen kann oder geriffelt, strebend, stürzend oder kragend - je nach Blickwinkel. So ist diesem Würfel bei aller Rationalität doch etwas Unvorhersehbares eigen; etwas Überweltliches ohnehin.

Man kann gar nicht anders, als hinter den fensterlosen Wänden, dem schlanken Tor etwas Geheimnisvolles zu vermuten; man kommt nicht umhin, bei diesem Haus an einen Tempel zu denken. Davor breitet sich ein Platz aus, schmal und von Mauern gefasst, auf dem ein kleiner Platanenhain wächst und mit Glasscherben der Grundriss der zerstörten Semper-Synagoge umrissen wird. Auf der anderen Seite dieses Hortus conclusus liegt als Gegenpol zur Synagoge das jüdische Gemeindezentrum, ein Haus, das sich öffnet. Hier, im Schutz des Hofes, lösen die Architekten die Fassade auf in Glas und Holz, geben den Blick frei auf Senioren- und Jugendräume, auf Büros und auf ein Café im Erdgeschoss. Zur Stadt hin aber gibt sich dieses Haus ähnlich wortkarg wie die Synagoge, nur ein paar Fensterlöchlein öffnen die Betonsteinwände.

Man muss also schon stark von der Neugier getrieben sein, um die Stufen zu dem kleinen Platanenplatz emporzusteigen und in den Bannkreis der Monumente zu treten. Dabei lohnt sich der Weg in das Gotteshaus durchaus, denn hier trifft man auf ein Inneres, das alles umstülpt. Was schwer war, wird leicht, was schmucklos war, beginnt zu glänzen. Die Architekten haben in den Raum mit seinen bedrohlich kippenden Wänden einen zweiten Raum eingestellt, und betritt man dies Riesenmöbel aus Eiche, in dem die Bänke für 320 Gemeindemitglieder, alle Pulte und Schränke aufgehoben sind, wird man der Entrückung entrückt, ist vor allen Irritationen sicher. Nicht die Mauern der Ewigkeit, sondern bewegliche Architektur, die von flinken Tischlern binnen weniger Stunden verladefertig gemacht werden könnte, wird hier zum Zentrum des Glaubens. Quer über diesem liegt ein goldener Schleier, ein metallener Stoff, der nichts verhüllt und den Raum mit seinem Glanz dennoch bestimmt. An das Stiftshaus soll es erinnern, das den Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste ins Gelobte Land als zeltähnliches Gehäuse der Gottesverehrung diente; erst später baute Salomon den Tempel.

In Dresden wird die Geschichte der Juden also von einer Architektur beschrieben, die das Gegenläufige einfängt, ohne es einzuebnen - sie vereint Vergängliches mit Dauerhaftem. Auf vordergründige Symbole haben die Architekten indes verzichtet, dem Aufgesetzten begegnen sie mit ihrem Konzept der Integration: Ob Regenrinne, Blitzableiter, Videokamera oder Lautsprecher - alle technischen Details verschwinden hinter Mauern und Blenden, die Dinge fügen sich zu logischer Vollkommenheit. Nicht einer Ästhetik der Brüche, der gebauten Schmerzstellen, nicht der Philosophie eines Daniel Libeskind folgt diese Architektur. Und dies liegt wohl auch daran, dass der Holocaust, der Abschied von allem Fasslichen, nicht länger im Vordergrund steht. Anders als viele jüdische Gemeindezentren, die im Westdeutschland der sechziger und siebziger Jahre entstanden und die sich oftmals ins Unscheinbare duckten, kündet die Dresdner Synagoge von der Perfektion des Lapidaren, scheut nicht das Monumentale und greift zurück auf die großen archaischen Zeichen. Dies könnte man als neues Selbstbewusstsein bezeichnen; als raumgewordenes Recht auf Differenz; als Plädoyer für eine Einkehr durch Abkehr.

Oder auch nur als ein erstaunliches Baukunstwerk.

(c) DIE ZEIT 46/2001

 

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Sächsische Zeitung Lokales 9.11.2001

Wer ein Haus baut, will bleiben

Die Jüdische Gemeinde von Dresden hat wieder eine Heimstatt: In einem festlichen Akt wurde am Freitag die neue Synagoge geweiht

Von Karin Großmann

 

Unendliche Trauer und unendliche Hoffnung, selten liegt das so nah beieinander wie an diesem Tag.

