Juden in Berlin - Jews in Berlin

 

Scheunenviertel - NPD-Aufmarsch (Presse-Info)

 

Wie in "alten Zeiten"?

 

 

Financial Times Deutschland - ftd.de, Sa, 1.12.2001,

Das historische jüdische Viertel - das so genannte Scheunenviertel - gehört zu den ältesten Stadtteilen in Berlin.

 

Mit seinen engen Straßen wurde das Gebiet nordwestlich des Alexanderplatzes zu Beginn des 18. Jahrhunderts besiedelt. Mit der Industrialisierung entwickelte sich die Gegend an der Oranienburgerstraße zum Armenviertel und "Hinterhof" Berlins. Alfred Döblin setze dem Scheunenviertel mit seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" ein literarisches Denkmal.

Als Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Juden vor den Pogromen in Russland und Polen flüchteten, ließen sich viele von ihnen im Scheunenviertel nieder. Hier konnten sie billige Wohnungen mieten und lebten in unmittelbarer Nachbarschaft zur Neuen Synagoge in der Oranienburgerstraße und dem jüdischen Friedhof in der Alten Hamburger Straße. Später wurde hier auch das jüdische Gymnasium gegründet. Das Viertel entwickelte sich somit zum Zentrum ostjüdischen Lebens in Berlin.

Nach ihrer Machtübernahme brachten die Nationalsozialisten die im Scheunenviertel lebenden Juden gezielt in Misskredit. Zwei Wochen vor der Pogromnacht 1938 wurden rund 10.000 jüdische Bürger aus dem Scheunenviertel ausgewiesen. In der "Reichskristallnacht" am 9. November wurde die Neue Synagoge von den Nazis in Brand gesetzt.

Zur 750-Jahresfeier Berlins 1987 wurde die Synagoge mit ihrer goldenen Kuppel von der DDR restauriert und zu einem jüdischen Kulturzentrum ausgebaut. Nach dem Mauerfall entwickelte sich der Stadtteil mit seinen vielen Cafes und Galerien zu einem der beliebtesten Szeneviertel der Hauptstadt.

© dpa

 

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Berliner Morgenpost Lokales 2.12.2001

Im Scheunenviertel hat der Ärger die Randale überdauert

Von Patrick Goldstein

 

Die Ausschreitungen sind am Tag danach viel diskutiertes Thema im Scheunenviertel. An sichtbaren Spuren ist wenig geblieben. Zerstörtes Glas und ein Protestplakat mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz an einem Wohnhaus. «Nie wieder» steht darunter. Das Nazi-Symbol steht verkehrt herum auf dem wehenden Laken. Ein an diesem Sonntag seltener Lichtblick: die Leute verlernen, Hakenkreuze zu malen.

In einer Bank am Hackeschen Markt fährt eine spanische Touristin die meterlangen Risse im Glas mit den Fingern nach. Nebenan sind in einem Modegeschäft ebenfalls Scheiben zu Bruch gegangen. Ein paar Schritte weiter liegen die geschmolzenen Reste dreier Müllcontainer am Straßenrand.

Still ist es. Geräuschkulisse bildet lediglich das Aufbrummen aus- und einparkender Autos:

Menschenmengen strömen heute nach Mitte, zur Wehrmachtausstellung. 20 Meter lang ist die Schlange davor. Besucher Thomas (42), einer, der wie viele heute bei diesem Thema nicht gern den Nachnamen nennt, sagt, es sei «schlicht peinlich, dass die Rechten brav marschiert sind und ausgerechnet die Gegendemonstranten Steine geworfen haben». Die Behörden hätten früher bekannt geben müssen, dass der NPD-Zug nicht durch das Scheunenviertel geht. «Das hat Ängste im Viertel geweckt.»

Eva (29), die unweit der Synagoge wohnt, bedauert, dass «einige wenige Krawallmacher für eine Radikalisierung der Gegendemo» gesorgt hätten. «Die Mehrzahl der Teilnehmer war friedlich.»

Das sieht Trautchen (60) ganz anders. «Die Rechten sind manierlich gelaufen, die Linken haben alle randaliert.» Dem Mann im Pförtnerhäuschen des Fußballplatzes an der Linienstraße, wo sich soeben Berolina Mitte und BAK nichts schenken, erzählt sie von den «jungen Leuten, die dort drüben die Pflastersteine ausgegraben haben. Die hatten ihre Kinder dabei», empört sie sich. «Die nimmt man doch nicht mit, wenn man weiß, dass das eskalieren kann.» Der Pförtner entgegnet: «Na, die Kleinen sollen gleich lernen, wie mans macht.» Der Umzug der Rechtsradikalen hätte verboten werden sollen, meint er dann. «Kann man nicht verbieten», widerspricht Trautchen.

«Die Steine haben jedenfalls Leute getroffen, die mit dem ganzen links und rechts überhaupt nichts zu tun hatten: Polizisten», findet der Mann vom Sportplatz. «Genau», stimmt Trautchen zu und erinnert sich: «Gestern, als die Spieler auf dem Platz die Randale mitbekommen haben, meinten die, ,da ist uns die NPD lieber, als dass wir mit solchen Leuten was zu tun haben wollen´.»

 

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Berliner Morgenpost Lokales 2.12.2001,

Jüdischer Laden beschädigt - Polizei ermittelt

 

Die Randale von linken Gegendemonstranten zum NPD-Aufmarsch hatte rund um die Oranienburger Straße in Mitte Sachschaden zur Folge. Eingeschlagene Schaufensterscheiben und angezündete Müllcontainer zählen dazu. Doch ein Bild der Verwüstung - wie viele im Vorfeld befürchtet hatten - hinterließen die Krawallmacher nicht. Dennoch muss sich der Staatsschutz auch mit der Beschädigung des jüdischen Geschäfts «KOLBO» an der Auguststraße 77 beschäftigen. Wie die Israelitische Synagogen-Gemeinde zu Berlin gestern mitteilte, wurde das Lichtreklameschild des gemeindeeigenen Ladens für koschere Lebensmittel, koschere Weine und Ritualien dieser Gemeinde von Unbekannten zum Teil zerstört. Dies sei gestern Morgen bei einer Routinekontrolle festgestellt worden.

Die Polizei bestätigte den Vorfall. Ein Sprecher: «Die Tatzeit liegt zwischen Freitagabend und Sonntagmorgen. Es ist durchaus möglich, dass das Schild während der Ausschreitungen von Steinen getroffen wurde. Wir ermitteln jetzt die Hintergründe.»

In einer Erklärung bezeichnet die Israelitische Synagogen-Gemeinde «diesen Akt des Vandalismus als einen gezielten Angriff auf die Sicherheit des jüdischen Lebens und auf unsere ständigen Bemühungen, Judentum und jüdischen Alltag als Normalität im Bewusstsein und im Straßenbild der deutschen Hauptstadt wieder zu etablieren». Mb

 

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Berliner Morgenpost Lokales 2.12.2001

Jüdische Gemeinde kritisiert Körting

Niemand habe gewusst, dass die Rechtextremen nicht durchs Scheunenviertel laufen

Von D. Banse, J. Fahrun und H. Werner

 

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) steht wegen seiner Informationspolitik in der Kritik. Anlass ist der NPD-Aufmarsch vom Sonnabend, dessen Route Körting bis zum Schluss geheim gehalten hatte. Durch diese Taktik war der Eindruck entstanden, die Innenverwaltung lasse zu, dass die Rechtsextremen wie geplant an der Neuen Synagoge vorbeiziehen könnten. Hendrik Kosche, Referent des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner: «Wir haben keine offizielle Mitteilung darüber erhalten, dass der NPD-Aufmarsch nicht durch das jüdische Viertel führen soll.» Ein Widerspruch, denn der Innensenator hatte erklärt, er habe die Jüdische Gemeinde darüber informiert, dass die Route verlegt werde.

Hendrik Kosche berichtete, ihm hätten Beamte vor Ort am Freitagnachmittag gesagt, dass mit einer Verlegung der Route zu rechnen sei. «Eine hundertprozentige Sicherheit war das aber für uns nicht», sagte Kosche weiter. «Diese Geheimniskrämerei ist kein zukunftsfähiges Modell, auch wenn eine gute Absicht dahinter steht.»

Nicht eindeutig äußern wollte sich Kosche zu der Frage, ob die Ausschreitungen vor der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße durch eine frühere Bekanntgabe der Routenänderung hätten vermieden werden können. Es sei «bedauerlich, dass auf diese Weise Bilder um die Welt gehen mussten, die ausgerechnet Gegner der NPD als gewalttätig zeigen».