Es ist der Tag, an dem vor dreiundsechzig Jahren die Dresdner Synagoge brannte. Es ist der Tag, an dem ein neues jüdisches Haus Gottes geweiht wird. Wieder ein 9. November. Schicksalstag deutscher Geschichte. Glocken ertönen. Das ist für Dresden nicht immer ein gutes Zeichen. Jetzt schicken die Kirchen der Stadt einen Gruß herüber. Sie feiern die Weihe mit. Es ist elf Uhr. Vom Haus der Reformierten Kirche nähert sich eine kleine Prozession. Unter weißem Baldachin werden die Thorarollen ins Haus gebracht, die fünf Bücher Moses´. Die Textrollen sind in weiße Seide gehüllt, silbern glänzen die Spitzen. Die Männer, die sie tragen, sehen ernst und feierlich aus, sie gehen gemessenen Schrittes, das haben sie geübt. Aufregung ist wohl trotzdem geblieben. Der Landesrabbiner lächelt. "Ein Traum ist wahr geworden", sagt Salomon Almekias-Siegl.

Der Mädchenchor singt Festliches auf Hebräisch.

Sieben Mal tragen die Männer die Thorarollen um die Bima, das Lesepult in der Mitte des Betsaals. Die Zahl hat Bedeutung; sieben Mal wurde Jerusalem zerstört und sieben Mal wieder aufgebaut.

 

Ein neuer Abschnitt jüdischer Geschichte

 

Jetzt kommt der Moment, da hebt Roman König, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, die fünf Thorarollen in den Schrein, den Aron Hakodesch. Strahlend blau leuchtet der Samt. König zieht einen Vorhang zu. Er schließt die beiden sparsam mit Gold geschmückten Türen des Schreins. "Jetzt", sagt Roman König bewegt, "jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Jüdischen Gemeinde Dresdens."

Unendliche Trauer und unendliche Hoffnung. Vor dreiundsechzig Jahren schwärzte Feuer die Steine der Synagoge. Sie hatte keine hundert Jahre gestanden, fast an derselben Stelle. Dresdens Juden konnten sich erst spät emanzipieren. Als ihnen der Bau eines Gotteshauses erlaubt war, beauftragten sie Gottfried Semper, wichtigster Architekt des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Es war sein Werk, das verbrannte. In den Löschfahrzeugen die Männer mussten untätig zusehen. Andere haben Beifall geklatscht. Das Technische Hilfswerk drehte den Lehrfilm: Wie trägt man eine Synagoge ab. Den Transport der Steine mussten die Dresdner Juden selbst finanzieren. Die Infamie der Nazis kannte keine Grenzen. Es war erst der Anfang. Später wurden dann die Juden abtransportiert. Von fünftausend jüdischen Bürgern aus Dresden überlebten nur etwa hundert den Holocaust.

 

Es ist ein Wunder vor unsern Augen

 

"Steine kann man wiederbringen, aus Steinen kann man ein neues Haus bauen", sagt Siegfried Reimann. "Aber die Menschen bringt niemand zurück." Reimann, evangelischer Pfarrer im Ruhestand, war einer der ersten, der für die Idee einer neuen Synagoge warb, still und beharrlich, mit freundlicher Zähigkeit. Ohne ihn wäre das Haus vielleicht ein Traum geblieben. Er suchte und er fand Verbündete. Der Förderkreis wuchs zum Verein. Die Stadt übertrug der Jüdischen Gemeinde das Grundstück. Es war noch ein schmales Wiesenteil übrig geblieben, direkt an der Straßenbahntrasse. Rund 3 500 private Sponsoren unterstützten mit Spenden den Bau.

Jetzt ist er fertig: schmucklos und kraftvoll, innen wie außen. Gemeindehaus und Betsaal auf zwei Bauten verteilt. Ein kühner Entwurf, minimalistisch. Keine Rekonstruktion maurischer Tempelherrlichkeit. Roman König bekennt sich tapfer zum provozierend neuzeitlichen Anblick: "Die gewaltsame Unterbrechung der Geschichte sollte im Stadtbild sichtbar werden", sagt er. "Es ist ein Wunder vor unsern Augen", zitiert Siegfried Reimann einen biblischen Psalm.

Viel ist von Wunder die Rede an diesem Tag. Die jungen Platanen im Hof der Synagoge trotzen dem ersten Schnee. Ein grauer Himmel hängt über der Elbe. Eine alte Frau wischt sich die Augen. Es ist der Wind, natürlich, es ist der Wind. Die Frau gehört zu jenen, die überlebten und extra für diesen Tag nach Dresden gekommen sind. Ein kleines Häuflein. Sie sitzen für sich in der Synagoge. Auch die Frauen aus der Ukraine sitzen für sich. Es wird dauern, und vielleicht ist es erst die nächste Generation, die zu einem Miteinander findet. Die Chancen sind da: "Wer ein Haus baut, will bleiben", sagt Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland.

 

Spiegel feiert die Synagoge als einen heiligen Ort, als ein Haus der Zusammenkunft und des Gebets.