Kritik erntet Körting auch vom CDU-Innenexperten Roland Gewalt. «Er hätte viel früher klarstellen müssen, dass die Rechten nicht durchs Scheunenviertel laufen werden.» Gewalt drängt darauf, das Versammlungsrecht ändern zu lassen, damit solche NPD-Aufmärsche zukünftig überhaupt nicht mehr stattfänden. Er macht SPD und Grüne dafür verantwortlich, dass dies bislang noch nicht geschehen sei.

Doch nicht nur von der Opposition muss sich der Innensenator Vorwürfe anhören. Auch Justizsenator Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) äußert Unverständnis darüber, dass Körting die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt hat. «Die Geheimhaltung der geänderten Route war richtig. Er hätte jedoch deutlicher machen müssen, dass die Nazis nicht an jüdischen Stätten vorbeiziehen würden. Das ist unglücklich gelaufen.»

Der Gescholtene hatte sich bereits Sonnabendabend zu seiner Taktik geäußert. «Durch die Geheimhaltung der Route wollte ich Schlägereien zwischen Rechten und Linken verhindern», erklärte Körting. Die Innenverwaltung hatte vor der Demonstration lediglich erklärt, die Berliner Sicherheitsbehörden seien sich der besonderen Symbolik des betroffenen Raumes bewusst. «Da hätte doch jedem klar sein müssen, dass wir die NPD-Anhänger nicht zur Neuen Synagoge ziehen lassen würden», dachte Körting. Ein Irrtum, den er auch einräumte. Es habe offenbar Kommunikationsprobleme gegeben, wie er sich ausdrückte.

Seine Parteikollegin und sicherheitspolitische Sprecherin, Heidemarie Fischer, steht dem Senator zur Seite. «Das wichtigste Ziel hat er doch erreicht. Die Rechtsextremen zogen nicht durchs Scheunenviertel. Und mit der Geheimhaltung hat der Senator auch noch Gewalt zwischen Rechten und Linken verhindert.»

 

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TAZ Lokales 2.12.2001

npd-demo

Da hilft nur Masse

 

Es könnten schrecklich symbolträchtige Bilder werden: Berliner Polizisten schleppen Rabbiner und andere Mitglieder der Jüdischen Gemeinde aus dem Weg, damit grölende NPD-Anhänger demonstrieren können. Und das in der Gegend um die Oranienburger Straße, in der vor der Nazi-Zeit zehntausende Juden gelebt haben.

Kommentar von SABINE AM ORDE

 

Die Aufregung ist entsprechend groß. Kritik kommt von allen Seiten, von der Bundesregierung über die Jüdische Gemeinde bis zu Anwohnern und Antifas. Selbst das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles protestiert. Und der Innensenator? Der will sich nicht äußern zu dem, was sich heute in der Spandauer Vorstadt abspielen könnte.

Ein Verbot sei gesetzlich nicht durchsetzbar, heißt es in Körtings Verwaltung. Deshalb ist der Versuch erst gar nicht unternommen worden. Und bei der Route, wird sibyllinisch hinzugefügt, würde "dafür Sorge getragen, dass der besonderen Symbolik des betroffenen Raums Rechnung getragen wird". Bekannt gegeben wird die letztlich genehmigte Aufmarschstrecke der Rechtsextremen nicht - auch wenn das für Gegendemonstranten vieles einfacher machen würde.

Hier zeigt sich erneut, dass man sich bei der Verhinderung von rechtsextremen Demonstrationen nicht auf die Mittel von Polizei und Justiz verlassen darf. Eigenes Engagement, Zivilcourage ist gefragt. Wie also wäre es mit folgendem Szenario: Die Gegend rund um die Oranienburger Straße ist von aufgebrachten Demonstranten so überfüllt, dass die Polizei bei einem Marsch der Rechtsextremen deren Sicherheit nicht garantieren kann. Die Demo muss umgeleitet werden, und zwar weitläufig - oder eben gleich aufgelöst.

Das hat es schon einmal gegeben. Vor etwa einem Jahr beendete die Polizei einen NPD-Aufmarsch durch das östliche Stadtzentrum frühzeitig am Alexanderplatz. Sie konnte die Sicherheit der Rechten nicht gewährleisten. Das wäre doch eine Wiederholung wert.

taz Berlin lokal Nr. 6615 vom 1.12.2001, Seite 33, 74 Zeilen

(Kommentar), SABINE AM ORDE, Lo

 

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Frankfurter Rundschau Politik 2.12.2001

Hässliche Bilder, mit und ohne Neonazis

Aufmarsch der Rechtsextremisten versetzt Berlin Mitte in den Ausnahmezustand

Von Jörg Schindler (Berlin)

 

Dutzende Festnahmen, etliche Verletzte, zerborstene Schaufensterscheiben und ein beschädigtes Image: Bilanz des Neonazi-Aufmarschs in Berlin.