 

Oft hätten Juden Schutz darin gesucht bei Gefahr. Da ist er schon in der Gegenwart. "Heute haben Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit ein Ausmaß erreicht, das Besorgnis erregt." Die demokratische Gesellschaft dürfe es um ihrer Würde willen nicht dulden, dass sich diese Pest weiter ausbreite. Spiegel wird deutlicher. Er findet es "erschreckend und alarmierend, wenn Juristen Nazisprüche als freie Meinungsäußerung legalisieren". Rechtsradikale würden sich dadurch ermutigt fühlen. "Der Antisemitismus als Form der Fremdenfeindlichkeit verspritzt sein Gift, wo Vorurteile und Klischees herrschen", sagte Paul Spiegel. Das Gegenmittel sei: sich über Judentum zu informieren. Das setzt Wohlwollen voraus. Kann man es immer voraussetzen? Die Synagoge wurde mit Sicherheitstechnik ausgestattet, "in dem für solche Gebäude üblichen Maß", sagt Architekt Wolfgang Lorch. Er hätte lieber auf ein verschließbares Tor zum Innenhof verzichtet. Es muss wohl sein. Aber er weiß: Eine Mauer kann noch so hoch sein, ein Gebäude noch so gründlich bewacht - wer Übles will, wird sich dadurch nicht abhalten lassen. Schmierereien wären dann auch ein Zeichen. Ein Zeichen für Realität in Deutschland.

 

Die Wahrheit liegt im Erinnern

 

"Schützt dieses Haus!", heißt deshalb der Appell, den Ministerpräsident Kurt Biedenkopf an die vierhundert geladenen Gäste im neuen Gotteshaus richtet. Er bittet die Dresdner, die jüdische Gemeinde weiterhin zu unterstützen. Bischof Joachim Reinelt vom Bistum Dresden-Meißen fordert zum interreligiösen Gespräch auf. Bischof Volker Kress von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche zitiert den russischen Schriftsteller Rasputin aus dem Roman "Abschied von Matjora": "Die Wahrheit liegt im Erinnern. Wer kein Erinnern hat, hat kein Leben."

Und noch einmal stimmt der Chor in den Gesang des Rabbiners ein. Rot leuchtet das Ewige Licht, eingehüllt in goldnes Gewebe. Es ist dasselbe feinmaschige Metall, das an beiden Seiten von der Decke bis auf den Boden herabhängt, mit einer Reihe bläulich schimmernder Davidsterne geschmückt:

Symbol des Zeltes, unter dem die Israeliten im Exil und auf Wanderschaft die Bundeslade aufbewahrten. Es ist das Fragile, das Provisorische, das Schimmernde, geschützt vom Dauerhaften des Steins. Das Temporäre und das Bestehende, beides gehört zur Geschichte des Judentums.

Unendliche Trauer und unendliche Hoffnung auch.

Im neuen Haus stimmt der Rabbiner die Totenklage an im Gedenken an all jene, die umkamen in Sachsenhausen, Majdanek, Treblinka. Dann nagelt er an den Türpfosten des Gemeindezentrums den Segen: für ein anderes Leben.

 

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Der Bau der Neuen Dresdner Synagoge

Nach 17 Monaten Bauzeit wird Dresdner Synagoge geweiht

 

Die Jüdische Gemeinde in Dresden hat nach 63 Jahren vom kommenden Freitag an wieder eine Synagoge. Nach 17 Monaten Bauzeit wird der Neubau am Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 in Anwesenheit des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, geweiht. "Im Anschluss findet der erste Gottesdienst mit den Mitgliedern der Gemeinde statt", sagte Vorsitzender Roman König der dpa. Das 21,5 Millionen Mark (rund 11 Mio Euro) teure Projekt mit einem Gottes- und einem Gemeindehaus entstand auf dem Grundriss der 1938 von den Nazis niedergebrannten jüdischen Synagoge von Gottfried Semper.

Land und Stadt steuerten jeweils 8 Millionen Mark bei, mehr als 4 Millionen Mark warb der 1997 gegründete Förderverein bei rund 3500 privaten Spendern ein. Der Entwurf für die Synagoge stammt vom Architektenbüro Wandel, Hoefer und Lorch aus Saarbrücken.

 

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Veranstaltungen in und für die Synagoge

 

Freitag:

11 Uhr: Festakt zur Weihe der Synagoge. Mit vielen hochrangigen Gästen und Gemeindemitgliedern wird das Gotteshaus in einem halb religiösen und halb öffentlichem Zeremoniell eröffnet

15 Uhr: Wie jedes Jahr wird auch an diesem 9. November an der Stele der 1938 zerstörten Semper-Synagoge eine öffentliche Gedenkveranstaltung an die Opfer der Pogromnacht stattfinden.

17 Uhr: Erster Gottesdienst für die jüdische Gemeinde in der neuen Synagoge

 

Samstag:

20 Uhr: Das Bennewitz-Quartett Prag gibt ein Gedenkkonzert auf Schloss Albrechtsberg mit Werken der Theresienstädter Komponisten 20 Uhr: Der Schauspieler Maximilian Schell liest im Freitaler Stadtkulturhaus aus seiner autobiografisch gefärbten Erzählung "Der Rebell".

 

Sonntag:

11 Uhr: Erstes Konzert in der Synagoge mit dem Dresdner Cellisten Peter Bruns und der israelischen Pianistin Roglit Ishay

14 - 18 Uhr: Zum "Tag der offenen Tür" können sich alle Interessierten und Dresdner von dem Bauwerk machen, das von jetzt an das jüdische Leben zurück ins Zentrum der Stadt holt. Weite öffentliche Besuchsmöglichkeiten sind geplant - Männer bitte an Kopfbedeckung denken!

ab 14 Uhr: Konzerte zum Dank für die Spender und freiwilligen Helfer, die den Neubau erst möglich gemacht haben. Mehrere Dresdner Institutionen begleiten das feierliche Ereignis mit Konzerten, Aufführungen und Foren.

 

Sonderveranstaltungen / Ausstellungen

Im Rathaus wird eine Ausstellung zum "Buch der Erinnerung" zu sehen sein. Dabei handelt es sich um eine Gedenkbuch für die Juden der Stadt Dresden in den Jahren von 1933 bis 1945.

Die "Kleine Szene" der Sächsischen Staatsoper führt ihr Stück "Das Tagebuch der Anne Frank" auf.

Nach der Weihe sind weitere Veranstaltungen geplant. Vorträge beschäftigen sich mit dem Jüdischen Leben in Dresden in Vergangenheit und Gegenwart. Kommenden Freitag konzertiert das Dresdner Jugendsinfonieorchester.

Im Stadtmuseum Dresden wird vom 9. bis 11. November die Ausstellung "Eine Synagoge für Dresden" gezeigt.

Hatikva, das Bildungs- und Begenungszentrum (Pulsnitzer Str. 10) zeigt bis 7. Dezember die Ausstellung "Neue Synagoge Dresden"

 

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"Fast ein Wunder"

Paul Spiegel über die neue Synagoge in Dresden und den Antisemitismus

Paul Spiegel kritisiert das Verhalten der Justiz bei der Bekämpfung von Antisemitismus und Rechtsextremismus. Die SZ sprach mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

 

Welche Impulse erhoffen Sie sich von der Einweihung der neuen Synagoge in Dresden für das jüdische Leben in Ostdeutschland?

Diese Einweihung grenzt an ein Wunder. Ich bin überzeugt, dass jetzt die Bevölkerung zur Kenntnis nimmt, dass es auch in diesem Teil Deutschlands ein Wiedererstehen jüdischen Lebens gibt.

 

Rechnen Sie mit dem Bau weiterer Synagogen im Osten?

Wenn die Gemeinden weiter so wachsen wie in den vergangenen Jahren, dann glaube ich das schon. Die nächste Synagoge wird in Chemnitz gebaut. Der Bedarf ist vorhanden. Gerade in Ostdeutschland hat es in den vergangenen Jahren mit dem Zuzug von Juden aus der früheren Sowjetunion Neugründungen von jüdischen Gemeinden gegeben. Der Zuzug hält weiter an. Von 1994 bis 2000 ist die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in den neuen Bundesländern von 984 auf 4 817 gestiegen, allein in Sachsen von 244 auf 1.325.

 

Fühlen sich die Juden in Deutschland nach den Terroranschlägen vom 11. September besonders bedroht?

Die Juden fühlen sich ebenso bedroht wie die Nicht-Juden in Deutschland. Da gibt es keine Grenzen. Aber die Sicherheit bei jüdischen Einrichtungen wurden natürlich besonders verstärkt. Osama bin Laden hat erklärt, dass das Ziel terroristischer Attacken verstärkt Amerika und die Juden sein werden. Bei solchen Worten ist klar, dass sich die jüdischen Gemeinden besonders Sorgen machen.

 

In der Reichspogromnacht vor 63 Jahren wurden von den Nazis viele jüdische Einrichtungen zerstört. Ist der Antisemitismus in Deutschland heute wieder salonfähig?

Als wir 1945 in dieses Land zurück kamen, dachten wir an zwei Dinge: Erstens, dass es in Deutschland nach dem Holocaust kein Judentum und keine jüdischen Gemeinden mehr geben wird. Und zweitens, dass es nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus auch nie wieder Antisemitismus hier geben wird. In beidem haben wir uns geirrt. Es gibt den Antisemitismus leider immer noch, vermischt mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. Beim Neonazi-Aufmarsch in Leipzig am vergangenen Wochenende wurden Parolen wie "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" gebrüllt. Wenn es Sachsens Generalstaatsanwalt ablehnt, daraufhin Strafanzeige zu stellen und erst auf Druck des Justizministers und politischer Parteien reagiert, dann kommt man schon ziemlich ins Grübeln. Das Verhalten der Justiz in diesem Fall ist nicht das richtige Zeichen, damit Rechtsradikale und Antisemiten von ihrem Treiben ablassen.

 

Sind deutsche Richter blind, was den Rechtsextremismus anbelangt?