Am Ende bedurfte es nicht einmal dumpfer Glatzen für hässliche Bilder. Während die rund 3500 Rechtsextremisten sich noch am Bahnhof Friedrichstraße sammelten, lieferten sich Polizei und ein Teil der ansonsten friedlichen Gegendemonstranten direkt vor der Synagoge gewalttätige Auseinandersetzungen. Jugendliche setzten Mülltonnen in Brand, kippten einen Streifenwagen um und warfen Steine auf die Staatsmacht. Diese antwortete mit Tränengas und Wasserwerfern. Junge Leute, die sich auf der Oranienburger Straße an einer Sitzblockade von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde beteiligten, wurden weggetragen. Und so kam es, wie es kommen musste: "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten", tönte es aus hunderten Kehlen, während sich keine 50 Meter entfernt ein paar Dutzend Juden um eine stille Andacht bemühten - und während Kameras aus aller Herren Länder surrten.

Mitten im Pulk mühte sich PDS-Mann Gregor Gysi, die Polizei in Schutz zu nehmen. Da die NPD immer noch nicht verboten sei, müssten die Beamten deren Demo schützen. Politisch ungelöste Probleme würden auf dem Rücken der Uniformierten ausgetragen. "Eine Scheißsituation", so Gysi. Eines immerhin gelang den rund 4000 Polizisten und Grenzschützern: Straßenschlachten zwischen Rechten und Linken blieben am Samstag weitgehend aus. Dafür herrschte im Bezirk Mitte für Stunden der Ausnahmezustand. S-Bahn-Zugänge wurden versperrt, Straßenbahnlinien lahm gelegt, Hubschrauber kreisten über der Stadt, alle Zugänge zum Sammelpunkt der Neonazis waren schwer bewacht. Im Scheunenviertel, dem alten jüdischen Zentrum Berlins, wurden einzelne Geschäfte und Restaurants sowie die Synagoge und das Gemeindehaus abgeriegelt.

Die Rechtsextremisten kamen jedoch nicht einmal in die Nähe des Viertels oder der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung, deretwegen sie angereist waren. Die Route war vom Senat abgeändert worden und wurde bis zuletzt geheim gehalten. So marschierten die Neonazis weitgehend ungestört, aber auch weitgehend unbeachtet in Richtung Nordbahnhof. Etliche ignorierten die Auflagen und marschierten mit Springerstiefeln und Bomberjacken. "Mein Opa war kein Mörder - Ich setze mich für ihn ein" stand auf ihren Transparenten oder auch "Gott mit uns! Und alles für Deutschland!" In Sprechchören drohten sie dem Leiter des Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma: "In Berlin und überall, Reemtsma bringen wir zu Fall."

In der Ausstellung ließen sich derweil Prominente blicken, Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, der Grüne Hans-Christian Ströbele, der neu gewählte Berliner Parlamentspräsident Walter Momper. Die "Ampel"-Parteien der Hauptstadt unterbrachen die Verhandlungen, der Landesparteitag der PDS legte eine Pause ein. Tausende strömten im Lauf des Tages in die Ausstellung, um den Rechtsextremisten zu zeigen, dass sie in der Minderheit sind. Die bekamen davon aber nichts mit. Getreu dem Motto "Nazis raus" wurden sie am Nordbahnhof in die S-Bahn verfrachtet und aus der Stadt geschafft.

 

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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 1.12.2001

"Wir werden auf keinen Fall weichen"

Jüdische Gemeinde will sich dem NPD-Aufmarsch entgegenstellen

Frank Jansen

 

Die Jüdische Gemeinde will am Sonnabend nach dem Vormittagsgebet des Sabbat die Oranienburger Straße blockieren, um den Aufmarsch der NPD zu stoppen. "Wir werden auf keinen Fall weichen", sagte gestern Gemeindemitglied Anetta Kahane, "selbst wenn die Polizei meint, Rabbiner wegtragen zu müssen". Die NPD plant, wie berichtet, mit 4000 Anhängern gegen die Wehrmachts-Ausstellung zu demonstrieren, die in den Räumen des Vereins "Kunst-Werke" in der Auguststraße gezeigt wird.