Es gibt Richter, die sind auf diesem Auge blind. Ich könnte Beispiele dafür nennen. Zuletzt gab es etwa ein Gerichtsurteil in Kempten im Allgäu. Dabei wurde ein Rechtsextremist, der meinen Stellvertreter Michel Friedman als "Zigeunerjuden" beschimpft hat, freigesprochen.

 

Gibt es beim Antisemitismus Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Es gab in letzter Zeit im Osten verstärkt Vorfälle, besonders bei Jugendlichen. Aber es ist unangebracht, dieses Thema auf Ostdeutschland zu verlagern. Man darf nicht vergessen: Die Keimzelle des Rechtsradikalismus ist in Westdeutschland. Lübeck, Solingen und Essen, wo es in den vergangenen Jahren Anschläge auf jüdische Einrichtungen gab, liegen eben nicht in Ostdeutschland.

 

Wo sehen Sie die Wurzeln für den Antisemitismus?

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Frage: Woher kommt der Antisemitismus?

Bis heute sind sie jedoch zu keinem Ergebnis gekommen. Fest steht jedoch: Wenn man etwas nicht kennt, neigt man dazu, es auszugrenzen. Deshalb ist es wichtig, dass über das Judentum informiert wird. Der Bildungspolitik der Länder fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Schulen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ihrem Erziehungsauftrag in diesem Punkt jedoch nicht gerecht. Es gibt bisher kaum Fortbildungsseminare für Lehrer, damit die Pädagogen dieses schwierige Thema ihren Schülern so beibringen können, dass es auch bei ihnen ankommt. Niemand wird als Antisemit oder Rassist geboren. Also muss in der Entwicklung und der Erziehung dieser jungen Menschen etwas schiefgelaufen sein.

 

Das Gespräch führte Dieter Schütz

 

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Mit Sorgfalt komponierter Raum

Der Dresdner Neubau ist ein gewichtiger Beitrag zur zeitgemäßen Synagogen-Architektur

Von Falk Jaeger, Sächsische Zeitung

 

Brandschatzung, Abbruch, restlose Tilgung - die Zeitläufe haben der Dresdner Synagoge übel mitgespielt. Doch nicht einmal die Örtlichkeit blieb verschont. Das Grundstück im Stadtzentrum - in unmittelbarer Nähe zur Brühlschen Terrasse - war nach dem Krieg zur verkehrsumtosten städtebaulichen Restfläche verkommen, erschien mehr als Böschung denn als Bauplatz.

Heute erhebt sich dort der zweigliedrige Neubau, und er hat Mühe, über die Weite der Freiflächen hinweg Kontakt zur Nachbarbebauung zu halten. Denn eines ist er nicht: ein selbstbewusster Solitär, wie es noch Sempers hoch aufragender, neuromanischer Vorgängerbau gewesen war.

Das städtebauliche Dilemma konnte das Saarbrücker Architektenteam Wandel Hoefer Lorch + Hirsch nicht auflösen.

Sie entschlossen sich, Gemeindehaus und Synagoge in zwei Baukörpern zu organisieren. Dazwischen ein ruhiger Hof mit einem Platanenhain und der sichtbar gemachten Erinnerung an den Semperbau, denn Teile des historischen Grundrisses zeichneten die Architekten im Boden symbolträchtig als Bruchglasfläche nach. Inschriften und einige noch vorgefundene Steine, als Spolien in die Wand gesetzt, helfen erinnern.

Mit seiner delikat proportionierten Glasfassade gewährt das Gemeindezentrum Einblicke in das Foyer sowie in die Bibliothek, die Tagessynagoge und die Gemeinderäume in den beiden Obergeschossen.

Sichtbeton (wenn auch nicht immer ansehnlich verarbeitet) und Eichenholz bei den Fenstern, den Wandschränken, den Parkettböden sind mit Sorgfalt zu einer sehr angenehmen Raumstimmung komponiert. Der überraschend geräumige Saal erhält sein Licht über schmale Außenfenster und Oberlichte. Gleichfalls überraschend die von außen nicht zu erahnende Dachterrasse, auch sie ringsum und am Fußboden mit Holz verkleidet - diesmal Teak. Ein freundlicher Ort zur vielfältigen Nutzung.

Von außen gibt sich der Bau eher zugeknöpft. Was wie Sandsteinmauerquader aussieht, sind Kunststeine, die als Masse und durch die gleichfarbigen Fugen leider zu wenig Leben ausstrahlen. Der Travertin am Kunstverein gegenüber hat dagegen richtig Feuer. Flächengleiche, rahmenlose Fenster exakt in der Größe der Quader sind nach dem Zufallsprinzip über die Wand verteilt und verhehlen den Maßstab des Gebäudes, denn das Auge erkennt keine Geschossgliederung.

Am Gemeindezentrum als Vorsatzschale konstruiert, setzt sich die Wand als Hofmauer aus tonnenschweren, massiven Quadern fort und verbindet sich mit dem geschlossenen Kubus der Synagoge. Dessen schrittweise Verdrehung des Baukörpers in jeder der 32 Steinlagen um sechs Zentimeter ist nicht nur ein baukünstlerischer Einfall, sondern korrigiert einen Mangel des Grundstücks. Erst an der Traufkante in 19 Metern Höhe ist die exakte Ostrichtung erreicht. An dieser Richtung und jener der Gitterrost-Dachkonstruktion orientiert sich der Kultraum der Synagoge, der traditionsgemäß geostet sein muss. Im Inneren haben die Architekten auf faszinierende Weise die Jahrtausende alte Ambivalenz des Synagogenbaus thematisiert. Ein Vorhang aus goldglänzendem Metallgewebe (Tombak, eine spezielle Messing-Legierung) umfängt den eigentlichen Kultraum und entspricht dem transportablen Stiftszelt für die Bundeslade, während die massive Außenwand den festgefügten salomonischen Tempel symbolisiert. Alle Einbauten, das Gestühl, die Empore und die Stirnwand haben die Deutschen Werkstätten Hellerau aufs Feinste nach den Entwürfen der Architekten in Eiche gefertigt.

Almemor heißt das hölzerne Pult inmitten der Gemeinde, an dem die Thora verlesen wird, Aron Hakodesch der Thoraschrein an der Stirnseite. Den ebenfalls historischen "synagogalen Raumkonflikt" zwischen Zentralraum um das Lesepult und auf den Schrein hin nach Osten längsgerichtetem Raum konnten auch die Saarbrücker Architekten nicht auflösen. Dennoch wird die neue Dresdner Synagoge weithin Schule machen, hoffentlich allgemein wegen ihrer Materialsicherheit und ihrer Detailqualität, und im Synagogenbau wegen ihrer geistreichen Konzeption.

 

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Versöhnung statt Vergessen

Jüdische Emigranten besuchen frühere Heimat Dresden

Das Schicksal der Dresdnerin Irene Hizme war hart. Sie war erst vier Jahre alt, als die Nationalsozialisten ihren Vater in Auschwitz ermordeten. Gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder wurde sie ins KZ Theresienstadt deportiert und dort Opfer der Menschenexperimente des gefürchteten KZ-Arztes Dr. Josef Mengele. Erst nach dem Krieg fand sie eine neue Heimat in Amerika.

Gestern hat OB Ingolf Roßberg Irene Hizme und zehn andere ehemalige jüdische Bürger Dresdens eingeladen, ihre frühere Heimat zu besuchen. Anlass ist die Einweihung der Synagoge.

Für Irene Hizme ist es eine Zeitreise in die Vergangenheit.

"Ich habe Dresden gar nicht wiedererkannt, als ich 1987 zum ersten Mal wieder hier war", sagt sie, "jetzt begebe ich mich auf Spurensuche nach meinen Eltern".

Rolf Pionkowski hat am 9. November 1938 noch den Brand der Synagoge miterlebt. Jetzt reiste er extra aus Brasilien an, um Dresden wiederzusehen. Andere kommen aus Israel, den USA und Südafrika. Sie halten die Erinnerung wach, auch wenn diese sehr schmerzlich ist. "Am schlimmsten war, dass wir den Judenstern tragen mussten, die Angst, auf die Straße zu gehen", erinnert sich Henny Brenner. Im Februar 1945 bekamen ihre Eltern den Deportationsbefehl. "Den Bomben, die Dresden dem Erdboden gleichmachten, verdanke ich mein Leben", sagt sie. Heute lebt sie in Weiden, kehrt aber regelmäßig nach Dresden zurück. Wenn ihre Familie fragt, warum, sagt sie: "Ich fahre ja schließlich nach Hause!" (ars)

 

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Süddeutsche Zeitung Vermischtes 9.11.2001

Ein Haus der Andacht allen Völkern

 

Die neue Synagoge in Dresden, die heute, am Tag der Zerstörung der alten, eingeweiht wird, nimmt vergessene Koordinaten wieder auf.

Als am Morgen des 10. November 1938 das Spektakel der ausbrennenden Synagoge in Dresden für die Gaffer langweilig zu werden begann, trieben die SA-Horden verstörte jüdische Lehrer aus dem Gemeindehaus zusammen, setzten ihnen verbeulte Zylinder auf und zwangen sie zu tiefen Verbeugungen vor der johlenden Menge und vor den untätig auf ihren Löschfahrzeugen herumsitzenden Feuerwehrleuten. Passanten, die gegen den widerwärtigen Spuk protestierten, wurden sofort abgeführt. An diesem Morgen soll das stadtbekannte „Männlein", das manche als „Diogenes von Dresden" bezeichneten, zum Künstler Otto Griebel gesagt haben: „Dieses Feuer kehrt zurück. Es wird einen großen Bogen gehen und wieder zu uns kommen."