Die NPD hat eine Route angemeldet, die durch das historische Scheunenviertel führt und auch den Ausstellungsort streifen soll. Im Scheunenviertel lebten vor 1933 mehrere zehntausend Juden. "Ich fordere den Senat auf, die Nazis daran zu hindern, diesen Weg zu gehen", sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dem Tagesspiegel. Es wäre eine "unerträgliche Fehlleistung der Verantwortlichen in Berlin, wenn die Nazis am Sabbat durch ein jüdisches Viertel marschieren dürfen". Das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles äußerte sich in Briefen an Bundesregierung und Senat "schockiert von der unvernünftigen Entscheidung, Neonazis einen Marsch durch das historische jüdische Viertel von Berlin zu erlauben". Bei der Senatsinnenverwaltung war gestern nur zu hören, es werde "der besonderen Symbolik des betroffenen Raumes Rechnung getragen".

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und weitere Senatsmitglieder wollen am Sonnabend demonstrativ die Ausstellung besuchen. Dafür sollen die Koalitionsverhandlungen unterbrochen werden.

Die Polizei hat drei Rechtsextremen untersagt, bei dem Aufmarsch Reden zu halten. Das Verbot richtet sich gegen Friedhelm Busse, Ex-Chef der 1995 verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)", gegen Wolfgang Nahrath, früher "Bundesführer" der 1994 verbotenen "Wiking Jugend", und gegen den österreichischen Alt-Nazi Herbert Schweiger. Die NPD will gegen die Redeverbote klagen.

 

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Hamburger Morgenpost Vermischtes 2.12.2001

NPD-Großdemo in der "Reichshauptstadt"

Aufmarsch am jüdischen Viertel - Paul Spiegel: "Ungeheuerliche Provokation"

 

Berlin - Beim größten rechtsradikalen Aufmarsch in Berlin seit dem 2. Weltkrieg haben am Sonnabend rund 3300 NPD-Anhänger aus dem ganzen Bundesgebiet entlang den Grenzen des historischen jüdischen "Scheunenviertels" in Berlin-Mitte gegen die neue Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung demonstriert.

Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte die NPD-Demonstration eine "Provokation ungeheuerlichen Ausmaßes". Der Aufmarsch von Rechtsextremisten vor Denkmälern, Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager oder in Zentren jüdischen Lebens sei "auch ein Angriff auf die Demokratie und ihre bürgerlichen Freiheitsrechte".

An die 5000 Gegendemonstranten wollten das nicht hinnehmen und versammelten sich vor der Synagoge an der Oranienburger Straße. Ein harter Kern von Autonomen und Linksradikalen versuchte, mit Gewalt zu den Neonazis durchzubrechen. Sie warfen Steine und Flaschen gegen Polizisten, die das zu verhindern suchten, demolierten Polizeiautos und warfen Schaufenster ein.

Auch eine Gegendemonstration: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und weitere Prominente besuchten ostentativ die am Dienstag eröffnete Wehrmachtsausstellung. Mehr als 1000 Berliner folgten ihrem Beispiel - auch, um durch ihre Anwesenheit die Ausstellung vor Angriffen der Rechtsradikalen zu schützen.

Ursprünglich hatten die Neonazis sogar mitten durch das Scheunenviertel marschieren wollen. Zumindest das konnte verhindert werden. Den Aufmarsch gänzlich zu verbieten war nicht möglich, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) - die NPD sei ja keine verbotene Partei. Bleibe nur die Hoffnung, dass das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zügig beendet werde.

Die NPD versuchte mit dem Aufmarsch offenbar an den Münchner "Erfolg" vom März 1997 anzuknüpfen. Damals hatte die schon fast totgesagte Partei mit dem Aufruf zur Demonstration "für die Ehre der Wehrmacht" mehr als 4500 Neonazis, Skinheads und Kriegsveteranen zum Protest gegen die damals in München gezeigte erste Wehrmachtsausstellung mobilisiert. "Wenn wir alle zusammenhalten, gehört uns heute München und morgen die Reichshauptstadt Berlin", tönte damals Parteichef Udo Voigt. Immerhin fing die Partei bei den Berliner Wahlen vor sechs Wochen mehr als 15 000 Wähler - 2000 mehr als bei der Landtagswahl 1999.

dpa/AP/hk

 

 

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