Der kleine Diogenes hat auf grässliche Weise Recht bekommen. Im Februar 1945 brannte fast die gesamte Innenstadt Dresdens nieder.

Und so wie die Juden 1938 die geschwärzten Trümmer ihrer Synagoge auf eigene Kosten abtransportieren mussten – das Technische Hilfswerk drehte einen Lehrfilm über die unverhoffte Abbruchaktion –, so mussten die Dresdner nach dem Krieg fast alles, was sie in den Jahrhunderten zuvor errichtet hatten, auf gigantische Schuttberge hinaustransportieren. Jahre später war die Altstadt dann besenrein: Nur noch historische Mauerreste ragten störrisch aus der perfekt planierten, von Straßen ziellos durchschnittenen Leere.

 

Sempers Vision

 

In keiner deutschen Stadt hat der Verlust des historischen Stadtkerns so schmerzhaft im Bewusstsein der Bevölkerung nachgewirkt wie in Dresden. In keiner deutschen Stadt hat aber auch der Brand der Synagoge die barbarisch-selbstzerstörerischen Dimensionen der Pogromnacht so massiv zur Schau gestellt wie in Dresden. Denn hier wurde nicht nur ein jüdisches Gotteshaus zerstört, sondern mit ihm auch ein Hauptwerk der lokalen Architekturgeschichte, ja ein Eckpfeiler der weltberühmten Elbfront. Gottfried Semper – immerhin der wichtigste Architekt des 19. Jahrhunderts in Deutschland und als Akademie-Professor eine der zentralen Figuren des Dresdner Geisteslebens – hat in den Jahren 1839/40 für die rasch wachsende jüdische Gemeinde am Ende der Brühlschen Terrasse eine mit Kuppel und Türmen repräsentativ in die Umgebung hinauswirkende Synagoge im Stil byzantinischer Zentralbauten auf das Hochufer der Elbe gesetzt und damit die stadträumliche Komposition begonnen, die er später mit dem Opernhaus am anderen Ende abschließen sollte. Dass die Nazis einen der beiden stadtbildprägenden Semperschen Bauten in einer Nacht- und Nebelaktion aus der geliebten Stadtkulisse herausbrechen konnten und dafür noch Beifall bekamen, zeigt, zu welcher Bestialität der rassistische Fanatismus damals schon fähig war.

In den Jahren der DDR, als sich in Dresden wieder eine winzige jüdische Gemeinde zu sammeln begann, war an eine Rückkehr an den angestammten Platz an der Elbe nicht zu denken gewesen. Erst in den neunziger Jahren, als die jüdische Gemeinde wieder kräftig wuchs, nahm der Wunsch, ein neues Haus am alten Ort zu errichten, langsam Konturen an. Ein Förderverein wurde gegründet, und im Jahr 1997 konnte ein internationaler Architekten-Wettbewerb für ein Gemeindezentrum mit Synagoge neben der Brühlschen Terrasse ausgeschrieben werden.

Dort hatte sich die Situation seit den Tagen Sempers freilich grundsätzlich verändert. Wo früher eine zweispurige Straße von der Carola- Brücke herunter, um das Ensemble der Israelitischen Gemeinde herum, in die Stadt hineingeführt hatte, kam nun ein mehrteilig aufgefächertes Straßen- und Brückenmonstrum mit vielen Fahrspuren und einer zusätzlichen Straßenbahntrasse auf das leergeräumte Hochufer geschossen, um sich dort raumfressend in das nächste Autobahnkreuz hineinzustürzen. Was für den Synagogenbau übrig blieb, war also im Grunde nur noch die seitliche Böschung der hochgestemmten Stadtautobahn, ein zur Elbe abfallendes handtuchschmales Restgrundstück hart an der Straßenbahntrasse.

Dennoch ist auf der beengten Fläche eine sehr einprägsame, entschieden moderne, alle historisch-nostalgischen Anspielungen strikt vermeidende Baugruppe von großer Schlüssigkeit entstanden.

Die Jüdische Gemeinde hat sich nach dem Wettbewerb für die Träger des dritten Preises, das Büro Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch entschieden, das die beiden Funktionseinheiten Synagoge und Gemeindehaus auf zwei deutlich getrennte Baukörper verteilte (und mit diesem Konzept inzwischen auch den Wettbewerb für das Jüdische Zentrum am Münchner Jakobsplatz gewinnen konnte). Das Saarbrücker Team hat mit einem rechteckigen langen Sockel dem unebenen Grundstück eine Form gegeben und auf dieser Basis zwei Würfel in deutlichem Abstand einander gegenübergestellt. Eine durchgehende Mauer grenzt das Ensemble im Osten gegen die Bahnsteige der parallel verlaufenden Straßenbahnhaltestelle ab. Auf der Seite zur Brühlschen Terrasse hin aber führt eine zweiläufige Treppe hinauf auf das gemeinsame Podest – in den Hof zwischen Gemeindehaus und Synagoge.

Das langgestreckte Sockelrechteck ist in vier aufeinanderfolgende Quadrate unterteilt. Über dem nördlichen, der Elbe zugekehrten Quadrat erhebt sich der fensterlose Würfel der Synagoge; er wächst wie ein Bollwerk oder wie ein später Nachfahr der Felsbastionen in der Sächsischen Schweiz wirkungsvoll neben den Brückenbauten empor.

Das nächste Quadrat wird von vier mal vier Platanen – einem kleinen Hain über der geplanten Mikwe – gebildet. Auf dem dritten Quadrat ist der hereinlappende Grundriss der abgeräumten Semper- Synagoge mit knirschendem Glasbruch in den gewalzten Sandboden eingelassen:

grob gesplittertes Glas, glattgemahlene Spiegelscherben, zerschundene Flaschenböden als unsicher reagierender Bodenbelag – mit minimalen Mitteln und doch physisch direkt wird hier an das Grauen der „Reichskristallnacht" erinnert.

Auf dem Ende des Grundstücks, zur Innenstadt hin, steigt dann der Würfel des Gemeindehauses drei Geschosse hoch in die Höhe; er ist auf den drei Außenseiten weitgehend geschlossen; nur locker verteilte Fensterschlitze schaffen eine Verbindung zur Umgebung. Zum Hof hin aber öffnet sich das Haus mit einer Glaswand in ganzer Höhe. Im Inneren legen sich Gruppenräume, Büros und ein kleiner Andachtsraum um den zweigeschossigen großen Mehrzwecksaal, über dem sich im dritten Stockwerk eine nach oben offene, geräumige Terrasse – ein Festraum unter freiem Himmel – auftut.

Ihre künstlerischen Vorstellungen konnten die Architekten aber am schönsten im minimalistisch puren, und doch außen wie innen höchst eindrucksvollen Bau der Synagoge verwirklichen. Da die Kanten ihres Sockels an keiner Stelle exakt nach Osten wiesen, wie es der jüdische Kultus vorschreibt, drehten sie die Wände des Würfels auf dem Weg nach oben aus ihrer Ursprungs position langsam in die richtige Position, indem sie die 34Schichten beim Mauern jeweils so drehen und verschieben ließen, dass sie an den Ecken die Nachbarn um sechs Zentimeter überlappten. In der obersten Schicht verschieben sich die Ecken also um 1,8Meter gegenüber der untersten Schicht. Das gibt dem Ganzen einen dynamischen Schwung, ja eine faszinierende kinetische Instabilität, die sich als leichte Irritation auf die Besucher überträgt, aber auch als architektonischer Reflex auf die Geschichte des Judentums in Europa gedeutet werden kann.

 

Salomos Tempel

 

Steht das steinerne Äußere der Dresdner Synagoge für den Salomonischen Tempel, so steht der weich und transparent umhüllte Kultraum im Inneren für das „Stiftszelt", für jenes tragbare Gehäuse, unter dem die Israeliten in den Jahren des Exils und der Wanderschaft die Bundeslade aufbewahrten. Von der kassettierten Decke, die Tageslicht in die Synagoge lässt, hängen vier Wände aus feinmaschigem, durchsichtigem Metallgewebe bis zum Boden herunter.

Da dieses weiche Haus im Haus den Achsen der Decke folgt, kommt es unten als schief in den Raum gestellter, fast immateriell schimmernder Baukörper an. In dieses psychologisch umschirmende Stiftszelt haben die Architekten den eigentlichen Kultraum als geschlossene Einheit aus braun getöntem Eichenholz eingefügt: Über der Eingangswand erhebt sich die Empore, in der Mitte zwischen den Sitzreihen ist das Lesepult unter dem Ewigen Licht postiert; und in die Rückwand sind Thoraschrein, Gesetzestafeln und Orgel eingelassen.

Den Architekten ist also mit dezidiert modernen Mitteln und Materialien und ohne die expressionistischen Aufgeregtheiten, mit denen die Libeskind-Schule jüdisches Leben und jüdisches Schicksal zu instrumentieren sucht, am historisch relevanten, aber durch die Geschichte schwer beschädigten Ort eine schlüssige Neudeutung jenes Architekturtypus’ Synagoge gelungen, der in der Vergangenheit durch aufdringliche stilistische Eklektizismen um seine Eigenheit gebracht worden ist. Nach außen aber nimmt das Jüdische Zentrum die von Semper vorgezeichneten Koordinaten wieder auf: Es korrespondiert selbstbewusst mit der katholischen Hofkirche am anderen Ende der Brühlschen Terrasse. Und wenn erst die protestantische Frauenkirche dazwischen ihre Kuppel erhebt, wird die Trias der Gotteshäuser wieder etwas vom alten Glanz Dresdens erzählen.

 

GOTTFRIED KNAPP

 

 

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